Dienstag, 25. August 2020

1945 - Als junge trauernde Frau ein neues Leben beginnen?

Geht das? - Ein selten vornehmer, lebendiger Roman aus dem Jahr 1949

Die inneren Erschütterungen einer jungen, ganz nach innen lebenden Frau, deren Ehemann seit dem letzten Jahr des (Zweiten) Weltkrieges als Soldat vermißt wird. Davon handelt der Roman "Das unerreichbare Herz" aus dem Jahr 1949. Er wurde geschrieben von Seiten des deutschen Schriftstellers Karl Springenschmid (1897-1981) (WikiSalzburg-Wiki). Folgeauflagen erschienen 1958, 1966 und 1976. Der Roman handelt von den Erschütterungen, den Wirrnissen, den Ruhepunkten, den heiteren Momenten, durch die eine junge Frau in den Jahren nach 1945 aus der "Sackgasse" einer großen Liebe zu einem "unerreichbaren Herz", nämlich zu ihrem gefallenen Ehemann wieder zurück ins Leben findet.

Fritz Klimsch - Rastende (1950)

Man erkennt an einem solchen Roman wieder: Der Wert eines Menschenlebens bestimmt sich danach, wie es mit Trauer umgeht.

In drei Teile ist der Roman gegliedert. Und diesen Roman haben wir inzwischen zwei mal gelesen. Einmal vor sechs Jahren (GA-j! 2014) und einmal in diesem Sommer. Vor sechs Jahren hatten wir über ihn unter anderem geschrieben (s. GA-j! 2014): Die ersten beiden Teile geht man mit immer mehr anwachsender Anteilnahme mit. Ein echter Springenschmid sagt man sich mit jeder Seite mehr. "Gertrud Gorenflor", so der Name der Hauptfigur. Sie ist zurückhaltend, sparsam gezeichnet. Ihr Mann - Rainer Gorenflor - wird ebenfalls zurückhaltend, sparsam gezeichnet. Beides sind ganz nach innen lebende Menschen. Sozusagen an der "offensten" Stelle des Romans werden beide auffallender Weise mit Hilfe eines Gedichtes gekennzeichnet, mit dem berühmten Gedicht von Josef Weinheber:

Auf eine Wienerin
Heiter, ohne Schwere,
wo auf Erden wäre
jene stille Größe, die dich ehrt;
diese Leidensreine,
und im Glück dies feine
Lächeln, noch im Makel liebenswert?
Soviel Anmut lassen,
soviel Welt-erfassen
dieser Landschaft Genien nicht im Stich:
Die den Strom bewohnen
und die Hügelkronen,
gute Göttlichkeiten schützen dich.
Wenn ich leise klage
um die alten Tage,
nimm es als ein Teil des Wieners hin!
Hätt ich nicht dem Herzen
diese Lust der Schmerzen,
liebt ich denn in dir die Wienerin?
Dir, der ewig Jungen,
tief ins Blut gedrungen
ist der Kunst geheimnisvolles Reich.
Aufgelöst im Tanze
zeigst du unsre ganze
Künstlergabe, warm und rhythmenweich,
die am Quell des Lebens
lebt und süßen Schwebens
noch den Alltag adelt mit Musik:
Aller Weisheit Krone,
bittrer Zeit zum Hohne
gibst du sie der bittern Zeit zurück.
Laß mich ruhig klagen!
Deine Augen sagen
mir den Sieg der Schönheit stolz voraus.
Ewig unverloren,
Stadt, die dich geboren,
und gesegnet bis ans letzte Haus!

In dem Roman läßt Springenschmid den Rainer Gorenflor des Romans dieses Gedicht aus vollem, liebenden, überschwenglichem Herzen seinen Kameraden vortragen - - - an dem Tag, an dem er schließlich fallen sollte - mit Blumen im Knopfloch seiner Uniform.

Am Ende des zweiten Teiles des Romanes läßt der Romanautor den Handlungsablauf mit einem Ereignis enden, das einen als Leser, der zuvor emotional stark mitgegangen ist, geradezu mit Haß gegenüber dem Autor reagieren läßt. Wahrlich eine seltene Erfahrung.

Es kann sein, daß man das Buch danach für Tage nicht mehr in die Hand nehmen kann. Denn dafür ist man zu aufgewühlt. "Dieser Mann, der Springenschmid, das ist einfach nur ein Mistkerl." Das ist das Grundgefühl. Man ist abgestoßen. "Mußte" der Geschehens-Ablauf wirklich so sein, so fragte man sich. - Warum? - Und erneut stellt man sich diese Frage, wenn man das Ende auch des dritten Teiles fast erreicht hat. Also wenn man die "Lösung" der im Roman gestellten Problematik durch den Autor vor einem stehen sieht. Auch im dritten Teil kommt einem der Roman beim Lesen streckenweise so unglaublich sinnlos vor. Man haßt den Autor.

Aber der Roman "rumort" zugleich in einem. Zu stark hatte er einen schon in den ersten beiden Teilen mitgehen lassen. Und schließlich will man, "muß" man ihn doch zu Ende lesen. Dies ist ein - auch noch für heutige Zeiten - sehr ungewöhnlicher Roman.

Die tiefer liegende Frage des Romans ist: Wie kann eine Frau nach kurzer, tief nach innen gelebter Liebe und Ehe und nachdem der Mann seit dem letzten Jahr des Krieges als vermißt gilt, weiter leben? Und damit will viel gesagt sein aus Sicht des Autors. Er meint nämlich nicht nur: weiter "existieren". Sondern leben. Vielleicht aus so herrlich beschwingtem Innern wie es in den gebrachten Zeilen von Josef Weinheber enthalten ist. Wie?

"Konstruiertes"?

