Eine 1977 in Daegu in Südkorea geborene, dort von den
leiblichen koreanischen Eltern ausgesetzte und von einem dortigen
katholischen Waisenheim im siebten oder neunten Lebensmonat in eine
deutsche Familie nach Osnabrück abgegebene Frau, ein Adoptivkind, fragt in
ihrem 30. Lebensjahr, nachdem sie in ihrem Leben vor allem beruflichem
Erfolg hinterher gejagt war, nach Grund, Herkunft und Ziel ihres Lebens.
Abb. 1: Miriam Yung Min Stein - in ihrem Lebensbericht "Black Tie" (2012) |
Wir sprechen von der Journalistin, Film- und Theaterproduzentin Miriam Yung Min Stein (geb. 1977) (Wiki) (1-3). Der berufliche Erfolg für sich genommen hat bei ihr nur innere Leere zurückgelassen. Und so fragt sie nach dem Sinn ihres eigenen, ganz persönlichen Lebens. Zum ersten mal stellt sie sich bei diesem Anlaß dem "Fremden" in ihr und in ihrem Gesicht. Diese Frage hatte sie lange verdrängt. Nun stellt sie sich diesem Fremden, sie fragt ihm hinterher.
Sie reist nach Südkorea, nach Daegu. Ihr wird bewußt, daß diese Fragen mit vielen Schmerzen verbunden sind. Als Schlußfolgerung ihrer Auseinandersetzung befürwortet sie es nicht, nämlich das Abgeben und Annehmen von Adoptivkindern von einem Erdteil in einen anderen.
Philipp Rösler auf weiblich und koreanisch, statt männlich und vietnamesisch. Gleich ist auffälligerweise, daß beide durch ein katholisches Waisenheim nach Deutschland abgegeben worden sind in norddeutsche Familien, wo beide Adoptivkinder je auf Adoptiveltern stießen, die schon leibliche Kinder hatten, die nun ihre Geschwister wurden.
Man legt den Bericht von dieser Konfrontation mit dem Fremden in sich, in ihrem Gesicht (1) mit Betroffenheit zur Seite, bzw. sieht sie mit Betroffenheit darüber reden (2). Und man wird sich erst beim Lesen ihres Buches, beim Hören ihres Berichtes bewußt, welche Wohltat es ist zu wissen, woher man kommt, wo die eigene Heimat ist und keinen Zwiespalt in sich zu spüren zwischen dem, was man ist und dem, wie man aussieht.
Ein deutsches Adoptivkind koreanischer Herkunft betreibt Verhaltensforschung und Kulturpsychologie am lebenden Objekt - an sich selbst
Nach dem Lesen ihres Buches kann man sich auch ein Hörinterview mit ihr anhören (Berlin Audiovisuell, Januar 2009). Folgende Sätze in diesem lassen einen besonders aufhorchen und müßten im Grunde jeden klassischen Verhaltensforscher nach der Art eines Irenäus Eibl-Eibesfeld aufhorchen lassen (etwa nach der Hälfte des Interviews):
... Frage: So nach dem Motto, wie viel asiatische Mentalität ist in mir, obwohl ich dort nie war und die Sprache nicht beherrsche?Antwort von Miriam Stein: Es gibt tatsächlich so körperlich asiatische Dinge an mir, die - da kommt dann die Frage nach der Genetik auf und so weiter - also bestimmte Sachen, motorische Sachen, kulinarische Sachen, die sehr asiatisch sind.Frage: Ja, man geht anders in Europa?Antwort: Man geht anders in Asien, würde ich sagen. Aber es kommt auf die Perspektive an. Es fängt ja schon da an, daß im Durchschnitt, durchschnittliche Frauen in Ostasien kleiner sind, überhaupt Menschen sind einfach kleiner, ein bischen schmaler und so weiter. Und mein Bild, das Bild, das ich kenne, sind natürlich große, blonde deutsche Menschen. Und allein das ist natürlich schon extrem anders. Jede Kultur oder jedes soziale Netzwerk hat natürlich seine eigenen Gepflogenheiten, auch aus motorischer Sicht. Sie wissen ja, Deutsche neigen ja eher zur Bodenständigkeit und in Frankreich wird eher getippelt und in Italien wird eher gegockelt. Und so ist es natürlich in Asien auch. Und Ostasien hat halt so eine ganz bestimmte (Art zu gehen), grade bei Frauen so mit dem leicht gesenkten Blick und nach unten mit kleinen komischen Schritten. Und das habe ich tatsächlich immer gehabt. Und ich bin immer ausgelacht worden. Und als ich dort war, habe ich so ehrlich gesagt: na also.
Es wäre noch einmal zu klären, ob diese Beobachtung mit den Forschungen des Soziobiologen Daniel G. Freedman (1927-2008) (Amaz., UChicago) abgeglichen werden können, der Verhaltens- und Motorik-Unterschiede schon bei neugeborenen Babies unterschiedlicher kontinentaler Herkunft festgestellt hat und diese in größere kulturwissenschaftliche Zusammenhänge gestellt hat (6).
