Dienstag, 14. März 2023

"Eine Kampftat gegen Priestertyrannei"

Rudolf Cronau (1855-1939) - Ein deutschamerikanischer Indianer-Forscher, Schriftsteller und Maler
- Er warnt vor Welttheokratien

Im Jahr 1929 erschien ein 400 Seiten starkes Buch mit dem Titel "Die Entwicklung des Priestertums und der Priesterreiche oder: Schamanen, Wundertäter und Gottmenschen als Beherrscher der Welt. Ein Warnruf an alle freiheitliebenden Völker". Das Buch erschien unter Pseudonym. Bei seinem Verfasser handelte es sich um den damals schon 74 Jahre alten Indianer-Forscher, Schriftsteller und Maler Rudolf Cronau (1855-1939) (Wiki) (1-32).*)

Abb. 1: Rudolf Cronau

Von dem Grundtenor seines Buches aus dem Jahr 1929 war schon bestimmt der zweite Teil eines fünfteiligen Buches, das er 1887 bis 1889 mit 32 Jahren heraus brachte, und das den Titel trug "Das Buch der Reklame - Geschichte, Wesen und Praxis der Reklame". Die Kapitelüberschriften des zweiten Teiles lauteten (5):

  • Von Zauberern, Schamanen, Medizinmännern und Regenmachern
  • Priester und Wundertäter
  • Heilige und Reliquien
  • Himmel, Hölle und Teufel
  • Sekten, Orden und Kanzelredner

In ihnen sind zum Beispiel Berichte über das Tischerücken weltweit seit der Antike behandelt, und zwar sowohl aus Kulturen in Asien wie in Europa. Und auf dieser Linie werden viele Beispiele von Reklame-Mätzchen von Priestern und Wundertätern in allen Völkern weltweit und durch die Jahrhunderte hindurch behandelt. Friedrich Nietzsche hatte erst ein Jahr zuvor an seinen Freund Overbeck geschrieben (Wiki):

Gestatte mir, ein Buch gerade Dir zu empfehlen, von dem man in Deutschland nichts wissen will, aber das viel von meiner Art, über Religion zu denken, und eine Menge suggestive Fakta enthält: Julius Lippert, Christenthum, Volksglaube, Volksbrauch (Hofmann in Berlin, 1882.).

Rudolf Cronau war immerhin - neben Nietzsche - ein zweiter, der von diesem Buch etwas wissen wollte und von anderen Büchern dieses Autors, nämlich des sudetendeutschen Religionshistorikers Julius Lippert (1839-1909) (Wiki). Dessen Werke waren gerade in der ersten Hälfte der 1880er Jahre erschienen und hatten sicherlich nicht nur Nietzsche, sondern auch Cronau viele Anregungen gegeben. Auf Wikipedia heißt es über sie, sie stünden noch heute "exemplarisch für eine kritische Religionswissenschaft". Die Titel lauten (Wiki):

  • Die Religionen der europäischen Culturvölker, der Litauer, Slaven, Germanen, Griechen und Römer, in ihrem geschichtlichen Ursprunge (1881)
  • Der Seelencult in seinen Beziehungen zur althebräischen Religion (1881)
  • Christenthum, Volksglaube und Volksbrauch. Geschichtliche Entwicklung ihres Vorstellungsinhaltes (1882)
  • Allgemeine Geschichte des Priesterthums (2 Bde., 1883-1884)

Cronau konnte die Berichte in diesen Büchern ergänzen durch seine eigenen völkerkundlichen Erfahrungen in Nordamerika und sie weiterhin durch vielfältige Literaturstudien bereichern.

Abb. 2: Sitting Bull, Häuptling der Sioux-Indianer, 1883

So bezieht sich Cronau in seinen Literaturangaben auch oft auf das Werk "Völkerkunde", das der damals bedeutende Geograph Friedrich Ratzel (1844-1904) (Wiki) in drei Bänden ab 1885 heraus gebracht hat. Interessant ist auch, was Cronau, der ja, wie wir noch hören werden, als Reiseschriftsteller die USA bereist hatte, in dem Kapitel "Sekten, Orden und Kanzelredner" schreibt. Er schreibt dort etwa (1887, S. 74):

Kaum irgendwo gibt es aber des Staunenswerten auf religiösem Gebiete soviel als in den Staaten der nordamerikanischen Union. Der religiöse Humbug, die religiöse Reklame stehen hier in üppigster Blüte. Man hört oft von den Kanzeln herab einen Unsinn predigen, wie er kaum einem Tollhäusler einfällt, und es ist zum Erstaunen, wie sich eben diese sogenannten Gotteshäuser, wo der größte Unsinn gepredigt wird, am meisten füllen.

Daran scheint sich über mehr als 130 Jahre hinweg bis heute kaum etwas geändert zu haben. Woran erkennbar ist, wie unglaublich hartnäckig sich religiöse Verdummung hält, wenn sie einmal in irgendeinem Land eingekehrt ist. Unter mehreren kennzeichnenden Beispielen, die Cronau für die damalige USA anführt, berichtet er interessanterweise auch von einer "Trauerloge", die Freimaurer 1878 in der Musikakademie von New York öffentlich abgehalten haben, und zwar ...

... zum Andenken an 52 im Vorjahr verstorbene Mitglieder verschiedener Logen unter großem Zudrang des Publikums.

Diese "Trauerloge" fand auf einer Theaterbühne statt und wurde wie ein Theaterstück, wie eine Oper aufgeführt, so Cronau (1887, S. 78):

Die Tageszeitungen brachten sämtlich ausführliche Berichte über die glänzenden Kostüme, die Musik und die prächtigen "Bühneneffekte" des - es ist kein Scherz - vieraktigen Stücks.
Als der Vorhang zum erstenmal in die Höhe rollte, zeigte sich dem Publikum eine Logensitzung in aller Form. (...) Im zweiten Akt stellt die Bühne das Innere eines altägyptischen Tempels dar mit Säulen und gewölbter Kuppel. In der Mitte steht ein schwarzbehangener Katafalk, auf welchem ein silberbeschlagener Sarg ruht. Vor demselben befindet sich ein Altar, auf welchem Bibel, Winkelmaß und Zirkel liegen. Auf beiden Seiten stehen Freimaurer als Fackelträger. (...) Kreuzfahrer im Kostüm der Malteserritter darstellend umstehen den Katafalk als Wache. (....)
Im letzten Akt erscheint wieder die Logenszene wie im ersten Akt.

Man darf es schon für interessant erachten, welche Art von Öffentlichkeitsarbeit und "Reklame" die Freimaurer im Jahr 1878 in New York den dortigen Menschen zumuten konnten, ohne daß diese einmal einen kritischen Blick auf das "sonstige" Treiben der Freimaurer geworfen hätten, weder vor noch nach dem Ersten Weltkrieg. (Was übrigens auch Cronau selbst ansonsten nicht getan zu haben scheint in seinen Büchern.)

Abb. 3: One Bull, Häupling der Sioux-Indianer, 1882

Cronau beschließt den zweiten Teil dieses Buches mit den etwas grundsätzlicheren Worten (1887, S. 80):

Wir sind die letzten, die es bestreiten, daß das Buch der Bücher neben manchem unsinnigen Wuste nicht auch wahrhaft goldene Worte enthielte. (...) Wir sind die letzten, die es bestreiten, daß es nicht auch Priester gebe, die, frei von kirchlichem Aberglauben (...) wahre Wohltäter der Menschheit sind. Daneben aber ist nicht zu verkennen, daß sich im kirchlichen Wesen der Schutt des mittelalterlichen Aberglaubens noch bergehoch aufgetürmt findet und durch seinen Dunst manchen nach Wahrheit Dürstenden zwingt, sich von dem Quell wegzuwenden und den erquickenden Lebenstrank anderswo zu suchen. (...) Sollte er wirklich nur ein Alleingut der Kirche sein?
Wir antworten auf diese Fragen: er ist zu finden! und es wird die Zeit kommen, wo die Tempel entbehrlich sein werden, wo andere Versammlungsorte erstehen, in denen keine Schamanen, keine Zauberer, keine Mystiker, keine Heiligen, Wundertäter und Dunkelmänner, sondern rechtliche Denker predigen und ihr Wissen frei und offen allem Volke darlegen werden. Diese Männer, nicht gekennzeichnet durch Stola oder Talar, nicht getrieben von Herrschsucht und Geldgier, werden (...) den Geist der Wahrheit und der Erkenntnis verkünden, sie werden die bedrückte Menschheit von Höllenfurcht und Teufelsangst befreien. (...)
Blickt um euch her, die allüberall erstehenden Volks- und Bildungsvereine, das sind die ersten Keime, die ersten Ansätze zu jener großen Gemeinde.

Die christliche Öffentlichkeit insgesamt hat freundlilcherweise versucht, diese Kirchen- und Christentums-kritischen Ausführungen zu ignorieren, hören wir doch (Hackländer):

Er stelle sogar rituelle Bräuche als Reklametricks dar. Die Presse erkannte schnell die Nützlichkeit des Buches über die Bedeutung von Reklame. Die gewagten religiösen Passagen überging sie elegant.

Damals waren sie in der Tat noch einigermaßen gewagt. Aber wer eigentlich war dieser Rudolf Cronau?

Abb. 4: Rudolf Kronau - Kriegstanz der Sioux, 1881

Mit 15 Jahren war er der Schule entflohen und hatte als Rotkreuz-Helfer am Deutsch-Französischen Krieg teilgenommen. Im Anschluß daran hatte er an der Kunstakademie Düsseldorf eine Maler-Ausbildung durchlaufen. 

Vor dem Ersten Weltkrieg hat Cronau dann viele Jahrzehnte lang für die weit verbreitete Zeitschrift "Gartenlaube" in Leipzig gearbeitet, in der er Zeichnungen, Gemälde aber vor allem aber Reiseberichte veröffentlichte (s. WikiS).

1881 bis 1883 - Indianer

Cronau hatte sich in Düsseldorf in die Amerikanerin Agnes Fast verliebt. Außerdem hatte er entfernte Verwandte in den USA. Beides - gemischt mit seiner Reiselust - waren Anlaß, im Januar 1881 für die "Gartenlaube" zunächst als Reiseschriftsteller und "Indianer-Maler" nach den USA zu reisen. Er heiratete dort - schon zwei Wochen nach seiner Ankunft - Agnes Fast (Hackländer):

Er fuhr als Begleiter des berühmten Kapitän Boyton den Mississippi hinab. Er lebte drei Monate unter Sioux-Indianern und lernte Sitting Bull kennen, den er auch malte. Er machte eine Studienreise durch die Rocky Mountains bis zur Pazifikküste. Seine letzte Reise durch Arkansas mußte er wegen einer Nierenerkrankung abbrechen. Um sich auszukurieren, kehrte er nach Deutschland zurück. Damit scheint auch seine Ehe mit Agnes beendet gewesen zu sein.

