Sonntag, 21. Februar 2010

Weisheit geschöpft am heiligen Brunnen

Die Archäologen waren und sind hell begeistert. Sie haben eine völlig neue Fundgruppe zur archäologischen Kultur der Bandkeramik entdeckt. Als ein Beispiel aus dieser Fundgruppe zum ersten mal Ende der 1990er Jahre im Kolloquium am Institut für Vor- und Frühgeschichte in Frankfurt am Main unter der Ägide von Jens Lüning (Bild links) vorgestellt wurde, lag unverhohlene Feierlichkeit im Raum. Im dicht besuchten Seminarraum wurde die Präsentation geradezu zelebriert. Man wohnte einem wissenschaftsgeschichtlichen Ereignis bei, daran ließ niemand einen Zweifel. Kenner der Materie testen den Geschmack dieser neuen Fundgruppe wie den Geschmack eines ihnen bis dahin unbekannten, edlen, alten Weines. - Worum ging es?

Um die Entdeckung eines Brunnen. Eines siebentausend Jahre alten Brunnens. Ende der 1990er Jahre kündigte Jens Lüning dieses wissenschaftshistorische Ereignis noch an unter der Überschrift "Der Brunnen".

"Der Brunnen"

Innerhalb der letzten zehn Jahre hat sich auf diesem Gebiet aber so viel getan, daß sich Harald Stäuble veranlaßt sah, darüber gerade einen neuen zusammenfassenden Artikel in "Spektrum der Wissenschaft" zu veröffentlichen (1). Und auch Harald Stäuble kann seine Begeisterung nur schwer verhehlen. Eine Fülle vormals unbekannter, organischer Materialien hat sich in den ergrabenen Brunnenschächten erhalten, wie sie sonst nirgends erhalten sind. Aufgrund dieser Umstände faßt Harald Stäuble die neuen Erkenntnisse unter der Überschrift "Steinzeit jenseits der Steine" zusammen und schreibt (1, S. 69):
Die Epochenbezeichnung Steinzeit vermittelt ebenso wie die Deklarierung als bandkeramische Kultur ein viel zu einseitiges Bild. Die noch heute durch ihre Ästhetik be­eindruckenden Gefäße führen uns vor Augen, dass unsere Vorfahren einen ausgeprägten Sinn für Schönes hatten und ihre Welt alles andere als trist war.
Es handelt sich nämlich heute, zehn Jahre später nicht mehr nur um den Einzelfund eines Brunnens. Nein, innerhalb von gut zehn Jahren sind sage und schreibe 18 bandkeramische Brunnen entdeckt worden. Und zwar fast alle in Sachsen. Und der sächsische Archäologe Harald Stäuble sagt auch, woher diese Brunnenfülle gerade in Sachsen kommt:
Die Bedingungen, die Siedler in der Dresdner Elb­talweitung, dem Lössgefilde westlich von Mei­ßen sowie in der Region um Leipzig vorfan­den, unterschieden sich nicht von denen in anderen Regionen. Die vergleichsweise große Häufgkeit an Brunnenfunden beruht wohl vor allem auch auf der Arbeitsweise der archäolo­gischen Denkmalpflege in unserem Bundes­land. Seit einer Gesetzesänderung 1993 werden hier insbesondere Großbaustellen intensiv be­treut und das Gelände im Vorfeld untersucht. Seitdem hat nicht nur die Zahl der Fundstellen um 500 Prozent zugenommen; die entdeckten Siedlungen werden auch so vollständig und so gründlich wie möglich untersucht – und un­scheinbare Gruben in der Peripherie der Dör­fer entpuppten sich als Brunnen.
Da kann man eigentlich nur hoffen, daß sich die anderen Bundesländer und europäischen Länder daran ein Beispiel nehmen, und daß dann auch andernorts die Zahl der Fundstellen um 500 Prozent zunimmt. Genug Langzeitarbeitslose sollte es heute geben, die man auch motivieren können müßte, um die Forschungen hier mit ausreichend Personalausstattung weiter voranzutreiben. Harald Stäuble jedenfalls weiter aufgrund der erkannten Holzverarbeitungstechniken beim Brunnenbau:
Unsere Vorfahren lebten nicht in Verschlägen aus grob bearbeiteten Brettern, nicht in zugigen Räumen. Ihre Zim­merleute verfügten bereits über eine ausgefeilte Technik, wussten mit ihrem Werkstoff so geschickt umzugehen, dass sie heutigen Handwerkern nur wenig nachstanden.
Heilige Brunnen

Außerdem drängt sich den Forschern die Vermutung auf, daß die Brunnen bei den Bandkeramikern heilige, religiöse Bedeutung hatten. Bekanntlich hatten ja die drei Brunnen unter der Weltenesche Yggdrasil noch im germanischen Mythos heilige Bedeutung. Der Brunnen der Urd, der Skuld und der Verdanda.

Die Archäologen nun finden zwei sich aufrecht gegenübergesetzte Ferkel(-Skelette) in einem der Brunnen, die ganz offensichtlich nicht zufällig in dieser Anordnung niedergelegt wurden. Daß die Bandkeramiker eine ungeheuer liebevolle Beziehung zu Schweinen gehabt haben, geht aus vielen keramischen, kleinplastischen Scheine-Darstellungen hervor, die man auch andernorts (etwa in Hessen) gefunden hat.

