Der isländische Humangenetiker Kári Stefánsson über die Art, wie deutsche Journalisten Forschungsergebnisse aus der Humangenetik behandeln
Henryk M. Broder hat das Interview geführt, aus dem im folgenden zitiert werden soll. Aber das tut nicht viel zur Sache. Für Herrn Broder war dieses Interview natürlich eine Sternstunde seiner Journalisten-Laufbahn. Darüber wollen wir uns keinem Zweifel hingeben. - - - Aber der interviewte isländische Humangenetiker Kári Stefánsson. Er ist Nachfahre isländischer Wikinger. Und war er in diesem Interview sagt, dem könnte man fast klassische Größe zusprechen. Nicht nur im Hinblick auf unseren Goethe und dessen Götz von Berlichingen. Es hat streckenweise sogar die klassische Größe unseres Friedrich Hölderlin:
"In Deutschland gibt es ebenso viele Islandponys wie in Island ..." |
Insbesondere das Urteil des Stefánsson über den allseits beliebten Berufsstand der Journalisten in Deutschland ist - nun, einfach nur: vernichtend. Wir können sein Urteil leider nicht korrigieren, wünschten aber, er könnte sich auf unseren Blogs ein wenig ausruhen, wo wir auch die Arbeiten seines Institutes schon häufig und durch und durch positiv gewürdigt haben (z.B.: 10/07, 08/08, 09/08) (auch noch oft nach 2011). So wie es in der Zeitung steht, soll das Interview mit ihm im folgenden gebracht werden. Solche Wahrheiten sind auch Deutschen wohl zumutbar. Auch dann, wenn sie aus dem abgelegenen Land der Islandponys kommen (Welt, 23.10.11):
Henryk M. Broder: Man hört, Sie können deutsche Journalisten nicht ausstehen. Warum ist Ihnen unsere Truppe so unsympathisch?
Kári Stefánsson: Das liegt einfach daran, daß sie offensichtlich andere Anstandsregeln haben als die Journalisten im Rest der Welt. Deutsche Journalisten verstellen sich. Sie haben keine Skrupel zu täuschen und zu verschleiern, auf was sie in Wahrheit hinauswollen. Wenn Sie mit einem angelsächsischen oder einem skandinavischen Journalisten sprechen, wird er Ihnen immer klar sagen, was er wissen will, worauf er hinauswill, was der Fokus seiner Geschichte ist. Deutsche Journalisten sind leider in kultureller Hinsicht ignorant. Ich erinnere mich an einen Artikel, den einer Ihrer Kollegen über Island geschrieben hat. Er trug den Titel „Peepshow im Land der Wikinger“. Wo aber war die Peepshow? Die Leidenschaft der Isländer in Sachen Genealogie wurde kurzerhand dazu gemacht. Island führt einen Stammbaum der ganzen Nation - dies wurde als Peepshow abqualifiziert. Aus der Tatsache, daß unsere Nation es in Ordnung findet, zu wissen, wer mit wem verwandt ist, wurde eine exhibitionistische Zurschaustellung gemacht. In meiner Erfahrung mit deutschen Journalisten gab es leider keine einzige Ausnahme. Ich habe mit Journalisten aller großen deutschen Tageszeitungen und fast aller Fernsehsender gesprochen. Und wirklich jeder einzelne von ihnen verhielt sich gleich.
Broder: Sie wissen wenig und wissen dabei alles besser?
Stefánsson: Ich will mir kein Urteil über das Fachwissen deutscher Journalisten erlauben. Ich möchte nur sagen, daß sie alle ohne Ausnahme A- - - („pieces of shit“) sind. Vielleicht sind sie sehr gebildete A- - -, aber das ist mir gleich.
Broder: Und Ihnen ist noch nie jemand begegnet ...
Stefánsson: Ich habe noch keinen anständigen deutschen Journalisten kennengelernt! Das ist wirklich seltsam ...
Broder: Könnte das etwas mit dem deutschen Nationalcharakter zu tun haben?