1883 kehrte er nach Deutschland zurück. 

Cronau ist den Indianern, auf die er auf seiner Reise traf, mit großem Respekt begegnet. Diese betrachteten ihn als ihren Freund. In den USA trafen sie damals - bekanntlich - nicht immer nur auf Freunde und auf Menschen, die ihnen mit Respekt begegneten.

Abb. 5: Rudolf Cronau - Maskentanz der Nuxalk-Leute in British Columbia, 1881

Unter den Indianern, die Cronau damals traf, und die er portraitierte, von denen er sich ihre Lebensgeschichte erzählen ließ, ihre Kriegszüge, deren Tänze er sehen durfte (Abb. 4) und von denen er völkerkundliche Gegenstände erwerben konnte, denen er in einer Ausstellung seine eigenen, bei ihnen entstandenen Werke präsentierte, blieb Cronau in guter Erinnerung (s. AmeriTribes). 

Zum Beispiel die Fotografie von sich selbst (Abb. 6), die er dem Häuptling Sitting Bull (1831-1890) (Wiki) bei einer solchen Gelegenheit schenkte - gewidmet "To his friend Tatanka - iyotanka (Sitting Bull)" - soll Sitting Bull noch bei sich getragen haben, als er 1890 von Polizisten erschossen wurde (AmeriTribes). 

Keines der von Cronau gezeichneten Indianer-Porträts kommt allerdings je an die noch viel eindrucksvollere Wirklichkeit heran, der wir uns über die Fotografien von all den von ihm portraitierten Indianer annähern könn (s. Abb. 2, 3).

Abb. 6: Rudolf Cronau

Wer solchen Menschen persönlich begegnen durfte - wie Sitting Bull oder One Bull - wer sogar sich Freund solcher Menschen nennen durfte, der mußte als anderer Mensch zurück in die Zivilisation und nach Hause zurück kehren als er von dieser fortgereist war. Bei dem mußte allerlei von dem Wust christlich-bigotter Lebenseinstellungen und Lebenshaltungen abbröckeln, von denen alle Menschen des "Abendlandes" überschüttet waren und noch heute sind.

Bei aller Hochachtung für die Indianer sind die Worte von Rudolf Cronau über sie aber dennoch auch noch - für unser Gefühl von heute - nicht ganz von jenem Respekt getragen, der ihnen tatsächlich angemessen gewesen wäre. 

Auch bei ihm hatten sich also noch Restbestände von Überheblichkeit des Christen und Weißen gegenüber diesen vorgeblichen "Wilden" gehalten. Cronau schrieb in seinem Buch "Im wilden Westen" von 1890 unter anderem (1890, S. 60):

Hier hatte ich nun sattsam Gelegenheit, die wahrhaft athletischen, prächtig gebauten Körper der Sioux zu bewundern. Eine große Zahl der Männer maßen 6 Fuß und mehr, ja einer derselben, "der lange Krieger", mochte gut über 7 Fuß Höhe haben. (...) Die Mehrzahl waren herrlich gewachsene Jünglinge mit dem denkbar schönsten Gliederbau, von denen gar Mancher einem Bildhauer hätte zum Modelle dienen können.

Zum Abschied redete ihn Sitting Bull folgendermaßen an (er nannte ihn "Eisenauge", weil Cronau eine Brille trug) (Gartenlaube1882):

"Eisenauge, die Zeit war kurz, welche Du unter meinem Volke lebtest. Aber sie war doch lang genug, um uns erkennen zu lassen, daß Du als Freund kamest und gute Wünsche für uns hegtest. Du willst gehen, und wir sind traurig, daß wir Dich niemals wieder sehen werden. Die Dacotahs schütteln Dir die Hand. Sie werden noch lange am Feuer von Dir erzählen." 

Mit so wenigen Worten ist hier so viel Berührendes gesagt. Cronau selbst schreibt "Mir war das Herz schwerer, als hätte ich Brüder verlassen." One Bull kam sogar noch, so berichtet er, am nächsten Morgen zur Abfahrt des Dampfers an das Ufer des Missouri (Gartenl.1882):

Als am anderen Morgen die ansteigende Sonne die Wölkchen rötlich färbte, in ihrem Strahl die stillen, einsamen Berge klar und deutlich lagen, als wollten sie all ihre Geheimnisse offenbaren, da rauschte es, indem die Signale des Dampfers zur Abfahrt tönten, noch einmal in den Büschen am Ufer - und heraus trat ein Indianer in vollem Schmucke, das Gesicht rötlich strahlend, gleich der Morgensonne, über dem dunklen Haar die langen Adlerfedern. O, die Gestalt war mir wohl bekannt - es war Tatanka washila (One Bull), mein Freund, der gekommen, mir noch einen Abschiedsgruß zu bieten. Durch Geberden deutete der am Ufer Stehende an, daß er mir noch einmal die Hand schüttle; lange blickte er mir, dem Scheidenden, noch nach, so lange, bis eine Strombiegung den Dampfer wie den weißen Fremdling seinen Augen entrückte. 

Noch heute werden unter den Nachfahren der Indianer seine Lebenserinnerungen wie gesagt wiedergegeben (s. AmeriTribes).

Abb. 7: Salt Lake City - Gemälde von Rudolf Cronau

Sie berichten (in Rückübersetzung) (AmeriTribes) von ...:

... einem Tanz, der scheinbar mehr oder weniger spontan begann, und der ihn durch die starken und lebendigen Eindrücke von der Bewegung der vollkommenen Körper überwältigte. ... Er beschrieb, wie sie ihre Waffen schwenkten und wie sie ihr Haart trugen (...) Er erachtete One Bull, mit dem er sich in Fort Randall befreundete, "als das personifizierte Ideal eines Cooper-esken Indianers, eines Unkas, aber noch männlicher, reifer - vollständig und edel in seinen Bewegungen". ... "eine viel eindrucksvollere Persönlichkeit als Cooper's Chingagook". (...) Diese Männer standen vor dem Kommandeur des Forts "mit dem Stolz von römischen Senatoren".
A dance that seemed to begin almost spontaneously, and which overwhelmed him with stark and vivid impressions of perfect bodies in motion. Enamored with the dancers, he sketched out some of the patterns he saw painted on their faces in his notebook, and he described how they carried their weapons and wore their hair, and as the numbers of participants grew and they mixed into the light from the fires, he became enraptured, proclaiming them "indefatigable," and writing: "here, as I saw the dancers naked, I had the opportunity to marvel at the veritable athletic and superbly-built bodies of the Indians." "A large number," he added, "are six feet high." Such men easily fulfilled Cronau's hopes and expectations of American Indians. He regarded One Bull, whom he befriended at Fort Randall, as "the personified ideal of a Cooper'esque Indian, an Unkas, but more manly, mature, complete, and noble in his movements" (fig. 4). Although Sitting Bull was not as beautiful as the twenty-seven-year-old One Bull, Cronau described him as a "vision of pronounced manliness," and a "far more important personality than Cooper's Chingagook," the father of Unkas, and the model of "authentic Indians" for Cronau's generation of Germans. (...) These men, he underscored, stood before the fort's commander "with the pride of Roman Senators."
Und ein solcher Stolz ist christlichen Europäern, bzw. ihrer noch weiteren Entartungsform, nämlich gottlosen Europäern bis heute abhanden geblieben.

1883 ist Cronau nach Deutschland zurück gekehrt. In Deutschland hat er sich für eine respektvolle Sichtweise auf die Kulturen der Indianer Nordamerikas eingesetzt.

Abb. 8: Rudolf Cronau - The Bad Lands of Utah

Sicherlich wird Cronau bei dem Kennenlernen der religiösen Zeremonien der Indianer auch wichtige Anregungen bekommen haben für viele Ausführungen in seinen späteren Büchern von er "Priesterreklame" und von der "Entwicklung des Priestertums" (Hackländer):

Seine Erinnerungen, Zeichnungen und völkerkundlichen Gegenstände, die er während seiner Reise gesammelt hatte, dienten ihm als Grundlagen für Vorträge und Ausstellungen in ganz Deutschland. Besonderen Zulauf hatten seine Vorträge über die Indianer. (...) Er veröffentliche die in Amerika entstandenen Bilder in einem Buch mit dem Titel "Von Wunderland zu Wunderland," das ebenfalls 1885 erschien. Die Ausstellung seiner Bilder und Sammlungen auf dem 5. Geographentag 1885 in Hamburg erregte großes Aufsehen. Seine Darstellungen der westamerikanischen Landschaft wurden seitdem auch in geographische Werke seiner Zeit übernommen. 1886 organisierte er Völkerschauen und holte dafür einige Sioux nach Europa.

Von dieser Zeit an hat sich Cronau sein ganzes Leben lang immer wieder erneut mit Themen beschäftigt, mit denen er seiner Zeit weit voraus war. Mit dem Thema Reklame, mit dem Thema Verschwendung von Natur-Ressourcen, mit dem Thema Frauenbewegung und schließlich mit dem Thema Religionskritik. 1887 ist das schon erwähnte Reklame-Buch erschienen (Hackländer):

1888 heiratete Cronau die 1865 geborene Sopranistin Margarete Tänzler aus Crimmitschau/Sachsen. Mit ihr wird er drei Kinder haben: Margarete, geboren 1892, Elisabeth, geboren 1896 und Rudolf, geboren 1900

1892 wurde die 400-jährige Wiederkehr der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus gefeiert.

Abb. 9: Rudolf Cronau - The Green River in Utah

1892/93 - Kolumbus

Cronau recherchierte dazu vor Ort und konnte die Insel, auf der Kolumbus als erste amerikanischen Boden betreten hat, identifizieren. Ebenso konnte er das Grab von Kolumbus identifizieren. Er erwähnte in seinem Buch aber auch die Wikinger als Entdecker Amerikas (Hackländer):

Cronaus zweibändiges Werk zur Entdeckungsgeschichte Amerikas erschien 1893 anläßlich der Weltausstellung in Chicago. Es ist die umfassendste Darstellung altamerikanischen Kulturgutes in deutscher Sprache, illustriert mit einer Fülle von Cronaus Zeichnungen. An der Weltausstellung selbst nahm Cronau als Korrespondent für die "Gartenlaube" teil und knüpfte Beziehungen zur "Kölnischen Zeitung." Sie wiederum sandte ihn 1894 als Berichterstatter nach Amerika. Er wohnte bis 1896 in Washington und von da an in New York.

