Eckart Voland schreibt nun auf Darwin-Jahr.de - in einem kurzen Kommentar zu einem ins Deutsche übersetzten Artikel von David Sloan Wilson und Edward O. Wilson in "Spektrum der Wissenschaft" (offenbar frei herunterladbar):
... Deshalb ist in der soziobiologischen Literatur der Begriff der „Gruppenselektion“ keineswegs verschwunden. Leider herrscht diesbezüglich eine heillose konzeptionelle und begriffliche Unordnung (Johnson et al. 2008, West et al. 2007), die unter einer nicht immer sprachlich sauberen Unterscheidung von Gruppenkonkurrenz und Gruppenselektion leidet. Theoretisch wichtig ist dieser Unterschied, weil gruppendienliche Strategien „gen-egoistisch“ aufgefasst werden können und nicht etwa zwangsläufig als Produkt von Gruppenselektion gedeutet werden müssen. Gruppenkonkurrenz ist eben nicht gleich Gruppenselektion, denn Gruppen haben keine Gene, die sie vererben könnten. Dies tun bekanntlich nur Individuen, und diese Individuen können aus „gen-egoistischen Gründen“ kooperieren, um ihre Gruppe zu stärken.Allerdings gibt es soziale Situationen, in denen die Konflikte zwischen sozialen Gruppen dermaßen stark ausgeprägt sind, dass sie zu außergewöhnlicher Kooperation innerhalb der Gruppen motivieren. Wenn die Fitness eines Individuums ganz entscheidend vom Abschneiden seiner Gruppe in der Zwischengruppenkonkurrenz abhängt, während demgegenüber Konkurrenz innerhalb einer Gruppe nur wenig zu Fitnessunterschieden beiträgt, ist es zugegebenermaßen verführerisch, von Gruppenselektion zu sprechen. Diese Situationen sind allerdings selten und nur unter außergewöhnlichen ökologischen Situationen zu beobachten. Wo sie auftreten, führen sie allerdings zu überaus interessanten sozialen Konsequenzen. Die Evolution der Staaten bildenden Insekten („Eusozialität“) könnte vielleicht auf derartige Szenerien höchster Zwischengruppenkonkurrenz zurückzuführen sein, was E. O. Wilson (2005) dazu bringt, mit Bezug auf Insektenkolonien das ganz wesentlich auch von ihm selbst kritisierte Konzept der Gruppenselektion zu reanimieren. Allerdings setzt der revidierte Gruppenselektionsbegriff von E. O. Wilson Verwandtenselektion voraus (Foster et al. 2006) und ist damit nach wie vor dem „gen-egoistischen“ Paradigma verpflichtet. Folglich gibt E.O. Wilson die Idee der Evolution als genzentriertes Prinzip auch keineswegs auf:
"Das Gen ist noch immer die Haupteinheit der Selektion, aber das Selektionsziel im ursprünglichen Kolonieverhalten ist das höhere der beiden benachbarten Ebenen biologischer Organisation – von Superorganismen über Organismen, wie es auch der Fall ist für Organismen über Zellen und Gewebe" (2005: 4)
Die Sachlage ist unbestreitbar kompliziert, und Missverständnisse sind vorherzusehen, wenn man sich nicht die Mühe macht, zu studieren, was „Gruppenselektion“ von „Gruppenkonkurrenz“ unterscheidet.
Aber insgesamt ist das eine sehr differenzierte Stellungnahme, die zum Weiterdenken anregt. Ausgangspunkte der Diskussion sind die Rationalität des verwandtenaltruistischen Paradigmas der Soziobiologie, sowie die neueren Beobachtungen an fortgeschritten-arbeitsteilig lebenden Insektenstaaten, die sich nicht besonders einfach in das bisherige verwandtenaltruistische Paradigma der Soziobiologie einfügen.
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