Donnerstag, 10. November 2011

"Ein Flieger war ich und schlürfte den Wein der Götter"

Charles Lindbergh - Warum müssen Menschen sterben?

Das tiefste Innere des Lebens des Flugpioniers Charles Lindbergh (1902 - 1974) war bestimmt durch sein Umsinnen des Rätsels des Todes. Dieser Umstand war schon in früheren Beiträgen hier auf dem Blog (1 - 6) behandelt worden, nachdem wir mit Überraschung davon erfahren hatten, wie souverän Lindbergh  gestorben war. Auch für ein konsequent naturalistisches Denken bleibt der Tod ein Rätsel. Deshalb ist es von großem Interesse, welche Antworten ein so pragmatischer und bodenständiger Flieger, Wissenschaftler und Philosoph wie Charles Lindbergh auf diese Fragen während seines Lebens fand. Insbesondere auch deshalb, weil er als Wissenschaftler mit einem der bedeutensten Alternsforscher des 20. Jahrhunderts, mit dem Nobelpreisträger Alexis Carrel, fünf Jahre lang in der Forschung eng zusammengearbeitet hat.

All dies ist erstmals gründlich herausgearbeitet worden in einer 300-seitigen Biographie, die im Jahr 2007 erschienen ist (7, 8), und auf die wir ebenfalls schon kurz hingewiesen hatten. Im folgenden sollen einige wesentlichere Eckpunkte dieses Umsinnens von Charles Lindbergh dargestellt werden, jedenfalls soweit sie anhand dieser neuen Biographie herausgearbeitet werden können. Wünschenswert wäre auch eine Zusammenstellung aller Zeitschriften-Aufsätze von Charles Lindbergh und gegebenenfalls auch sonstiger Äußerungen Lindbergh's zu solchen tieferen philosophischen Fragen.

Der Pferdekadaver (etwa 1910)

Abb. 1: Kindheit am Missisipi
Charles Lindbergh war schon früh in seiner Jugend auf das Rätsel des Todes gestoßen. In seinem Buch "Autobiography of Values", das erst nach seinem eigenen Tod im Jahr 1978 erschienen ist - auf Deutsch unter dem Titel "Stationen meines Lebens" -, beschreibt er ein Erlebnis als achtjähriger Junge in seiner ländlichen Heimat am Missisipi in Minnesota (7, S. 21f).

Ohne Hemd und Schuhe war er zusammen mit seinem Hund beim Stromern etwa eine Meile weit in den Pinienwald hinter seinem Elternhaus hineingeraten. Dort stieß er an einem ungewöhnlich dunstigen Nachmittag auf den angeschwollenen Kadaver eines Pferdes. Der massige Körper war größtenteils noch intakt. Aber Insekten saßen auf seinem Fleisch, der Verrottungsprozeß hatte begonnen und es stank stark. Obwohl er ängstlich und angewidert war, war er zugleich gepackt. Der Achtjährige fand keine Wunde und fragte sich, wie das Pferd gestorben sein könnte. Ja, er fragte sich, warum das Leben überhaupt für jedes Lebewesen irgendwann zu Ende ging. Lindbergh:
"Der Unterschied zwischen Leben und Tod war so in die Augen springend anhand dieses verrottenden Kadavers - und doch war er nicht zu verstehen. Was veranlaßte das Leben aufzuhören?"
Seine Eltern hatten ihn gelehrt, daß wenn er gestorben wäre, zu Gott kommen würde:
"Ich fragte mich aber: Wenn Gott so allmächtig ist, warum läßt er einen sterben? ... Das war doch ein geradezu unerklärlicher Defekt in seinem Charakter. Wäre der Tod nicht selbst für jene guten Menschen, die er zu sich in den Himmel nehmen würde, eine schreckliche Eintrittskarte?... Warum sollte er einen nicht für ewig leben lassen?"
Abb. 2: "Meine Sicht war die eines Gottes"
Eigentlich hatte Lindbergh wie sein Onkel Arzt werden wollen. Dieser war als Zahnarzt selbst intensiv in der medizinischen Forschung tätig und arbeitete mit vielen technischen Geräten. Das mußte den Technik-begeisterten Charles Lindbergh von vornherein stark interessieren. Aber er scheute das für ein Medizinstudium notwendige Lateinstudium. Und wurde stattdessen Flieger, ohne jemals die Biologie ganz aus den Augen zu verlieren..

"Ein Flieger war ich und trank den Wein der Götter ..." (1922 - 1931)

Auch sein dann begonnenes Fliegen begriff er nämlich immer als ein kühnes, wissenschaftliches und technisches Forschen nach den Möglichkeiten, die dem Menschen innewohnen würden.