In einem anderen Interview fällt der Satz (Brigitte):
Du schreibst, daß du manchmal das Gefühl hattest, im falschen Land zu Hause zu sein.
Sie sagt in diesem Interview auch:
Auf der Reise habe ich gemerkt, daß Korea ein tolles Land ist. Das Fremde in mir, in meinem Gesicht, ist mir quasi vorgestellt worden.
Da redet sie wirklich sehr kraß: "Das Fremde in mir, in meinem Gesicht."
Und sie sagt:
Ich hatte früher immer Heimweh. Und als Baby habe ich nachts wahnsinnig viel geweint. Das ist hart - auch für die Eltern. Und dann das kulturelle Chaos, das eine Adoption auslösen kann.
Wenn man einem Kind helfen will, warum nicht im eigenen Land? Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen: Man muß den Müttern helfen. In Korea wurden über 200.000 Kinder aus dem Land adoptiert. Was hat das für diese 200.000 Frauen bedeutet?
Von jungen Adoptierten habe ich viele positive Rückmeldungen bekommen. Es gab aber auch ganz böse Reaktionen von Adoptivmüttern, die jetzt noch kleinere Kinder haben. Ich will natürlich niemandem verbieten, Kinder zu adoptieren. Aber die jetzt erwachsenen Adoptierten haben das Recht auf eine kritische Debatte.
Daß in westlichen Gesellschaften noch heute so viele Adoptivkinder aus anderen Erdteilen "importiert" werden, beruht klar auf ideologischen Vorgaben. Auf der Multi-Kulti-Ideologie. Auf der ideologischen Vorgabe, daß die unterschiedliche genetische Herkunft und die unterschiedliche frühkindliche muttersprachliche Prägung weltweit nicht wichtig sind für die Herausbildung der eigenen Identität von Menschen und der von ihnen gebildeten "Vergemeinschaftungen". Es paßt auch nahtlos zu den globalisierenden Doktrinen der katholischen Kirche. Es wird derartiges Adoptieren noch heute richtiggehend beworben, indem bekannte Stars wie Madonna oder Angelina Jolie und Brad Pitt, die das tun, als vorbildlich hingestellt werden.
Miriam Stein spricht von schnulzigen oder schmalzigen Presseberichten über diese - - - "Vorbilder". Aber wer glaubt, daß genetische Herkunft und frühkindliche muttersprachliche Prägung "nicht wichtig" seien, der höre doch einfach einmal nur inzwischen erwachsen gewordenen Adoptivkindern zu. Sie erzählen etwas anderes. Und man bekommt plötzlich Hochachtung vor dieser großen Macht. Der Macht der Gene, der Macht der Herkunft, der Macht der Muttersprache, der Macht der Heimat, der "Macht" des eigenen Volkes. Warum auch wird diese große Macht, diese Größe in unserem Leben fortlaufend kleingeredet, weggeredet? Was ist das Ziel? Was ist die Absicht? All das ist doch etwas durch und durch Natürliches. Hier hat der Mensch Heimat, hier hat er Geborgenheit - alles Größen, nach denen doch moderne Gesellschaften händeringend suchen.
Man möchte fast meinen, daß Miriam Stein ihre Situation mit geradezu deutscher Gründlichkeit analysiert. Im Gegensatz zu vielen anderen Buchlesern (auf Amazon oder sonst) kann ich am Ende ihres Buches nichts wirklich Versöhnliches finden. In einem nachfolgenden Interview (3) wird Miriam Stein geradezu zu einer Lobpreiserin der multikulturellen Gesellschaft, in der sie nun in Berlin lebt. Oder auch: in die sie sich geflüchtet hat. Dies ist ihre "Heimat". Hier sind die Menschen so "bunt", daß sie mit ihrem typisch asiatischen Aussehen nicht gar so sehr auffällt. Wo sie nicht so auffällt wie sie in den 1980er Jahren in Osnabrück aufgefallen ist. Hier spricht man - im Gegensatz zu Südkorea - eine Sprache, die sie selbst spricht, und in der sie sich selbst sich und anderen erklären kann. Was ihr in Südkorea nicht möglich war. Denn ohne die Sprache zu beherrschen, stand sie dort - obwohl dort alle so aussehen wie sie selbst - außen vor.
Ihr wurde erst in Südkorea bewußt, wie sehr der Mensch durch die Muttersprache zu dem gemacht wird, was er ist und wie sehr ihn die Muttersprache mit anderen Menschen verbindet, bzw. ihn von diesen trennt.
Sind Äußerlichkeiten "nur" Äußerlichkeiten?
