Dienstag, 1. Dezember 2009

Arbeitslosigkeit - ein Grund zum Heulen?

Hartz IV - das Überbleibsel christlicher und materialistischer Wirtschaftsordnung

"Hartzen" ist zum Jugendwort des Jahres 2009 erklärt worden. (Welt) Heinz Buschkowsky, der inzwischen schon fast deutschlandweit bekannt gewordene Bürgermeister des "Berliner Problembezirkes" Neukölln, sagt:
Wenn man Jugendliche fragt, was wollt ihr werden, antworten sie: Ich werde Hartzer.
Unsere Gesellschaft hat - offenbar - ein Problem. Sie kann mit freier Zeit nicht sinnvoll umgehen. Sie hat - immer noch - richtiggehend ein schlechtes Gewissen bezüglich des Umstandes, daß Menschen freie Zeit haben. Insbesondere: "Zu viel" freie Zeit. Es sind - offenbar - die gleichen Probleme, die lebenslange Sklaven haben, wenn sie aus ihrer Sklaverei befreit werden. Mit ihrer Freiheit können sie nichts anfangen. Die äußeren Ketten haben sich längst in innere Ketten umgewandelt.

Warum freuen wir uns nicht darüber, daß wir - endlich - weniger arbeiten müssen und doch eine Wohnung haben und uns satt essen können und uns ausreichend kleiden können und uns vieler sonstiger Annehmlichkeiten einer fortgeschrittenen Gesellschaft erfreuen können? Warum flößen wir uns selbst und anderen dauernd so ein schlechtes Gewissen ein, wenn wir "nur" das sind: Mensch. Woher kommt dieses: "nur"?

Hier steht eine Gesellschaft auf dem Kopf. - Woher kommt das?

Könnte so das Ergebnis einer Jahrtausende langen sozialpsychologischen Dressur in christlicher - das heißt in mittelalterlicher, benediktinischer und in neuzeitlicher, protestantischer - Arbeitsethik aussehen?*) Und haben sich selbst jene von dieser Dressur innerlich noch nicht befreit, die inzwischen schon lange - aber eben vielleicht doch nur äußerlich - zu "Atheisten" geworden sind? Versteht sich: zu materialistischen Atheisten?

Warum freuen wir uns eigentlich nicht über Arbeitslosigkeit? Warum jubeln wir darüber nicht? Warum sehen wir in der aktuellen Ausgabe der Gewerkschaftszeitung von "Verdi" --> weinende Menschen, wie man sie bei der Insolvenz eines solchen Arbeitgebers wie "Quelle" fotografieren kann. Zumindest - offenbar - in Nürnberg? Was für eine Sklavensprache spricht aus derartig scheußlichem Weinen? Und aus einer solchen Gewerkschaftszeitung?

Warum diese "Mißtrauensgesellschaft"?

Dabei sind viele Berufe, die bei "Quelle" ausgeübt wurden, nach mehreren offiziellen Gutachten - wie sogar der gleichen Ausgabe der Gewerkschaftszeitung zu entnehmen ist - gesundheitsschädlich und inhuman. 80 Prozent derjenigen, die sie bislang ausgeübt haben, wollen diese Tätigkeit deshalb auch nicht bis zur Rente fortsetzen. So etwa die Tätigkeit eines "Call Center Agenten" (s. S. 22 der aktuellen Verdi-Zeitung). Sollten es wirklich die vielen Call Center Agenten sein, die bei der Insolvenz von "Quelle" das große Heulen bekommen haben?

Was für eine phantasielose Gesellschaft, die bei der Arbeitslosigkeit anderer Menschen oder bei der eigenen ein schlechtes Gewissen bekommt. Für die Arbeitslosigkeit ein Grund zum Weinen ist. Eine Gesellschaft, die ein schlechtes Gewissen dabei hat, den Menschen ein ordentliches, auch von Bundespräsident Horst Köhler als erwägenswert erachtetes, bedingungsloses Grundeinkommen, ein Erziehungsgehalt - oder auch nur ein Betreuungsgeld - zu zahlen.

Eine Gesellschaft, die als die eigene Handlungsleitlinie und die anderer noch überall die biblische Lohn-Straf-Moral vorauszusetzen scheint: Man tue das Gute nur, wenn man dafür - ordentlich - bezahlt wird, bzw. wenn man ausreichend kontrolliert wird (im Diesseits oder im Jenseits). Und wenn man nicht bezahlt wird, nicht kontrolliert wird, tue man das Gute Bitteschön auch nicht. Man sei doch - Bitteschön - kein "Idiot". Oft "darf" man - nach regulärer Gesetzeslage - Gutes gar nicht tun, ohne sich dafür bezahlen zu lassen. Denn man könnte ja dann Menschen eine Arbeit wegnehmen, die diese nur leisten, wenn sie etwas dafür bekommen. Wie viele Dinge stehen hier denn eigentlich gleichzeitig Kopf? Wieviele menschliche Verbiegungen, Verkrüppelungen verbergen sich denn hinter derartigen Einstellungen?

Ist es vor allem das (altruistische?) Bestrafen, das unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt aufrecht erhält?

Nirgends in der Gesellschaft gibt es Stellen, die andere, lebensfrohere, lebensfröhlichere Einstellung fördern als diese von so typisch christlichem Mißtrauen in die menschliche Natur geleiteten Menschenbilder. Selbst die von zumeist atheistischen Wissenschaftlern angebotene "Evolutionäre Ethik" hat da bislang nur wenig zu bieten. Muß man sich da wundern, daß Mißtrauen und schlechtes Gewissen hochkommen, wenn von Geldleistungen die Rede ist, die "bedingungslos" sind? Und wenn von guten Taten die Rede ist, die "bedingungslos" sind?

Wie soll Vertrauen in die eigene Menschlichkeit und in die anderer entstehen, wenn wir uns ständig gegenseitig weiter im Teufelskreis, im Hexenkessel des Mißtrauens und des Materialismus belauern? Wenn wir uns gegenseitig belagern, begaunern und ausbeuten, da auch der Mißtrauen-geleitete "Third-Party-Punishment"-"Altruismus" die Gesellschaft insgesamt nicht mehr zusammenzuhalten und funktionsfähig zu erhalten scheint? (Zu letzterem siehe frühere Beiträge auf St. gen..)

______________
*) Der römische Historiker des 1. Jahrhunderts n. Ztr., P. C. Tacitus, berichtet in seiner "Germania", daß die Germanen seiner Zeit kein schlechtes Gewissen hatten, wenn sie faulenzend auf ihren Bärenfellen lagen. Die Christianisierung bewirkte hier einen klaren Wertewandel. Aber soll dieser Wertewandel auf dem Gebiet der Arbeitsethik der letzte Wertewandel der Geschichte bleiben? Auch heute?

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…
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