Seit 1894 lebte Rudolf Cronau mit seiner Familie in den Vereinigten Staaten. 1901 wurde er amerikanischer Staatsbürger. In den Vereinigten Staaten sind auch seine Kinder aufgewachsen.

1908 - Verschwendung der Natur-Ressourcen

Wir lesen (Hackländer):

Sein neues Betätigungsfeld war die Erforschung der Geschichte des Deutschtums in Amerika. Bereits auf seiner ersten Reise 1881/83 hatte er Kontakte zu führenden deutschstämmigen Persönlichkeiten und dem dortigen deutschen Vereinsleben. Er erkannte die geschichtliche Bedeutung des deutschen Volkselementes im Schmelztiegel USA. Er berichtete darüber 1896 in einer Artikelserie in der "Kölnischen Zeitung." In diesen Aufsätzen sind bereits die Grundzüge seines wohl bedeutungsvollsten Werkes "Drei Jahrhunderte deutschen Lebens in Amerika" zu erkennen, das 1909 erschien. 1924 erschien eine erweiterte zweite Auflage mit einer Darstellung der Entwicklung während des 1. Weltkrieges.
In den Artikeln von 1896 für die "Kölnische Zeitung" zeigte er, daß die Deutschen in den USA einen großen Anteil an der Entstehung des amerikanischen Volkes hatten. "Das Amerikanertum der Zukunft wird einen neuen Menschenschlag darstellen, in dem die Eigenschaften verschiedener Völker, ganz vornehmlich aber diejenigen der heutigen Anglo-Amerikaner und der Deutschen sich mischen." In ähnlicher Weise sprach er zu seinen Landsleuten in New York. Dort faßte er fast 500.000 Deutsche, die in vielen unterschiedlichen Vereinigungen organisiert waren, in der "Vereinigten Deutschen Gesellschaft New York" zusammen. (...) 1901 wurde er amerikanischer Staatsbürger. Im gleichen Jahr begründete er den "Deutschamerikanischen Nationalbund" mit.

1908 erschien sein Buch "Unsere verschwenderische Nation - Die Geschichte der amerikanischen Verschwendung und der Mißbrauch unserer nationalen Ressourcen" ("Our Wasteful Nation - The Story of American Prodigality and the Abuse of Our National Resources"). Wie umfassend er sein Thema verstand und wie weit er mit diesem Buch schon seiner Zeit voraus war, ergibt sich schon aus den Kapiteln des Inhaltsverzeichnisses:

Die Zerstörung unserer Wälder
Die Verschwendung von Wasser
Die Verschwendung von Boden
Die Verschwendung von Bodenschätzen
Die Ausrottung unseres Jagdwildes, der Pelztiere und der großen Meerestiere
Das Aussterben der Vögel
Der Rückgang des Fischreichtums
Die Verschwendung der öffentlichen Ländereien und Privilegien
Die Verschwendung des Staatsvermögens und -besitzes
Die Verschwendung menschlichen Lebens

Das Kapitel "Verschwendung menschlichen Lebens" behandelt Eisenbahn- und Berkwerksunfälle, das fehlende Filtern des Trinkwassers in vielen Städten und die sich dadurch ausbreitenden Krankheiten. Etwas enttäuscht ist man darüber, daß er in diesem Buch zwar sehr fortschrittlich die Ausrottung vieler Tierarten behandelt, nicht aber das Schicksal der menschlichen Kulturen der Ureinwohner Nordamerikas anzusprechen scheint.

Abb. 10: Denkmal zur Erinnerung an die Landung der ersten deutschen Siedler in den USA im Jahr 1683 in Germantown, Philadelphia, geschaffen von Albert Jaegers, aufgestellt im Vernon Park von Germantown, eingeweiht 1921 (Wiki)

Ein Jahr später erschien sein schon genanntes Buch "Drei Jahrhunderte deutschen Lebens in Amerika".

1909 - Deutsche in Amerika

Damit wird auch schon deutlich, warum er in seinem Buch ein Jahr zuvor schon immer so selbstbewußt von "unserem Land" sprechen konnte. Ja, "uns Deutschen" gehören die USA nämlich ganz genauso. Als Deutscher braucht man ja nur einmal recherchieren, wie häufig der eigene Familienname in Deutschland vorkommt und wie häufig er in den USA vorkommt. Meistens ist er in den USA viel häufiger. Was zeigt, das die Deutschen des 19. Jahrhunderts heute in den USA viel mehr Nachfahren haben als in Deutschland! Und darauf richtet Rudolf Cronau das Augenmerk (Hackländer):

Er gab die Anregung zur Errichtung eines Denkmals zur Erinnerung an die Landung der ersten Deutschen in Germantown am 6. Oktober 1683 und leitete den hierfür gegründeten Denkmalausschuß. Die Einweihung des Denkmals von Albert Jaegers sollte 1914 stattfinden. Durch den Krieg verzögerte sie sich bis 1921.

Germantown war einstmals eine eigene Stadt. Heute ist Germantown ein Stadtteil der Millionenstadt Philadelphia. Philadelphia liegt auf halben Wege zwischen New York und Washinton D.C., den beiden Lebensorten Cronaus (s. Abb. 12).

Der genannte Albert Jaegers (*1868 in Elberfeld; † 1925 in Suffern, USA) (Wiki) war ein Bildhauer, der in Deutschland geboren worden war, der aber früh mit seinen Eltern in die USA ausgewandert war und in den USA aufgewachsen ist.

Kurz zur weiteren geschichtlichen Einordnung jener Ereignisse, um derentwillen dieses Einwandererdenkmal (Abb. 10) errichtet worden ist: 1620 war die berühmte "Mayflower" (Wiki) in den USA gelandet. Das lernt man heute auch in deutschen Schulen. Es handelte sich um die berühmten "Pilgerväter". Sie waren in Plymoth, südlich vom heutigen Boston gelandet (s. Abb. 11). Damit hatte die Geschichte der britischen Kolonie "Neuengland" - und insgesamt die Geschichte der späteren USA - begonnen.

Abb. 11: "Die Dreizehn Kolonien" in ihrer geschichtlichen Entwicklung von Massachusetts ausgehend (Wiki)

Was leicht in Vergessenheit gerät, ist der Umstand, daß auch die Niedelande und Frankreich fast zeitgleich Kolonien an der Ostküste Nordamerikas gegründet haben. So ist New York von Niederländern gegründet worden, unter denen sich auch Deutsche befanden (siehe unten). 

Durch weitere Zuwanderungen und eigenes Bevölkerungswachstum aus sich heraus entstanden - von Massachusetts ausgehend - nach und nach weitere britische Kolonien, bzw. später britische Provinzen: New Hampshire 1629, Connecticut und Rhode Island 1636. Diese bildeten 1643 die "New England Confederation" (Wiki). Diese hatte sich zusammen geschlossen, um gegen die Indianerstämme im Westen, sowie gegen die Franzosen, Schweden und Niederländer im Süden militärisch vorzugehen. 1664 wurde das von den Niederländern beanspruchte und besiedele Gebiet "Neu-Niederlande" von der "New England Confederation" erobert und zu New York umbenannt. Dadurch entstanden dann weitere britische Kolonien, bzw. Provinzen, nämlich neben New York noch Delaware und New Jersey (Wiki) (s. Abb. 11). 

1681 kam dann Pennsylvanien dazu. Und mit dieser Kolonie traten zum ersten mal auch die Deutschen deutlicher in den Vordergrund bei der Besiedlung des nordamerikanischen Kontinents.

Die Deutschen waren nämlich bis dahin im Abwehrkampf gegen die Jesuiten gebunden gewesen. Sie waren beschäftigt mit einem grauenvollen Dreißigjährigen Krieg. Dieser endete ja erst 1648. Wie hätte in jener Zeit irgendjemand an Auswanderung und Koloniegründung denken können? So erschienen die Deutschen quasi fast als "Letzte" auf dem nordamerikanischen Kontinent. 

Aber die Gelegenheit der Gründung von Pennsylvanien als neue Kolonie ergriff dann sofort auch ein Deutscher, nämlich Franz Daniel Pastorius (1651-1719) (Wiki), der  1683 mit der Galeone "Concord", der "deutschen Mayflower", beladen mit siedlungswilligen Reformierten, Quäkern und Mennoniten im Hafen von Philadelphia landete. Davon lernt man heute in deutschen Schulen nichts. Diesem Pastorius nun ist 1921 - auf Anregung von Rudolf Cronau - in Germantown ein Denkmal errichtet worden. Während des Zweiten Weltkrieges war es abgebaut. Aber danach ist es wieder errichtet worden und noch heute vorhanden (Abb. 10). In ihm ehren wir alle unsere nahen und entfernten deutschen Verwandten in Nordamerika. 

Sie alle werden geehrt, wenn wir uns der "deutschen Mayflower" erinnern - und der unzähligen Auswandererschiffe, die ihr - meist vom Hamburger Hafen aus - folgen sollten.

Abb. 12: Germantown bei Philadelphia - Gelegen auf halbem Weg zwischen New York und Washington D.C.

Die Besiedlung der USA ist ein grandioses - insbesondere auch demographisches - Geschehen. Cronau ging aber noch weiter (Hackländer):

Als die Stadt New York 1926 ihre 300-Jahr-Feier beging, veröffentlichte Cronau "Die Deutschen als Gründer von Neu-Amsterdam / New York und als Urheber und Träger der amerikanischen Freiheitsbestrebungen." Er bewies darin, daß die ehemalige holländische Kolonie von Deutschen gegründet wurde, die in holländischen Diensten standen. Heinrich Christians war in Kleve und Peter Minnewit in Wesel zur Welt gekommen.

Der Erste Weltkrieg

Abb. 13: Rudolf Cronau, 1882
1914 bis 1916 erhob Rudolf Cronau in seinen Schriften und Büchern innerhalb der USA seine Stimme für das angefochtene Lebensrecht des deutschen Volkes als Großmacht in Europa. 

In "Do We Need a Third War of Independence?" fragte er schon 1914, ob nicht ein dritter Unabhängigkeitskrieg notwendig wäre, um es zu vermeiden, daß die USA und damit auch viele Deutsch-Amerikaner und ihre Nachfahren und der von ihnen erwirtschaftete wirtschaftliche Reichtum dazu genutzt würden, um auf britischer Seite in den Ersten Weltkrieg hinein gezogen zu werden und gegen Deutschland in Anschlag gebracht zu werden.

Tatsächlich sollte der Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg und die im Jahr 1918 zahlenmäßig sich ständig vermehrenden Landungen frischer US-amerikanischer Truppen in Frankreich den Krieg zu Ungunsten Deutschlands erscheiden. Wahrlich kein Ruhm der Vereinigten Staaten von Amerika, so sehr sie das auch in ihrer Propaganda bis heute heraus kehren mögen.

