Samstag, 1. Oktober 2011

Katholische Kirche - Kein Lernen aus der Vergangenheit? (I)

Schon 1936/37 ist Kindesmißbrauch in der römisch-katholischen Kirche breit und aufsehenerregend vor deutschen Gerichten behandelt worden und 1971 geschichtswissenschaftlich aufgearbeitet worden. Beides blieb auch von einer kirchenkritischen Öffentlichkeit bis heute unausgewertet.


Auf Wikipedia heißt es (siehe auch: 1) (Hervorhebung hier wie in den folgenden Zitaten nicht im Original):
In den Jahren 1936 und 1937 kam es zu einer Serie von rund 250 sogenannten „Sittlichkeitsprozessen“ gegen katholische Priester und Ordensleute. In den Prozessen ging es um sexuellen Missbrauch von Kindern, Unzucht mit Schutzbefohlenen und in ihrer Mehrzahl um homosexuelle Handlungen (der § 175 StGB war im Gefolge der Röhm-Krise erst 1935 verschärft worden). Zur Vorbereitung hatten Beamte der Geheimen Staatspolizei in einer großangelegten Aktion zielgerichtet Geistliche, Schüler, Lehrlinge und Bewohner der katholischen Kinderheime und Pflegeeinrichtungen verhört. (...)
Im Sommer 1937 wurde die Prozessserie ohne ersichtlichen Anlass abgebrochen.
In den öffentlichen Diskussionen der letzten beiden Jahre sind diese geschichtlichen Erfahrungen vor mehr als 70 Jahren so gut wie nie - und wenn dann nur von katholischer Seite in wegwerfendem Sinne - zur Sprache gekommen. Im folgenden soll untersucht werden, ob diese Nichtbeachtung zu Recht oder zu Unrecht geschehen ist.

Wie dem Zitat zu entnehmen ist, war damals Homosexualität zwischen Erwachsenen noch strafbar und wurde - sozusagen - "in einen Topf" geworfen mit sexuellem Mißbrauch von Kindern. Das hätte aber zu keinem Zeitpunkt zum Vorwand dienen können und dürfen, den damals ebenso zu Verhandlung gekommenen sexuellen Mißbrauch an Kindern bis zum Jahr 2010 der Vergessenheit anheim fallen zu lassen. Falls die damaligen Vorwürfen so wie die heutigen substantiiert gewesen sind. 

Vom Jahr 1937 bis zum Januar 2010 hat nämlich eine größere Öffentlichkeit von solchen im angeführten Zitat angesprochenen Zuständen innerhalb der katholischen Kirche in Deutschland nie wieder etwas gehört. Der Historiker Hans Günter Hockerts hatte die Thematik der genannten Prozesse während des Dritten Reiches schon Anfang der 1970er Jahre aufgearbeitet (1). Aber scheinbar waren auch nach dem Ende der christ-katholischen Adenauer-Zeit und bis heute, bis zum Januar 2010 nur wenige bereit, sich durch diese umfangreichen Prozesse der Jahre 1936 und 1937 darüber belehren zu lassen, wie kritisch man auf die Verhältnisse innerhalb der katholischen Kirche auch seither blicken müsse.

Kungelei von Staat und Kirche 1933 bis 1945

Zunächst noch einige Worte zur Einordnung in den breiteren zeitgenössischen Kontext der Jahre 1936 und 1937: Die Nationalsozialisten waren nur mit Hilfe der katholischen Kirche überhaupt an die Macht gekommen und arbeiteten auf vielen Gebieten eng mit der katholischen Kirche zusammen (Reichskonkordat und anderes mehr).

Abb. 1: Bundespräsident Rau und Historiker Hans Günter Hockerts, 4.10.2002
Allerdings sind durch den "Kirchenkampf" der im Grunde genommen bigotten, weil "buchstabengläubigen" Bekennenden Kirche während des Dritten Reiches die religiösen Verhältnisse innerhalb Deutschlands so verworren geworden und für viele auch insgesamt so unglaubwürdig, daß die immer schon bestehende antichristliche Strömung innerhalb und außerhalb der nationalsozialistischen Partei etwa ab dem Jahr 1935 ganz unbeabsichtigt durch  diesen Kirchenkampf ausßerordentlich gefördert worden ist. Hier kam sowohl für die führenden Nationalsozialisten wie für die katholische Kirche vieles ganz unerwartet auf sie zugerollt, hier waren ganz unbeabsichtigt breite Grundsatz-Diskussionen über das Christentum an sich losgetreten worden und diese hatten sehr stark an "Eigendynamik" und Eigengesetzlichkeit gewonnen. Und dies war dann von monotheistischen Lobbymächten nur noch schwer steuerbar.

