Sonntag, 21. Juni 2009

Karl Marx, die Ausbeutung und die Familien

Argumentiert die Partei "Die Linke" auf der Höhe unserer Zeit?
Die weltweite Krise ist das Resultat einer gigantischen Umverteilung des von vielen erarbeiteten Reichtums zugunsten weniger.

So standen die Worte in einer Zeitungsanzeige der Partei "Die Linke", mit der sie für die Europawahl zum 7. Juni 2009 für sich warb. Diese Zeitungsanzeige machte einen einmal aufs Neue auf ein Thema aufmerksam, das noch viel zu wenig in das Bewußtsein der heutigen Menschen gedrungen ist. 

Die kapitalistischen Wirtschaftsverhältnisse sind von Karl Marx als Ausbeutungs-Verhältnisse charakterisiert worden. Im Mittelpunkt seiner Analyse der kapitalistischen Wirtschafts-Verhältnisse steht seine "Mehrwert"-Theorie, über die man sich bei Wikipedia informieren kann (Wiki). Es ist nun merkwürdig, daß selbst in parteiinternen Diskussionen der Partei "Die Linke" die Analyse der heutigen kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse derzeit nicht wirklich über solche klaren und eindeutigen Sätze wie den obigen hinaus weitergeführt werden. Selbst von so vermeintlich kommunistischen und linken VordenkerInnen wie Sarah Wagenknecht (Wiki) und der "Kommunistischen Plattform" (Wiki) nicht. Soweit man das mitbekommt, können sich demgegenüber innerparteiliche Kritiker nicht durchsetzen. 

Auch die neuerliche Rede von Oskar Lafontaine (hier) drischt mehr Phrasen, als daß klare Analysen gegeben werden und daraus klare und grundlegende Schlußfolgerungen gezogen würden. Da stellt sich die Frage, ob die Kommunisten überhaupt jemals richtig verstanden haben, um was es bei der Mehrwert-Analyse von Karl Marx geht und wie sie auf die jeweilige aktuelle Situation zu übertragen ist. Nur allzu oft gewinnt man den Eindruck, daß die heutigen Wirtschafts-Theoretiker und -Analysten - aus welcher Richtung sie auch immer kommen - den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. 

Man lese dazu nur einmal damit zusammenhängende Wikipedia-Artikel wie "Arbeitswerttheorie" (Wiki) oder "Verteilungsgerechtigkeit" (Wiki).  

Wie sollen Rationalisierungsgewinne verteilt werden? 

Daber geht es letztlich um einfache Zusammenhänge. Auf diese haben wir auf "Studium generale" auch schon des öfteren hingewiesen. Die moderne Wirtschaftsentwicklung bringt aufgrund der hochgradigen Arbeitsteilung Rationalisierungsgewinne mit sich, die einen sehr großen ungeheuren Umfang haben können. Der einzelne Bürger kann sich diese Rationalisierungsgewinne zumeist gar nicht vorstellen, ihm wird auch zumeist keine Vorstellung von ihnen gegeben. 

/ Ergänzung, 22.11.2021 Die Wirtschaftswissenschaft spricht diesbezüglich von "Economies of scale" (Wiki), bzw. zu Deutsch von "Skaleneffekten" (Wiki), auf denen das "Gesetz der Massenproduktion" (Wiki) beruht. 

Daß sich die Menschen tatsächlich eklatant über die Ungleichverteilung von Vermögen täuschen, ist von dem Betrugs-Forscher Dan Ariely (Wiki) 2011 aufgezeigt worden (s. Abb. 1). /

Abb. 1: Die von US-Amerikanern als ideal angesehene Vermögensverteilung (unten), die von ihnen geschätzte Vermögensverteilung (mitte) und die tatsächliche Vermögensverteilung (oben) (n. Dan Ariely, 2011) (Quelle: Wiki)

