Es ist nicht ohne Reiz zu beobachten, wie sich neue wissenschaftliche Erkenntnisse ausbreiten. "Studium generale" verfolgt schon seit Jahren mit besonderer Vorliebe alles, was sich an seriöser Wissenschaft jenseits des neodarwinischen Mainstreams bewegt oder im Widerspruch zu ihm. Als wichtigsten Forscher hat es da in den letzten Jahren Simon Conway Morris gegeben, dem auch ein Richard Dawkins seinen Respekt nicht verweigert hat. Und "Studium generale" befaßte sich gründlich mit ihm.
Aber seit kurzem gibt es da noch einen anderen. Sein Name lautet Joachim Bauer. Sein neues Buch "Das kooperative Gen" ist schon viele Monate auf dem Markt. Aber warum hat "Studium generale" nicht schon längst einmal einen Blick in dieses Buch geworfen?
In bislang gelesenen Rezensionen wurde Joachim Bauer immer so dargestellt, als handele es sich um einen - mit mehr oder weniger Wohlwollen und nachsichtigem Lächeln zur Kenntnis genommenen - "Hobby-Forscher". Einer, der halt auch einmal an der einen oder anderen Stelle von einer wichtigen Neueinsicht zu berichten und sie populärwissenschaftlich aufzubereiten weiß.
Joachim Bauer ist ernst zu nehmen, sogar sehr, sehr ernst
Aber nein, Joachim Bauer ist doch kein Hobby-Forscher. Das, was er in "Das kooperative Gen" ausführt, ist - ähnlich wie bei Simon Conway Morris - unglaublich dicht am Forschungsstand der wenigen letzten zehn Jahre entlang geführt. Das kann nur jemand, der tief in der Materie drinsteckt und sich in sie hineingewühlt hat, der wirklich gründlich und umfassend gearbeitet hat. Welch eine Fülle von Neuerkenntnissen referiert Bauer nur schon auf 200 recht groß gedruckten Seiten.
Auf zwölf Seiten kleiner gedrucktem Literaturverzeichnis wird kaum Literatur zitiert, die älter ist als zehn Jahre. Was aber vielleicht noch wichtiger ist: Joachim Bauer habilitierte sich im Jahr 1990 bei Wolfgang Gerok in Freiburg (siehe Bild links, geb. 1926), mit dem er auch zahlreiche Forschungsarbeiten gemeinsam veröffentlichte. 1992 hörte der Autor dieser Zeilen einen sehr guten Vortrag von Gerok über die "Biologischen und medizinischen Aspekte des Alterns". In Deutschland gibt es nur wenige Alternsforscher. Gerok ist einer von ihnen. Vielleicht darf man deshalb von Joachim Bauer früher oder später auch noch einen weiteren Bestseller zur Alternsforschung erwarten, die man ja nach dem Haeckel'schen Grundgesetz (Ontogenese spiegelt Phylogenese) in enge Beziehung auch zum Thema seines derzeit aktuellen Buches stellen könnte, und zu dem es auch in früheren Bauer-Büchern schon Vorbereitendes gibt. (Gerok ist auch Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, der früheren berühmten Preußischen Akademie der Wissenschaften.)
Es ist einfach ein Fehler, wenn das Buch von Bauer vornehmlich unter "ideologischen" Gesichtspunkten gelesen wird, statt zunächst einmal einfach die Wissenschaft nachzuvollziehen, die es hier nachzuvollziehen gibt. Und dazu muß man sich natürlich auch die von Bauer zitierte Literatur anschauen. Was denn wohl sonst? Aber hier erfährt Bauer offenbar das gleiche Schicksal wie Conway Morris. Beide fassen im Grunde nur wissenschaftliche Fachdiskussionen zusammen, die es in diversen wissenschaftlichen Bereichen sowieso schon seit Jahren gibt, nur nicht populärwissenschaftlich zusammen gefaßt. Aber wehe, es kommt einmal jemand, wie eben Conway Morris oder Bauer, der sie populärwissenschaftlich und mehr oder weniger "paradigmatisch" zusammen faßt.
Natürlich werfen neue Forschungen neue Aspekte auf. Wo hätte es jemals Stillstand gegeben in der naturwissenschaftlichen Forschung der letzten Jahrhunderte? Aber die Gralshüter atheistischer Evolutionsdeutungen und des dogmatischen Neodarwinismus - ja, allmählich könnte es doch richtig werden, solche "Kampfbegriffe" zu benutzen - solche Gralshüter glauben mitunter, es brauche sich zukünftig an ihrer Weltsicht nichts mehr zu ändern. Es wäre alles schon erforscht und geklärt.
Nichts ist abwegiger und absurder.
Kleine, vorläufige Inhaltsangabe
Wovon ist die Rede? Daß Evolution nach allen neueren Einsichten nicht allein oder vornehmlich im zufälligen, passiven, sich quälend dahinschleppenden Punktmutation-Selektion-Rhythmus verläuft, wie es Darwin noch versuchte zu beschreiben (in einer malthusianisch "vollen Welt"), sondern daß die "Taktgeber" der Evolution höchstwahrscheinlich ganz andere Dinge sind also bloße Zufallsmutationen. Aussterbe-Ereignisse, Streß-Ereignisse riesigen Ausmaßes im Rhythmus von vielen Millionen Jahren und die Art der derzeit immer besser (durch Genomvergleiche verschiedenster Arten) erforschten und erforschbaren Reaktionen des Genoms der Organismen auf diese Streß-Ereignisse. Sowie dann neue Artbildungen in sprichwörtlich leere Räume hinein.
Reaktionen auf Streßereignisse sind zum Beispiel großräumige Umgruppierungen im Genom, durch Genverdoppelungen und -vervielfachungen, durch Neuablesen von Genomen. Und all das bei gleichzeitigem "Hochkonservierten-in-Vorrat-Halten" von Genomabschnitten, die - etwa - basale zellphysiologische Mechanismen kontrollieren.
Soweit zunächst einmal nur als vorläufige Kurzfassung. Es könnte vom Leser durchaus auch eine größere innere Elastizität erfordert sein, um sich darüber klar zu werden, was es mit diesen neuen Taktgebern der Evolution eigentlich auf sich haben könnte und wie sich durch sie unser gegenwärtiges und künftiges Welt- und Menschenbild ändern könnte. (Siehe dazu auch übernächster Beitrag.)
Nachbemerkungen: Hier noch eine Sendung des Deutschlandsradios über das Buch. Ein viel zu oberflächlicher, absprechender Kommentar von Axel Meyer zu Joachim Bauer (hier als pdf.) findet sich im "Handelsblatt", auf den Bauer geantwortet hat. Übrigens diskutieren darüber auch einige Peter Mersch-Fan's auf dem Bright's-Blog. Joachim Bauer wird in der Wissenschaftsblog-Szene durchaus rezipiert. - Bauer diskutierte mit einem Mitarbeiter des "Labourjournals" ---> hier.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen