Samstag, 20. Februar 2016

Der "redliche" Lügen-Politiker Juncker - sagt Peter Sloterdijk

Findet sich Peter Sloterdijk damit ab, dass Politik eine "wahrheitslose Sphäre" ist?

Schon im letzten Videoblog (GA-j!, 17.2.16) wurde kurz die außerordentlich tief gehende Enttäuschung über das jüngste Cicero-Interview von Peter Sloterdijk (1) zum Ausdruck gebracht. Diese Enttäuschung soll in diesem Beitrag noch ein wenig erläutert werden.

Abb.: Peter Sloterdijk, 2009
Foto: Kurt Steinhausen (CC BY-SA 3.0 DE)
Der Bloginhaber versteht sich als Angehöriger der Gemeinschaft all derjenigen, die ernsthaft - und zwar möglichst sehr ernsthaft - moralische Anstrengung auf sich nehmen. Die also gute - besser vielleicht noch gesagt - die sich bemühen, edle Menschen zu sein, bzw. zu werden. Peter Sloterdijk selbst spricht in seinem Buch "Du musst dein Leben ändern" von der "Arete", von der "Tugend", von der "Vertikalspannung", die man als damit verbunden ansehen kann. Man kann sich also verstehen als Angehöriger der Gemeinschaft der Menschen weltweit, die sich nicht nur oberflächlich bemühen, edle Menschen zu sein. Es geht dabei gewiss nicht um die grenzenlos verwässerte und seichte Form, nach Tugend und Vertikalspannung zu streben, die geheime und halböffentliche Männerorden wie Freimaurerei oder Jesuitenorden seit Jahrhunderten ihren "Mitbrüdern" in den unteren Hierarchieebenen und der Öffentlichkeit vorgaukeln. Während tatsächlich in diesen Orden und aus diesen heraus ganz andere Dinge geschehen.

Das heißt also, der Bloginhaber sieht sich als Angehöriger der Gemeinschaft derjenigen, die sich anstrengen, ehrlich zu sein, aufrichtig zu sein, wahrhaftig zu sein. Über diese Gemeinschaft wäre noch sehr viel zu sagen. Sie bedarf natürlich auch keiner Eidformeln und Schwüre, keiner Hinterzimmer. Um die Gemeinschaft, der sich der Bloginhaber zugehörig fühlt, an dieser Stelle etwas mehr zu verdeutlichen, nur noch die folgende Anmerkung: Es mag für viele schon eine moralische Anstrengung sein, regelmäßig auf Montagsdemonstrationen zu gehen - welcher Art und politischer Ausrichtung auch immer - ob "dafür" oder "dagegen". (Das hat sich ja alles ziemlich "ausgefächert" in der letzten Zeit.) So richtig es ist, dort hinzugehen, Gesicht zu zeigen und sich zu engagieren: Wer das allein für sich schon als eine hohe moralische Anstrengung ansieht, den würde man aus Sicht des Bloginhabers - zumindest allein aufgrund dieser Tatsache - natürlich noch nicht zu der Gemeinschaft derjenigen zählen, der er sich zugehörig fühlt.

Es muss viel dazu kommen, sehr viel mehr. Es geht ihm um Menschen, die in ihrem ganzen Leben sich bemühen, durch und durch wahrhaftig zu sein, die sich bemühen, anständig zu sein. Sprich, die sich bemühen, so wenig wie nur immer möglich zynische Menschen zu sein. Und die sich bewusst sind, dass sie diesbezüglich straucheln können, dass sie versagen können. Die aber diesbezüglich niemals aufgeben.

Der zynische Mensch ist der manipulierbare Mensch

Der zynische Mensch an sich schon - das hat Peter Sloterdijk in seinem philosophischen Erstlingswerk (sicherlich auch) angesprochen - ist der manipulierbare Mensch. Hat er das darin überhaupt angesprochen? Dieser wichtige Umstand wäre noch einmal zu überprüfen. Zynismus ist die Bereitschaft, so soll hier einmal postuliert werden, sich damit abzufinden, dass Menschen "so tun als ob". Und seitdem man in Peter Sloterdijk's Buch liest "Du musst dein Leben ändern", hatte man immer den Eindruck, Peter Sloterdijk würde auch zu  der soeben andeutungsweise umrissenenen - sehr kleinen - Gemeinschaft von Menschen gehören, die danach streben, dieses "als ob" auf ein Mindestmaß zu reduzieren.

