Montag, 19. Januar 2009

Der "Brandbrief" von 68 Schulleitern aus Berlin-Mitte

Vor der Haustür der obersten deutschen Staatsorgane

Die deutschen Politiker reisen nach Moskau oder Jerusalem, nach Washington oder sonstwohin in der Welt. Und preisen dort das friedliche Multikulti oder suchen das unfriedliche Multikulti friedlicher zu machen (natürlich mehr oder weniger erfolglos ...). Währenddessen passieren vor ihrer unmittelbaren Haustür vielleicht doch einige Dinge, die letztlich wichtiger sind, als vieles von dem, was da auf der Reisediplomatie ja doch nie geklärt, sondern fast immer nur auf die lange Bank geschoben wird.

Lehrer und Polizisten gehören zu den wenigen Berufsgruppen, die im Brennpunkt der sozialen Probleme einer Gesellschaft stehen, die mit ihnen täglich umgehen müssen und die nicht mal eben so obenhin ein paar Schlagworte vom Stapel lassen können und dann die Sache wieder auf sich beruhen lassen könne in dem Glauben, mit Worten ließe sich irgend etwas in der Welt wirklich lösen. Lehrer sind die "Fußabtreter der Nation", so lautet ein häufig benutztes Wort, nicht zuletzt von Lehrern selbst. Wenn sich die Lehrerschaft zu Wort meldet, mit "Brandbriefen", dann sollte die Gesellschaft zuhören. Wann, wenn nicht in einem solchen Augenblick?

68 Schulleiter der Grund-, Haupt- und Realschulen, der Gesamtschulen und Gymnasien des Bezirkes Berlin-Mitte haben vor einigen Wochen an den Bürgermeister des Bezirkes, an den Regierenden Bürgermeister von Berlin, an die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung und an zahlreiche andere offizielle Stellen einen "Brandbrief" geschrieben. Daraufhin wurden sie ins Bundeskanzleramt gebeten. Über diesen Brief und den Besuch im Bundeskanzleramt wird derzeit in der Berliner Öffentlichkeit und im Netz rege berichtet und diskutiert. Aber der Originaltext des Briefes selbst ist nur an entlegener Stelle in abfotografiertem pdf.-Format einsehbar. (hier ----> Tagesspiegel, pdf.) (... Man muß wirklich mit einiger Hartnäckigkeit im Netz suchen, wenn man ihn finden will.)

"Studium generale" sind Originaltexte wichtiger, als vieles von der oft allzu euphemistischen Berichterstattung, die gerade bei derartigen Themen in scheinbar geradezu galoppierender Weise um sich greift. Gerade bei dieser Thematik kann man sich bezüglich Euphemismus im Netz schnell einen Eindruck verschaffen. Auch und gerade in Berliner Tageszeitungen und besonders in den öffentlichen Verlautbarungen von dortigen "Integrationsbeauftragten". Ein bundesdeutsches "Neusprech" breitet sich da aus, das einem wirklich befremdlich erscheinen muß. Daß es Probleme mit Integration gäbe, soll offenbar möglichst in der Öffentlichkeit gar nicht besprochen werden.

Originaltext

Deshalb ist es vielleicht doch besser, den Lehrern selbst zuzuhören, die direkt vor der Haustür des Bundeskanzleramtes und des Reichstages und zahlreicher Bundesministerien versuchen, die kommende Generation auf ihr Leben im Wirtschaftswunderland vorzubereiten. Mit welchem Erfolg? Was schreiben sie da? Einige der wesentlicheren Auszüge (Hervorhebungen nicht im Original):
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Dr. Hanke,

am 19.11.08 haben sich alle Schulleiter und Schulleiterinnen des Bezirkes Mitte getroffen, um über die Lage der Schulen im Bezirk zu diskutieren.

Mit Einstimmigkeit wurde festgestellt, daß der Bezirk Mitte vor seinem bildungspolitischen Aus steht!