Immer wieder hatte Cronau gegen diese Entwicklung angekämpft. 1915 hatte er "The British Black Book" veröffentlicht und "England a Destroyer of Nations". 

Er wußte ja um die Bedeutung der Reklame in der Völkergeschichte. 

Und er wußte um die Bedeutung der Kriegspropaganda. 

1916 war seine Schrift erschienen "Our Hyphenated Citizens - Are They Right or Wrong?" "Hyphenated Citizens" heißt auf Deutsch "Bindestrich-Amerikaner". Es handelte also von den "Anglo-Amerikanern", von den "Deutsch-Amerikanern" und so weiter.

1919 - Die Stellung der Frau in der Geschichte

Rudolf Cronau blieb als fortschrittlich gesonnener Schriftsteller unermüdlich. 1919 veröffentlichte er sein Buch "Triumph der Frau - Die Geschichte ihrer Kämpfe für Freiheit, Bildung und politische Rechte - Gewidmet allen edlen Frauen von Seiten eines bewunderenden Angehörigen des anderen Geschlechts" ("Woman Triumphant. The Story of Her Struggles for Freedom, Education, and Political Rights -  Dedicated to all noble-minded women by an appreciative member of the other sex"). 

In diesem Buch ist ein ebenso breiter völkerkundlicher und weltgeschichtlicher Ansatz gewählt wie in seinem Buch über die Reklame und wie in dem zehn Jahre später erschienenen Buch "Die Entwicklung des Priestertums". Naheliegend ist es, daß die beiden letztgenannten Bücher parallel erarbeitet worden sind.

Noch einmal zehn Jahre nach Erscheinen seines Hauptwerkes "Die Entwicklung des Priestertums", Ende der 1930er Jahre, hat Rudolf Cronau seine Lebenserinnerungen verfaßt. Ihnen hat er den Titel gegeben "Auf des Lebens Wellen und Wogen - Fahrten, Kämpfe, Abenteuer und Leistungen eines stets wanderfrohen Überseedeutschen". Diese liegen bislang leider nur als Manuskript im Stadtarchiv Solingen vor, der Geburtsstadt von Cronau, die seinen Nachlaß verwaltet.

Der Wikipedia-Artikel über Rudolf Cronau ist heute viel ausführlicher als er es noch vor zehn Jahren gewesen war.*) Er ermöglichte die vorliegende ausführlichere Erarbeitung eines Aufsatzes über Cronau. Außerdem gibt es Artikel über ihn auf "Wikitree" (Wiki-Tree), auf dem sich Familienbilder finden, ebenso auf Wiki Commons und Wiki Source (Hackländer):

Seine Familienangehörigen trugen seine Talente weiter. Sein Enkel Rudolf Gerold Wunderlich (1920- 2004) war Kunstexperte in Chicago und Galerist. Einer seiner Urenkel, Gerold Wunderlich (geb. 1949) lebt als Galerist in New York. Seine Firma hat sich auf traditionelle amerikanische Malerei spezialisiert (www.wunderlichandco.com).

Aber noch eine andere Auswirkung sollte Rudolf Croners Schaffen haben. Im Dezember 1929 veröffentlichte Mathilde Ludendorff eine Besprechung seines Buches "Die Entstehung des Priestertums". 

Mathilde Ludendorff und Rudolf Cronau

In ihren eigenen Werken hat sie sich wiederholt auf den oben schon erwähnten Religionshistoriker Julius Lippert (1839-1909) (Wiki) bezogen. Sie konnte deshalb schreiben (Ludendorff1929):

In ähnlicher Gründlichkeit an Hand reichen Quellenmaterials wie die Werke Lipperts, aber ausgestattet mit einem reichen Schatz an überzeugenden Bildern, die sich lebendig in die Seele jedes Lesers einprägen, wird uns der schändliche Betrug, den die Priesterkaste aller Zeiten angewandt hat, um die Gutgläubigkeit der Völker für ihre Macht- und Habgier zu mißbrauchen, bewiesen. (...)
Angesichts der wachsenden Machtstellung, die sich die Romkirche in Nordamerika nicht nur auf wirtschaftlichem Gebiet verschafft hat, glaubt der Verfasser wohl, daß nur das Germanenvolk, daß besonders die Deutschen in letzter Stunde die drohende Gefahr der Jesuitendiktatur, die auch er durch den Mussolini-Faschismus in Italien schon voll verwirklicht sieht (er bringt hierfür triftige Beweise), abwehren wird. Den Jesuitenorden nennt auch er den gefährlichsten Kämpfer für die Priesterherrschaft.

Im Angesicht der sonstigen scharfen Polemik der Wochenzeitung "Ludendorffs Volkswarte", für die Mathilde Ludendorff schrieb, war diese nicht besonders lange Besprechung des Buches von Rudolf Cronau eigentlich als vergleichsweise harmlos einzuordnen. 

Dennoch zog ausgerechnet sie als Folge nach sich, daß sich Mathilde Ludendorff eine "Anklage wegen Religionsvergehens" von dem Landesgericht in München zuzog (Abb. 14). Warum sich die Staatsanwaltschaft München - auf Anregung des bischöflichen Ordinariats in München - ausgerechnet diese Besprechung zur Anklage heraus gesucht hat, muß einstweilen offen bleiben.

Abb. 14: Angeklagt wegen Religionsvergehens - Schrift von Mathilde Ludendorff aus dem Jahr 1930 (Einbandgestaltung durch Lina Richter)

Erst lange nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt Mathilde Ludendorff eine Mitteilung darüber, welche Person sich eigentlich hinter dem Pseudonym des Autors des von ihr besprochenen Buches, nämlich hinter "Randolph Charles Darwin" verborgen hatte.

Ein Brief an Mathilde Ludendorff von 1953

Sie erhielt aus den USA die Zuschrift eines Hanns Fischer. Über den Absender ist uns derzeit leider sonst nichts bekannt außer dem, was aus dem Brief selbst hervorgeht:

Hanns Fischer
Chicago, Illinois, 9. November 1953
Liebe Frau Ludendorff!
Deutschland ist wieder einmal ein ganz entrechtetes Land und Volk. ... Ihre lieben Zeilen, wenngleich betrübend, bekräftigen leider meine Aussagen. ... Wenn ich erst einmal im Besitze aller Ihrer Schöpfungen bin, werde ich versuchen, gründlich darüber zu deuten, in Englisch aber. ...
„Die Entwicklung des Priestertums und der Priesterreiche“ von R. Ch. Darwin wurde öfters im "Quell" erwähnt. Hinter diesem Decknamen verbirgt sich Rudolf Cronau, ein Amerikaner deutscher Herkunft, der als Historiker und Forscher viele bedeutende Werke schuf. Er schrieb u. a. auch „Woman Triumphant“, das 1919 in New York erschien. Will versuchen, für Sie ein Buch aufzufinden. Ich war mit Cronau befreundet, weiß also viel von ihm und durch ihn. Er schrieb deutsch und englisch gleich meisterhaft, und hat nach dem ersten Weltkrieg viel, viel Leid in Deutschland gelindert. Daß selbst die sogenannten Deutschamerikaner ihn nicht kennen oder verschweigen, ist eben bezeichnend!
Mut und Vertrauen, liebe Frau Ludendorff, und nehmen Sie mir meine offenen Worte nicht übel. Recht herzlich, Ihr Hanns Fischer

Unter anderem zwei Jahre später, in ihrem Aufsatz "Die Hochflut des Okkultismus" vom 23.10.1955, erinnert Mathilde Ludendorff einleitend auch noch einmal erneut an das Buch von Rudolf Cronau und ihre eigenen Erfahrungen mit ihm (27):

In einem sehr verdienstvollen Werke hatte vor einigen Jahrzehnten ein amerikanischer Forscher, der sich den Schriftstellernamen Charles Darwin beilegte, die "Entwicklung der Priesterreiche" eingehend geschildert. Er hatte aus unantastbaren Quellen all den Trug nachgewiesen, der in fernsten und fernen Jahrtausenden bis zur Gegenwart hin mit dem Glauben an Gott oder Götter, mit der Glückssehnsucht und Leidangst, vor allem Dingen mit der Todesangst getrieben wurde. So sehr sahen sich auch die Priester des 20. Jahrhunderts von den Tatsachen seiner Forschung noch enthüllt und tief getroffen, daß meine Besprechung dieses verdienstvollen Werkes in unserer Zeitschrift mir vor dreieinhalb Jahrzehnten eine Anklage wegen "Gotteslästerung" mit Hilfe des berühmten § 166 eintrug. Sofort nach dieser Anklage schrieb ich die heute leider vergriffene Schrift "Angeklagt wegen Religionsvergehen", die schon nach acht Tagen zu 100 000en ins Volk gegangen war. Sie hat damals unserem Aufklärungskampf so sehr geholfen, daß ich mich verpflichtet fühlte, in dem Schlußabschnitt dieser Schrift dem bei der Vorvernehmung von mir entdeckten Kläger, nämlich dem erzbischöflichen Ordinariat in München, meinen ausführlichen, herzlichen Dank auszusprechen.
Jenes Buch des Forschers Charles Darwin war eine sehr gründliche Aufklärung, die auch noch heute sehr zeitgemäß ist, denn die Todesnot des Gottesbewußtseins auf diesem Sterne ist wahrlich noch nicht überwunden! (...) Die umfassende Kenntnis der Naturgesetze hat den Völkern die Scheu vor den Naturgewalten genommen und läßt die Jugend nur allzu leicht an die Stelle dieser Scheu den Zynismus setzen, der sie so trefflich für eine Verleitung zur materialistischen Gottleugnung geeignet macht. Den wichtigsten Dienst leisten hierzu gerade - wenn auch völlig ungewollt - die Religionen. (...) Die so tief vom Gotterleben der Seele hinabgestürzten Priesterreiche behielten die urältesten Wege der Tröstungen und Hilfen nicht nur bei, sondern ließen den Okkultismus geradezu verhängnisvoll aufblühen. ...

Im weiteren führt sie aus, daß anstelle der christlichen Religion nicht nur materialistischer Zynismus aufblüht, sondern auch Okkultismus, der bis hin zum Satanismus einer solchen Okkultloge wie der "Fraternitas Saturnis" führt.

In der Zeitschrift der Ludendorff-Bewegung "Der Quell" vom 9. Februar 1961 setzte Edmund Reinhard, der damalige zweite Vorsitzende des "Bundes für Gotterkenntnis (Ludendorff)", die Todesanzeige für einen "Dr. med. Hanns Fischer", Facharzt in Eßlingen/N.. Daß es sich dabei um den obigen Briefschreiber handelte, muß aber nicht sehr wahrscheinlich sein. Denn auch den Familiennamen Fischer gibt es diesseits wie jenseits des Atlantischen Ozeans.