Während der Vatikan und Mussolini starken Druck auf die deutsche Regierung ausübten, daß sie die bisher bestehende enge Kungelei mit der katholischen Kirche aufrecht erhalten würde, versuchte der Katholik Adolf Hitler immer wieder einmal mit Gegendruck sich von diesem Druck etwas zu entlasten. So indem er seinen engen und scharf antikatholischen Mitarbeiter Alfred Rosenberg Einfluß gewährte. Und so auch, indem 1936 und 1937 Devisenschieber- und Sittlichkeitsprozesse gegen über tausend katholische Priester und Ordensangehörige in Deutschland von der Gestapo vorbereitet wurden und von den Gerichten durchgeführt wurden, zunächst ohne daß Hitler etwas dagegen tat.

Aus vornehmlich außenpolitischen Rücksichtnahmen gegenüber dem Vatikan und Mussolini (siehe nächster Beitrag) ließ Hitler die Durchführung dieser Prozesse dann sehr plötzlich im Sommer 1937 wieder einfrieren. So war bis dahin nur ein Teil der vorbereiteten Prozesse und Anklagen zur Aburteilung gekommen. Nach 1945 hatten alle Seiten mit anderen Dingen genug zu tun und es zugleich sehr eilig, alles dies wieder der Vergessenheit anheim fallen zu lassen. So konnte es kommen, daß die Brisanz der diesbezüglichen Vorgänge von 1936 und 1937 erst mit dem deutlich geworden ist, was dann wieder seit dem Januar 2010 der Öffentlichkeit bekannt geworden ist.

Was sagt der Historiker Hans Günter Hockerts?
Abb. 2: Historische Studie von 1971

Natürlich bestand nach 1945 zunächst der Argwohn, so schreibt 1971 der Historiker Hockerts (1, S. 59),
"die Prozesse hätten zum Großteil auf gefälschtem Material beruht".
Dahinter konnte sich die katholische Kirche während der Adenauerzeit natürlich gut verstecken. Doch der Historiker Hockerts kam 1971 zu dem - rückschauend betrachtet - keineswegs unwesentlichen Ergebnis (1, S. 59f; Hervorhebung nicht im Original):
„Wie gezeigt, entspricht eine solche Beurteilung nicht den Tatsachen. Zwar wurde wiederholt mit teils rechtswidrigen, teils fragwürdigen Mitteln in den Bereich der Justiz eingegriffen: von der Gestapo vor allem durch rechtlich unzulässige Verhängung von Schutzhaft, von Goebbels durch Unterhöhlung des Öffentlichkeitsausschlusses während vieler Hauptverhandlungen, von Hitler durch Sistierungen“ (= Einstellungen) „der Prozesse." (!!!) "Doch die Justiz selbst – in den Sittlichkeitsprozessen vornehmlich repräsentiert durch das Reichsjustizministerium, die Landgerichte Koblenz und Bonn sowie die Koblenzer Sonderstaatsanwaltschaft – wahrte, soweit es ihr möglich schien, einen geordneten Rechtsweg. Dieses grundsätzliche Bestreben erläuterte der zuständige Minister Gürtner im Juni 1937 Hitler deutlich, als er sinngemäß ausführte, die Prozesse seien die eine Sache, politische oder propagandistische Auswertung eine gänzlich andere, die jene nicht beeinträchtigen dürfe. Dem entsprach die Arbeit der ausführenden Rechtsorgane. Den Urteilen in den Brüderprozessen lagen allein die Bestimmungen des Strafgesetzbuches zugrunde, den Anklagen der Sonderstaatsanwaltschaft in aller Regel tatsächliche Vergehen: nur äußerst selten konnte – nach herrschender Rechtsauslegung – Freispruch erfolgen.“ „Der eigentliche Kern der Prozesse“ sei von seiner propagandistischen Ausnutzung unbeeinflußt geblieben. 
Justizminister Gürtner brachte Hitler sogar seine persönliche Meinung zum Ausdruck, daß durch die maßlos übertreibende Goebbelsche Propaganda „der wuchtige Eindruck der Prozesse nicht gestärkt, sondern geschwächt“ würde (1, S. 61). Im Ganzen jedenfalls steht vor der Geschichte fest: „Den Kirchenbehörden war es bei diesen Delikten nicht möglich, die Beschuldigten zu decken.“ (2, S. 80)

Hockerts war nur mit den "Sittlichkeits"-Prozessen beschäftigt. Er stellt aber im wesentlichen das gleiche in einer Anmerkung auch für die zeitgleichen Devisenschieber-Prozesse fest (1, S. 5):
„In den Jahren 1935/36 wurden in Deutschland etwa 40 Devisenprozesse gegen Klöster und auch einzelne Geistliche durchgeführt. (...) Teils scheinen gutmeinende Klosterbehörden wegen der engen Verbindung zu den Auslandsniederlassungen und der diffizilen Devisenbestimmungen sachlich überfordert gewesen zu sein, teils scheinen – insbesondere weibliche – Gemeinschaften vorsätzlich versucht zu haben, sich durch gesetzwidrigen Devisenbesitz und gesetzwidrige Ausfuhr von Reichsmark Vorteile bei der Tilgung von Auslandsschulden zu verschaffen.“ 
Die Kirche verteidigte sich damals mit dem Argument, daß es sich bei all diesen Vorfällen - Devisenvergehen und "Sittlichkeitsvergehen" - immer nur um "Einzelfälle" handeln würde, bei denen es nicht angemessen wäre, sie so "aufzubauschen". Das war natürlich eine argumentative Linie, mit der die katholische Kirche im Jahr 2010 nicht mehr hervorkommen konnte, angesichts der großen Zahl der Fälle im In- und Ausland. Aber auch schon am 29. April 1937 war in den "Münchner Neuesten Nachrichten" zu dieser Verteidigungsstrategie zu lesen (zit. n. 3): 
"Dieses Bemühen, die Anklagen der Klosterprozesse in den Augen der empörten und in  ihrem Vertrauen zur Kirche schwer getäuschten Gläubigen zu entkräften, muß vergeblich bleiben. Von Einzelfällen kann nicht mehr die Rede sein. Dutzende von Prozessen, die in allen Fällen einwandfrei und in voller Öffentlichkeit die schwersten Anklagen bestätigt haben, sind bereits zur Aburteilung gekommen, mehrere hundert warten noch auf ihre gerichtliche Erledigungüber 1000 Ordensbrüder und Geistliche sind in diese noch nicht erledigten Prozesse verwickelt und harren im Untersuchungsgefängnis ihrer Aburteilung. Hier noch von Einzelfällen sprechen zu wollen, hieße tatsächlich die Urteilskraft des Volkes unterschätzen ... Die Protokolle der Prozesse und die Gerichtsverhandlungen selbst, die öffentlich sind, soweit nicht wegen der Gefährdung der Sittlichkeit das Publikum ausgeschlossen werden muß, nehmen den Angeklagten aber auch jeden Schein harmloser oder verführter Menschen. Es bleiben Verbrecher, die sich in der schlimmsten Weisen an ihnen anvertrauten Pfleglingen vergangen haben. Das Furchtbarste dabei ist, daß diese Verbrecher von Fällen sich an Kindern vergangen und sie vielfach an Leib und Seele Zeit ihres Lebens zugrunde gerichtet haben. Im Vertrauen auf die religiöse Grundlage haben die Eltern im besten Vertrauen ihre Kinder und Pflegebefohlenen den Klöstern zum Schutz und zur Erziehung anvertraut."
Wie konnte so etwas 1937 geschrieben werden, der Sache nach 1971 von geschichtswissenschaftlicher Seite bestätigt werden - und doch ist erst im Januar 2010 öffentlich bekannt geworden, daß die gleichen Zustände, die schon 1937 "gerichtsbekannt" waren, über Jahrzehnte hinweg fortbestanden hatten? Wie konnte es passieren, daß man in dieser Sache sprichwörtlich nichts aus der Geschichte des Dritten Reiches gelernt hatte?

Warum hatte man bis 2010 nichts aus der Geschichte gelernt?

Wie konnte es passieren, daß man die nationalsozialistische Unterdrückung dieser Prozesse und das mangelnde Mißtrauen gegenüber etwaig vorliegenden Verbrechen seit 1937 ununterbrochen fortsetzte bis 2010? Wie kann es überhaupt sein, daß bei solchen schwerwiegenden Verbrechen offensichtlich wie 1937 auch noch alle Jahre danach bis heute politische Rücksichtnahmen eine Rolle spielen dahingehend, ob und wie scharf man juristisch gegen solche Verbrechen vorgeht?

Und wie fatal und empörend ist es, wenn man aus dem Jahr 1937 den gleichen Umgang der katholischen Kirche mit solchen Verbrechen feststellen muß, wie er noch bis zum Jahr 2010 fortgesetzt wurde. Und da hofft man, daß es nun endlich nach dem Jahr 2010 besser werden würde? Wo es auch nach 1937 nicht besser geworden ist?

Am 9. Mai 1937 wurde in einem "Sittlichkeits"-Prozeß vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Trier der Erzbischof von Trier vernommen und bedauerte die von ihm geübte Milde gegenüber dem angeklagten Pfarrer. Dazu sagte an diesem Tag der Staatsanwalt (zit. n. 3):
"Ich freue mich, daß Sie diese Milde bedauern, Herr Bischof, aber ich muß bedauern, daß diese Milde auf Kosten der Jugend gegangen ist."
Kann angesichts dieser geschichtlichen Erfahrungen erwartet werden, daß sich dann wenigstens heute etwas grundlegend ändert? - Wirklich?

Wozu brauchen wir denn eigentlich noch Geschichtswissenschaft, wenn so wenig Bereitschaft vorhanden ist, aus der Geschichte zu lernen? Wenn sich Geschichte derart kraß wiederholen kann? Und weiter sagte der Staatsanwalt "mit erhobener Stimme", wie mitgeteilt wird:
"Für die Vorfälle, die nach Lauenbach" (also nach neuen Verbrechen des Angeklagten - offenbar nach einer der typischen Versetzungen) "entstanden sind, mache ich im vollen Bewußtsein dessen, was ich hier sage, zum Teil mitverantwortlich die bischöfliche Kirchenbehörde."
Man merkt den Sätzen an, daß ein solcher Vorwurf damals noch "ungeheuerlicher" war als heute. Kein Wunder, daß da die bigotte Adenauerzeit nicht bereit war, sich diesen geschichtlichen Erfahrungen zu stellen und sie auszuwerten. Daß  das aber auch nach 1971 niemals geschehen ist? Wer kann dafür noch Verständnis haben? Wo waren all die kritischen Historiker, die Kirchenkritiker innerhalb und außerhalb der Kirche? Haben sie hier kein Mißtrauen gehabt? Was haben sie alle zu diesen konkreten Vorgängen geschrieben? Es wäre doch sehr sinnvoll, das noch einmal nachzuvollziehen und zu dokumentieren. Hat etwa Karlheinz Deschner möglichst dringend dazu aufgefordert, aus den Kindesmißbrauchs-Prozessen während des Dritten Reiches zu lernen? Als der Erzbischof von Trier sagte, daß er
"die Pflicht der väterlichen Milde gegen die Gestrauchelten habe",
fragte der Staatsanwalt exakt so als befände er sich im Jahr 2011, nicht im Jahr 1937:
"Haben Sie beim Walten dieser väterlichen Milde in Betracht gezogen, daß sie auch Betreuer der Jugend sind?"
Katholischer Umgang mit Strafverfolgungsbehörden - seit Jahrzehnten unverändert?

Auch wenn man Aufsätze von damals zu dieser Thematik liest, glaubt man sich nicht im Jahr 1937, sondern im Jahr 2011 zu befinden (3):
Die römische Kirche hat die Vertuschungsmethode bis zu einer Meisterschaft entwickelt und daher hat sie sich auch stets empört, wenn der Staat einmal in dieses Treiben hineinleuchtete. Es hat sich dabei gezeigt, daß die Kirche selbst niemals ernstlich die Absicht gehabt hat, diese Erscheinungen zu ändern. Der Redemptorist Müller sagte im vorigen Jahrhundert bei solcher Gelegenheit:
"Was soll der Bischof tun? Die Maske dem Heuchler herunterreißen? Ihm vom Altar wegtreiben, den er entehrt hat, aus der Pfarrei, der er vorstand? Wenige kennen seine (des Priesters) Schandtaten. Soll der Bischof sie der Welt bekanntmachen? Welches Ärgernis für die Schwachen, welcher Triumpf für die Ketzer und Ungläubigen! Der gute Bischof betet, wacht und hofft."
Solche Auffassung ist zwar sehr christlich, aber ganz abgesehen von dieser eigenartigen Rechtsauffassung ist mit Beten, Wachen und Hoffen noch niemals etwas erreicht worden, sondern nur durch tätiges Zugreifen. Darum hat der Staat die Sache in die Hand genommen, mußte sie in die Hand nehmen, wenn er nicht zusehen wollte, wie das deutsche Volk allmählich durch diesen, dem "heiligen" Sumpfe entsteigenden Pesthauch vergiftet wird. Die Verhandlung in Koblenz vom 30. 4. 1937 gegen den Franziskaner Julian hat deutlich erwiesen, daß die Bischöfe die alte Vertuschungstaktik heute noch betreiben wie auch die Unzucht von den Klostergeistlichen seit je betrieben wird. In dem Bericht der Münchner Neuesten Nachrichten vom 1./2. 5. 1937 heißt es u.a.:
"Bemerkenswerte Feststellungen brachte dann die Vernehmung des Kapuzinerpaters Columban, der mit aller Deutlichkeit die furchtbaren Zustände in den Klöstern der Franziskaner geißelte und von seinem vergeblichen Kampf gegen die entsetzlichen Ausschweifungen und Zuchtlosigkeiten berichtete. ... 'Ich habe die Geistlichen immer wieder gewarnt, daß hier einmal ein riesiger Skandal ausbrechen werde. Ich selbst hegte keinen Haß gegen den Vorsteher, sondern ich sah es als meine Pflicht an, die Waldbreitbacher Brüder von ihrer Rohheit und Verdorbenheit abzubringen.' ...  Anfang November fuhr Pater Columban zum Bischof von Mainz, um ihm Bericht zu erstatten. Der Bischof erklärte aber: 'Wie soll ich da vorgehen, damit ich keine Dummheit mache?' Der Zeuge erwiderte dem Bischof: 'Bestrafen Sie die Schuldigen, dann tun Sie Ihre Pflicht.' Doch es wurde nichts unternommen."
"Als dann bei einer erneute Besprechung außer dem Bischof der Generalvikar und der Generalobere zugegen waren, packte ich aus und schilderte alle Vorgänge im Kloster, wobei ich die Namen der einzelnen Klosterbrüder nannte. Als ich die Aufzeichnungen, die eine einzige Anklage gegen die Waldbreitbacher darstellten, übergeben hatte, erklärte der Generalobere zum Bischof: 'Wir müssen verhüten, daß diese Aufzeichnungen in die Hände der Polizei fallen!"
"Pater Columban stellte dann fest, daß der Bischof nach seiner Meinung jahrelang von den Zuständen gewußt und nicht eingegriffen habe."
Der Staatsanwalt führte in seiner Anklagerede aus - wobei sich die geschilderten Verhältnisse wohl offenbar auf Homosexualität zwischen Erwachsenen bezieht, mit denen allerdings die Kirche exakt genauso umgegangen ist damals wie noch heute mit Kindesmißbrauch:
"daß sich die Anklagebehörden seit 1935 mit den Zuständen in den Franziskanerklöstern beschäftigen müßten. Wer aber angenommen habe, daß die kirchliche und klösterliche Obrigkeit die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft im Interesse der Sauberkeit unterstützen werde, sei bald sehr enttäuscht worden. Nicht in einem einzigen Verfahren - und es hätten deren tausende eingeleitet werden müssen - hätten die kirchlichen Obrigkeiten es für notwendig gehalten, die Behörden in ihrem Kampf gegen die klösterliche Unzucht zu unterstützen. Ganz im Gegenteil habe man immer wieder feststellen müssen, daß den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft der allergrößte Widerstand entgegengesetzt wurde. Man habe sich geweigert, die Klosterakten herauszugeben. Als der Vertreter der Staatsanwaltschaft mit dem Bischof von Trier sprach, habe auch dies keinen Erfolg gehabt." 
Es dürfte sehr interessant sein, sich die Prozeßakten von damals noch einmal sehr genau anzuschauen und auch weitere Presseberichte von damals zusammenzustellen. Man wüßte gerne, ob das irgendwo schon geschehen ist. Siehe dazu den nächsten Beitrag!

