"Fußball-Fan? - Was bist Du denn für ein schräger Vogel?"
oder: Gruppenauseinandersetzungen bei Vögeln(Der Hauptartikel zu diesem Thema hier: Studium generale)Ameisen und Bienen, Schimpansen, Bonobos, Paviane, Nacktmulle, die afrikanischen Zwergmungos und die israelischen Graudroßlinge - alles Tiere, die in zumeist größeren Gruppen leben, deshalb so mancherlei Ähnlichkeit mit menschlichem Sozialverhalten aufweisen und deren Erforschung deshalb auch schon so manche Neuerkenntnis bezüglich der evolutiven Wurzeln des menschlichen Sozialverhaltens erbracht haben, also das menschliche Selbstbild beeinflußt haben.
Zuletzt waren es die israelischen Graudroßlinge, eine Vogelart, erforscht durch das Ehepaar Amoz Zahavi und Frau, die Anlaß zu einer ganz neuen Theorie in der Verhaltensforschung gegeben haben, nämlich der sogenannten "Handicap-Theorie", auch Signal-Theorie genannt. (Siehe etwa Eckart Voland "Angeber haben mehr vom Leben".) Man kann diese Theorie auch die "Übermut-Theorie" oder die "Halbstarken-Theorie" nennen. Die Graudroßlinge, diese schrillen Vögel, konkurrieren nämlich innerhalb der Gruppe einmal anders herum nicht darum, anderen Gruppenmitgliedern die meiste Nahrung wegzunehmen, sondern darum, ihnen die meiste Nahrung geben zu dürfen. Womit deutlich wird: In der Natur läßt sich nicht leicht alles über einen Kamm scheren.
Die Baumhopfe in den südafrikanischen WäldernNun gerät durch eine neue Studie (
Presseerklärung) eine in Gruppen lebende Vogelart ins Blickfeld der Forschung, genannt die
Baumhopfe (Phoeniculus purpureus), englisch "
Green Woodhoopoe". Sie werden von
Andrew Radford von der Universtität Bristol erforscht (siehe
Hauptblog und die Abbildungen dieses Beitrages). Ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich über ganz Afrika südlich der Sahara. Sie sind entfernter mit den europäischen Wiedehopfen verwandt. Auf
seiner Seite schreibt Andrew Radford, daß er erforscht:
1. wie in Vogelgruppen Entscheidungen getroffen werden (demokratisch oder despotisch),
2. wie Alarmrufe evoluiert sind,
3. welche Funktion Lautäußerungen während der Nahrungssuche haben,
4. soziale Gefiederpflege bei Vögeln entsprechend dem sozialen Fellausen bei Schimpansen, englisch "Allopreening".
Verbreitungsgebiet der Baumhopfe Diese soziale Gefiederpflege bei Vögeln nun ist im Gegensatz zum Fellausen bei Säugetieren noch kaum erforscht, schreibt Radford:
Allopreening is a widespread phenomenon among birds but, unlike allogrooming in mammals, virtually no detailed studies have investigated its functions. In green woodhoopoes, a group-living African bird species, allopreening appears to serve a dual purpose: allopreening of the head and neck region (inaccessible to the recipient itself) seems to be primarily for hygienic purposes; in contrast, allopreening of the rest of the body may serve a primarily social function. Allopreening of these accessible body parts peaks at certain times of year, is more apparent in larger groups and dominants are the recipients far more than subordinates, which themselves conduct more of the active preening. This suggests that the allopreening acts to enhance social cohesion within the group, rather than to maintain dominance relationships.
Daß die soziale Gefiederpflege häufiger ist, um so größer die Gruppen sind und eher soziale als hygienische Bedeutung hat, erinnert alles sehr deutlich an die "Social Brain"-Thesen von Robin Dunbar, nach der das Fellpflegen die evolutive Wurzel des menschlichen Sprechens, des menschlichen "Klatsches und Tratsches" ist. In welchem Verhältnis die Häufigkeit von sozialer Gefiederpflege zu der Häufigkeit von Auseinandersetzungen mit anderen Gruppen steht, war bisher noch nicht erforscht worden:
I am currently examining how intragroup allopreening is influenced by intergroup conflict. Although numerous studies have investigated the increase in affiliative behaviour following conflict between group members, virtually none have looked at the importance of conflict between groups, even though these are common in many social species. It appears that intragroup allopreening increases following intergroup conflicts, particularly those that are long in duration or lost, and those involving strange groups as opposed to neighbours. Moreover, not all group members increase their allopreening to the same extent: the postconflict increases are the result of more allopreening of subordinate helpers by the dominant pair. This may be because the dominant pair are trying to encourage the helpers to participate in future intergroup conflicts; they may be trading stress-reducing allopreening for assistance in intergroup conflict.
Die
Süddeutsche erläutert das in deutscher Sprache:
Jeweils zwölf Baumhopfe leben in Gruppen zusammen - ein dominantes Brutpaar und mehrere nicht brütende, untergeordnete Vögel, die bei der Aufzucht des Nachwuchses behilflich sind. Während der Kämpfe mit den Rivalen tragen die untergeordneten Baumhopfe mehr zum Erfolg bei als die dominanten.
Daher vermutet der Autor der Studie, Dr. Andy Radford von der University of Bristol, die dominanten Vögel würden ihre untergeordneten Freunde so häufig putzen, um sie für den bevorstehenden Kampf fit zu machen.
Der britische Wissenschaftler zeigt in seiner Studie ebenfalls, dass Baumhopf-Gemeinschaften, die sehr oft mit ihren Nachbarn in Konflikt gerieten, sich öfter gegenseitig putzen würden als friedlichere Gruppen. "Das Putzen vermindert vermutlich den Stress und fördert den Zusammenhalt innerhalb der Gruppe. Das ist besonders wichtig nach verlorenen Schlachten", begründet Dr. Andy Radford.
Es wird also deutlich, daß die sich fortpflanzenden Elterntiere der Gruppe ihre "Helfer am Nest" durch Gefiederpflege "bei der Stange halten" und damit den Gruppenzusammenhalt aufrecht erhalten und die Gruppengröße ermöglichen.
Fußball-Fans: "Versuchen wir, es mit Fassung zu tragen!"Da ihr Verhalten von Radford so deutlich mit dem von Fußballfans verglichen wurde (siehe Hauptblog) interessieren sich übrigens neuerdings auch diese für die Verhaltensforschung (
11freunde.de,
Bundesligablog.de). Und sie geben zugleich auch ein schönes Beispiel dafür, wie man mit Forschungsergebnissen umgehen kann, die man sich weder gewünscht hat, und auf die man zunächst auch nicht besonders erfreut reagieren kann:
Wissenschaftler der englischen Universität Bristol wollen herausgefunden haben, dass Baumhopfe einander nach Niederlagen trösten. »Genauso wie Fußballfans sich im Pub bemitleiden, wenn ihre Mannschaft verloren hat, unterstützen sich auch Vögel nach einem Wettkampf mit ihren Rivalen«, erklärte die Universität am Mittwoch. Sie liebkosten und putzten sich gegenseitig (...). Der Anteil der putzenden Baumhopfe sei in den Gruppen am größten, die das stürmischste und konfliktreichste Verhältnis zu ihren Nachbargruppen hätten.
(...) Viele Fans haben (...) nun also auch noch zu ertragen, dass sie sich nur aufgrund des fehlenden Gefieders und der Unfähigkeit zu fliegen von den bizarren Baumhopfen unterscheiden.
Wir wollten das nicht wissen. Beim besten Willen nicht. Aber Forschungsergebnisse flattern einem ja selten auf Bestellung ins Haus. Versuchen wir, es mit Fassung zu tragen. Denn immerhin: Das Schicksal, einem Vogel ähnlich zu sein, trifft uns alle gleichermaßen. Es macht uns zu Brüdern.
Steh auf, wenn du ein Baumhopf bist!
schreibt Dirk Gieselmann "gefaßt". ;-)
Die Gruppenselektion in der DiskussionHier für Interessierte noch die theoretische Einleitung der Studie, die manche weiterführenden Literaturhinweise bietet bezüglich der derzeitigen Debatte um die Gruppenselektion, insbesondere auch die Arbeit
von Kern Reeve und Bert Hölldobler von 2007 (pdf. frei verfügbar) über "Superorganismen". Zu dem Thema soll ja bald ein viel erwartetes Buch erscheinen:
In many social species, including humans, conflict between groups (intergroup conflict) is commonplace (Radford 2003; Choi & Bowles 2007; Kitchen & Beehner 2007). For example, group members often produce a combined display (McComb et al. 1994; Radford 2003) or fight alongside one another (Watts & Mitani 2001; Wilson et al. 2001) when defending their territory against rival groups.
Und dann heißt es:
Theoreticians have long suggested that the amount of intergroup conflict in which a group is involved could influence the amount of cooperation or affiliation displayed by its members (Hamilton 1975; Alexander & Borgia 1978). Selection for cooperation should be reduced when intergroup conflict occurs at a low rate relative to conflict between group members (intragroup conflict), and this is true whether groups are composed of relatives (West et al. 2002) or non-relatives (West et al. 2006). Increased intergroup conflict should favour higher levels of cooperation, especially if cohesion between group members is important for success (Reeve & Hölldobler 2007). Despite these clear predictions, empirical investigations of the relationship between intergroup conflict and intragroup affiliative behaviour are rare in non-human animals (for exceptions, see Cheney 1992; Radford 2008).
Die hier unterstellte allgemeine Gültigkeit der theoretischen Grundannahmen wird auf dem Hauptblog von Studium generale etwas in Zweifel gezogen. (
Studium generale) Das stellt aber nicht die neue Erkenntnis infrage, daß nicht nur Fußball-Fans so die eine oder andere Eigenschaft eines "schrägen Vogels" haben. Das "Wundenlecken" nach starkem sozialen Engagement ist ein sehr weit und allgemein verbreitetes Phänomen beim Menschen, diesem so durch und durch "sozialen" - oder mitunter auch asozialen - "Wesen".