Beim Lesen dieses Buches wird einem deutlich: Es ist schon reichlich merkwürdig, daß unsere heutige Kultur, die sonst immer so viel auf "Äußerlichkeiten" wert legt, gerade die "Äußerlichkeiten" der physischen Rasseunterschiede kleinzureden versucht und so tut, als wären sie ganz ohne Bedeutung.
Man frage dann doch einmal, wie es Adoptivkindern damit geht oder gehen kann.
Miriam Stein hat sich ständig damit auseinanderzusetzen. Wenn man Videos von ihr im Internet sieht (a, b, c), wird einem erst bewußt, wie sehr koreanisch sie aussieht. Wer Koreaner kennt, weiß, daß es auch unter ihnen Menschen gibt, die mehr Europäern ähneln als andere Koreaner. Aber Miriam Yun Min Stein wirkt aus irgendeinem Grund noch koreanischer als viele Menschen, die in Korea geboren und aufgewachsen sind. Deshalb wird sie diesen Gegensatz und Zwiespalt womöglich noch krasser empfinden als andere. Zumal auch noch einmal die norddeutsche Art, ihr norddeutscher Sprachduktus den Gegensatz zu ihrer Herkunft verstärken, mehr verstärken als dies womöglich ein süddeutscher Dialekt und damit verbundene süddeutsche Art tun würden. (In Süddeutschland findet man ja auch häufiger Menschen, die trotz ihrer Jahrhunderte alten deutschen Herkunft Miriam Stein äußerlich mehr ähneln als in Norddeutschland.)
"Ich bin nicht undankbar, aber: Internationale Hilfe kotzt mich an."
In ihrem Bühnenauftritt "Black Tie" versucht sie, sich ihre Gefühle als neun Monate altes Mädchen klar zu machen, als sie in ihrer deutschen Adoptivfamilie ankommt (Black Tie, 22'00):
Du schaust hinaus und siehst nur Leute, die deutsch aussehen. Du schaust in den Spiegel und schaust anders aus, als du dich fühlst. Du bist nie ganz innen. Und du paßt nie ganz nach außen. Du hörst immer wieder: Dies ist das Beste, was dir passieren konnte. (...) Immer wieder merkst du, daß du den anderen fremd bist, weil du anders aussiehst. Dieses Fremde ist dir selbst aber auch fremd. (...) Du hast keine Ahnung, wie es klang, dort, wo du herkamst. Wie die Straßen klingen und wie die Menschen sprechen. (...) Du hast es mit Systemen zu tun. (...) Du bist eine Versuchsanordnung.
Miriam Yung Min Stein geht so weit zu sagen (Black Tie, 33'20):
Ich bin nicht undankbar, aber: Internationale Hilfe kotzt mich an.
Sollte man nicht auch irgendwann die Schlußfolgerung ziehen und sagen: Ich bin nicht undankbar, aber: Die ideologische und geheimdienstliche Einpeitschung der Vermischung der Völker und Kulturen weltweit durch Kriege, Krisen, Armut, Bigotterie und grenzenlose Oberflächlichkeit kotzt mich an - - - ?
Ergänzung 6.2.23: Und sollte man nicht ebenso sagen: Die Voraussetzung dafür, daß so etwas überhaupt in weiteren Schritten möglich wurde, nämlich die Entfremdung ganzer Kulturen von ihrer eigenen Kultur, von ihrer eigenen kulturellen Überlieferung, die Entwurzelung aus diesen durch internationale Pop-Kultur, durch internationale Weltreligionen kotzt mich an?
- Stein, Miriam Yung Min: Berlin - Seoul - Berlin. Fischer-Krüger, Frankfurt/Main 2008 (Amazon)
- Helgard Haug; Daniel Wetzel; Co-Author Miriam Yung Min Stein: Black Tie, Rimini Protokoll, Berlin, 12.3.2012; auch: BBAW, Januar 2012
- Interview mit Miriam Yung Min Stein. Auf: Berlin Audiovisuell, Januar 2009
- Stein, Miriam: Wie die Wilden. Modetrend Ethno-Muster. (Früher trugen sie nur Globetrotter: Kleidung, die aussieht, als hätte sie ein Naturvolk gefertigt. Jetzt ist eine wahre Ethno-Manie in der Mode ausgebrochen, auch Prominente sind dem Trend bereits verfallen. Doch was ist der Unterschied zwischen Ikat, Navajo, afrikanischem Wachsdruck und Aborigine-Print? Eine kleine Musterkunde.) In: Süddeutsche Zeitung, 23.4.2012
- Stein, Miriam: Girls am Rande des Zusammenbruchs. (Laut, bunt und niemals erwachsen: Nach den Erfolgen des Korea-Pop wollen nun asiatische Popbands wie Perfume den Westen erobern. Dazu gehören, neben Musik und viel Fashion, Disziplin und harte Arbeit.) In: Süddeutsche Zeitung, 09.08.2013
- Freedman, Daniel G.: Human Sociobiology - A Holistic Approach. Free Press 1979
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen