Seit der Jahrhundertwende bewegte sich die Schauspielerin Tilla Durieux (1880-1971) (Wiki) in den führenden Künstlerkreisen Berlins. Dadurch wurde sie selbst zu einer der ausdruckstärksten Schauspielerinnen des 20. Jahrhunderts.
Abb. 1: Tilla Durieux als Kleopatra, gemalt von Max Slevogt |
Sie ist aus dem deutschen Kulturleben des ersten Viertels des 20. Jahrhunderts nicht hinweg zu denken. Sie ist die meistporträtierte Frau dieser Epoche. Von fast allen namhaften Künstlern dieser Zeit gibt es Porträts von ihr.
In diesen Jahren war sie mit dem kulturell sehr fortschrittlich gesinnten, unkonventionellen Berliner Kunsthändler Paul Cassirer (1871-1926) (Wiki) liiert und später verheiratet. Dieser hat, wie sie sagt, maßgeblichen Einfluß auf die Formung ihrer Künstler-, bzw. Schauspieler-Begabung genommen. Man möchte meinen, daß er ihr den Mut gab, ausreichend exzentrisch zu sein, um alles zum Ausdruck zu bringen, was in ihr war. Außerdem wird ihr ihre jugendliche Begeisterungsfähigkeit dabei zu Hilfe gekommen sein.
Man gewinnt - insbesondere über Fotografien und Gemälde - den Eindruck, als ob Tilla Durieux nach dem Selbstmord ihres ersten Ehemannes Paul Cassirer im Jahr 1925 nicht mehr so lebendig und eindrucksvoll als Schauspielerin wirkte wie sie das bis dahin getan hatte, daß sie ihre Rollen nun nicht mehr so exzentrisch und überschwänglich anlegte. Daran insbesondere mag der große Einfluß ihres Ehemannes Paul Cassirer erkennbar sein.
Paul Cassirer war ein emotional keineswegs ausgeglichener Mensch. Womöglich war er ähnlich emotional unausgeglichen wie die französischen, expressionistischen Maler, die er verehrte, und denen er Geltung im deutschen Sprachraum und darüber hinaus zu verschaffen versuchte: wie Vincent van Gogh, wie Gaugin und wie viele andere. Paul Cassirer hat mehrmals versucht, sich das Leben zu nehmen, 1925 gelang es ihm.
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Abb. 2: "Die Cassirers - Streiter für den Impressionismus" - Buch aus dem Jahr 1991 |
Als Tilla Durieux sich wegen seines Fremdgehens, das er sich über all die Jahre nicht hat abgewöhnen können, schließlich zur Scheidung durchgerungen hatte, schützte Paul Cassirer kurz vor dem Unterzeichnen des Scheidungsvertrages Unwohlsein vor. Er ging in das Nebenzimmer und schoß auf sich. Diesmal war die Kugel tödlich, wenn er auch erst einige Tage später starb. Auch dieses Handeln kann wohl nur aus der ganzen exzentrischen Lebenshaltung heraus erklärt werden, aus der heraus Paul Cassirer handelte und lebte. Tilla Durieux schreibt über ihn (1, S. 74):
Ich verdanke Paul Cassirer die schönsten und die bittersten Stunden, meine geistige Entwicklung, meine wachsenden Erfolge an der Bühne, eine unendliche innere Bereicherung, aber auch den tiefsten Kummer. Meine Augen haben durch ihn die Herrlichkeit der Welt gesehen, aber auch die verzweifeltsten Tränen geweint.
Über das erste Zusammentreffen mit Paul Cassirer während einer Abendgesellschaft erzählt sie (1, S. 78):
Jetzt entwickelte sich ein Gespräch, wie ich es noch nie gehört. (...) Paul Cassirer ließ wahre Kaskaden von Behauptungen und Gegenbehauptungen über uns sprühen. Wie eine Fontäne sprudelte das Gespräch in die Höhe witziger Bemerkungen und glitt wieder auf den Grund tiefen Wissens zurück, um sich wieder zu den kühnsten und gewagtesten Folgerungen zu erheben. Ich glaube, ich saß wie ein Kind vom Lande mit offenem Munde da, um kein Wort zu verlieren. Das war, ja, das war die Welt, von der ich immer schon geträumt hatte, daß sie irgendwo verborgen sei! Glänzend, heiter, witzig, jeden Augenblick einen anderen Blickpunkt erschließend, Wahrheit-Dichtung-Lüge, die im nächsten Augenblick Wirklichkeit sein konnte, Scharaden-Märchen-TausendundeineNacht.
Über die Zeit des ersten Zusammenseins mit Paul Cassirer schreibt sie (1, S. 87f):
Meine Erlebnisse hatte mich reifer werden lassen. (...) Nicht jeder hat den gleichen Weg zu gehen, nicht jeder die gleiche Art, die Wahrheit zu verkünden, aber, ob es ein Musiker, ein Dichter, ein Schauspieler sei, nach wenigen Worten erkennt der Bruder den Bruder.
Was für schöne Worte!
Abb. 3: Tilla Durieux als Herodias in Salome |
Und sie schreibt (1, S. 89):
In Haarlem im Rathaus (heute im Hl. Geistspital) aber war es, wo ich bis in Innnerste erschrak vor den letzten Bildern, die der verschollen gewesene Frans Hals als alter armer Mann gemalt hatte. (...) Vor diesen Bildern war es auch, wo Paul mir klar machte, daß mein Leben ein einziges Streben sein müsse, zu lernen, soviel ich nur immer konnte.
Und sie schreibt (1, S. 92):
Eines Tages legte Paul Cassirer Goethes Gedichte vor mich hin und forderte mich auf, seine Lieblingsgedichte zu lesen. Er hielt mir einen langen Vortrag, daß eine Schauspielerin verpflichtet sei, nicht nur ihre Rollen zu lernen, sondern auch die deutsche Literatur zu kennen, deren Sprachrohr sie doch sein wolle. Sie habe in die Schönheit der Sprache einzudringen, und wo könne sie dies besser als im Gedicht. Nie würde einem Menschen sich das Geheimnis des Klanges und des Rhythmus entschleiern, wenn er nicht unablässig im Reim danach suchen. (...) "Nur unsere Lyriker können uns den Weg zeigen. Auf ihren Spuren mußt du gehen (...), dann wird eines Tages etwas in dir zu schwingen anfangen, und die Menschen werden plötzlich aufhorchen und sagen: 'Die deutsche Sprache ist doch schön.' "
Der wesentliche Umstand, der die seelische Nähe zwischen Paul Cassirer und Tilla Durieux hervor brachte, war, daß Paul Cassirer selbst ein großer Schauspieler war.
Durieux meint, daß sie in den letzten Jahren ihrer Ehe künstlerisch selbstständiger geworden sei und sich dabei weiter entwickelt habe, ohne daß das Paul Cassirer mitbekommen habe. Wir aber möchten nicht ausschließen, daß sie sich bei diesem Urteil bis an ihr Lebensende einer Selbsttäuschung hingegeben haben könnte.
Interessant ist aber in jedem Fall auch, wie sie in ihren Lebenserinnerungen für das Jahr 1903 ihre "Mitkonkurrentin", die Berliner Schauspielerin Irene Triesch (1875-1964) (Wiki) kennzeichnet. Und sie kennzeichnet damit zugleich die Lebenshaltung einer ganzen Generation und zugleich den kulturellen Aufbruch, den Tilla Durieux selbst in der Folgezeit verkörperte.
Abb. 4: Als "Anitra" in "Peer Gynt" |
Tilla Durieux spricht von dem Leiter des Berliner Lessingtheaters Otto Brahm (1, S. 69):
Seine Hauptdarstellerin Irene Triesch, die ungefähr die Rollen spielte, die auch ich erstrebte, war, wie die Eysoldt, ganz in der Gedankenwelt der Jahrhundertwende geblieben. Um 1900 wußte die Frau nichts von Sport, Wasser und Sonne, sie saß am liebsten elegisch und müde im sorgfältig verdunkelten Zimmer, das mit schweren Vorhängen Licht und Luft ausschloß. Vom Manne unverstanden und gelangweilt von der Umwelt hütete sie sich vor jedem Sonnenstrahl. Ein gebräunter Körper war eine Unmöglichkeit. Von morgens bis abends beschäftigte sie sich mit seelischen Qualen, die sie abends beim Souper zwischen Braten und Käse dann mit dem Tischherrn zerpflückte. Diese Art Frauen verkörperte die Triesch, und sie traf es ausgezeichnet. Als ich sie zum erstenmal in einer Ibsen-Rolle sah, fand ich diese Auffassung so fremd, daß alles in mir revoltierte. Dieses tränenreiche Stammeln und weichliche Jammern waren mir in tiefste Seele verhaßt, obwohl ich zugeben mußte, daß ich eine große Leistung sah. Ich wußte, ich würde jede dieser Rollen anders anpacken, denn dieses Hingeben ohne Abwehr, diese Trauer der schwachen Untätigen erschien mir verächtlich. Ich fühlte genau, daß ich mit dieser Ansicht allein stand. Ich konnte mir auch gar nicht genau darüber klar werden, was ich eigentlich wollte. Das Leben mußte mir erst Gelegenheit geben, einen bitteren Kampf zu kämpfen, und der Mann mußte erst erscheinen, der mir den Weg zeigte, wie man seine Gedanken in Kunst umsetzt.
Und dieser Mann war dann Paul Cassirer. Auffälliger Weise fallen diese Eindrücke in dieselben Jahre, in denen in Berlin-Steglitz der Wandervogel gegründet worden ist (1901).
Über das Gemälde von Max Slevogt aus dem Jahr 1907, wiedergegeben in Abbildung 1, wurde 2023 unter dem Titel "Männermordende Erotik" geschrieben (TAZ2023):
Max Slevogt malte sie 1907 in aufgewühlten Farben als „Kleopatra“, lasziv auf Tigerfellen lümmelnd, die Lippen aufgeworfen, schimmernd das Kleid, die Finger exaltiert gespreizt, der Busen blaß aus dem Dekolleté leuchtend. (...) Der Bildhauer August Gaul, mit dem sie in Berlin befreundet war, setzte die Durieux hingegen als nackte Circe in einer kleinen Skulptur auf ein Schwein, ein Scherz mit dem Mythos der griechischen Zauberin Circe, die Männer in Schweine verwandeln konnte.
Tilla Durieux war über ihren Ehemann Paul Cassirer mit Ernst Toller befreundet und dem Kreis um ihn.
1919 - Räterepublik in München
Aus diesem Kreis gingen 1919 führende Persönlichkeiten der Räterepublik in München hervor. Aufgrund dieser Umstände war sie 1919 Zeitzeuge des Geißelmordes in München (Wiki).
Ernst Toller, Erich Mühsam, Gustav Landauer, Eugen Leviné, Max Levien und Tobias Akselrod werden in ihren Lebenserinnerungen erwähnt.
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Abb. 5: Tilla Durieux als Salome |
Wir lesen auf Wikipedia, daß der Geiselmord eine bewußte Provokation führender Angehöriger der Räterepublik gewesen sein könnte (Wiki):
Die Zustände im ehemaligen Gymnasium müssen sehr chaotisch gewesen sein. In der ersten Tagen der Besetzung wurde alles Habbare geplündert und gestohlen. Es fehlten klare militärische Befehlsstrukturen und militärische Autorität. Im Gymnasium befanden sich etwa 750-800 Personen, von denen aber die wenigsten regulären Dienst in der Roten Armee taten. So faßten am 20. April 750 Personen Mittagessen, obwohl der Etat nur 330 aufwies. Zum Abendappell traten dann nur 30 Mann an. (...) Der Gründer der Thule-Gesellschaft Rudolf von Sebottendorf vermutete, daß es der Plan der nun entmachteten kommunistischen Führer Levien und Leviné gewesen ist, die angespannte Situation der Bedrohung der Räterepublik durch Reichswehr und Freikorps zum Eskalieren zu bringen, um Verhandlungen zu verhindern. Dazu mußten die roten Verbände zum Kampf gezwungen werden, indem man den Gegner zum Angriff provozierte.
Wenn das stimmen sollte, wäre der Geiselmord ja sogar ein doppeltes Verbrechen gewesen, nämlich eines, was nur dazu hatte dienen sollen, das Blutvergießen im Bürgerkrieg noch zu vergrößern.
1922 - "Die Enttäuschten" in Berlin
1922 reiste der Frankfurter Maler Max Beckmann von Frankfurt am Main aus nach Berlin. Er fertigte dort die Kunstmappe "Berliner Reise" an. Darin findet sich die Zeichnung "Die Enttäuschten I", eine Zeichnung, in der eine aufgeblätterte "Kreuz-Zeitung" andeuten soll, daß es sich um die Enttäuschung der Konservativen und Monarchisten nach dem Kapp-Putsch von 1922 handelt. In der Zeichung "Die Enttschäuschten II" sind dann aber offenbar Tilla Durieux und andere dargestellt, die hinwiederum enttäuscht sind vom Sturz der Räterepublik in München. Wir lesen über diese Zeichnung (Staatsgalerie):
In "Die Enttäuschten II" erscheinen gelangweilte und gähnende Intellektuelle. Beckmann porträtiert hier rechts den Kunsthändler Paul Cassirer, sowie dessen Gattin, die Schauspielerin Tilla Durieux, im Hintergrund erscheint Max Slevogt, ein enger Freund der beiden. Der Gähnende links ist Leo Kestenberg, Redakteur der Zeitschrift "Der Bildermann". Der Verweis auf die am 15.1.1919 ermordeten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg erfolgt auf den Büchern und Flugschriften, wobei die bewußte Falschschreibung von "[ROS]A LUXENBURG" und "MARKS WERKE" irritiert.
Leo Kestenberg hatte damals einen leitenden Posten im Preußischen Bildungsministerium inne.
Abb. 6: Tilla Durieux in der "Großen Liebe" von Heinrich Mann, Lessingtheater, Berlin |
Tilla Durieux ist dann mit ihren zweiten Ehemann, der ebenfalls jüdischer Herkunft war, nach Jugoslawien emigriert.
1941 - In Belgrad während des deutschen Luftangriffs
Sie wollte mit ihm in weitere Länder emigrieren und fuhr deshalb nach Belgrad, wo sie am 6. April 1941 den Angriff der deutschen Wehrmacht auf Jugoslawien erlebte und selbst in den Bombenhagel über Belgrad geriet. Auch in den Folgewochen geriet sie zwischen die Kampffronten und konnte nur unter großen Mühen nach Triest zurück kehren. All diese Schicksale haben weder etwas mit ihrem Künstlertum, noch mit ihrer Schauspielerkarriere zu tun.
Sie hat dann lange Zeit in verarmten Verhältnissen gelebt und hat nach 1945 nur noch sporadisch im deutschen Theaterleben wieder Fuß fassen können.
Abb. 7: Tilla Durieux in der "Großen Liebe" von Heinrich Mann, Lessingtheater, Berlin |
Dieser Beitrag kann ggfs. nach und nach noch mit weiteren Ausführungen ergänzt werden.
Abb. 8: Tilla Durieux - Zeichnung von Emil Orlik aus dem Jahr 1909 |
Der Kunstsalon von Paul Cassirer befand sich in Berlin in der Viktoriastraße 35.
Abb. 9: Tilla Durieux als "Delila" in dem Stück "Simson" von Frank Wedekind, 1914 |
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Abb. 10: Tilla Durieux als "Delila" in dem Stück "Simson" von Frank Wedekind, 1914 |
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Abb. 11: Tilla Durieux als "Delila" in dem Stück "Simson" von Frank Wedekind, 1914 |
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Abb. 12: Tilla Durieux als Kleopatra, gemalt von Max Slevogt |
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Abb. 13: Tilla Durieux als Prinzessin Eboli in "Don Carlos" von Fr. Schiller |
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Abb. 14: Tilla Durieux als Judith |
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Abb. 15: Der erste Ehemann der Tilla Durieux |
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Abb. 17: Die Schauspielerin einer vorhergehenden Generation: Irene Triesch als "Nora" |
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- Durieux, Tilla: Meine ersten neunzig Jahre. Erinnerungen. Herbig, München 1971
- Tilla Durieux. Eine Jahrhundertzeugin und ihre Rollen. Ausstellung im Leopoldmuseum in Wien 2022/23 (s. Leopold), im Georg Kolbe Museum in Berlin 2023 (Yt)
- Brühl, Georg: Die Cassirers. Streiter für den Impressionismus. Edition Leipzig, Leipzig 1991
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