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*) Vor zehn Jahren haben wir uns in einem kürzeren Artikel schon einmal mit Rudolf Cronau beschäftigt (s. StgrNat2012). Der vorliegende Aufsatz ist eine deutlich erweiterte Fassung.

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  1. Cronau, Rudolf: Geschichte der Solinger Klingenindustrie, Stuttgart 1885 (52 S.)
  2. Cronau, Rudolf: Von Wunderland zu Wunderland. Landschafts- und Lebensbilder aus den Staaten und Territorien der Union von R.C. Mit Erläuterungen in Poesie und Prosa von Friedr. Bodenstedt. H.W. Longfellow u.a., Leipzig 1886
  3. Cronau, Rudolf: Unter dem Sternbanner. Land und Volk der Vereinigten Staaten von Nordamerika in Wort und Bild geschildert von R.C. in Verbindung mit hervorragenden deutschen und amerikan. Schriftstellern. Fünfzig Lichtdruckbilder mit erläuterndem Text in Poesie und Prosa, Leipzig o.J.
  4. Cronau, Rudolf: Fahrten im Lande der Sioux. Leipzig 1886
  5. Cronau, Rudolf: Das Buch der Reklame. Geschichte, Wesen und Praxis der Reklame. Wohl'ersche Buchhandlung, Ulm 1887 (Archive)
  6. Cronau, Rudolf: Absonderliche Fahrten. Episoden aus einem Wanderleben, 1887
  7. Cronau, Rudolf: Im wilden Westen. Eine Künstlerfahrt durch die Prairien und Felsengebirge der Union. Verlag von Oskar Löbbecke, Braunschweig 1890 (Archive) (Gutenberg)
  8. Cronau, Rudolf: Amerika. Die Geschichte seiner Entdeckung von der ältesten bis auf die neueste Zeit. Eine Festschrift zur 400j. Jubelfeier der Entdeckung Amerikas durch Chr. Columbus, 2 Bde, Leipzig 1892
  9. Cronau, Rudolf: Illustrative Wolkenformen, 1897
  10. Cronau, Rudolf: Drei Jahrhunderte deutschen Lebens in Amerika. Eine Geschichte der Deutschen in den Vereinigten Staaten. Berlin 1. Aufl. 1909, 2. Aufl. 1924 (696 S.); SEVERUS Verlag, (656 Seiten) (GB) (Gutenberg)
  11. Cronau, Rudolf: England, ein Zerstörer der Völker. Chicago 1914 (19 S.)
  12. Cronau, Rudolf: Do we need a third War for Independence. New York, 1914
  13. Cronau, Rudolf: The British Blackbook. New York 1915 (121 S.)
  14. Cronau, Rudolf: German Achievements in America. 1916
  15. Cronau, Rudolf: Woman triumphant. The Story of Her Struggles for Freedom, Education and Political Rights, New York 1919 (300 S.)
  16. Cronau, Rudolf: The Discovery of America and the Landfall of Columbus. New York 1921 (53 S.)
  17. Cronau, Rudolf: The Army of the American Revolution and its Organizer. New York, 1923 (150 S.)
  18. Cronau, Rudolf: The last Resting Place of Columbus. A Monograph Based on Personal Investigations, New York 1926 (31 S.)
  19. Cronau, Rudolf: Prohibition and Destruction of the American Brewing Industry. New York 1926 (31 S.)
  20. Cronau, Rudolf: Die Deutschen als Gründer von New Amsterdam-New York und als Urheber und Träger der amerikanischen Freiheitsbestrebungen. Eine Denkschrift zur Erinnerung an den vor 300 J. erfolgten Erwerb der Insel Manhattan durch Peter Minuit u. an d. 150j. Feier des amerik. Unabhängigkeitskriegs. New York 1926 (70 S.)
  21. Darwin, Randolph Charles (eigentlich: Rudolf Cronau): Die Entwicklung des Priestertums und der Priesterreiche oder: Schamanen, Wundertäter und Gottmenschen als Beherrscher der Welt. Ein Warnruf an alle freiheitliebenden Völker. Theodor Weicher Verlag, Leipzig 1929 (Archive); Nachdrucke: Verlag für ganzheitliche Forschung, Wobbenbüll, Husum 1979 (GB); Historia Verlag 2002; Historia Verlag, Ulm 2007; Dogma 2013
  22. Ludendorff, Mathilde: Eine Kampftat gegen Priestertyrannei. (Besprechung von "Die Entwicklung des Priestertums ...") In: Ludendorffs Volkswarte, Folge 33, 15.12.1929, S. 6
  23. Ludendorff, Mathilde: Angeklagt wegen Religionsvergehens. Ludendorffs Volkswarte Verlag, München 1930 (51.-100. Tsd.); erneut: Archiv-Edition, Viöl, 2007
  24. Cronau, Rudolf: Denkschrift zum 150. Jahrestag der Deutschen Gesellschaft der Stadt New York 1784-1934. USA 1934 (97 S.)
  25. Cronau, Rudolf: Auf des Lebens Wellen und Wogen. Fahrten, Kämpfe, Abenteuer und Leistungen eines stets wanderfrohen Überseedeutschen. New York 1939 (185 S.) (masch.)
  26. Heinz Rosenthal: Leben und Werk eines Deutschamerikaners, Solingen 1954 (masch.)
  27. Ludendorff, Mathilde:  Die Hochflut des Okkultismus. In: Der Quell, Folge 20, 23.10.1955, S. 913-919
  28. R. Keller, Hans Lohausen: Rudolf Cronau. Journalist und Künstler. Solingen 1989
  29. Gerold Wunderlich: R. Cronau. Topographical Views of America. New York 1993 (33 S.) [Ausstellungskatalog]
  30. Jeanette Baden: Das Amerikabild Rudolf Cronaus. Magisterarbeit Bonn 1994
  31. Poensgen, Aline: Bestand Rudolf Cronau 1881-1939 - Findbuch. Stadtarchiv Solingen 1996 (pdf) (s.a.: Nachl) 
  32. Hackländer, Sabine: Rudolf Cronau - Ein Solinger in den USA. 2012 (pdf, Yumpu)

Dienstag, 20. Dezember 2022

"Der Mansfeld kommt!"

- Geheimregie hinter dem Ablauf des Dreißigjährigen Krieges?
Das Wirken des Graf Ernst von Mansfeld (1580-1626) - Ermöglichte es erst das In-Gang-Halten dieses Krieges, der womöglich sonst bald "eingeschlafen" wäre, zum Schaden der katholischen Sache?
- Betrieb er auf Seiten der Protestanten Verrat im Dienste der Rekatholisierung Europas?*)

"Der Mansfeld kommt" war ein Schreckensruf der Menschen des Dreißigjährigen Krieges. Er ist von Hermann Löns in seinem Roman "Der Werwolf" im Jahr 1910 aufgegriffen worden (Wiki). In diesem sehr nah an der historischen Wirklichkeit sich bewegenden Roman finden sich alle Schrecken des Dreißigjährigen Krieges wieder. Wer aber war dieser "Mansfeld"? Haben sich die Historiker das schon ausreichend klar gemacht?

Wer sich mit der Geheimgeschichte der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts beschäftigt hat, ausgiebig beschäftigt hat (was hier auf dem Blog in vielen Beiträgen geschehen ist), der ist schon längst zu dem Schluß gekommen, daß es eine geheime Regie hinter den Kulissen gab, die - über die Beschlüsse der befehlshabenden Generäle hinweg - den Verlauf der Kriege so zu lenken wußte, daß es zum Vorteil dieser Geheimregenten war und der Vervollkommnung ihrer Machtstellung in den Völkern diente und daß es zum Nachteil aller kriegführenden Völker selbst war. Gemeinhin werden diese Kräfte Freimaurer und Jesuiten genannt, womit klar ist, daß sie einen nicht geringen Teil ihres Fanatismus und ihres wohl organisierten satanistischen Handelns aus der mosaischen Unterscheidung zwischen Wahr und Falsch beziehen.

Abb. 1: Der furchtbare Dreißigjährige Krieg

Diese Geheimregie des 20. Jahrhunderts war darauf angelegt, die Kriege in die Länge zu ziehen und sie nicht schnell enden zu lassen. In einem aufwühlenden Dokument aus dem Jahr 1937 hat genau dies der amerikanische Präsidentenberater William C. Bullit auch unverhüllt und wörtlich so ausgesprochen. 

Nennen wir hier nur einige wichtigere Eckpunkte in dieser geheimen Regie: Das "Wunder an der Marne" verhinderte ein schnelles Ende 1914 im Westen, die Schlacht bei Tannenberg verhinderte - durch die überraschende Berufung Ludendorffs zum Befehlshaber in Ostpreußen - ein schnelles Ende im Osten. Falkenhayn verhinderte mit seiner "Zermürbungstaktik" ein schnelles Ende im Osten 1915 und als Ludendorff 1916 zur OHL berufen wurde, ging es erneut darum, den Krieg zu verlängern, denn er hätte sonst schon 1916 allzu leicht mit einer deutschen Niederlage enden können und die bolschewistische Revolution in Rußland hätte dann nicht so leicht siegen können wie sie gesiegt hat.

Und so ähnlich läßt sich auch die Geschichte des Zweiten Weltkrieges erzählen. Frankreich kapitulierte überraschend schnell 1940. Ähnlich viele andere europäische Länder. England wurde in Dünkirchen geschont. Gibraltar wurde nicht von den Deutschen eingenommen (dank der "hervorragenden" Arbeit des Herrn Canaris). Die Murmanskbahn wurde niemals eingenommen, wodurch die entscheidende materielle Untestützung der Kriegsführung der Sowjetunion durch die USA immer gesichert blieb. Die Invasion in der Normandie 1944 wurde ermöglicht, der Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte 1944 wurde ermöglicht, jeweils durch falsche Meldungen und "Aufklärungen" der Abteilungen "Fremde Heere Ost" (Reinhard Gehlen) und "Fremde Heere West" (Alexis von Roenne), beides Abteilungen, die durch den Admiral Canaris aufgebaut worden waren. Wir brechen ab. Diese Geschichtsvorgänge sind alle längst verstanden. Und viel zu furchtbar, um ruhig bei ihnen bleiben zu können. Geheimregie durch Personalpolitik, Geheimregie durch "Wissensgefälle".