Ein klassisches Beispiel ist der Verkauf von Computer-Software des Computer-Giganten Microsoft. Die Gewinne, die ein Bill Gates hier eingefahren hat, sind alles Rationalisierungsgewinne. Aber wer sagt denn eigentlich, wer legt fest, daß diese Milliarden Euro, die er dabei verdient werden, ausgerechnet diesem Bill Gates zustehen? Es wird hier einfach überall in der Wirtschaft ein ganz imenser Wohlstand erarbeitet. Und es gilt, überall in den Wirtschaftsprozessen nach diesen Rationalisierungsgewinnen zu fragen und zu fragen, ob diese gerecht auf jene Gesellschaft zurückverteilt werden, die sie erwirtschaftet hat.

Denn ohne intelligente und neugierige Konsumenten kann auch ein Bill Gates seine Rationalisierungsgewinne gar nicht einstreichen und anhäufen. Um die hier etwaig vorliegenden wirtschaftlichen Ausbeutungsverhältnisse zu analysieren, dazu ist ja die Mehrwert-Theorie von Karl Marx einstmals formuliert worden.*)

Adam Smith, Arbeitsteilung, Rationalisierungsgewinne 

Alle Analyse in diesen Zusammenhängen geht zurück auf den berühmten britischen Wirtschaftstheoretiker Adam Smith, der erstmals auf die Ursachen und Auswirkungen des Prinzips Arbeitsteilung im wirtschaftlichen Produktionsprozeß aufmerksam gemacht hat. Dieses Prinzip ermöglicht die Rationalisierungsgewinne, also den "Mehrwert" der Arbeit. 

Die Arbeit eines einzelnen hat um so mehr Wert, um so mehr sie rationalisiert wird. Aber der einzelne hat keinen Anteil an dieser Wertschöpfung, sondern der "Kapitalist", der die zur Rationalisierung notwendige Maschine entwickelt hat oder zur Verfügung stellt, streicht den Mehrwert ein. Es ist leicht vorauszusagen, daß es bei der egoistischen Mentalität von Menschen - zumal in Zeiten des "Kapitalismus", in Zeiten der "Unübersichtlichkeit" und in Zeiten teilanonymer Gesellschaften - dabei nicht unbedingt besonders gerecht zugehen muß. Der grundlegende Zusammenhang findet schon im zweiten Absatz des Wikipedia-Artikels zu "Mehrwert" (Wiki) /Version von 2009/:

Das Wort Mehrwert (surplus value) verwendet bereits William Thompson. Wie Engels und Kautsky gegenüber Anton Menger nachweisen, bezeichnet Thompson mit diesem Terminus den zusätzlichen Profit, den ein maschineneinsetzender Kapitalist gegenüber dem Handwerker erzielt.

Es handelt sich also um Gewinne, die auf Rationalisierung im Produktionsprozeß beruhen, also auf dem Prinzip Arbeitsteilung.

William Thompson: "Die Verteilung des Volkswohlstandes" 

Die von Marx gezogene praktische, ethische Schlußfolgerung, Nutzanwendung aus der theoretischen Analyse - die allgemeine Verteilung aller Produktionsgüter und damit die Abschaffung des Privateigentums - war sicherlich die ganz und gar falsche - wie uns ja die Geschichte bis 1989 belehrt hat. Denn dadurch wird der wichtigste Antrieb, die Eigenverantwortung für die eigene Leistung aus den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Austauschprozessen heraus genommen. 

William Thompson, auf den im obigen Zitat als eine Quelle von Karl Marx hingewiesen worden ist, schrieb 1824 "An Inquiry into the Principles of the Distribution of Wealth Most Conducive to Human Happiness". Was erfahren wir über diesen Iren Thompson?

Die gegensätzlichen Anschauungen von William Godwin und Thomas Malthus spornten Thompson an, sein eigenes Forschungsprojekt über die Rolle der Verteilungsgerechtigkeit in der Volkswirtschaft voranzubringen; es führte ihn zunächst nach London, wo er 1824 seine 'Untersuchung über die Grundlagen der fürs menschliche Glück förderlichsten Verteilung des Wohlstands' eröffentlichte. (...) In der Argumentation folgt Thompson der Arbeitswerttheorie, die Ricardo in seinen sieben Jahre vorher veröffentlichten Principles of Political Economy (Grundlagen der Politischen Ökonomie) dargelegt hatte. Allerdings charakterisiert er die Aneignung des Löwenanteils des Mehrwerts durch den Kapitalgeber der Produktionsmittel als Ausbeutung. (...) Thompsons Buch enthüllt seine eigene Entwicklung; beginnend mit der Forderung nach dem gesamten Arbeitsprodukt [für den Arbeiter] und der Steuerung der Verteilung, entwickelt er schließlich kommunistische Auffassungen, das heißt die der unbegrenzten Verteilung.

Also zunächst an einer klaren Analyse der Gesetzmäßigkeiten und Möglichkeiten von Rationalisierung und dann an der gezogenen Schlußfolgerung, nämlich der Forderung nach Enteignung von Privateigentum, scheitert die marxistische Theorie.  

Gerhard Mackenroth und die Bedeutung der Demographie für die Stabilität von arbeitsteiligen Gesellschaften 

Konkreter und passender wurde das Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit wohl unter anderem durch den bedeutendsten deutschen Demographen des 20. Jahrhunderts, durch Gerhard Mackenroth formuliert. Er erkannte, daß die Leistungen, die zur Aufrechterhaltung einer hochgradig arbeitsteiligen Gesellschaft erbracht werden - um so stärker der Rationalisierungsgrad vorangeschritten ist, sogar um so mehr - in immer stärker wachsenden Anteilen sozialer und familiärer Art sind: Wenn Wirtschaft auf Kosten der Demographie betrieben wird, geraten Gesellschaften in Instabilität. 

Und tatsächlich hat ein "Rationalisierungsfachmann" wie Bill Gates die demographischen, wirtschaftlichen und bildungsmäßigen Grundlagen und Voraussetzungen gar nicht geschaffen, die ihm seine Rationalisierungsgewinne überhaupt ermöglichten, die ihm nämlich eine so breite, bildungs- und fortschrittswillige und -fähige Käuferschicht für seine Computerprogramme überhaupt zur Verfügung stellte. 

Diese Käuferschicht wurde erst in den Familien "produziert", bzw. "reproduziert". Und dieser Umstand ist in eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung genauso wie die Umweltkosten mit hineinzunehmen, wie schon im 5. Familienbericht der Bundesrepublik Deutschland 1994 ausgeführt worden ist. Denn Kinder aufzuziehen kostet Arbeit, Zeit und Geld wie alles andere auch in der Wirtschaft und im Arbeitsleben. Und wird das nicht in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung mit hineingenommen, bildet sich dieser Umstand in den wirtschaftlichen Austauschprozessen in keiner Weise ab.  

Eine Rangliste der sozialen Ansprüche an das Volkseinkommen 

Wie nun stellte sich Gerhard Mackenroth die Verteilung des Wohlstandes vor? Darüber schrieben wir schon vor zwei Jahren in einem Beitrag (St. gen., 1, 2) und es soll hier erneut zitiert werden. Er spricht nämlich davon, daß eine "Rangliste der sozialen Ansprüche an das Volkseinkommen" aufgestellt werden müsse. Diese Rangliste dürfe nicht "von Tag zu Tag" je nach den verfügbaren Mitteln geordnet und neu geordnet werden, sondern müsse ganz unabhängig vom täglich erwirtschafteten Volkseinkommen aufgestellt sein und bleiben. Es geht ihm also um neutrale Objektivität in der Sozialpolitik und darum, von vornherein möglichst viele, sich einschleichende Egoismen aller Art auszuschließen. Er sagt ganz unmißverständlich:

"Die Rangordnung der sozialen Ansprüche (...) hat mit der jeweiligen wirtschaftlichen Lage der betreffenden Volkswirtschaft nichts zu tun. Sie ergibt sich in einem innerlich gefestigten Gemeinwesen aus den Forderungen des sozialen Gewissens und der Einheit des ethischen Bewußtseins. Wo in einer sich desintegrierenden Gesellschaft diese Werte zerfallen, ergibt sie sich allein aus den politischen Machtpositionen der Interessengruppen, und die Gefahr aller demokratischen Gemeinwesen, in denen der Nichtbesitzende politische Macht übt, besteht darin, daß sich die zufällig an der Macht befindlichen Interessentengruppen große Beträge aus dem Staatssäckel bewilligen oder bewilligen lassen, während andere leer ausgehen, die sie dringender brauchen." (1; 2, S. 48)

Das braucht gar nicht kommentiert werden. Weitergehend erläutert Mackenroth seinen Grundgedanken folgendermaßen:

"Interessentenorganisationen sollen und müssen sein, nur muß es darüber noch eine höhere Instanz geben, die sie in ihre Grenzen und Schranken verweist und sie miteinander koordiniert und schließlich auch die zum Zuge kommen läßt, die durch Interessentenorganisationen noch nicht vertreten sind. Ich kenne noch keine Vertretung der ungeborenen Säuglinge und kann mir eine solche auch schlecht vorstellen. In Amerika hat es freilich einmal eine Organisation gegeben, der 'Veterans of future wars', aber das war ein Studentenulk und keine politische Wirklichkeit." (1; 2, S. 48f)

Dann spricht Mackenroth einen Gedanken aus, der noch heute nicht vollständig das öffentliche und politische Bewußtsein durchdrungen hat, denn auch heute noch denkt man in den Prinzipien, daß man sich durch "Sparen", Geldeinzahlen in Fonds, Versicherungen jene "Reserven" "ansparen" würde, die man dann bei Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Alter "gerechterweise" aufbrauchen könne. Ein solches Denken war - folgen wir Mackenroth - schon im Jahr 1952 völlig veraltet. Ganz besonders merkwürdig aus dieser Sicht, daß es noch heute so allseits vorherrschend ist.   

Gesellschaften haben noch niemals "Vorratswirtschaft" betrieben, die nicht aus Kindern bestand

Mackenroth:

"Nun gilt der einfache und klare Satz, daß aller Sozialaufwand immer aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden muß. Es gibt gar keine andere Quelle und hat nie eine andere Quelle gegeben, aus der Sozialaufwand fließen könnte, es gibt keine Ansammlung von Fonds, keine Übertragung von Einkommensteilen von Periode zu Periode, kein 'Sparen' im privatwirtschaftlichen Sinne -, es gibt einfach gar nichts anderes als das laufende Volkseinkommen als Quelle für den Sozialaufwnad. Das ist auch nicht eine besondere Tücke oder Ungunst unserer Zeit, die von der Hand in den Mund lebt, sondern das ist immer so gewesen und kann nie anders sein. Ich darf dabei wohl absehen von den Fällen einer vorindustriellen Naturalwirtschaft, wo man Sozialpolitik treibt durch Anlage von Getreidemagazinen u.a.." (1; 2, S. 45)
Und Mackenroth präzisiert in verschärfter Weise:
"Es gibt volkswirtschaftlich gesehen keine Möglichkeit einer Versicherung gegen irgendwelche sozialen Risiken, nicht einmal gegen die mit Sicherheit eintretenden Ereignisse wie Alter und Invalidität, ganz abgesehen von einem so allgemeinen in seiner Versicherungsfähigkeit angezweifelten Risiko wie der Arbeitslosigkeit. (...) Die volkswirtschaftliche Problematik läßt sich nicht dadurch lösen oder beiseite schieben, daß man nach den Grundsätzen eines ordentlichen Kaufmanns private Risiken versichert. (...) Das Versicherungsprinzip ist geeignet, den einzelnen zu sichern gegen die Abweichung seines Falles von der sozialen Norm, es kann aber nicht die Volkswirtschaft sichern gegen eine Änderung der sozialen Norm, gegen eine soziale Katastrophe." (1; 2, S. 45f)
"Diese Tatsache bezeichne ich hier und anderswo als das Prinzip der Einheit des Sozialbudgets: Es gibt nur eine Quelle allen Sozialaufwandes, das laufende Volkseinkommen." (1; 2, S. 47)