Und im Überschwang seiner "gottgleichen" Erfolge, wie er sie selbst empfand, fragte er sich bald, nämlich noch im Jahr 1928, als er als Postflieger auf einem Zwischenstopp in der einsamen Wüste Utah's übernachtete (7, S. 23):
"Wenn der Mensch fliegen lernen kann, warum sollte er dann nicht auch lernen, für immer zu leben?"
Warum man das Fliegenlernen und das Lernen, "für immer zu leben", so stark parallel setzen kann,  wie hier Lindbergh, wird vielleicht deutlich, wenn man sich seine "gottgleichen" Erfahrungen als junger Flieger vor Augen führt, die er unter anderem in folgende Worte gekleidet hat (7, S. 20f):
"Da breitete sich die Erde unter mir aus, ein Planet, auf dem ich gelebt habe, aber von dem ich mich erstaunlicherweise erhoben hatte. ... Mir war eines göttlichen Auges Sichtweise vorbehalten."
("There was the earth spreading out below me, a planet where I had lived but from which I had astonishingly risen ... Mine was a god's eye view.")
Oder:
"Ich lebte auf einer höheren Ebene als die Skeptiker am Boden, auf einer, die aufgrund ihrer engen Verbindung mit dem Element der Gefahr, die sie fürchteten, reicher war als die ihre. ... Ein Flieger war ich und ich schlürfte einen Götterwein, der ihnen unbekannt war."
("I lived on a higher plane than the skeptics on the ground; one that was richer because of its very association with the element of danger they dreaded. ... In flying, I tasted a wine of the gods of which they could know nothing.")
Noch am Ende seines Lebens, als er 1969 anläßlich der Mondlandung von der Zeitschrift "Life" nach den Beweggründen hinter großen Unternehmungen der Menschheit gefragt wurde, antwortete er (7, S. 267):
"Was veranlaßt den Menschen zu großen Unternehmungen? Ich staune, wie akkurat diese Beweggründe untersucht werden können, sogar von den Unternehmenden selbst. Wenn ich an meine eigenen Flüge denke in den frühen Jahren der Luftfahrt, dann erkenne ich, daß meine Beweggründe so offensichtlich wie subtil waren und so vermischt wie die Wellen des Ozeans, über die ich flog. Aber ich kann definitiv sagen, daß sie mehr der Intuition als der Rationalität entsprangen, und daß die Liebe zum Fliegen alle Nützlichkeitsaspekte überwog - so wichtig die letzteren einem oft auch gewesen sein mögen."
Und er erläuterte das noch weiter anhand der technischen Fortschritte, die die Entwicklung der Luftfahrt mit sich brachten:
"Auf rationaler Ebene begrüßte ich die Fortschritte, die Selbst-Starter, geschlossene Cockpits, Radio und automatische Steuerung mit sich brachten. Aber auf der intuitiven Ebene lehnte ich mich gegen all das auf, denn brachten sie nicht das Gleichgewicht zwischen Intellekt und den Sinnen durcheinander, das meinen Beruf zu einer so großen Freude gemacht hatte?"
Ganz klar, um so mehr sich die Entwicklungen in der Luftfahrt auf die rein intellektuelle Ebene hin bewegten, um so mehr suchte Lindbergh in anderen Bereichen nach neuen Herausforderungen, nach Herausforderungen, die seinen intuitiven Bedürfnissen stärker entsprachen. Aber selbst wenn man sich die Fragestellungen und Interessen seiner Jugend  vor Augen führt, wundert man sich immer wieder über seinen Satz (7, S. 21):
"Der gewaltige und schnelle Erfolg der Luftfahrt erweckte mein Interesse an der Biologie aufs Neue."
Man kann also sagen: Die technischen Möglichkeiten des menschlichen Fliegens glaubte Lindbergh auf die technischen Möglichkeiten einer menschlichen, unbegrenzten Lebensdauer übertragen zu können. Aus heutiger Sicht ein ganz verrückter Gedanke. Aber so konnten scheinbar junge Amerikaner in den 1930er Jahren des letzten Jahrhunderts denken.

Begegnung mit dem weltbekannten Chirurgen und Alternsforscher Alexis Carrel (1930)

Als Lindbergh's junge Schwägerin am Herzen hätte operiert werden müssen, das aber aufgrund des damaligen medizinischen Könnens noch nicht möglich war, wurde Lindbergh von dem behandelnden Arzt auf den Forscher und Nobelpreisträger Alexis Carrel (1873 - 1944) hingewiesen. Dies war ein Franzose, der im Rockefeller-Institut in Manhatten, New York, forschte. Lindbergh besuchte diesen zum Teil wunderlichen, zum Teil umstrittenen, zum Teil genialen Mediziner im Jahr 1930 und
"fand Carrel selbst noch faszinierender, als die Forschungsprojekte, die er in seiner Abteilung für Experimentelle Chirurgie durchführte."
Abb. 3: Alexis Carrel
So Lindbergh 1973, kurz vor seinem Lebensende auf einer Konferenz zu Ehren Carrels (7, S. 277f). Und weiter:
"Es schien keine Grenze für die Breite und Tiefe seines Denkens zu geben. An einem Tag konnte er die Zukunft der außerkörperlichen Organ-Durchblutung erörtern, für die ich einen Apparat baute, an einem anderen Tag konnte er mit einem Berufstrainer für Tiere über die relativen Intelligenzunterschiede zwischen Hunden und Affen sprechen, und die Schwierigkeiten, ein Kamel dazu zu bewegen, rückwärts zu gehen. Einmal schaute ich von meiner Arbeit auf und sah ihn zusammen mit Albert Einstein hereinkommen, mit dem er  über außersinnliche Wahrnehmungen diskutierte ..."
Und abschließend sagte Lindbergh über Carrel:
"Um Carrel zu rühmen, kann man seine Fähigkeiten als Chirurg betonen, seine Pionierarbeiten auf dem Gebiet der Zellgewebe- und Organkulturen, seine Behandlung der Verwundeten im Ersten Weltkrieg, sein Schließen von Blutgefäßen, das ihm den Nobelpreis brachte, seine Wahrnehmung oder die Tiefe seiner Vision. Ich kann persönlich nur sagen, daß er der stimulierendste Kopf war, dem ich jemals begegnet bin."
In Zusammenarbeit mit Carrel suchte Lindbergh dann fünf Jahre lang am Institut von Carrel als ein ganz und gar bodenständiger, faktenorientierter, exakt arbeitender Wissenschafter - als den er sich ja auch als Flieger gesehen hatte - nichts geringeres als das Problem der unbegrenzten Lebensdauer zu lösen ...

Kann die Lebensdauer des menschlichen Körpers verlängert werden wie die eines Flugzeugmotors? (1931 - 1938)

In letzter Instanz sah Lindbergh in seiner Technikbegeisterung damals den menschlichen Körper an wie den Motor eines Flugzeuges. Man kann die Lebensdauer des Menschen verlängern, wenn man abgenutzte Teile austauscht und repariert. Ebenso dachte auch Alexis Carrel. Carrel hatte in einem damals berühmten Experiment das Zellgewebe eines Hühnerherzens isoliert und in Nährlösung länger am Leben erhalten, als ein Huhn sonst leben kann. Er glaubte, damit zumindest im Prinzip die "technische" Möglichkeit der "Unsterblichkeit" bewiesen zu haben. (Also in etwa so, wie einige Jahrzehnte zuvor Flugpioniere prinzipiell die technische Möglichkeit des Fliegens bewiesen hatten.)