In seinem jüngsten Cicero-Interview (1) sagt Peter Sloterdijk, künftig werde die Politik nicht mehr über "Obergrenze" und "Grenzschutz" reden, sondern ...:
Peter Sloterdijk: ... Die große Stunde der Semantik schlägt bald. (...) Man wird andere Ausdrücke finden. Wenn alles andere nicht hilft, muss man kreativ werden.
Alexander Kissler/Christoph Schwennicke: Dann kehrt das Vertrauen in die Politik zurück?
Sloterdijk: Wer von Vertrauen redet, will dem habituellen Betrug Spielräume sichern. Der Lügenäther ist so dicht wie seit den Tagen des Kalten Krieges nicht mehr.
Kissler/Schwennicke: Ist es nicht ein Alarmsignal, wenn selbst Sie als aufgeklärter, hochgebildeter Mensch sagen, man könne keinem Politiker trauen, die lügen alle? Dann kann es um unsere Demokratie nicht gut bestellt sein.
Sloterdijk: Herr Juncker von der Europäischen Kommission hat es definitiv erklärt. Zitat: "Wenn es ernst wird, musst du lügen." Juncker ist kein Zyniker. Er ist ein redlicher Arbeiter in der wahrheitslosen Sphäre, die man Politik nennt. Insofern ist er fast ein Journalist.
Kissler/Schwennicke: Der Journalismus biegt sich die Realität zurecht?
Sloterdijk: Das Wort "Lügenpresse" setzt mehr Harmlosigkeit voraus, als es in diesem Metier gibt.
Juncker ist also mit seinem Lügen "ein redlicher Arbeiter in der wahrheitslosen Sphäre, die man Politik nennt". Wer kann solche Worte sagen? Wer? Und dann fügt Sloterdijk auch noch das furchtbare, alles entlarvende Wort ein "Juncker ist kein Zyniker". - Er ist kein Zyniker? Was sollen all diese Worte? Was? Wer als Politiker lügt, ist "redlich" und "kein Zyniker"? Und das - - - sagt: Peter Sloterdijk? Man versteht die Welt nicht mehr. In diesen Worten ist eine derartige Desillusionierung über den Menschen und Philosophen Peter Sloterdijk enthalten, die man gar nicht in Worte fassen kann.

Präsentiert sich Peter Sloterdijk in diesem Wortwechsel als der Hohepriester in der selbstgefälligen Anwendung der "zynischen Vernunft" oder als der zutiefst entsetzter Kritiker der Anwendung derselben? Letzteres ist wirklich schwer zu behaupten. Wir wollen hier nicht darauf bestehen, dass sich Denker als "Moral-" und "Wahrhaftigkeitsapostel" präsentieren. Aber geht das so? Scheidet Sloterdijk nicht tendenziell - zumindest mit solchen Worten - aus aus der Gemeinschaft derjenigen, die moralische Anstrengung auf sich nehmen? Denn wie soll man sich moralisch anstrengen, wenn man so zynisch-schnodderig sich mit der Lüge abzufinden scheint wie hier Peter Sloterdijk? Wir mussten in unserem letzten Videoblog ziemlich an uns halten, um angesichts dieses sich andeutenden moralischen Tiefstandes nicht selbst in der Ausdrucksweise ausfällig zu werden. Es ekelt einen nur noch an, so schnoddrig-kurz-zynisch über das Phänomen Lüge in der Politik reden zu hören und die Behauptung zu hören: das wäre kein Zynismus. Was ist Zynismus, wenn nicht das? Und so redet ein vergleichsweise bedeutender und vergleichswerise verdienter lebender Vertreter bürgerlichen, bzw. lebensreformerischen Kulturbewusstseins?

Übrigens relativiert Sloterdijk seine Sätze über die Politik in seinen dann folgenden Worten über die Journalisten wieder kräftig und erheblich. Aber warum sagt er dann über einen Politiker wie Juncker nicht das gleiche, was er über die Journalisten sagt? Über diese sagt er doch so deutlich:
Heute treten die Verwahrlosung im Journalismus, die zügellose Parteinahme allzu deutlich hervor. Wo gibt es noch eine Bemühung um Neutralisierung, um Objektivierung, hoch ausgedrückt: um Vergeistigung? Die angestellten Meinungsäußerer werden für Sich-Gehen-Lassen bezahlt, und sie nehmen den Job an.
Nun gut. Und mit dem oben zitierten Wortwechsel kann nicht gesagt werden, dass sich Peter Sloterdijk als "angestellter Meinungsäußerer" "für Sich-Gehen-Lassen" bezahlen läßt, und dass er diesen Job angenommen hat? Wenn er von dem "redlichen" Lügen-Politiker Juncker spricht, der kein Zyniker wäre?
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  1. Sloterdijk, Peter: "Das kann nicht gut gehen". Peter Sloterdijk über Angela Merkel, die Flüchtlinge und das Regiment der Furcht. In: Cicero, Februar 2016, S. 14-23

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