Trotz viel bejammerten "Sommerloches" gelangte die folgende, vor einer Woche in "Nature" gebrachte, spannende Meldung nicht in die deutsche Wissenschaftspresse:
Also die schon seit längerem umstrittene Frage, ob die Etrusker nach ihrer kulturellen Assimilation, nach ihrem kulturellen Aufgehen im römischen Weltreich genetisch fortexistiert haben, würde durch diese neuen Forschungsergebnisse eine vielleicht unerwartet differenzierte Antwort erhalten. Genetisch starben sie nicht sofort vollständig aus, sondern existierten in Linien bis in das Mittelalter, bis ins 10. und 15. Jahrhundert hinein, in der Toskana fort. Nachgewiesen an mittelalterlichen Skeletten.... The Etruscans' genes survived into the Middle Ages, say Guido Barbujani of the University of Ferrara, Italy, and his colleagues. But between then and now, the line of descent has become much more complicated.
The researchers compared mitochondrial DNA taken from Etruscan remains, from Tuscan bones dating from the tenth to fifteenth centuries, and from modern Tuscans. The same markers were detectable in the two older groups, but not in today's Tuscans, probably owing to migration.
Aber im weiteren Verlauf der Geschichte bis heute müssen diese genetischen Linien dann doch verloren gegangen sein, denn heute sind sie in der Toskana nicht mehr (in vergleichbarer Häufigkeit) feststellbar. Interessant wäre nun zu spekulieren, auf welchem Wege zunächst diese Jahrhunderte lange Fortexistenz und dann dieses endgültige Aussterben erklärt werden könnte. Sozialgeschichtliche "Auslese"-Prozesse? Aufbrechen von örtlichen "Isolaten"? Weiträumigere Wanderbewegungen der Menschen in der Frühen Neuzeit? Dazu wird man sich den Originalartikel noch einmal genauer darauf hin ansehen müssen, wie man dort über Erklärungsmöglichkeiten nachdenkt.
Verallgemeinerbar?
Und noch allgemeiner wäre zu fragen, inwiefern eine solche Antwort erweitert, verallgemeinert werden kann etwa auf das ebenfalls schon mit größerer Wahrscheinlichkeit von Mainzer Genetikern festgestellte genetische Aussterben der Bandkeramiker, jener Kultur, die den Ackerbau in Mitteleuropa von einer vergleichsweise kleinen Ausgangspopulation am Neusiedler See ausgehend wahrscheinlich in einer Art "Bevölkerungsexplosion" bis zur Ukraine, nach Schlesien, zu den Vogesen, zur Kanalküste und bis zum Nordrand der Mittelgebirge ausgebreitet hat (5.700 v. Ztr. - 4.800 v. Ztr.) - innerhalb weniger Jahrhunderte. Also ein riesiges Territorium mit sehr einheitlicher, kaum voneinander abweichender Kultur über tausende von Kilometern hinweg zu einer Zeit, als das Rad noch nicht erfunden und das Pferd (wahrsscheinlich) noch nicht domestiziert war.
Auch von diesen Bandkeramikern könnte man nun annehmen, daß sie nicht sofort und vollständig ausstarben, sondern daß sich ihre Gene in den vielen kulturellen Umbrüchen der nachfolgenden Jahrtausende dann eben doch nach und nach fast vollständig in Europa verloren haben.
Gruppenselektion?
Ein erstaunliches Geschehen, das ein weiterer Hinweis darauf sein würde, daß geographisch, kulturell und sprachlich sich voneinander absetzende Gruppen, Stämme und Völker in der Regel nicht nur aus kleineren Ausgangspopulationen (Gründerpopulationen) zu großen Völkern und Kulturen heranwachsen können, sondern daß - da eben andere Völker auf ähnliche Weise heranwachsen und sich ausbreiten können - große Völker auch genetisch wieder weitgehend vollständig aussterben können, aufgrund von Zuwanderungen, Assimilation, Überlagerung und unterschiedlichen Demographien, Aufbrechen von "Isolaten" und von Wanderbewegungen.
All das könnte nicht zuletzt mancherlei neuer Hinweis darauf sein, daß und wie sich "Gruppenselektion" in der Menschheitsgeschichte beschreiben lassen könnte oder müßte, wenn theoretische Modelle möglichst nah an die Empirie herangeführt werden sollen.
Evolution und Weltgeschichte kennen jedenfalls beides: Ethnogenese aus kleinen Ausgangspopulationen heraus und Völkertod (- "Genozid"?) von vergleichsweise einflußreichen, großen kulturellen Gruppierungen und Völkern. Aber sie kennen - das sollte nicht übersehen werden - auch die genetische Fortexistenz von Völkern und Kulturen über Jahrzehntausende hinweg. Dies darf etwa von vielen Ureinwohner-Völkern angenommen werden - oder etwa auch von der großartigen, Jahrtausende langen kulturellen (und damit auch genetischen?) Kontinuität der chinesischen Kultur. - Zumindest solange es keine dem widersprechenden Forschungsergebnisse dazu geben sollte.
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