Am heiligen Brunnen unter der Weltenesche Yggrdasil

Die Archäologen finden die Deponierung, also höchstwahrscheinlich Opferung aufwendig gearbeiteter und mit Birkenpech, Holz und Bastschnüren reparierter und modisch modernisierter Keramikgefäße in den Brunnen. Der Schönheitssinn, der sich bei der Gestaltung dieser Gefäße Ausdruck verschaffte, war Anlaß für die oben zitierten Worte Stäubles. Auch faßten die vorgefundenen Schöpfgefäße, Schöpftaschen (aus Rindenbast) nur einen halben bis einen Liter. Diesen Umstand deuten die Archäologen ebenfalls dahingehend, daß hier "heiliges" Wasser geschöpft wurde, nicht Gebrauchswasser. Zumal manche Brunnen gar nicht so weit von fließenden Gewässern entfernt angelegt worden sind.

Hobby-Archäologen und -Forscher begeistern die Wissenschaftler vom Amt

Die sächsischen Erfolge auf dem Gebiet der Archäologie lenken einmal auf's Neue den Blick auf den Einsatz ehrenamtlicher Kräfte: Im Deutschlandradio gibt es gegenwärtig eine sehr schöne, dreiteilige Sendung über Hobby-Forscher. (Dradio, 27.12.09, 31.1.10, 28.2.10; s.a. Stud. gen., 5.5.08) In der ersten Folge geht es vor allem um Biologen, etwa um Käfer- oder Schneckenforscher:
Die Liste an Projekten für Freizeitforscher ist lang, und gerade das Internet birgt ungeahnte Möglichkeiten. Nie war es so einfach für Wissenschaftler, Daten zu sammeln und zu verwalten. Und nie war es so einfach für Hobbyforscher, ihre Daten den Wissenschaftlern zur Verfügung zu stellen.
Und:
Matthias Freude leitet das Landesumweltamt Brandenburg. Zu seinem Amt gehören 120 ehrenamtliche Säugetierspezialisten, die Fledermäuse, Fischotter oder Biber zählen. 200 Freiwillige kartieren Pflanzen. Und mehr als 500 Vogelkundler erfassen den Status von Spatz, Schwalbe und Feldlerche.

"Und da kommt man zum Teil zu ganz dramatischen Ergebnissen, wie schlecht es zum Beispiel der Feldlerche geht in weiten Teilen, mittlerweile in beiden Teilen Deutschlands, das ist dank ehrenamtlicher Forschungsergebnisse so zu erkennen gewesen. Und da kann man was dagegen tun."
In der zweiten Folge geht es um Archäologen und um Paläontologen und um das Abenteuer der Schatzsuche, wobei es zum Teil auch um sehr viel Geld gehen kann.

Die Archäologen Thomas Kersting und Felix Biermann vom Landesamt für Denkmalpflege in Brandenburg (Sitz in Zossen) bilden gegenwärtig in einem dreieinhalb Jahre dauernden Kurs ehrenamtliche Bodendenkmalpfleger aus. Letzterer sagt:
"Ich muss sagen, dass die ehrenamtlichen interessierten Laien, dass die häufig außerordentlich engagiert sind und außerordentlich geschickt, und dass man damit eigentlich nur gute Erfahrungen macht und das kann ich hier auch bestätigen, außerordentlich fleißig und rasch und machen hier ganz tolle Arbeit."
Teil 3 der Sendung folgt am 28. Februar um 16.30 Uhr. Unsere Vorfahren schöpften Erkenntnis an heiligen Brunnen unter heiligen Bäumen. Wir gewinnen heute - zusätzlich - nicht nur durch unmittelbare Naturverbundenheit, sondern auch durch wisssenschaftliche Forschung Erkenntnis auf vielen Ebenen und in den diversesten Bereichen. Und auch an der letzteren Form der Erkenntnisgewinnung kann jeder Mensch Anteil nehmen, so wie sicherlich früher jeder willkommen war am heiligen Quell unter der Weltenesche Yggdrasil.


1. Stäuble, Harald: Steinzeit jenseits der Steine. In: Spektrum der Wissenschaft, März 2010, S. 62 - 69, --> frei abrufbar)

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Natürlich ist es fein, daß das Landesamt für Denkmalpflege Hobbyarchäologen und andere Freizeitaktivisten beaufsichtigt. Jedoch werden bestehenden professionellen Grabungsfirmen des Landes Brandenburg so auf kurze und lange Zeit die Aufträge ausbleiben. Wofür gibt es dann eigentlich noch die Studienrichtung "Ur- und Frühgeschichte"? Als Lizenz zum Taxifahren... Wehret denn Anfängen!

Ingo Bading hat gesagt…

Man hätte es eigentlich ahnen müssen: Auch hier wieder kann man angesichts von Geldnot mit Billigkräften und Ehrenamtlichen besser arbeiten, als mit studierten Kräften.

Ich weiß für all das allmählich keine Antwort mehr, außer daß es eine Umverteilung von Arbeit und Wohlstand im GROSSEN geben muß, und daß sich die Kleinen vor Ort nicht dauernd um Kleines streiten soll(t)en.

Die Anfänge, denen es wehren gilt, sind doch ganz woanders zu suchen. Bitte mal ein bischen mehr im größeren Rahmen denken und nicht nur fachidiotisch.

Viel wichtiger finde ich, daß dort, wo Lust zum Arbeiten und zum Tun besteht, auch gearbeitet und getan wird und werden kann und daß man sich und anderen die Lust nicht ausreden läßt, weil man nicht genügend Geld dafür bekommt.

Wir können uns doch nicht dauernd alle gegenseitig bestreiken.

Soll doch allen ein anständiges Grundeinkommen gezahlt werden, zumal Eltern mit Kindern. Und dann soll jeder Arbeiten nach Lust und Laune. Und niemand soll es ihm wehren, nur weil er erst dann anfängt zu arbeiten, wenn er doppelt so viel dafür bekommt.

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