Samstag, 10. Oktober 2009

GfbV fordert: Putin nach Den Haag!

Über die Verhältnisse in Tschetschenien und in Rußland kann man sich selbst und die westliche Welt nicht genug aufklären. Die "Gesellschaft für bedrohte Völker" leistet diese Aufklärungsarbeit, die nichts als selbstverständlich zu sein hat für jeden westlichen Journalisten, seit Jahrzehnten. (Siehe auch neuen --> Blog.)

Schon vor drei Jahren, im April 2005 - ist das so lange her? -, fragte die GfbV Wladimir Putin bei seinem Hannover-Besuch auf einem großen Plakat: "200.000 Tote - wo bleibt die Reue für Tschetschenien, Herr Putin?" (GfbV) Und sie erläuterte dazu (Hervorhebungen nicht im Original):
"Es ist empörend und beschämend, dass sich Putin an der Seite seines Freundes Schröder in aller Öffentlichkeit vor den Opfern des Nationalsozialismus verneigen darf, ohne für seinen eigenen Vernichtungsfeldzug gegen das kleine tschetschenische Volk zur Rechenschaft gezogen zu werden. Deshalb fordert unsere Menschenrechtsorganisation: Putin nach Den Haag! Völkermord und Vertreibung bestrafen!"

Dem Bundeskanzler Gerhard Schröder wirft die GfbV Mitverantwortung für den Genozid in Tschetschenien vor. "Durch die Zusammenarbeit der deutschen und russischen Armee, der beiden Geheimdienste und vor allem dadurch, dass Schröder immer wieder Verständnis für Putins Vorgehen gezeigt und ihn sogar als "lupenreinen Demokraten" bezeichnet hat, hat der Bundeskanzler die russische Kriegspolitik unterstützt - trotz der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Tschetschenien: Massentötungen, Massenvergewaltigungen und Vertreibungen, systematische Verfolgung der Intelligenz, Liquidierung von Menschenrechtlern, Bombardements von Flüchtlingstrecks, Krankenhäusern, Ambulanzen, Kindergärten, Schulen und Moscheen", kritisiert Tilman Zülch.

"Wir warnen dringend davor, den durch massive Wahlfälschung unter den Bajonetten Moskaus im August 2004 an die Macht gelangten tschetschenischen Präsidenten Alu Alchanow oder seinen Vizepräsidenten, den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Ramzan Kadyrow, zu unterstützen", warnt der Menschenrechtler. "Sie sind seit 2004 für 75 Prozent der schweren Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien verantwortlich, die sie im Interesse der russischen Besatzungsmacht begehen. Die tschetschenische Zivilbevölkerung habe inzwischen mehr Angst vor der so genannten Leibgarde Kadyrows als vor den russischen Truppen.

Alchanow hatte angekündigt, den russischen Präsidenten gemeinsam mit Kadyrow nach Deutschland zu begleiten, um am Rande der Hannover Messe um humanitäre Hilfe zu werben. Die GfbV hatte daraufhin beim Generalbundesanwalt Strafanzeige gegen Kadyrow gestellt und ihn zu Ermittlungen aufgefordert. An Bundesinnenminister Otto Schily und den niedersächsischen Innenminister Uwe Schünemann hatte die Menschenrechtsorganisation appelliert, den mutmaßlichen Kriegsverbrecher nicht nach Deutschland einreisen zu lassen.
Warum liest und hört man von so klaren Worten so selten in der Öffentlichkeit?

Vor drei Monaten nun richtete Tilman Zülch, der als Gründer und Präsident der GfbV, so kann man sicherlich sagen, als Hoffnungsträger von weitaus mehr notleidenden Menschen in der ganzen Welt angesehen wird, als jeder deutsche Minister oder jede deutsche Ministerin, folgenden Offenen Brief an Frau Angela Merkel (GfbV):
Offener Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel
Nehmen Sie die Menschenrechtler Russlands in Schutz – Fordern Sie von Medwedew ein Ende der Mordserie und Aufklärung der Verbrechen!

Göttingen, 13. August 2009

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

für die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) bitte ich Sie dringend, bei Ihren Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew am 14 August in Sochi energisch ein Ende der Mordserie an Menschenrechtsverteidigern in Russland zu verlangen. Bitte setzen Sie so ein Zeichen auch für die Weltöffentlichkeit und nehmen Sie diese mutigen Menschen- und Bürgerrechtler in Schutz, indem Sie den russischen Präsidenten außerdem öffentlich dazu auffordern, die bisherigen Verbrechen rückhaltlos aufzuklären.

Vor knapp einem Monat war Medwedew zu Gast in Deutschland. Während seines Aufenthalts wurde am 15. Juli die mit mehreren Preisen ausgezeichnete tschetschenische Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa ermordet. Eine Woche später wurde Andrej Kulagin, ein seit zwei Monaten verschwundener Menschenrechtler aus Karelien, tot aufgefunden. Am vergangenen Montag (11. August) wurden die Menschenrechtlerin Sarema Sadulajewa und ihr Mann Alik (Umar) Dschabrailow umgebracht. Über den Tod von Sarema Sadulajewa waren wir besonders bestürzt, weil sie Mitglied in dem von unserer GfbV-Sektion Schweiz gegründeten "Tschetschenischen Zivilforum" war.

Wir übersenden Ihnen eine lange Liste mit den prominentesten Namen von in Russland ermordeten Menschenrechtlern und Journalisten. Wir befürchten, dass diese Kette der Gewaltverbrechen ununterbrochen weitergehen wird: Wenn Menschenrechtler in Russland nicht schweigen, werden Sie getötet.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, im vergangenen Juli haben Sie den russischen Präsidenten trotz dieser niederdrückenden Mordserie in seiner Politik sogar noch bestärkt, als Sie ihm sagten, Sie seien sicher, dass der Mord an Natalja Estemirowa aufgeklärt werde. Diese Äußerung hat uns schockiert. Sowohl Russlandkenner als auch Menschenrechtsverteidiger in den GUS-Staaten gehen davon aus, dass Justiz, Ermittlungsbehörden und die politisch Verantwortlichen gar kein Interesse an der Aufklärung dieser Morde haben. Die offensichtlich von der Exekutive beauftragten oder von ihr geduldeten Mörder können sich sicher fühlen, denn eine Strafverfolgung findet so gut wie nicht statt.

Unsere Namensliste ist nicht vollständig. Zu viele Journalisten wurden umgebracht, und oft machte der Tod von weniger bekannten Menschen- und Bürgerrechtlern keine Schlagzeilen oder ihre Leichen wurde bis heute nicht gefunden. Bitte legen Sie unsere Liste Herrn Medwedew vor und machen Sie ihm deutlich, dass es die Bundesregierung nicht dulden kann, dass einer ihrer Partner kritische Menschenrechtsverteidiger Verbrechern überlässt. Schon seit langem werden in Russland Menschenrechtsverteidiger entführt, schikaniert, zusammengeschlagen, gefoltert und in psychiatrische Anstalten zwangseingewiesen. Mit Anzeigen und Gerichtsverfahren wird versucht, sie zum Schweigen zu bringen

Mit freundlichen Grüßen
gez. Tilman Zülch, Präsident der GfbV International
Man hat von Reaktionen der Bundesregierung wenig gehört. Wahlkampf und Regierungsbildung sind sicherlich wichtiger. Und Geheimdienste weltweit, insbesondere auch der deutsche Bundesnachrichtendienst, können weiterhin in Rußland und Tschetschenien lernen, "wie man es macht": Wie man seine eigenen, ekelhaften Techniken auf dem Gebiet der "Stabilisierung durch Destabilisierung" (siehe Regine Igel / "Terrorjahre") noch "verfeinert". Ja, von "feinen" Damen und Herren werden Deutschland, Rußland und Tschetschenien regiert.

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