Stefánsson: Es ist eigenartig. Wenn Sie die deutsche Kultur betrachten - wir haben ihr so viel zu verdanken. Wir haben ihr unsere Weltanschauung zu verdanken. Wenn wir die erste Hälfte des vergangenen Jahrhunderts betrachten - da gab es diese ungeheure Kreativität in den Wissenschaften. Im Grunde haben die Deutschen unser heutiges Weltbild erschaffen. Ihnen haben wir einen großen Teil der musikalischen Werke zu verdanken und einiges an guter Literatur. Deutschland hat viel Gutes hervorgebracht. Natürlich gab es auch einige weniger glückliche, von Arroganz und Selbstgerechtigkeit geprägte Beiträge zu unserer Kultur, einige Weltkriege zum Beispiel. Heute gibt es viel Positives in Deutschland. Die Kunstszene in Berlin. Berlin ist die Kunsthauptstadt der Welt geworden und hat damit New York und London abgelöst. Ihr seid also nicht ohne Vorzüge. Obwohl mir die Welt ohne euch besser gefallen würde.
Broder: Na toll. Gibt es noch was Gutes über die Deutschen zu sagen?
Stefánsson: Die Deutschen haben sehr viel isländische Literatur übersetzt. Sie sind sehr angetan von unserer Literatur. Und in Deutschland gibt es ebenso viele Islandponys wie in Island. Vielleicht sogar mehr. Wenn man sich eine Nation wie die Deutschen ansieht - eine sehr gebildete Nation relativ kluger Menschen -, so lebt sie immer noch im Schatten des Zweiten Weltkrieges. Deshalb ist jeder so bemüht, sich politisch korrekt zu verhalten. Deswegen wirkt das Verhalten der Deutschen in vielerlei Hinsicht so unnatürlich. Sie sind katholischer als der Papst und ziemlich verklemmt. Adolf hat sie immer noch fest im Griff.
Broder: Hat diese Einstellung auch einen Einfluß auf die Wissenschaft?
Stefánsson: Eigentlich hat die Wissenschaft in Deutschland ihre Krise überwunden. Lange Zeit konnte gerade in meiner Disziplin, der Genetik, nicht gearbeitet werden, weil Genetik ein Schimpfwort war. Jahrelang haben die Deutschen Ethikkonferenzen abgehalten, die einzig und allein dazu dienten, mich einzuladen und dann mit faulen Eiern zu bewerfen. Das ist eigentlich merkwürdig, weil Humangenetik im Prinzip eine rein deskriptive Disziplin ist. Man verändert nichts, man beschreibt nur, wie der Mensch aufgebaut ist - basierend auf den Informationen, die im Genom enthalten sind.
Broder: Manche nennen Sie den Einstein des 21. Jahrhunderts. Andere behaupten, Sie wären Frankenstein. Wie sehen Sie sich selbst?
Stefánsson: Das meiste davon hat nichts mit mir zu tun. Es hat mit den Kontroversen um das Thema Genetik zu tun. Während man vor 14, 15 Jahren darüber stritt, ob man Populationsgenetik betreiben soll, haben wir einfach begonnen, auf diesem Gebiet zu forschen. Ich habe vorgeschlagen, Populationsgenetik in einer Großstudie zu erforschen. Das hat vorher außer uns noch keiner getan und seither auch nicht.
Broder: Niemand tritt in Ihre Fußstapfen?
Stefánsson: Jetzt versuchen es viele - auf der ganzen Welt versuchen sie zu reproduzieren, was wir hier geleistet haben. Aber als ich das Projekt vorschlug, hielten es die Leute für eine Zukunftsvision von George Orwell. Man befürchtete, daß Menschen ausgebeutet würden, daß Menschen damit geschadet werden könnte, daß wir die Privatsphäre von Menschen ausspionieren und sie ausnutzen würden. Nichts davon hat sich in den letzten 15 Jahren bewahrheitet.
Broder: Wie sieht es mit Designer-Babys aus?
Stefánsson: Das ist ein extrem kompliziertes Thema, weil es hier um Selektion geht. Es geht um die Frage, ob es richtig ist, eine Meinung darüber zu haben, wie Menschen zu sein oder nicht zu sein haben. Der Gedanke, Erkenntnisse aus der Genforschung zur Verbesserung von Menschen einzusetzen, beunruhigt uns. Der Begriff der Eugenik wurde von Galton geprägt, der ein Schüler Darwins war. Dann kam Herr Adolf daher und veränderte die Art und Weise, wie man diesen Begriff betrachtete. Ich finde die „Zucht“ von Menschen geschmacklos. Und ich denke, daß es biologische Gründe dafür gibt, keine an die heutige Welt hervorragend angepasste Herrenrasse zu züchten. Einmal angenommen, wir würden den perfekten Menschen definieren ...
Broder: ... einen Allzweckmenschen, in Einheitsgröße ...
Stefánsson: Ja, das gab es schon. Es ist klar, daß man den perfekten Menschen über die Umwelt, wie sie heute ist, definieren würde. Ein Mensch, der in der heutigen Umwelt funktionieren und überleben könnte. Und dann würde es so einen Vulkanausbruch geben, der alles verändert. Wenn alle Menschen gleich wären, dann wären wir schlecht auf die nächste Katastrophe vorbereitet. Der beste Weg, uns Menschen, unsere Spezies, auf das Überleben der nächsten Katastrophe vorzubereiten, ist, uns auf dem Globus zu verteilen. Uns so vielen verschiedenen Umweltbedingungen wie möglich auszusetzen. Der perfekte Mensch würde eine unglaublich langweilige Welt hervorbringen.
Broder: Glauben Sie an Gott?
Stefánsson: An Gott zu glauben ist keine Lösung für mich. Wenn ich durch den Glauben an Gott eine Antwort auf die Frage nach dem Ursprung hätte - das wäre natürlich sehr praktisch. Die Frage, wie alles anfing, ist ein erkenntnistheoretischer Albtraum. Wir können uns nicht vorstellen, wie aus Nichts etwas werden konnte. Deshalb ziehe ich es vor, im Rahmen meiner Arbeit das Leben zu erforschen, nachdem es entstanden ist, und nicht zu untersuchen, was geschehen ist, bevor Leben entstand oder, wenn Sie an Gott glauben, bevor es erschaffen wurde.
Broder: Warum sind Sie nach Island zurückgekehrt, nachdem Sie lange in den USA gearbeitet und geforscht haben?
Stefánsson: Meine Familie lebt seit 1100 Jahren hier. Und meine Familie ist einigermaßen gut an diesen Ort angepaßt. Das bedeutet nicht unbedingt, daß ich diesen Ort liebe. Ich gehöre einfach hierher. Ich könnte Ihnen lang und breit erklären, was mir an Island alles mißfällt. Dies ist eine popelige, kleine Nation.
Broder: Auch nicht popeliger als größere Nationen.
Stefánsson: Durch die Nähe zueinander kann man sich schlecht verstecken. Es ist schwer, über gewisse Dinge hinwegzusehen, wenn man so dicht beieinander lebt.
Sich auf dem Boden wälzen ...*) |
Trotzdem. Für diese so notwendigen Worte, die auch fast an die gesamte deutsche Wissenschaftsblogszene gerichtet empfunden werden könnten: Dank nach Island. Offene Worte sind manchmal befreiend.**)
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*) ... müssen sich auch Islandponys manchmal. Um sich danach wieder - einigermaßen - sauber und pudelwohl fühlen zu können.
**) Wohlgemerkt, das ist im Jahr 2011 geschrieben worden, aus einem ganz anderen Zeitgeist heraus als er heute vorherrschend ist, seitdem das Schlagwort von der "Lügenpresse" und ähnliche Dinge weite Bahnen gezogen haben.