Georg Wolmar von Fahrensbach in Kurland - 1610 bis 1620

Wer in all diese Vorgänge tiefe Blicke geworfen hat, muß aufmerken, wenn er auf eine solche merkwürdige Biographie aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges stößt wie die des Georg Wolmar von Fahrensbach (1586-1633) (Wiki), dessen Agieren in Kurland und gegen Riga schon zwischen 1610 und 1620 unglaublich aufwühlend nachzuvollziehen ist und viele, viele Fragen aufwirft, weil alles, was man hier erfährt, einfach nur verwirrend und verstörend ist. Im Auftrag der Jesuiten hat dieser Mann immer wieder unter persönlicher Lebensgefahr Unruhe gestiftet in Kurland und gegen Riga, damit der polnische König und die Jesuiten die protestantischen Herzöge von Kurland und das protestantische Riga "bei den Haaren kriegen" konnten, wie sich Fahrensbach auszudrücken beliebte gegenüber einem, den er dabei zur Mitarbeit gewinnen wollte (Seraphim 1893). Es ging um haarsträubende Provokationen zu Handlungen, die die beteiligten Protestanten ins Unrecht setzten, die sie zum Beispiel Morde begehen lassen sollten (tatsächlich oder nur angeblich), aufgrund deren sie dann vom katholischen Polen aus mit Krieg überzogen werden konnten, mit einem Krieg, der dem polnischen, von Jesuiten beratenen König schließlich die schwedische Königskrone bringen sollte. 

Aufgrund insbesondere der festen Haltung des protestantischen Riga und des protestantischen Schweden sollte Fahrensbach bis 1620 vergleichsweise wenig Erfolge in den genannten Ostseeländern mit seinem Agieren haben und dort nur üblen Gestank hinter sich zurück lassen (Preußen2022). 

Wir sehen ihn aber nach 1621 in ganz anderen Zusammenhängen erneut auftreten und agieren. Konnte er das innere Wesen seines Handelns in seinem nachherigen Leben so stark ändern, jenes Wesen, daß sich schon in Kurland so überaus deutlich gezeigt hatte und das doch immer einmal wieder auch später ganz und gar unverhüllt und boshaft wieder zum Vorschein kommen sollte? Offenbar doch nicht. Wie aber ist dann all das viele "bunte", chamäleonartige Handeln und Leben dieses Georg Wolmar von Fahrensbach zwischen 1621 und 1633 insgesamt einzuordnen? Und wie ist von daher eine womöglich bestehende Geheimregie hinter dem Ablauf des Dreißigjährigen Krieges überhaupt anzunehmen und zu deuten?

.... Und der Graf Mansfeld?

Wenn man nun im weiteren auf die für den Verlauf der ersten Phase des Dreißigjhrigen Krieges so wichtige Biographie des Grafen Ernst von Mansfeld (1580-1626) (Wiki, ADB) stößt, so gelangt man zu einer ersten Ahnung davon, daß in dieser Biographie grundsätzlich ähnliche Handlungsmuster vorliegen könnten wie bei dem Agieren des Georg Wolmar von Fahrensbach.

Beide Biographien erscheinen den Historikern immer und immer wieder so, daß sie an verschiedenen Stellen Worte benutzen wie "unberechenbar", "unbegreiflich". Beide scheinen ihre Religionszugehörigkeit ihr Leben lang in der Schwebe gehalten zu haben. So konnten sie bezüglich derselben jederzeit ihre Farbe wechseln wie ein Chamäleon. Beide genossen das Vertrauen führender protestantischer Fürsten und Könige. Beide starben als Katholiken, nachdem ihnen die Beichte abgenommen worden war. Will man eigentlich noch mehr wissen? Ist das nicht alles schon genug "Muster"? Unter dem Vorwand, "Protestant" zu sein und der protestantischen Sache zu dienen, haben sie der katholischen Sache gedient? Was wäre dran an einer solchen Vermutung, an einer solchen Unterstellung? Nur Humbug?

Sind wir denn etwa die ersten, die das so klar und eindeutig sehen? Eine so klare, deutliche Kennzeichnung und Deutung zu den Leben beider Personen finden wir sonst in der Literatur bislang jedenfalls nicht. Auch nicht in der kritischsten (Ludendorff 1929). Das soll uns aber nicht beirren, die Dinge endlich einmal zu Ende zu denken und zu verfolgen. Am nächsten unserer Einschätzung kommen aber die folgenden Worte auf Wikipedia (Wiki):

Auch die Bezeichnung als protestantischer Heerführer ist fragwürdig, weil er nach 1610 seine wahre Konfession geschickt verbarg, sich nirgends erkennbar von konfessionellen Motiven hat bestimmen lassen und im übrigen später auch katholischen Mächten diente.

Ist damit nicht eigentlich schon alles gesagt? Graf Mansfeld stammte aus einer katholischen Familie in Luxemburg. Er ist katholisch erzogen worden. 1610 ist er zum Protestantismus übergetreten, hat aber vor seinem Tod sich die Beichte abnehmen lassen und ist katholisch gestorben wie berichtet wird. (Wobei die Berichte über seinen Tod insgesamt als "legendär" gelten. Ob er überhaupt so gestorben ist wie berichtet wird, scheint nicht sicher zu sein. War seine Rolle womöglich einfach nur "ausgespielt"? Und hat er womöglich unter anderem Namen in anderen Zusammenhängen weiter gelebt? Das sind Fragen, die sich uns jedenfalls stellen.) Graf Mansfeld scheint jedenfalls ein Obergauner nach dem Buche gewesen zu sein (Wiki):

An der Schlacht am Weißen Berge nahm er nicht persönlich teil, wofür er 100.000 Gulden aus der gegnerischen Kasse erhielt. 

Was will man eigentlich noch mehr hören? Ist damit nicht das ganze Leben dieses Menschen genug gekennzeichnet? Wie soll man eine solche Person noch als einen überzeugungstreuen Parteigänger der protstantischen Sache erachten, der sich für die Nichtbeteiligung an dieser für die Protestanten so entscheidenden, so vernichtenden Schlacht des Jahres 1620 100.000 Gulden aus der gegnerischen Kasse hat bezahlen lassen? Deutlicher geht es doch gar nicht. Natürlich wird diese Tatsache erst heute auf Wikipedia erwähnt. Offenbar war sie nur den wenigsten Zeitgenossen bekannt und ebensowenig vergleichsweise kritischen Historikern im Jahr 1884 (ADB). Ohne diese Tatsache konnte man womöglich noch zu keinem so klaren Urteil über das Wesen dieses Grafen Mansfeld kommen wie das mit Wissen um diesen Vorgang möglich geworden ist. 

Planlos und ziellos

Wie kann man da glauben, daß nicht genau dies der Grundzug seines ganzen Lebens? Der Sache nach nur einer einzigen Partei zu nutzen, nämlich der katholischen, nach außen hin aber sich als Vertreter der protestantischen Sache auszugeben. Das ganze militärische Handeln rund um Mansfeld nach der Schlacht am Weißen Berg mutet planlos und ziellos an. Es konnte nur darauf ausgelegt sein, den Krieg am Laufen zu halten, ihn zu verlängern, um so Handhaben zu haben, um auch Norddeutschland weiter in Unruhe zu versetzen und katholisieren zu können, wobei aber zugleich entscheidende Niederlagen der katholischen Seite zu verhindern waren und wobei zugleich die protestantischen Länder, durch die Mansfeld's Söldner zogen und aus denen sie lebten, sehr tüchtig ausgeplündert werden konnten. Ist das das Muster?

Graf Mansfeld hat an mehreren Stellen die Möglichkeit zu entscheidenden Niederlagen für die katholische Sache nicht ausgenutzt oder sie gar - um es deutlicher auszudrücken: bewußt hintertrieben und sabotiert. Indem wir diesbezüglich noch einiges ähnliche aus den Jahren davor übergehen, lesen wir dann etwa zu dem Jahr 1621 so klare und deutliche Worte wie diese (ADB):

Anstatt (...) zu entscheidenden, vernichtenden Schlägen (...) überzugehen und schließlich einen ehrenvollen Frieden zu diktiren, begnügte sich Mansfeld damit, Erzherzog Leopold und dessen Straßburger Bistum mit Krieg zu überziehen und nächstdem den Verhandlungen wieder Gehör zu schenken, (...) welche den kühnen Parteigänger noch viel unberechenbarer, ja unbegreiflicher erscheinen lassen als zuvor!

Er zog den Krieg also auf einen Nebenkriegsschauplatz, verhinderte entscheidende Schläge auf dem Hauptkriegsschauplatz und verhielt sich dann auch noch in überraschenden Unterhandlungen mit der katholischen Partei als "unberechenbar", "unbegreiflich", zumindest aus Sicht der protestantischen Sache. Man fragt sich angesichts solcher Wortwahl, warum bisher scheinbar kein einziger Historiker klar und deutlich genug die Meinung scheint vertreten zu haben, daß Mansfeld schlicht und einfach immer und durchgehend um katholischer Interessen willen gehandelt hat als Geheimagent auf protestantischer Seite - so wie Georg Wolmar von Fahrensbach und so wie vielleicht - bei genauerem Hinschauen - noch so manch anderes "liebevolle" Persönchen der damaligen Zeitenläufte. (Wobei ja eigentlich nur an den katholischen Minister des calvinistischen Kurfürsten von Brandenburg erinnert werden muß, um deutlich zu machen, daß auf dieser Linie allerhand an Abstrustitäten möglich war.)

Auch über die Schlacht bei Wimpfen 1622 gegen Tilly lesen wir dann wieder (ADB):

Denn nur wenige Tage später trug Tilly einen glänzenden Sieg über die vereinigten badischen Truppen (gegen 20,000 Mann) bei Wimpfen davon, da Mansfeld sich erst in der letzten Stunde dazu entschloß, die beiden, bei seinem Korps befindlichen Herzöge Wilhelm und Bernhard von Sachsen-Weimar mit zwei Regimentern Infanterie und 2000 Reitern zum Markgrafen stoßen und an jenem verhängnißvollen Kampfe Anteil nehmen zu lassen.

Zwischen solchem Handeln mußte Mansfeld natürlich auch immer wieder "glänzende Siege" gegen die katholische Partei erringen, sonst wäre seine Maske womöglich doch zu stark verrutscht. Womöglich sind diese aber nur zugelassen worden, damit die protestantischen Fürsten und die protestantische Welt ihm weiterhin Vertrauen entgegen bringen konnten. Ein ähnliches Muster sehen wir ja ebenfalls bei Fahrensbach.

Scheinbar scheint es immer wieder gelungen zu sein, andere für verantwortlich erklären zu können für das, was Mansfeld selbst dann aber der Sache nach tat, so etwa bei der außerordenlich üblen Plünderung Ostfrieslands 1623, das als Handelskonkurenz von England, Frankreich und der Niederlande galt, die aber doch nicht wollen konnten, daß ein protestantischer Landstrich so übel ausgeplündert wurde ([ADB]: "die Feder sträubt sich").