(...) Die Debatte um Schulstrukturen allein löst keine finanziellen und gesellschaftlichen Probleme. (...) Die Schulleitungen sind der Auffassung, daß sie zur Zeit den vom Berliner Schulgesetz auferlegten Bildungsauftrag nicht mehr guten Gewissens erfüllen können.

Gute Schüler fliehen in Scharen aus dem Bezirk oder aus dem öffentlichen Schulsystem. Die Gründung zahlreicher privater Schulen, oft von enttäuschten Eltern angeregt, ist eine eklatante Mißtrauenserklärung an das Berliner Schulsystem. (...)

Erlauben Sie uns unsere Probleme zu benennen:

1. Die Sozial-Struktur-Problematik des Bezirkes spiegelt sich in einer hohen Kriminalitätsrate, im hohen Migrantenanteil (rd. 90 %), über 65 % sozial benachteiligte Familien, Schuldistanz, Schulabbrechern, Analphabetentum und vielen Schülerinnen und Schülern mit Integrationsstatus wider. In unserer Sozialstruktur fand eine Gettoisierung statt. Der Bezirk Mitte, insbesondere die Altbezirke Wedding und Tiergarten, ist der Bezirk mit der höchsten Zahl an Intensivtätern. (...)

Die Schülerinnen und Schüler der 10. Klassen in Mitte haben aufgrund ihrer Leistungen viel geringere Ausbildungschancen als in anderen Bezirken. Die Vermittlungsquote in Ausbildung ist zumindest an den Haupt-, Real- und Gesamtschulen so gut wie nicht mehr vorhanden. Die Situation verschlechtert sich von Jahr zu Jahr drastisch. (...)

Es muß endlich eine andere Öffentlichkeitsarbeit für die Schulen stattfinden. (...)

Wir bitten Sie um Unterstützung.
Im Auftrag
(Unterschrift)
Soweit einige wichtigere Passagen des Briefes. Natürlich wird die Sozialstruktur-Problematik nur angesprochen, um damit anderen Forderungen mehr Gehör zu verschaffen. Andere Passagen beschäftigen sich mit dem desolaten bauliche Zustand der Berliner Schulen und zahlreichen spezielleren Interna der bildungs- und finanzpolitischen Misere in Berlin.

Heimatlose sollen Heimatlosen "ein Zuhause" bereiten?

Aber in der begleitenden Berichterstattung und Diskussion, die man im Netz dazu verfolgen kann, deuten sich doch noch viele weitere, wichtige Einzelheiten an. Etwa die Tatsache, daß an vielen Schulen nicht mehr "Integration" Richtung deutscher Sprache stattfindet, sondern in Richtung türkischer Sprache. Die wenigen deutschen Schüler dort müssen türkisch lernen, um auf dem Schulhof überhaupt noch mitreden zu können. Da wird man es doch wohl eigentlich mehr als verständlich finden, wenn viele Schüler von solchen Schulen "fliehen".

Der Bürgermeister von Neukölln spricht davon, daß es Aufgabe der Schulen wäre, "junge Menschen zu erreichen, denen wir in unserer Gesellschaft erst ein mal ein Zuhause bereiten müssen. Es geht um Menschen mit Migrationshintergrund, die aus fernen Ländern kommen, die Arabisch, Türkisch oder eine afrikanische Sprache sprechen." Usw. usf.. - "Ein Zuhause bereiten"? Heimatlose sollen Heimatlosen ein Zuhause bereiten? Ach du lieber Gott. - Handelt es sich hier denn etwa noch um Probleme, die gelöst werden können? Wer würde denn daran im Ernst noch glauben?

Nein, kein Zweifel, Brandbriefe hin oder her: Die Wohlfühl-Europäer werden noch eine ganze Weile weiter an ihren Wolkenkuckucksheimen bauen. Die Verdrängungsmechanismen laufen so gut wie nie.

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