Die Unsterblichkeitsforschung von Alexis Carrel wird widerlegt durch die Hayflick-Grenze (1961)

Daß Alexis Carrel bei dem Versuch mit seinem Hühnerherzen einem Irrtum aufgesessen war, das ist der Wissenschaft erst lange nach dem Tod Carrel's, also lange nach dem Jahr 1944 klar geworden. Seit den Forschungen von Leonard Hayflick (geb. 1928) in den frühen 1960er Jahren weiß man, daß Körperzellen, wenn es sich nicht gerade um Krebszellen handelt, nur eine begrenzte, genetisch festgelegte Teilungsfähigkeit und Lebensdauer haben ("Hayflick-Grenze"). Generell gilt: Um so höher differenziert die Zellgewebe sind, um so früher geht ihnen ihre  Zellteilungsfähigkeit verloren. So etwa die Nervenzellen des Menschen in der Regel schon nach einigen Jahren. Nach einem bestimmten Lebensalter können keine neuen Nervenzellen mehr gebildet werden, sondern höchstens die bisher schon bestehenden besser als zuvor genutzt werden. 

Aber solange diese unsere heutigen Kenntnisse nicht sicheres Wissen waren, waren die Fragen und Anliegen von Carrel und Lindbergh grundsätzlich berechtigt: Warum sollte dem Menschen nicht prinzipiell physische Unsterblichkeit möglich sein? Und auch die Art der Versuche, diese Probleme zu lösen, waren nicht unberechtigt.

Auch heute wird diese Frage - allerdings auf einem ganz anderen Stand der biologischen Kenntnisse - in der Alternsforschung weiterhin gestellt. Noch heute gibt es mehrere Theorien darüber, warum vielzellige Lebewesen nur eine begrenzte Lebensdauer aufweisen. (Wir werden auf diese Themen sicherlich hier auf dem Blog noch einmal zurückkommen.)

"Lindbergh's Organ-Maschine war ein echter Durchbruch" (1931 - 1936)

Abb. 4: C. Lindbergh und Alexis Carrel
Die Einzelheiten der gemeinsamen Forschungen von Alexis Carrel und Charles Lindbergh sollen hier nicht dargestellt werden. Sie sind sehr detailliert und in geradezu chronikartiger Weise von dem Biographen David M. Friedman geschildert worden (7). Lindbergh fühlte sich vor allem für die technischen Probleme zuständig, die bei diesen medizinischen Forschungen zu lösen waren. Seine wissenschaftliche Hauptleistung war es, am Rockefeller-Institut in unermüdlichen, nächtelangen Arbeiten eine Perfusions-, also Durchblutungs-Pumpe entwickelt zu haben (s. Abb. 4), in der aus dem Körper eines Tieres entnommene Organe außerhalb des Körpers am Leben erhalten werden konnten, so daß sie von dort nach einigen Tagen wieder in das Tier eingesetzt werden konnten, und das Tier weiterleben konnte. (Nebenbei sei bemerkt, daß man damals über Tierversuche noch anders dachte als heute.)

Nach vielen Fehlschlägen gelang Lindbergh die Entwicklung einer Perfusions-Pumpe, mit der dies möglich war. Noch die nachfolgende Forschergeneration arbeitete mit der von Lindbergh und Carrel entwickelten Perfusionspumpe zur Lösung ihrer eigenen Forschungsfragen. Etwa Richard Bing (1909 - 2010), der aus Deutschland stammte, den Carrel und Lindbergh 1936 auf einer Konrerenz in Kopenhagen kennenlernten, und den sie einluden, als Assistent am Rockefeller-Institut zu arbeiten. Bing erzählte dem Biographen Friedman viel über die Zusammenarbeit zwischen Carrel und Lindberg (7, S. 109 - 111):
"Es war nicht ein Hauch von Arroganz bei Lindbergh zu spüren. Diese Bescheidenheit war um so bemerkenswerter, als die Maschine, die Lindbergh erfand, etwas wirklich Bedeutungsvolles war. Lindbergh wäre heute natürlich überfordert. Seine Arbeit war eine mechanische; heute bewegt sich alles auf der Ebene der Moleküle und der Gene. Aber vor siebzig Jahren war Lindbergh's Maschine ein wirklicher Durchbruch. Sie erhielt isolierte Organe in einer sterilen Umgebung am Leben mit pulsierender Perfusion. Niemand hatte das jemals zuvor geschafft. Ich benutzte diese Maschine später, um den Cholesterol-Stoffwechsel in perfusierten Arterien zu erforschen. Dafür war sie mir außerordentlich hilfreich."
Nachdem das Funktionieren dieser Pumpe aufgrund vieler Versuche als gesichert gelten konnte und sie auf internationalen, wissenschaftlichen Kongressen wie etwa 1936 in Kopenhagen, sowie in wissenschaftlichen Aufsätzen vorgestellt worden war, wollten Lindbergh und Carrel den nächsten Schritt wagen und eine größere Perfusions-Pumpe für die Organe von Primaten bauen. Doch das Herannahen des Zweiten Weltkrieges und die Verantwortung, die Lindbergh auf sich ruhen fühlte, aufgrund seiner Popularität etwas zur Verhinderung des gegenseitigen Zerfleischens der westlichen Nationen zu tun, verhinderte den weiteren Fortgang dieser Forschungen.

Der Zweite Weltkrieg verhindert den Fortgang der Forschungen (1938 - 1945)

Auch Alexis Carrel ging schließlich wieder zurück nach Frankreich, um seinem Land zu dienen. Unter dem Vichy-Regime gründete er ein großes Institut "zum Studium menschlicher Probleme", das von 1942 bis 1944 300 Mitarbeiter beschäftigte. In dem Institut ging man auch eugenischen Fragestellungen nach, die auch in den Diskussionen zwischen Lindbergh und Carrel wichtig gewesen waren. Nach den politischen "Säuberungen" des Kriegsendes wurde das Institut 1946 neu gegründet. Es besteht bis heute fort unter dem Namen "Nationalinsitut für demographische Studien".

Auf der anderen Seite de Atlantiks wurde Lindbergh  zum prominentesten Gegner des Kriegseintritts der USA in den Zweiten Weltkrieg - und damit auch zu einem in vielen Kreisen außerordentlich unbeliebten, ja, sogar verhaßten, gemiedenen Menschen. Seine Frau Anne litt darunter aber deutlich mehr als er selbst. Ihn, den "Lonely Eagle", den "einsamen Adler" wie er schon 1927 nach seinem Atlantikflug allerwärts genannt wurde, ließen der Jubel oder der Haß der großen Menge oder von Seiten der intellektuellen Eliten kalt.

Er ging seinen Weg. Und er stand bis zu seinem Lebensende zu seinem  Handeln in den Jahren 1938 bis 1941. Lindbergh war der Meinung, daß wenn Amerika auf ihn gehört hätte, die Menschheitsgeschichte einen besseren Verlauf genommen hätte, insbesondere die Ausbreitung des Kommunismus und der Kalte Krieg vermieden worden wären.

Nachdem sein Land aber in den Zweiten Weltkrieg eingetreten war, war es für ihn als Patrioten selbstverständliche Pflicht, Kriegsdienst zu leisten. Da Präsident Franklin D. Roosevelt seinen innenpolitischen Hauptgegner nicht wieder in die Armee aufnehmen wollte, aus der er ihn im Verlauf der Auseinandersetzungen ausgestoßen hatte, arbeitete Lindbergh zunächst in der Luftfahrtindustrie in der Entwicklung von Bombern. Schließlich wurde er doch noch Kampfflieger auf dem Kriegsschauplatz im Südostpazifik. In mehreren Kampfeinsätzen schoß er in einer dramatischen Begegnung einen feindlichen japanischen Kampfflieger ab.

Als er 1944 von dem Tod Alexis Carrel's in der Zeitung las, war er sehr traurig, daß er es in den letzten Jahren nicht mehr gewagt hatte, an Carrel zu schreiben. Lindbergh hatte gefürchtet, Carrel durch seine Briefe über die Lager der verfeindeten Mächte hinweg zu kompromittieren.

Über ihre gemeinsamen wissenschaftlichen Forschungen hat Charles Lindbergh während seines Lebens vor der großen Öffentlichkeit nur selten gesprochen und sie blieben von ihr auch größtenteils unbeachtet. Abgesehen von einigen sensationell aufgebauschten Meldungen, die dann jedes mal erneut den Ekel Lindbergh's über das amerikanische Pressewesen bestätigen mußten, das er auch sonst schon hinreichend kennenzulernen Gelegenheit gehabt hatte (etwa anläßlich der Ermordung seines ersten Sohnes).

Abkehr von der Wissenschaft durch den Zweiten Weltkrieg (1948)

Charles Lindbergh ging dennoch nicht unberührt aus dem Zweiten Weltkrieg hervor. Es war nun sonderbarerweise die Wissenschaft, die er an den Nagel hängte, da sie so vielen Menschen den Tod gebracht hatte. In seinem Buch 1948 veröffentlichten Buch "Vom Fliegen und vom Leben" verdammte er den wissenschaftlichen Materialismus, der sich während des Zweiten Weltkrieges ausgetobt habe (7, S. 250f). Er schrieb darin unter anderem:
"Ich bin selbst als Schüler der Wissenschaft aufgewachsen. Ich kenne ihre Faszination. Ich fühlte die gottgleiche Macht, die dem Menschen durch die Wissenschaft verliehen ist, die Kraft von tausend Pferden unter den Fingerspitzen, die Eroberung des Raumes durch merkurische Geschwindigkeiten, den unsterblichen Blick der höheren Sphären. Die Wissenschaft war für mich wichtiger als der Mensch selbst, wichtiger als Gott. ... Ich betete die Wissenschaft an." 
Aber:
"Ich habe gesehen, daß die Wissenschaft, die ich anbetete und die Luftfahrt, die ich liebte, die Kultur zerstörte, der sie, wie ich erwartet hatte, dienen sollte." "Wie kann jemand für das Idol der Wissenschaft arbeiten, wenn sie die Opferung von Städten voll von Kindern fordert, wenn sie aus Menschen Roboter macht und wenn sie ihre Augen blind macht für Gott?" "Die einzige Rettung liegt darin, die Wissenschaft durch eine Philosophie zu kontrollieren, die durch die ewigen Wahrheiten Gottes geleitet wird."
Abb. 5: Auszüge aus "Mein Flug über den Ozean" (erschienen 1953)
Aber die Öffentlichkeit konnte nicht im vollen Umfang überblicken, welche persönlichen Erfahrungen hinter diesen Worten Lindbergh's standen.

Und als Lindbergh im Jahr 1953 einen erweiterten und detaillierten Bericht über "Mein Flug über den Ozean" veröffentlichte ("The Spirit von St. Louis"), galt er auch in der deutschen Öffentlichkeit immer noch vor allem als "der große Flugpionier" und nicht ausgerechnet als ein Mann der Wissenschaft (siehe Abb. 5).

Die Gründung dreier neuer Familien in Deutschland (1957 - 1974)

Es ist auffällig, daß ihn vermutlich schon das erste Gespräch, das er im März 1957 mit Brigitte Heßheimer führte, zumindest aus einem Teil der Desillusionierungen herausriß, die der Zweite Weltkrieg auch bei ihm mit sich gebracht hatte (3):
Beim abendlichen Zusammensitzen wurde in der typischen Weise jener Zeit geäußert: "Nach Hiroshima und vor einem neuen Weltkrieg kann man keine Kinder mehr in die Welt setzen. Das ist unverantwortlich." Brigitte Heßheimer aber rief aus: "Natürlich soll man noch Kinder bekommen, möglichst viele sogar. Laßt sie doch alles erfinden an Waffen und Bomben, was sie wollen. Wir werden es nicht verhindern können. Aber das Wunder des Lebens kann einem keiner nehmen!" Lindbergh reagierte unmittelbar. Er sagte: "Wunderbar, was Sie da gesagt haben. Und wie Sie es gesagt haben. Sie haben völlig Recht."
Wenn Lindbergh auch sollte niemals wieder aus dem gebrochenen Verhältnis gegenüber der Wissenschaft herausfinden sollte, so scheint es doch, als ob er durch die gehbehinderte Vertriebenenfrau Brigitte Heßheimer, ihre Schwester und ihre Freundin zumindest aus der pessimistischen Haltung gegenüber dem Leben an sich herausgefunden hat. Daß jedenfalls Fragen über Lebenszugewandtheit anstelle von Pessimismus auch nach den Desillusionierungen des Zweiten Weltkrieges, Fragen von Tod und Unsterblichkeit Mitveranlassung gewesen waren zur Gründung dreier neuer Familien in Deutschland durch Charles Lindbergh, das ist in den erwähnten früheren Beiträgen (1 - 6) schon behandelt worden.

Nachzutragen wären für diese Thematik heute nur noch weitere Zeugnisse für das fortdauernde Unverständnis unter Lindbergh's amerikanischen Kindern und damit auch in der amerikanischen Öffentlichkeit über diese Lebensentscheidung Lindbergh's zur Gründung dreier deutscher Familien. Die Beurteilungen dieser Lebensentscheidung grenzen an eine muffige Bigotterie, die einem Amerika entspringt, das einem ansonsten offenbar nur wenig bekannt ist. Scheinbar darf in Amerika jeder so unkonventionell leben und handeln, wie immer es ihm beliebt, die Mormonen schon seit Jahrhunderten - nur Amerikas "größer Held des 20. Jahrhunderts", ihm kann man bei einem solchen Handeln keine vorteilhaften Motive unterstellen (vgl. Anhang zu diesem Beitrag).

Darin spiegelt sich eine Entfremdung zwischen Charles Lindbergh und der amerikanischen Öffentlichkeit wieder, die ja schon die meiste Zeit des Lebens von Lindbergh dominiert hatte. Wo doch ein Verstehen des Handelns von Charles Lindbergh sogar so etwas wie ein Beitrag zu einer Vertiefung der "deutsch-amerikanischen Freundschaft" darstellen könnte ...

Unter dem Akazienbaum (1964)

Doch zurück zu der philosophischen Entwicklung Lindbergh's nach dem Zweiten Weltkrieg, und offenbar zeitlich parallel zu der Gründung seiner drei deutschen Familien. Im Juni 1961 hörte er auf einer internationalen Konferenz zur "moralischen Aufrüstung" in der Schweiz, die ihn ansonsten langweilte, einen Massai-Krieger sprechen, der als afrikanischer Delegierter eingeladen worden war. Lindbergh suchte das Gespräch mit diesem Mann und erfuhr, daß dieser das traditionelle Leben seines Stammes als besser erachtete als das Leben mit den Errungenschaften der modernen Zivilisation. Er lud Lindbergh zu sich nach Afrika ein (7, S. 258f).

Im Dezember 1962 kam Lindbergh schließlich nach Kenia und lebte eine Woche lang allein als Massai unter den Massai. Er hörte ihren Gesängen an die Bäume zu, wobei ihm erklärt wurde, daß die Massai wüßten, daß Gott im Innern aller natürlichen Dinge lebe. Und er lernte, daß die Massai keineswegs Pazifisten waren. Stolz erzählten ihm die Hirten von einem kürzlichen Kampf, in dem sie 27 Angehörige eines rivalisierenden Stammes getötet hätten, wobei sie die Hoden von einigen mitnahmen als Kriegstrophäen, in einigen Fällen noch von ihren lebenden Feinde.

 Abb. 6: In der Serengeti
Im Februar 1964 kam Lindbergh ein zweites mal nach Kenja. Und während er unter einem Akazienbaum sitzend eine Giraffe beobachtete, kamen ihm Gedanken, die er im  Juli in einem wertvollen Artikel im "Reader's Digest" veröffentlichte. Und zwar unter dem Titel "Is Civilization Progress?", also "Sind Zivilisation und Kultur wirklich ein Fortschritt?" Lindbergh schrieb (entsprechend der Wiedergabe durch den Biographen Friedman, 7, S. 261f, wie sonst in diesem Beitrag in eigener Übersetzung, Hervorhebungen von mir, I.B.):
"Was für eine Weiterentwicklung hat die Giraffe in ihrem Kampf ums Überleben vollzogen, indem sie ihren Hals reckte und ihre Vorderbeine streckte, Stück für Stück durch unzählige Generationen hindurch, bis sie von Nahrung leben konnte, die anderen Lebewesen nicht erreichbar war, ihren allmählichen Formwandel in einem genetischen Code absichernd, der jedes Individuum zur gegebenen Zeit sowohl beschützte wie neu formte, so daß die Art überleben konnte. Vor mir  stand - groß und elegant - ebensowohl ein sterbliches Wesen wie die zeitliche Verkörperung genetischer Unsterblichkeit." (...)
Lindbergh verstand nun, daß der Versuch, den er zusammen mit Alexis Carrel unternommen hatte, um sich in die natürliche Selektion einzumischen, um eine unnatürliche Unsterblichkeit zu erreichen, ebenso unsinnig wie arrogant gewesen war.
"Als ich die wilden Tiere der afrikanischen Steppe beobachtete, wurde die Methode meiner Kultur, die Zeit zu messen, beiseite geschoben durch eine zeitlose Vision, in der das Leben die Notwendigkeit des Todes umarmte," schrieb der Mann, der einst die Frage nach dem Sinn des Todes gestellt hatte. "Ich sah individuelle Tiere als sterbliche Manifestationen des unsterblichen Lebensstromes; und so beginne ich mich selbst zu sehen. Ich bin nicht nur einer, ich bin ebenso viele, ich bin sowohl ein einzelner Mensch als auch die Art selbst. Im Tod liegt dann jenes unsterbliche Leben, daß die Menschen so blind über Jahrhunderte gesucht haben, ohne zu erkennen, daß sie es als ihr Geburtsrecht besaßen." Ohne daß es seine Leser ahnen konnten, schloß sich Lindbergh selbst unter diese blinden Sucher mit ein.
Nun war es für Lindbergh an der Zeit, die lebensverändernde Erkenntnis auszusprechen, die er im afrikanischen Busch entdeckt hatte: "Nur durch das Sterben können wir das Leben fortsetzen." (...) "Wie weit stehe ich eigentlich tatsächlich über dem schwarzhäutigen Eingeborenen, der glaubt, daß die Erziehung den Menschen lehren sollte, jene Dinge zu verstehen und zu bewältigen, die er um sich herum vorfindet und der sagt, daß Gott in jedem Baum und Berg existiert?" (...) "Ist mein Lebenskonzept dem seinen überlegen oder habe ich meinen Gedanken lediglich erlaubt, durch die Lehren meiner Zivilisation konditioniert zu sein?" (...) "Das  afrikanische Lebenskonzept beinhaltet Erkenntnisse und Werte, die rückständig erscheinen, wenn man sie nach unseren westlichen Werten bemißt. Wer aber kann sagen, daß der Ablauf der künftigen evolutionären Zeitalter beweisen wird, daß die Schwarzen weniger fortgeschritten sind als die Weißen?" (...)
"Haben nicht die Primitiven die Zivilisierten wieder und wieder überlebt?" "Wenn Zivilisation  und Kultur Fortschritt ist im grundlegenden Sinne des Lebens, warum sind dann vergangene Kulturen untergangen - sechzehn von ihnen in den letzten wenigen tausend Jahren, wenn man Arnold Toynbee folgt?" (...) "Vielleicht spüren Eingeborene des Dschungels die destruktiven Elemente der forteschrittenen Zivilisation und Kultur, denen gegenüber zivilisierte Menschen blind sind. Ich glaube, daß der Primitive Weisheit in sich birgt, die sich der Zivilisierte nicht leisten kann zu ignorieren." (...)
Sind Zivilisation und Kultur Fortschritte? "Das Leben in der primitiven Umgebung des Dschungels hat mich daran zweifeln lassen." (...) "Die letztgültige Antwort," sagte der Mann, der nahezu fünf Jahre in Carrel's Labor am Rockefeller-Institut gearbeitet hatte, "wird nicht durch die Entdeckungen unserer Wissenschaft gegeben werden, sondern durch die Auswirkungen, die unsere modernen Aktivitäten als Ganzes auf die Qualität des Lebens auf unserem Planeten haben werden."   
- Kurrzeitige Rückkehr in die Forschung (1967)

Abb. 7: Massai-Krieger
Im September 1966 bekam Lindbergh eine ihn überraschende Anfrage um Hilfe von Seiten zweier amerikanischer Wissenschaftler, die in der Literatur auf seine Perfusions-Pumpe gestoßen waren, und sie nun - so wie ursprünglich von Lindbergh und Carrel 1938 beabsichtigt -, auf Primatenorgane anwenden wollten (7, S. 265f):
... Zum großen Erstaunen der beiden erfahrenen Laborforscher, die nicht leicht zu begeistern waren, hatte Lindbergh's Glas-Maschine mit ihrem einfachen Ölkolben-Mechanismus und Baumwoll-Ball-Luftreiniger dem  Affenherz seine volle Funktionsfähigkeit wiedergegeben. Es arbeitete ebenso gut, als wäre es im Körper eines Affen.
Und nun baten die beiden Forscher Lindbergh um Zusammenarbeit mit dem Ziel, seine Pumpe auf menschliche Organe anzuwenden. So wurde Lindbergh im März 1967 nach dreißig Jahren Abstinenz von der Forschung noch einmal für einige Wochen zu einem unbezahlten Gastwissenschaftler an jenem Institut in Maryland, an dem die beiden Forscher arbeiteten. Dabei wurde er zum Koautor von zwei wissenschaftlichen Aufsätzen. Die Forscher berichten über die Zusammenarbeit (7, S. 266):
Als wir gezwungen waren, uns von der Ermüdung auszuruhen, arbeitete er weiter, beobachtete den Apparat, nahm Telefonanrufe an und schrieb in seinem Tagebuch. Als wir ihn nach einem guten Schlaf das nächste mal sahen, war er so frisch wie wir und meinte, daß er "hier und da ein paar kleine Nickerchen" gemacht habe. Nun konnten wir es wirklich gut verstehen, wie es dieser ungewöhnliche Mann geschafft hatte, während seines erste Alleinfluges nach Paris im Mai 1927 wach zu bleiben.
So hatte Lindbergh ja auch Jahrelang mit Carrel am Rockefeller-Institut zusammengearbeitet. Aber diese wenigen Wochen waren nur ein kurzer Ausflug zurück in die Wissenschaft. Dauerhaft war sie nicht mehr in der Lage, Lindbergh zu fesseln. Vielleicht fehlte ihm dazu auch ein zweiter Carrel.

Die Weisheit der Wildnis (1967, 1969)

Noch im selben Jahr schrieb er sehr eindeutig für die Dezember-Ausgabe der Zeitschrift "Life" den Aufsatz "Die Weisheit der Wildnis" (7, S. 267):
"Wenn ich heute vor dem Erwachsenenalter stehen würde, würde ich einen Beruf wählen, der mich mehr im Kontakt mit der Natur als mit der Wissenschaft leben lassen würde .... In der Wildnis sehe ich das Wunder des Lebens und neben ihr verblassen die wissenschaftlichen Errungenschaften zu Trivialitäten." 
Und im Juli 1969 aus Anlaß der Landung der ersten Menschen auf dem Mond gab Lindbergh der Zeitschrift "Life" eine Antwort auf die Frage nach den Beweggründen hinter den großen Unternehmungen der Menschheit. Aus ihr hatten wir eingangs schon zitiert. Im weiteren bekannte Lindbergh in dieser Antwort dann zum ersten mal öffentlich, daß das Ziel der Experimente mit Carrel am Rockefeller-Institut eine unbegrenzte Lebensdauer gewesen war. Nach dem Biographen Friedman (7, S. 267):
"Wie mechanisch ist der Mensch?" "Ist der Tod ein unvermeidlicher Teil des Lebenszyklus oder könnte durch wissenschaftliche Methoden physische Unsterblichkeit erreicht werden?" Dies, so schrieb Lindbergh, waren die Fragen, die seine Forschungen mit Carrel einige dreißig Jahre früher motiviert hatten.
Äußere Umstände zwangen zum Abbruch der Fragen und das hatte bei Lindbergh für eine Weile ein großes Bedauern hervorgerufen. Aber heute nicht mehr. Nachdem er Ostafrika und den  Südpazifik kennengelernt und verstanden hat, daß die "mechanische" Herangehensweise an das Leben, das ihn dazu geführt hatte, den menschlichen Körper als eine lebendige Maschine zu betrachten, zusammengesetzt aus immer wieder zu reparierenden und ersetzbaren Teilen - und deshalb potentiell unsterblich - falsch gewesen ist. Die Wildnis, so schrieb Lindbergh in "Life", hat ihm die Erkennntis gelehrt: "Der Zyklus von Leben und Tod ist wesentlich für den Fortschritt. Physische Unsterblichkeit ist nicht wünschenswert, selbst wenn sie erreicht werden könnte."
Erinnerungen an Alexis Carrel (1970)

Im November 1970, vier Jahre vor seinem eigenen Tod besuchte Lindbergh noch einmal seinen früheren Kollegen, den oben schon erwähnten Richard Bing in Pasadena. Bing erinnerte sich gegenüber dem Biographen Friedman an diesen Besuch (7, S. 272):
"Es war ein wundervoll nostalgischer Nachmittag. Beide lachten wir, als wir uns an unsere ersten Begegnungen mit Carrel erinnerten. (Bing hatte ebenfalls den "Gesichtstest" des Franzosen bestanden.) Ich wurde daran erinnert, was für eine liebenswerter, unprätentiöser und geselliger Mensch Lindbergh sein konnte trotz der Kälte, die er der Öffentlichkeit gegenüber zur Schau stellte."
Abb. 8: Kardiologe Prof. Richard Bing (1970)
Was Friedman weiter berichtet, soll hier ausführlicher zitiert werden, weil hier noch eine weitere schöne, zusammenfassende Charakteristik  des engsten Freundes von Charles Lindbergh in den 1930er Jahren gegeben wird, nämlich von Carrel. (Bing selbst übrigens - siehe Abb. 8 - starb erst letztes Jahr im 101. Lebensjahr):
Lindbergh und Bing fuhren von Bing's Haus in sein Herz-Labor, wo Bing immer noch Lindbergh's Pumpe benutzte, um arterosklerotische Blutgefäße (Gefäße, die fortschreitende Verhärtung und Verengung aufweisen) zu perfusieren (zu durchbluten) in Experimenten, die darauf abzielten, neue Behandlungsmethoden für diese Krankheit zu finden:
"Das Geräusch, das Lindbergh's Pumpe machte - eine Art 'Schiesch, Schiesch', das durch die Klappen erzeugt wurde, die die Perfusionsflüssigkeit in das Organ sandten, brachte ihn zurück in Carrel's Labor."
Carrel habe ihm sein Leben gerettet - oder zumindest seine Gesundheit -, äußerte Lindbergh, dadurch daß er ihm einen Rückzugsort zur Verfügung stellte am Rockefeller-Institut, wo er sich von dem Trauma der Ermordung seines ersten Kindes erholen konnte. Bing empfand ähnliches: Wäre er ohne Carrel's Hilfe jemals fähig gewesen, Nazi-Deutschland zu verlassen? Würde er überhaupt eine medizinische Karriere eingeschlagen haben? Beide schmerzte es zu erkennen, daß der Carrel, den sie kannten - ein Mann von großer menschlicher Wärme und Freundlichkeit - jetzt, 25 Jahre nach seinem Tod in der Öffentlichkeit um seiner Verbindung mit dem Faschismus willen als jemand angesehen wurde, der wenig oder keine Menschlichkeit aufgewiesen hätte. Wenn man sich überhaupt an ihn erinnerte.
Für die Öffentlichkeit oder sogar für viele Wissenschaftler gab es zu viele Widersprüche, um ihn verstehen zu können, so Bing. Carrel war ein brillianter Physiologe, der an heilende Gebete und  Parapsychologie glaubte. Er war ein Katholik, der Geburtenkontrolle und Euthanasie befürwortete. Er verehrte seine Frau, glaubte aber, daß akademische Bildung bei Frauen verschwendet sei. Er liebte Kinder, hatte aber selbst keine. Er war ein experimenteller Wissenschaftler, hielt sich aber selbst für einen Philosophen. Er war ein Chirurg und Nobelpreisträger und schrieb im "Readers Digest" Artikel über das Stillen. "Wenn Carrel heute noch leben würde, würde er sicherlich Talkshow-Gast sein." So meinte Bing zu seinem alten Freund.
Für Lindbergh war die Zeit mit Carrel die spannendste intellektuelle Unternehmung, die er in seinem Leben erlebt hätte, sagte er.
Die Wissenschaft würde aber die Menschheit immer mehr von ihrem Weg abkommen lassen, weshalb er sich heute dem Umweltschutz widmen würde. In ihrem Gespräch war die Frage nach der phyisologischen Usnterblichkeit nicht aufgekommen. Einige Tage später schrieb Lindbergh jedoch an Bing:
"Wie die Zeit doch anläßlich meines Besuches in sich zusammenfiel (collapses) - dreißig Jahre zwischen Carrel's Labor und Ihrem eigenen. Es gibt Momente, wo ich glaube, daß die Zeitunterschiede verschwinden, und daß Sie, Carrel und ich immer noch zusammen sind - ohne jene Trennung, die uns anläßlich des Todes  so offensichtlich erscheint. Wenn der Mensch ein tieferes Bewußtsein hätte, würden Leben und Tod vielleicht weniger Unterschied machen. Ich neige dazu, das zu denken." 
Die alte Frage nach der Bedeutung des Todes hatte Lindbergh also nicht losgelassen. Er hatte ihr nur eine ganz andere, völlig neue, viel weniger "mechanische" Antwort gegeben. Die Zeitlosigkeit lag in der Tiefe des Bewußtseins des Menschen selbst. 

Anhang: "Coming to terms" with Charles Lindbergh (2008)

Die jüngste Tochter von Charles Lindbergh, die er mit seiner ersten Frau Anne hatte, Reeve, geboren 1945, hat sich in einem 2008 erschienen Essayband auch über ihre überraschend neu hinzugewonnenen deutschen Geschwister geäußert. In Amazon-Rezensionen klingt einiges davon wieder. In einer Rezension von Susan Wittig Albert heißt es:
In her final essay, she writes movingly about the way she felt when she learned that her father, the picture of rectitude, a "stern arbiter of moral and ethical conduct," had three secret European families and seven children. Indignation, anger, rage at her father's deception and hypocrisy, shame--it's all there. But in the end, there is compassion, and even humor:

I certainly could have done with his [my father's] endless lectures on the Population Explosion ... A man who fathered thirteen - - I think, I still have to stop and count us! - - children, haranguing one of his daughters about world population figures? Give me a break!

And in the end, knowing her father to be at once "deeply intelligent and incredibly energetic," and "angry, restless, opinionated ... obsessed with his own ideas and concerns," she has to admit that the multiple families made a certain kind of sense: "No one woman could possibly have lived with him all the time."
Aus diesen vielen Worten spricht die tiefe Entfremdung, die zwischen Charles Lindbergh und seiner ersten Frau und ihren Kindern eingetreten sein muß. Die Amazon-Rezensentin "Bellabell" aus Oklahoma schreibt über den gleichen Essayband:
"Forward from here" will delight you if: (...)
-- you want to know a bit about Reeve's reactions to her father Charles Lindbergh's three secret simultaneous mistresses and families. (The "Lone Eagle" indeed!) Of course this long-hidden aspect of Charles Lingbergh's otherwise much-celebrated life might well be the subject of a complete and probing book of its own, written not out of prurience but with the intent to better understand the puzzling psychological and emotional temperament involved. But Reeve Lindbergh will not, I think, be the one to write such a book.
Offensichtlich ist das deutsche Buch von Rudolf Schröck bis heute nicht ins Amerikanische übersetzt worden. So kann der Amazon-Rezensent "mcHaiku" aus Indiana noch verständnisloser reagieren:
The author learned thirty years after his death that "Lindy" - - the nation's hero & her famous father, had fathered three other families in Germany & elsewhere in Europe. The reader is confronted by the sad reality of selfishness, of which we are all guilty to a degree. Reeve Lindbergh writes of the "unutterable loneliness" her father must have endured in his later years. It is a moving experience to read her conclusions about her parent's flawed personality.
"Fehlerhafte Persönlichkeit". Das alles spielt schon ins leicht Bigotte hinein und klingt weitaus mehr "europäisch", als "amerikanisch". Wo man doch sonst gerade aus den USA immer so ganz andere Töne zu hören sind. Wo doch die Mormonen dort 20 und mehr Frauen haben können. Aber wehe, es geht an den großen "einsamen" Charles Lindbergh? - - -


Buchveröffentlichungen von Charles Lindbergh (siehe auch: Lindbergh-Antiquariat):


- Spirit of St. Louis (1927), dt.: "Wir Zwei - Im Flugzeug über den Atlantik" (1927)
- The Culture of Organs (with Dr. Alexis Carrel) (1938)
- Of Flight and Life (1948), dt.: "Vom Fliegen und vom Leben" (1952)
- The Spirit of St. Louis (1953) (detailliertere Fassung), dt.: "Mein Flug über den Ozean" (1953, 1954, 1955, 1958)
- The Wartime Journals of Charles A. Lindbergh (1970), dt.: "Kriegstagebuch 1938 - 1945" (1972, 1976)
- Boyhood on the Upper Mississippi (1972) (62 Seiten); auch als: "The Boyhood Diary of Charles A. Lindbergh 1913-1916 - Early Adventures of the Famous Aviator" (2001)
- Autobiography of Values (posthum 1978), dt.: "Stationen meines Lebens" (1978, 1980, 1984)


Zeitschriftenaufsätze von Charles Lindbergh:


- Is Civilization Progress? In: Reader's Digest, July 1964
- An Apparatus for the Pulsating Perfusion of Whole Organs. In: Cytobiology, etwa 1967
- Observations on Contracting Monkey Hearts Maintained in Vitro at Hypothermic Temperature. In: Johns Hopkins Medical Journal, etwa 1967
- The Wisdom of Wilderness. In: Life, December 1967
________________________

1. Bading, Ingo: Charles Lindbergh ist souverän gestorben. Auf: Studium generale, 31.5.2007
2. Bading, Ingo: Ein dritter Weg zwischen Atheismus und Monotheismus?. Auf: Studium generale, 2.6.2007
3. Bading, Ingo: Ein "absolut einzigartig" Liebender - Charles Lindbergh. Auf: Studium generale, 9.6.2007
4. Bading, Ingo: Charles Lindebergh - Hätten die USA 1941 seiner Politik folgen sollen?. Auf: Studium generale, 11.6.2007
7. Friedman, David M.: The Immortalists. Charles Lindbergh, Dr. Alexis Carrel, and Their Quest to Live Forever. HarperCollins Publishers, New York 2007
8. Friedman, David M.: The Immortalists. (Video) Bücherlesung im Loft Literary Center, Minneapolis, Minnesota, United States, 18.9.2007
9. Lindbergh, Reeve: Forward From Here. Leaving Middle Age and Other Unexpected Adventures. Simon & Schuster, New York 2008
10. Berg, A. Scott. Lindbergh. G.P. Putnam's Sons, New York 1998, dt.: "Charles Lindbergh - Ein Idol des 20. Jahrhunderts" (1999)
11. Danuta Harrich-Zandberg (Drehbuch und Produktion), Harrich, Walter (Regisseur): Charles Lindbergh. The True Story. DIWA Film GmbH, 2005 (mit A. Scott Berg, Astrid Bouteuil, David Hesshaimer, Dyrk Hesshaimer)
12. Koeslag, Johan H.: Causes of Aging and Death. Stellenbosch University, Faculty of Health Sciences, 2007
13. Artikel "Cell Culture" auf: Cell Biology Wiki (2010)
14. Charles Lindbergh auf Wikiquote.

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