"... wird wohl auf immer ein Rätsel bleiben" - 1626

Über die Jahre 1624 bis 1626 berichtet der Historiker wieder über ihm völlig Unverständliches (ADB):

Er scheint schon damals den Plan entworfen zu haben, den Krieg wieder in des Kaisers Erblande zu spielen, sich den Weg bis nach Ungarn zu bahnen und Bethlen Gabor dort die Hand zu reichen. Warum er dies (...) nicht ins Werk setzte, warum er es vorzog, das gefährliche Wagestück zu unternehmen, die feindlichen Stellungen an der Dessauer Brücke zu stürmen, wird wohl auf immer ein Rätsel bleiben. - Hier hatte Wallenstein (...) einen starken Brückenkopf auf dem rechten Elbufer errichtet (...). Anstatt nun seine Streitkräfte (...) direkt nach Schlesien, Böhmen und Innerösterreich zu führen, die Schrecken des Kriegs in die kaiserlichen Erbstaaten zu tragen, zog er es vor, seine Kampfmittel an einem Punkte aufs Spiel zu setzen, wo Wallenstein alle Vorteile des Bodens (...) für sich hatte und eine unglückliche Fügung, ein Zufall gleichsam, ihm den blutigen, teuer errungenen Lorbeer wieder aus den Händen riß.

Wenn man Mansfeld als jesuitischen Geheimagenten erachtet, bleibt hier gar nichts mehr ein Rätsel. Aber freilich wäre dann die Truppenführung des Mansfeld auch als außerordentlich verbrecherisch zu bezeichnen. Er hätte seine Truppen dann bewußt und mit Absicht in eine blutige Niederlage hinein geführt. Aber da er schon so viele andere Schlechtigkeiten begangen hatte - warum sollte man ihm diese dann nicht auch noch zutrauen?

Der planlos wirkende Zug nach Schlesien - 1626

Sein ganzer Zug nach Schlesien im Jahr 1626 hat irgendwie das Aussehen von Planlosigkeit und Ziellosigkeit. Der Zug endete im Nichts, zog aber Schlesien - wie zuvor viele Länder Norddeutschlands: Ostfriesland, Lüneburg, Brandenburg - in den Krieg mit hinein und ermöglichte es so der katholischen Seite, gegen die Protestanten in Schlesien vorzugehen, die zu den Fahnen Mansfelds geeilt waren.

Der Historiker Julius Krebs schildert 1886 (2), wie Wallenstein es seit Herbst 1625 immer fest im Auge behielt, welche Pläne Mansfeld verfolgte, und daß man sich schon früh Sorgen machte, er könne von Niedersachen über Brandenburg aus in das protestantische Schlesien einbrechen, wo er aufgrund des protestantischen Glaubens als - vorgeblich - protestantischer Heerführer viel Unterstützung finden würde, und wo ihm Bethlen Gabor von Ungarn her entgegen ziehen konnte. 

Am 10. Juli 1626 brach Mansfeld denn auch von Havelberg aus nach Schlesien auf. Die Regimenter zogen unter seiner eigenen Führung und unter der Führung des Herzogs Johann Ernst (1594-1626) (Wiki) auf parallelen Wegen über Kyritz, Fehrbellin, Kremmen, Spandau, Oranienburg und trafen sich in Frankfurt an der Oder (Krebs). Dort setzten sie über die Oder und zogen weiter durch Schlesien. Ziel war ihre Vereinigung mit Bethlen Gabor in Oberschlesien. Am 12. August wurde Mansfeld Teschen ohne Gegenwehr übergeben, am gleichen Tag dem Herzog Johann Ernst Troppau. Wir lesen über den weiteren Verlauf (ADB):

Herzog Johann Ernst unterwarf fast ganz Schlesien, Mansfeld drang nach Ungarn vor. Ihm folgte Wallenstein, die Generale Schlick und Serini wurden gegen Johann Ernst gesandt. Letzterer aber wußte nicht nur sich gegen sie zu behaupten, sondern schlug sie entscheidend. Nach diesem glücklichen Erfolge teilte der Herzog sein Heer, ließ die eine Hälfte als Besatzung in Schlesien zurück, die andere sandte er nach Mähren, wo er verschiedene wichtigere Plätze unterwarf. Währenddem war dem Grafen Mansfeld eine Vereinigung mit Bethlen Gabor gelungen; die Truppen, die er aus Deutschland mitgebracht, unterstellte er dem Siebenbürger. Auch mit den Türken trat man in Verhandlung. Aber während hier sich eine neue Gefahr für den habsburgischen Staat zu bilden schien, gelang es dem Kaiser, Gabor zur Untätigkeit zu veranlassen. Mansfeld fand in diesen Tagen unerwarteter Weise den Tod. 

Auf dem Weg über Dalmatien nach Venedig, wo Mansfeld Geld für neue Truppen aufbringen wollte, ist er in der Nähe von Sarajewo am 29. November 1626 einen "geheimnisvollen Tod" gestorben. Und (Wiki):

Kurz vor seinem Tod ließ er sich von einem katholischen Priester die Beichte abnehmen.

Er hatte maßgeblich dazu beigetragen, daß der Krieg über 1621 und 1623 hinaus verlängert worden war. So heißt es auf Wikipedia. Und  er starb als Katholik. Und er hat die protestantischen Länder überall, wohin er gekommen war, geplündert und übel mitgenommen zurück gelassen. "Der Mansfeld kommt," galt als Schreckenswort in protestantischen Ländern. Wahrlich "Heldentaten" - aber wofür? 

Während Mansfeld in Ungarn unter ging, vollzog sich auch das Schicksal der vorwiegend dänischen Truppen in Schlesien (ADB):

Wallenstein mußte zunächst nach Schlesien vordringen und der Kaiser gedachte endlich die Acht gegen den Herzog (Johann Ernst) zu verhängen. Der Fürst schien verloren. In seiner großen Not entschloß er sich, des Kaisers Gnade und Verzeihung zu erbitten und verhandelte mit Landgraf Georg von Hessen-Darmstadt über Interzession am Wiener Hofe. Wilhelm, Johann Ernst’s Bruder, bemühte sich eifrig für ihn, schrieb an den Kaiser wegen Aufschub der Achtserklärung und erbot sich, Boten an den Herzog zu senden, um die Unterwerfung herbeizuführen. Ferdinand ging auf diese Vorschläge ein und versprach, wenn der Herzog sofort die habsburgischen Erblande räumen würde, mit der Acht nicht vorgehen zu wollen. Aber Johann Ernst konnte sich zur Räumung des besetzten Gebietes nicht entschließen: er ließ die Truppen in den okkupierten Städten und drang an der Spitze des größten Teiles seines Heeres nach Ungarn - da, als sich alles zu einer Katastrophe vorzubereiten schien, hat den Herzog unvermutet der Tod hingerafft. Der Genuß einer ungaren Speise warf ihn aufs Krankenbett, ein unbesonnener Versuch, sich durch Gewaltmittel zu kurieren, verschlimmerte das Übel, das am 4. Dezember 1626 zu St. Martin in Ungarn seinem Leben ein Ziel setzte.

Johann Ernst war erst 31 Jahre alt. Mansfeld war 46 Jahre alt als er starb. Was für ein erschütterndes und zugleich sinnloses Geschehen. Was hatte dieser ganze Zug nach Schlesien überhaupt für einen Sinn gehabt? Man spürt aus den Berichten nicht heraus, daß die Macht Habsburgs sich durch diesen Zug wirklich gefährdet gefühlt hat. 

Flüche als Nachrufe

Das Urteil der Historiker über Mansfeld lautet einigermaßen einhellig (NDB):

Die außerordentliche Verrohung des Kriegswesens während des 30jährigen Krieges bleibt mit seinem Namen verbunden.

Und (Wiki):

Er trug aus persönlichen Gründen wesentlich dazu bei, die Reichswirren über die Zäsuren von 1620/21 und 1623 hinaus zu verlängern und zu einem europäischen Krieg auszuweiten.

Es fällt einem also mehr schwer, mit wohlwollenden Gedanken an diesen furchtbaren Truppenführer zurück zu denken. Eine finnische Studie aus dem Jahr 2011 ordnet das Handeln des Grafen Mansfeld unter die Thematik der "assymetrischen Kriegsführung" (Wiki) ein. In der Zusammenfassung ihrer Ergebnisse heißt es (Bäckström 2011, S. 83f):

Die Zeichen symmetrischer Kriegsführung, als da sind klare politische Ziele und der Vorsatz, Entscheidungsschlachten führen zu wollen, waren auffallend abwesend in Mansfeld's Kriegsführung.
The signifiers of symmetrical warfare, the clear political goals and the disposition to engage in decisive battles of annihilation, were conspicuously absent from Mansfeld’s warfare.

Was für verräterische Sätze. Und der Autor schreibt weiter über Wallenstein (Bäckström 2011, S. 83f):

Seine Übernahme und Verfeinerung von Mansfeld's assymetrischen Methoden halfen dem Kaiser alle Flammen des Widerstandes in Deutschland bis zum Ende des Jahres 1629 zu ersticken.
His adoption and refinement of Mansfeld’s asymmetrical methods had helped the Emperor to smother all flames of resistance in Germany by the end of 1629.

Wir furchtbar das alles, wenn es wahr wäre. Unter der Fahne des Protestantismus hätte dann ein katholischer Feldherr eine barbarische Kriegsführung in Europa eingeführt, die dann die katholische Seite als "Nachahmung" übernehmen konnte, die aber womöglich sie selbst zuvor erst eingeführt hatte.

Was für ein Erbe und Andenken der Graf Mansfeld in solchen Worten der Nachwelt hinterlassen hat! Wird hier nicht klar genug gesagt, daß Mansfeld die Wallenstein'schen Rekatholisierung in Norddeutschland - der Sache nach - vorbereitet hat? Erst mit dem Auftreten Gustaf Adolfs von Schweden ab 1629 kam es wieder zu einer "symmetrischen Kriegsführung", allerdings nun auf den Linien, die zuvor von Mansfeld und Wallenstein vorgegeben worden waren. Mit seinem Vormarsch war die Macht der Katholiken in Wien erstmals wirklich ernsthaft gefährdet. 

Zumal eine Verständigung zwischen Gustav Adolf und dem hervorragenden protestantischen Staatsmann, Feldherrn und Kulturförderer Bethlen Gabor in Ungarn immer näher gerückt war. Da starb ganz "überraschend" Bethlen Gabor am 15. November 1629 mit 49 Jahren mitten in seinen weitausschauenden Plänen zur Übernahme der polnischen Königskrone mit Hilfe des polnischen protestantischen Adels. Vor einem Bündnis Gustav Adolfs von Schweden mit Bethlen Gabor in Siebenbürgen wäre Habsburg militärisch unweigerlich in die Knie gegangen. Aber auch ohne Bethlen Gabor blieb Gustav Adolf gefährlich genug für die Habsburger in Wien.

