Für die Einheit von Wissenschaft, Gotterleben und Selbstbehauptung
- Dafür setzten sich Menschen schon vor 4000 Jahren in Mitteleuropa ein
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Abb. 1: Wissenschaft, das Erleben des Sternenhimmels und
Verteidigungsbereitschaft - Lebensinhalt seit 4000 Jahren |
Im Jahr 2006 wählte der Mainzer Philosoph Thomas Metzinger
in "Gehirn & Geist" (7-8/2006) als Ausgangspunkt eines sehr umfassenden und verantwortungsvollen Raisonnements:
"Nehmen wir einmal an, dass die naturalistische Wende im Menschenbild unwiderruflich ist ..." - An dieses Raisonnement von Thomas Metzinger, das auch in vielen anderen Teilen sehr wertvoll erscheint, soll im folgenden angeknüpft werden. Welchen sinnvollen anderen Ausgangspunkt sollte es ansonsten auch noch geben können? Doch nicht etwa das inzwischen völlig leblos gewordene Christentum, wie es derzeit noch von vielen hilflosen Machtinteressen gar zu künstlich und durchschaubar propagiert wird? Angesichts also der Alternativlosigkeit des naturalistischen, sprich naturwissenschaftsnahen Weltbildes von heute kommt es vor allem darauf an, den Implikationen dieser naturalistischen Wende in ihrer ganzen Breite nachzugehen und sie nach allen Richtungen hin folgerichtig zu Ende zu denken und dementsprechende Schlussfolgerungen für das gesellschaftliche und politische Handeln zu ziehen.
Oft wird gefürchtet, dass dabei die emanzipatorischen Aspekte und Potentiale des modernen Welt- und Menschenbildes auf der Strecke bleiben könnten. Deshalb könnte es von Bedeutung sein, sich gerade mit diesen Aspekten und Potentialen besonders zu beschäftigen. Denn weltgeschichtlich alte - monotheistische - Machtinteressen fördern gerne das Bramarbasieren auf diesem Gebiet, um der Sachlichkeit und Stringenz der Schlussfolgerungen aus der naturalistischen Wende ausweichen zu können.
Es wird künftig sicherlich darauf ankommen zu lernen, mit jenen Aspekten eines naturalistischen Welt- und Menschenbildes human umzugehen, die von Demagogen und Populisten auch anders interpretiert werden
könnten. (Diese Sätze wurden schon geschrieben, bevor Thilo Sarrazin in den Medien Thema wurde.) Es ist dies insbesondere die Aufgabe eines sich gegenwärtig formierenden und weiter entwickelnden naturalistischen Humanismus. - Entlang welcher Argumentationskette werden sich die angedeuteten Problemlagen lösen lassen? Es soll zu dieser Frage im folgenden ein Vorschlag gemacht werden, der natürlich nur andeuten kann und Umrisse zeichnen kann. Natürlich ist dabei sehr grundlegend anzusetzen.
1. Der "Hyperraum" der Möglichkeiten, ein Universum oder biologische Strukturen in diesem zu gestalten, ist nach menschlichen Dimensionen unbegrenzt. Es gibt auf den ersten Blick geradezu unbegrenzte Freiheitsgrade. Und doch ist nach allem, was wir inzwischen gelernt haben, der Hyperraum der Möglichkeiten, durch die in einem Universum bewusstes, menschliches, gesellschaftliches Leben ermöglicht wird, in vielerlei Hinsicht eingeschränkt. Und das gilt auf vielen Ebenen von Komplexität. Es müssen Milliarden "anderer" Universen angenommen werden, um den "Zufallstreffer" unseres Universums erklären zu können. Es müssen Millionen weiterer Planetensysteme vorausgesetzt werden, die dem unserem gleichen, um den "Zufallstreffer" unserer lebensfreundlichen Erde erklären zu können. - Oder hat das alles letztlich doch nicht nur mit Zufall zu tun? Wäre Leben genauso selbstverständlich wie Nichtleben in unserem Weltall, würden wir es sicherlich nicht als so besonders und wertvoll empfinden, als wie lebensbejahende Menschen das schon seit Jahrtausenden empfinden. Auch der Wesenszug des "Prekären", der alles eigentlich Wertvolle im menschlichen Leben umgibt, der Wesenszug des Bedrohten könnte ein Hinweis darauf sein, dass bewusstes Leben einen Grenzfall in diesem Weltall darstellt. Ebenso wie die Existenz des Weltalls überhaupt einen außerordentlichen "Grenzfall" darstellen könnte. Vielleicht kommt dieser Umstand der Natur des Metaphysischen in dieser Welt am nächsten.
2. Bewusstes Leben hat Bedeutung im Gesamtzusammenhang der Dinge. Die Datenlage könnte also nahelegen, dass bewusstes menschliches Leben nicht gerade geringe Bedeutung hat in diesem Universum. Diese Schlussfolgerung scheint durch die Datenlage eher nahegelegt zu werden, als das Gegenteil. Zwar bewegen wir uns hier nicht mehr im Bereich 100-prozentig naturwissenschaftlicher Aussagen, aber im Bereich philosophischer Aussagen, die am wenigsten von allen möglichen der naturwissenschaftlichen Datenlage zu widersprechen scheinen. Es handelt sich jedenfalls um hundert Prozent naturalistische Aussagen.
3. Und überraschenderweise haben nun Menschen, die ihrem Leben übergeordnete Bedeutung, Sinn zusprechen, also religiöse Menschen - zumindest in arbeitsteilig komplexen Gesellschaften - tatsächlich weltweit mehr Kinder, also größeren Fortpflanzungserfolg als Atheisten. Sie leben also implizit eine größere genetisch-demographische Selbstbejahung. Religiöse menschliche Gruppierungen sind langfristig auch stabiler als nichtreligiöse. Und menschliche Religiosität, bzw. kulturell-religiös-philosophische Grundhaltungen sind zudem nachweisbar tief verflochten mit der Verhaltens- und Intelligenz-Genetik des Menschen (man vgl. etwa die Häufung des Serotonin-Transporter-Gens oder eines ADHS-Gens in Ostasien und die dortige damit korrelierende Gestaltung von Kunst, Kultur, Religion und Philosophie). Im schlichten evolutionären Zusammenhang - und das ist eine 100 % naturwissenschaftliche, also naturalistische Aussage - bedeutet (innovationsfähige) menschliches Gotterleben (Religiosität) etwas Grundlegendes, einzigartigen menschlichen Kulturen Evolutionsstabilität Gewährleistendes.
4. Es gibt also Übereinstimmungen, Schnittmengen zwischen einer naturalistischen, metaphischen Ontologie, wie sie sich aus der heutigen Physik unserer Welt ergeben könnte, sowie der naturalistischen "Evolutionären Erkenntnistheorie" und Philosophie, die nach der evolutionären Herkunft und stammesgeschichtlichen Entstehung unseres Erkenntnisvermögens fragen. Übereinstimmungen zwischen dem Sein des Weltalls und des Lebens selbst (so wie wir sie heute erkennen können) und den Überlebensvorteilen im evolutiven Werden des Menschen und dabei dem evolutiven Werden seiner Erkenntnis- und Erlebnis-"Werkzeuge". Wir sind ja selbst aus diesem "Sein" des Weltalls und dabei sowohl seinen Gesetzmäßigkeiten wie seinen in ihm liegenden Freiheitsgraden hervorgegangen.
Die menschliche Natur und "Natur überhaupt" stehen in einem bis in tiefere Details hinein immer tiefer auslotbaren und erforschbaren Zusammenhang. Diese Erkenntnis drängt sich uns zwanglos aus unserem heutigen naturwissenschaftlichen Weltbild her auf. Und sie hat grundlegende Auswirkungen auf die Gestaltung unserer gesellschaftlich-sozialen Wirklichkeit.
Denn der Mensch verhält sich so, wie er sich seine Welt denkt. Denkt er sich seine Welt als ein bloßes Ergebnis von Zufallserscheinungen und deterministischen Abläufen, hält er sich selbst für bedeutungslos und als irrelevant im Gesamtzusammenhang der Dinge. Daraus können große Verantwortungslosigkeit und Resignation folgen.
5. In der Natur spielen, wie die moderne Physik weiß,
die Freiheit, der Zufall, die Akausalität eine große Rolle (siehe vor allem Manfred Eigen: "Das Spiel"). Deshalb ist davon auszugehen, dass auch im menschlichen Leben Freiheit, Akausalität eine unhintergehbare Rolle spielen. Die Aussage eines Friedrich Schiller ist mit einem naturalistischen Weltbild zu vereinbaren, der sagte:
"Sehen Sie sich um / In der herrlichen Natur! Auf Freiheit / Ist sie gegründet ..."
(Don Carlos)
Ein Naturwissenschaftler oder naturalistischer Philosoph kann die menschliche Willensfreiheit gar nicht in Zweifel ziehen, wenn er von dem hohen Anteil des Zufalls und der Akausalität in allem Naturgeschehen Kenntnis nimmt, und wenn er davon weiß, daß Naturgesetze den Zufall nur steuern, nicht eliminieren können. Manfred Eigen ist zuszustimmen:
"Das Leben ist ein Spiel, in dem nichts festliegt, außer den Regeln." Diese Regeln determinieren unsere Willensfreiheit einmal stärker und einmal schwächer - aber sie können sie nicht eliminieren. Denn dann wäre unser eigentlichstes Menschsein infrage gestellt:
Der Mensch ist das Wesen, welches will. Eben deswegen ist des Menschen nichts so unwürdig, als Gewalt zu erleiden, denn Gewalt hebt ihn auf. Wer sie uns antut, macht uns nichts Geringeres als die Menschheit streitig; wer sie feigerweise erleidet, wirft seine Menschheit hinweg.
So
Friedrich Schiller. Und an
anderer Stelle:
"Wer wird hier leben wollen - ohne Freiheit?" Der Mensch ist also, um mit Schiller zu sprechen,
"frei" - - -
"und würd' er in Ketten geboren". Diesen Tatbestand gilt es im Rahmen eines naturalistischen, philosophischen Denkens und Handelns noch weitaus expliziter, ja, emphatischer herauszuarbeiten als dass bisher von Seiten oft recht langweilig daherkommender naturalistisch denkender Philosophen und Philosophien herausgearbeitet worden ist.
Schließlich ist es ja auch erst diese Freiheit, die dem Menschen zugleich jene
Verantwortung zuspricht, die ihm zugeschrieben werden muss aus der Sicht eines humanen, naturalistischen Welt- und Menschenbildes, wenn die genau aus diesem Menschen- und Weltbild heraus entstehenden gesellschaftlichen Gefahren, Verantwortungslosigkeiten und Dummheiten gebannt werden sollen. Wer lehnt sich gegen Mißbrauch, Dummheit und Gefahren auf, wenn er "sowieso" "alles" von "der" Genetik und von "der" Umwelt determiniert ansieht, wenn sowieso alles nur Produkt des Zufalls ist, wenn es sowieso nicht "Gut" und "Böse" gibt und wenn man sich "schicksalsergeben" in das dreinfügen kann, was einem das Leben vorsetzt?
6. Der Zusammenhang ist ja kaum noch übersehbar: Um der menschlichen
Freiheit zu Gut und Böse willen
gibt es eben auch zu unendlich ähnlichen - und sehr prekären - Anteilen Gutes und Böses in der Welt. Die ominöse Frage der "
Theodizee" läßt sich damit leicht beantworten: das Wesen des metaphysischen Bereiches, des religiösen Bereiches
ist die Freiheit. Und Kosmologie, Evolution und Weltgeschichte sind schlicht "nur"
Fortschritte im Bewußtsein und im Bewußtwerden von Freiheit - - - also Fortschritte im Bewußtwerden des Wesens des dem Menschen zugänglichen metaphyischen Bereiches, jener Wesenszüge des Wahren, Guten und Schönen, die dem menschlichen Vernunfterkennen nicht zugänglich sind. Die Nähe dieser Gedanken zu philosophischen Ansätzen von Friedrich Hölderlin, G.F.W. Hegel und F. J. Schelling soll gar nicht erst in Abrede gestellt werden. Sie kannten alle Friedrich Schillers "Worte des Glaubens" und "Worte des Wahns", in denen der Freiheitsgedanke als ein metaphysischer erachtet wird und das Ringen des Guten mit dem Bösen als das Grundcharakteristikum des Menschseins selbst bewertet wird, von dem es nach Schiller "Wahn" und geistige Bequemlichkeit wäre zu glauben, dieses außerordentlich prekäre Ringen wäre im menschlichen Leben jemals zu Ende:
...