Während des Lesens kommt einem gegen Ende des Romans manches "konstruiert" vor. Legt man den Roman dann aber aus der Hand, merkt man, daß er etwas mit dem Leser gemacht hat. Und das kann er nur, wenn er mehr ist als nur etwas "Konstruiertes". Konstruiertes kann nur Gedanken auslösen. Der Roman aber erschüttert. Ein Zeichen, daß Springenschmid seine Aufgabe von innen her gelöst hat. Obwohl man das - fast - nicht glauben kann oder will im ersten Blick über den ganzen Roman hinweg.

Und dennoch bleibt ein Rest. Als Leser kann man dem Autor alles verzeihen. Doch daß er das Schicksal eines unschuldigen Kindes - am Ende des zweiten Teiles - eine solche Wendung nehmen läßt. Nachdem er es einem so ans Herz hat wachsen lassen - - - Er, der Autor, hätte doch die Freiheit gehabt, es anders zu schreiben. Warum tut er das? Mit dem Verstand ist es vielleicht zu begreifen. - - -

In der Wahl einer solchen Härte im Handlungsablauf mag noch etwas von jener Härte liegen, von der die Zeit durchdrungen war, in der dieser Roman spielt.

/ 9.9.2014 /

Andere Sicht

Die vorstehenden Zeilen waren vor sechs Jahren veröffentlicht worden. Sechs Jahre, vielleicht eine lange Zeit. In diesem Sommer - 2020 - haben wir den Roman ein zweites mal in die Hand genommen. In lange voneinander getrennten Zeitabschnitten haben wir immer wieder kurze Abschnitte daraus gelesen. Auch kurze Abschnitte aus diesem Roman zu lesen, hält jeweils lange vor. Von welchem Roman könnte das sonst gesagt werden? Und dieses Lesen gibt Ruhe, Orientierung im wilden Handlungsablauf des Lebens. Das Lesen in diesem Roman ist wie ein "Ruhig-Werden", wie ein "Zu-sich-selbst-Kommen". Das mag nicht zuletzt auch an der unterschwelligen Heiterkeit liegen, die den gesamten Roman durchzieht, diesem sonderbaren Gemisch aus Heiterkeit und Ernst, das den Roman charakterisiert.

Vielleicht geht von dem Roman ein wenig eine ähnliche Ruhe aus wie von dem Bauern Gerold, der in ihm geschildert ist, der am Fuße des Dachstein lebt, ein schweres Schicksal hat - wie alle. Und der dennoch jedes Frühjahr erneut aussät und erntet. Warum auch immer: Es tut so gut, diesen Roman zu lesen. Auch noch ein zweites mal. Vermutlich wird er sich auch noch ein drittes mal gut lesen lassen. Jedesmal liest sich alles ein wenig anders. Die Erschütterung über den Tod des Kindes, sie steht beim zweiten mal Lesen nicht mehr so im Vordergrund.

Aber viel deutlicher wird nun wahrnehmbar, wie sich schon in den vorderen Teilen des Romans viel natürlicher und aus innerer Gesetzmäßigkeit heraus das anbahnt, was dann im letzten Teil seine Verwirklichung findet. Freilich auf "umständlichen", holprigen Wegen. Um das mindeste zu sagen. Denn die Wege des Herzens sind keine geraden. Deshalb kommt uns "konstruiert" beim zweiten mal Lesen gar nichts mehr vor. Ein ganz falsches Wort. Viel mehr werden all die "Unwägbarkeiten des Herzens" bei allen Beteiligten deutlicher, viel mehr wird deutlicher, über wie viel "Unsicherheiten" hinweg ein Mensch zu jenen Lebensentscheidungen hinfinden muß, heranreift, zu denen er dann eben doch - mehr oder weniger glücklich - heranreifen kann. Im besseren Falle. Und wie viele kostbare Worte einem bei diesem zweiten mal Lesen ständig auffallen. Der Roman hat 437 Seiten. Auf Seite 396 sagt die Hauptfigur Gertrud Gorenflor zum Beispiel:

"Jahrelang habe ich mir vorgesagt: Was immer du tust, muß so sein, daß es bestehen kann, wenn in diesem Augenblick dein Mann zur Türe hereintreten würde. Das hört sich schön an und nimmt sich bestimmt gut aus; in Sonntagspredigten oder in Romanen, die auf einen gewissen Idealismus anspielen. Ob sich diese sehr geschätzten Herren - nur Männer schreiben solche Romane, Frauen müssen sie erleben! - jemals klar geworden sind, wie schwer es für eine junge Frau ist, tatsächlich so zu leben, wie ihr in diesen schönen Büchern vorgeschrieben wird. Bei jeder gesunden Frau, die den Kopf oben behält, ist es einmal mit solchen Prinzipien zu Ende. (...) Jedenfalls, was mich betrifft, Frau Olivier: Ich habe es aufgegeben, auf Rainer Gorenflor zu warten! Überrascht Sie diese Erklärung? Hatten sie geglaubt, ich würde meinem Manne in alle Zukunft Altäre bauen, vor denen ich, fromm in mein Schicksal ergeben, das weitere Leben vertrauern würde? Ich habe Sie enttäuscht. Aber ich will nicht hysterisch werden. Nein, ich warte nicht mehr auf den, der einmal mein Mann war. Ich warte nicht, ich lebe. Sie sehen es, ich lebe."

Immerhin, um seine Hauptprotagonistin zu dieser Erkenntnis heranreifen zu lassen, läßt sich der Roman 396 Seiten Zeit. Und das macht seinen Wert aus. Denn nach drei Seiten zu dieser Erkenntnis zu gelangen, würde ja verinnerlichten Naturen wenig entsprechen ....

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