Und da kam dann - unter anderem - der Georg Wolmar von Fahrensbach zum Zuge und ins Spiel. Als Regimentsführer bei der Verteidigung von Frankfurt an der Oder und der Festung Ingolstadt sollte er wesentliche "Heldentaten" für die katholische Seite erbringen, ohne daß ihm die katholische Seite das jemals wirklich ausdrücklich gedankt hätte (ebensowenig wie sie es nach außen hin gegenüber Mansfeld hat tun können). Sonst hätte das viel zu viele Blicke erlaubt in die Geheimregie hinter dem Dreißigjährigen Krieg. 

Und so mancher überzeugte Katholik hätte sich mit Abscheu abgewandt von solchen Methoden der Kriegsführung, die - um "höherer Ziele willen" - bereit war, Verrat an den eigenen Kameraden zu begehen und sie dem Feind auszuliefern.

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*) Teil 6 der Beitragsreihe: "Minen hört man und Geschütz / täglich dumpf erdröhnen" - Im Kampf für die evangelische Freiheit - Einblicke in das Leben der Deutschen des baltischen Adels und der Bürgerschaft des 17. Jahrhunderts in Livland und Kurland. Vorige Beiträge: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5.

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  1. „Mansfeld, Ernest Graf zu“ von Ludwig Graf Uetterodt zu Scharfenberg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 20 (1884), S. 222-232, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mansfeld,_Peter_Ernst_II._F%C3%BCrst_von&oldid=- (Version vom 20. Dezember 2022, 03:40 Uhr UTC)
  2. Krebs, Julius: Schlesien in den Jahren 1626 und 1627. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens. 1. Bis zu Manfeds Zug, Band 20, 1886, S. 1-32 (GB); 2. Manfeld's Zug durch Schlesien, Band 21, S. 116-148 (GB); 3. Der Einmarsch der Herzogs von Friedland, 4. Die Forschritte der Dänen und Mansfelder bis Ende 1626, Band 25, S. 124-184; 5. Die Winterquartiere der Kaiserlichen, 6. Vordringen des Feindes in Oberschlesien und Aufmarsch der kaiserl. Regimenter (Jan. - Juni 1627) Bd. 27, 1894, S. 150-203 (GB); 7. Wallensteins Feldzug in Oberschlesien, Bd. 28, S. 147-178 (GB)
  3. Seraphim, Ernst: Der Kurländer Wolmar Farensbach. Ein Parteigänger und Verräter des 17. Jahrhunderts. Nach archivalischen Quellen. In: Seraphim, Ernst und August: Aus der Kurländischen Vergangenheit. Bilder und Gestalten des siebzehnten Jahrhunderts. Stuttgart 1893, S. 9-152 (GB)
  4. Ludendorff, Erich und Mathilde: Das Geheimnis der Jesuitenmacht und ihr Ende. Ludendorffs Verlag, München 1929 (Archiv)
  5. Heinisch, Reinhard R., "Mansfeld, Peter Ernst II. Fürst von" in: Neue Deutsche Biographie 16 (1990), S. 80-81 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119338882.html#ndbcontent 
  6. Olli Bäckström: The German Military Entrepreneur Ernst von Mansfeld and His Conduct of Asymmetrical Warfare in the Thirty Years War, 2011 (pdf)

Donnerstag, 20. Oktober 2022

Alfred Rosenberg und die Reichskristallnacht

Unsere Amazon-Rezensionen (Amaz) haben wir selten parallel auch gleichzeitig hier auf dem Blog eingestellt. 

Das wäre vermutlich noch einmal nachzuholen. Die nachfolgende Rezension der Neuveröffentlichung der Tagebücher von Alfred Rosenberg (1893-1946) (Wiki) (1), die wir am 20. September 2015 eingestellt hatten, ist inzwischen schon von 32 Nutzern als "hilfreich" gekennzeichnet worden.



Abb. 1: Rosenberg in Nürnberg 1946

Das möchten wir auch meinen, daß sie hilfreich ist (Amaz):

Eine Gesamteinschätzung des Inhaltes dieser Tagebücher ist sicher nicht von heute auf morgen möglich und wird auch in der Einleitung dieses Bandes erst gar nicht versucht für alle darin behandelten Themen. Deshalb möchte auch ich hier zunächst nur einige erste Rechercheeindrücke festhalten.
Die Überlieferungsgeschichte der Tagebücher von Alfred Rosenberg ist eine auffällige (S. 29ff). Auszüge derselben wurden schon während der Nürnberger Prozesse zugänglich gemacht. Der Hauptteil der Rosenberg'schen Tagebücher kam dann aber - unzulässigerweise - für lange Jahrzehnte in den Privatbesitz (!) des Anklägers Robert Kempner und blieb deshalb bis zum Jahr 2015 unveröffentlicht. Nur gut belesenen Fachleuten war bekannt, dass Kempner schon 1948 Auszüge aus diesem Tagebuch veröffentlicht hatte. Diese zum Verständnis der geistigen Entwicklungen im Dritten Reich sicher nicht unwichtige Veröffentlichung aus dem Jahr 1948 ist noch heute - zum Beispiel - nicht auf dem Wikipedia-Artikel zu Alfred Rosenberg verzeichnet.
Und selbst in der Veröffentlichung des Rosenberg-Tagebuches aus dem Frühjahr dieses Jahres fehlen nach Einschätzung der Herausgeber immer noch wichtige Bestandteile dieses Tagebuches. Nämlich Einträge zwischen Herbst 1941 und erster Hälfte 1942. Und auffallender Weise ist dies genau jener Zeitraum, in dem nach der heutigen wissenschaftlichen Meinung innerhalb der deutschen Führungsspitze der Plan zur Ausrottung der europäischen Juden konkrete Gestalt angenommen hat. Welche Stellungnahmen und Hinweise es gibt in Bezug auf Alfred Rosenbergs Sichtweise auf die Judenmorde und bezüglich seiner Verantwortung wird in der Einleitung sehr detailliert erörtert (S. 40-116), allerdings kann sich auch diese Darstellung an den entscheidenden Stellen nicht auf Tagebuch-Einträge stützen.
Die sicher nicht ganz unbedeutsame Kritik Rosenbergs an der Politik seines kulturpolitischen Rivalen und erklärten Gegners Josef Goebbels oder auch an der Politik des Gauleiters Erich Koch in der Ukraine ist schon in diesen Tagebuch-Blättern ähnlich durchgängig enthalten wie er sie dann auch 1946 in seinen Nürnberger Aufzeichnungen formulierte. In ihnen wird Goebbels interessanterweise auch als verantwortlich erklärt für die Reichskristallnacht des Jahres 1938. Und indem man diesem Umstand hinterher recherchiert, findet man, dass sich das Stichwort "Reichskristallnacht" in der Rosenberg-Biographie von Ernst Pieper vier mal findet. Nirgendwo aber wird in dieser erörtert, dass Rosenberg die Reichskristallnacht laut des schon 1956 veröffentlichten Tagebucheintrages ABGELEHNT hat. - Hallo?!?!Da ein Zitat dieses Tagebuch-Eintrages und damit eine Erörterung seines Inhaltes derzeit offenbar auch sonst nirgendwo im Internet oder auf "Google Bücher" zu finden ist, soll es hier einmal gebracht werden. Rosenberg gibt ein Gespräch mit Heinrich Himmler über Josef Goebbels wieder, das wahrscheinlich im Dezember 1938 stattgefunden hat, und über das Rosenberg anfangs schreibt (S. 266f):
"Zunächst erzählte er (Himmler) die ganze Angelegenheit von Fritsch und von Blomberg und machte sein persönliches Unbeteiligtsein klar." (Okay, das "Unbeteiligtsein" von Himmlers Gestapo soll auch in dem Gestapo-Weisswaschbuch "Der Sturz der Generäle" von Fritz Tobias und Karl-Heinz Janßen dargelegt werden, das allerdings auffällig viele ehemalige Gestapoleute sehr unkritisch als Informanten aufführt ohne zu erörtern, ob diese nicht auch ein Interesse daran gehabt haben könnten, vor der Öffentlichkeit für den Sturz der kriegsunwilligen Generäle nicht verantwortlich gewesen zu sein.) So "unbeteiligt" braucht man Himmlers Gestapo an diesem Geschehen ganz bestimmt nicht ansehen. Aber weiter gibt Rosenberg dann das Gespräch unter anderem folgendermaßen wieder:
"Ich: Die Sache mit dem Judenprogrom war doch ebenso staatsschädigend. Dr. Goebbels hat nur auf Grund einer allgemeinen Anordnung des Führers gleichsam in seinem Namen die Aktion geboten. Görings Gegenbefehl kam zu spät. Schaden an Volksgut: fast 2 Winterhilfswerke: 600 Millionen!

Himmler: Ja; alles wird jetzt auf andere geschoben.
Ich: Für alles das, was Goebbels macht, müssen wir bezahlen. Es ist furchtbar."
Ich traue mir so aus dem Handgelenk nicht den Versuch einer weitergehenden kritischen Bewertung und Einordnung dieses Zitates zu. Ich finde es nur auffällig, dass dasselbe, das doch irgendwie auch entlastend für Rosenberg ist, offenbar nirgendwo in der Literatur auch nur erwähnt zu sein scheint (auch nicht in der Einleitung dieses Bandes!). Und mir drängt sich da der dumpfe Verdacht auf, dass man bei genauer Lektüre dieser Tagebücher noch allerhand ähnlicher solcher Dinge finden würde. In der Einleitung werden entlastende Tagebucheinträge Rosenbergs genannt zur schlechten Behandlung der russischen Kriegsgefangenen durch Deutschland. Ausgerechnet die Seitenangaben zu diesen Einträgen scheinen dann aber nicht zu stimmen, denn auf diesen findet sich dieses Thema dann gar nicht behandelt.
Dies nur erste wenige Leseeindrücke. Insgesamt muss sich die Wissenschaft doch allmählich einmal fragen: Welchem Zweck dient ein solches Jahrzehnte langes Verschlossenhalten von Geschichtsdokumenten wie der Gesamtheit der Tagebücher von Alfred Rosenberg, von dem IMMER noch wichtige Teile nicht bekannt sind?

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  1. Jürgen Matthäus, Frank Bajohr (Herausgeber): Alfred Rosenberg - Die Tagebücher von 1934 bis 1944 (Die Zeit des Nationalsozialismus. "Schwarze Reihe".) 23 April 2015

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