So lang er glaubt an die Goldene Zeit,
Wo das Rechte, das Gute wird siegen,
Das Rechte, das Gute führt ewig Streit,
Nie wird der Feind ihm erliegen,
Und erstickst du ihn nicht in den Lüften frei,
Stets wächst ihm die Kraft auf der Erde neu.
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Abb. 2: Modernes Weltbild und Gotterleben -
Ist unser Platz im Universum der best geeignete,
um dieses auch zu erforschen? |
Daraus folgt mehr oder weniger zwangsläufig: Im weltgeschichtlichen Fortschritt des Menschen im "Bewusstsein der Freiheit" ersetzt der Mensch jeweils geradezu mit Gesetzmäßigkeit älteren, primitiveren "Wahn", Dummheit und Irrtum bloß mit "modernerem" Wahn, mit Dummheit, Ignoranz und Irrtum: Erst dadurch wird ja weltgeschichtlicher Fortschritt möglich bei Wahrung der menschlichen Freiheit zu Dummheit und Unsinn auf jeder neuen Stufe. Falls diese Fähigkeit zu Dummheit und Unsinn auf jeder neuen Stufe verloren gehen würde, würde möglicherweise das Humanum selbst verloren gehen, dessen tiefer Wesenszug unter anderem das "Prekäre", die Gefährdetheit sein könnte. ("Der Mensch, das riskierte Wesen", nannte das einmal I. Eibl-Eibesfeldt.)
7. In dieser Art von Argumentationsrahmen wird die so merkwürdige weltgeschichtliche "Umwertung aller Werte" rückgängig gemacht, die durch den Monotheismus hervorgerufen worden ist, indem in den metapyhsischen Bereich eine tyrannische, befehlende und bestrafende, despotische, männliche "Gott"-Gestalt gesetzt worden ist, um mit dieser monströsen Gestalt groteske Formen von Unfreiheit zu verwirklichen. (Soziobiologisch ausgedrück: Gott als der "dritte Bestrafer" im gesellschaftlichen "Third-party-punishment"-Spiel.) Wie kann so etwas Prekäres wie - - - Liebe befohlen werden? "Du
sollst lieben" - ? - Wahrheitssucher wurden aufgrund dieser despotischen, die Freiheit in Frage stellenden Moral zu ihrem vorgeblich eigenen "Besseren" auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Und noch heute glauben sich die Völker der Welt nur vor die Alternative gestellt: tyrannische, Liebe befehlende Gottgestalt
ODER Atheismus. - - - "Oder"?
Unglaublich. Hat jemand noch echte Liebe, dem die Liebe - despotisch - befohlen werden muß, und dem zugleich das Geschlechtliche, in dem sie mit der all diesem Phänomen innewohnenden Macht wurzelt, zur verwerflichsten, verdammenswertesten Sünde erklärt wird? Dabei haben viele Völker in allen Teilen der Welt und in allen Phasen der Menschheitsgeschichte immer auch ganz andere religiöse und ethische Gehalte gelebt. "Wer hat die Welt erschaffen?", fragte ein "
Papalagi" (ein Europäer) einst eine junge, schöne Samoanerin:
"Tangaloa war es",
"das Große Sehnen war es" - - - es
"erschuf sich selbst".
Dies nicht nur in Worten zu preisen, sondern in Taten zu leben, könnte ein anspruchsvolles Ziel für Einzelmenschen und Gesellschaften sein: das Große Sehnen.
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Fortsetzung (Teil 2 von "Über diesen Blog")