___________________
  1. Hockerts, Hans Günter: Die Sittlichkeitsprozesse gegen katholische Ordensangehörige und Priester 1936/1937. Eine Studie zur nationalsozialistischen Herrschaftstechnik und zum Kirchenkampf. Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1971 (frei zugänglich)
  2. Zipfel, Friedrich: Kirchenkampf in Deutschland 1933 - 1945. Religionsverfolgung und Selbstbehauptung der Kirchen in der nationalsozialistischen Zeit. Walter de Gruyter, Berlin 1965
  3. Löhde, Walter: Verkommene Priester einst und jetzt. In: Am Heiligen Quell Deutscher Kraft, Folge 4, 20.5.1937, S. 156 - 161
  4. Kommission für Zeitgeschichte, Forschungsstelle Bonn: Hans Günter Hockerts: Die Sittlichkeitsprozesse gegen katholische Ordensangehörige und Priester 1936/1937. Publikationen Reihe B (Text von 1971?)
  5. Sumpf und Sitte. Als "Sexualsumpf" galt Hitlers Propagandisten der Klerus. In: Der Spiegel, 11.10.1971
  6. Ross, Jan: Kabale und Triebe. Schon lange wird sexueller Missbrauch in der Kirche kritisiert, nicht immer aus edlen Motiven. In: Die Zeit, 20/2002
  7. Moll, Helmut (Prälat): Verfolgte Priester in der Zeit des Nationalsozialismus. (ohne Datum, nach 2003)
  8. Kampf gegen die Kirche ... damals und Heute? Auf: "Fragen und Gedanken" (anonymer christlicher Internetblog), 12.2.2010
  9. „An Belastungszeugen mangelte es nie“. Kreuz.net, 2.3.2010Wie die Nazis Klerikermissbrauchsfälle missbrauchten. Kreuz.net, 5. 3. 2010

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…



Die katholische Kirche ist natürlich, genau wie jede große gesellschaftliche Gruppe, auch ein “Sexualsumpf” Pädophile findet sich überall und (Kindes)Missbrauch vor allem bei jenen, die mit Kindern zu tun haben: In Familien, Heimen, Kindergärten … Ergo: alles Sümpfe. Auch unter Atheisten dürfte schon rein statistisch ein solcher Sumpf vorhanden sein.

Das in der Welt diskutierte Buch von Hockers beschreibt vor allem die Verfolgung von Homosexuellen in der katholischen Kirche. Die hohe Zahl an Verurteilten kam nach Hockerts durch eine ungewöhnliche Summierung homosexueller Vergehen in wenigen Laienkongregationen zustande [Hans Günter Hockerts, 1971, S. 50, http://epub.ub.uni-muenchen.de/4650/]; Verurteilungen nach § 174 werden kaum dokumentiert. Als Dokumentation über den Missbrauch Schutzbefohlener in der katholischen Kirche ist das Werk ungeeignet. Es zeigt aber gut wie mittels des Themas Sexualität (Homosexualität) nationalsozialistische Propaganda gegen die katholische Kirche betrieben wurde.

Ingo Bading hat gesagt…

Oh, vielen Dank für den sachkundigen Kommentar. Sie schreiben: "Verurteilungen nach § 174 werden kaum dokumentiert. Als Dokumentation über den Missbrauch Schutzbefohlener in der katholischen Kirche ist das Werk ungeeignet."

Da haben Sie völlig recht. Wissen Sie denn ein geeigneteres Werk zu speziell DIESEM Thema? - ?? Ich denke einmal nicht.

Und deshalb bleibt dieses Buch seit vielen Jahrzehnten der einzige Zugang auch zu dieser Thematik überhaupt.

Wobei es in der Tat schon einmal bezeichnend ist, daß Hockerts diese beiden unterschiedlichen Kategorien gar nicht jeweils für sich behandelt hat.

Ihm kam es, soweit ich sehe, größtenteils darauf an, ÜBERHAUPT zu überprüfen, ob die damaligen Untersuchungen und Urteile nach damaligem Recht rechtens waren oder nicht.

Selbst das war ja bestritten worden.

Ja, ich denke, es wäre wirklich hoch an der Zeit, daß dieser Studie Folgestudien folgen, die das alles noch einmal wesentlich übersichtlicher aufschlüsseln und nachverfolgen. Insbesondere auch die vielen Prozesse, die dann im Auftrag von Hitler willkürlich eingestellt worden sind.

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