Natürlich beginnt sich dieser Gedanke in Zeiten der zahlenmäßig abnehmenden Nachkommenzahlen und in Zeiten, wo man absehen kann, wozu "Versicherungs-Einzahlungen" der Vergangenheit gut waren, wenn künftig keine Menschen mehr da sind, die die Rückzahlungen der Einzahlungen erwirtschaften, allmählich - langsam, langsam - durchzusetzen. Dazu ist aber auch zu sagen: 1. Es wäre wohl besser gewesen, wenn sich diese Erkenntnisse schon Jahrzehnte früher "langsam, langsam" durchgesetzt hätten. Hier haben inzwischen schon abgetretene Generationen auf Kosten der gegenwärtigen und künftigen Generationen gelebt. 2. Noch heute könnte man es für notwendig halten, daß viel zur Beschleunigung der Durchsetzung solcher Einsicht getan wird. Die heute noch geradezu revolutionären Kernteile des Mackenroth-Planes aber befinden sich dann in dem Abschnitt "Sozialpolitik und Familie". Es sollen hier noch einmal die wichtigsten Passagen gebracht werden.

"Die sozialpolitische Großaufgabe des 20. Jahrhunderts: Familienlastenausgleich"

"... Ich greife nur eine Aufgabe heraus, die uns noch bevorsteht, und die mir besonders am Herzen liegt: an Stelle einer Klasse muß heute Objekt der Sozialpolitik die Familie werden, und zwar quer durch alle Klassen und Schichten, es gibt da überhaupt keine Unterschiede mehr." (1; 2, S. 60)

Das ist lange vor 1968 gesprochen worden. Und dabei ist Mackenroth keineswegs einem veralteten Familienbild verhaftet. Er sagt zum Beispiel, man bedenke, schon im Jahr 1952:

"Wir können nicht einen widerstrebenden jugendlichen Arbeitslosen in eine ebenso widerstrebende Familie hineinzwingen und ihn damit der patria potestas" (der väterlichen [Erziehungs-]Gewalt) "ausliefern. Solche Holzhammermethoden würden mehr zerstören als erhalten. Die patriarchalische Familie ist im Abbau und kann nicht über die Sozialpolitik konserviert werden. Die Familie der industriellen Gesellschaft ist ein ganz anders konstruiertes Gebilde und in der Beziehung zwischen den Erwachsenen viel lockerer, sie gewinnt aber gerade bei dieser äußerlich gelockerten Beziehung eine eigentümliche innere Festigkeit. Dennoch bedarf sie der Stützung durch die Sozialpolitik, besonders was die Stellung der Kinder angeht, und hier beginnt die zweite Schicht der Sozialpolitik und setzt ihre aktive Aufgabe ein. In der alten bäuerlichen Wirtschaft und im Frühkapitalismus mit seiner Kinderarbeit waren Kinder von früher Jugend an Miterwerber im Rahmen des Familieneinkommens. In der bäuerlichen, besonders in der kleinbürgerlichen Wirtschaft sind sie gelegentlich heute noch willkommene Arbeitskräfte. In der Arbeiter- und Angestelltenfamilie der heutigen industriellen Gesellschaft sind Kinder - um es auf eine einfache Formel zu bringen - zu reinen Kostenelementen in der Familie geworden, nicht zuletzt durch unsere sozialpolitischen Errungenschaften, wie das Verbot der Kinderarbeit, oder auch ganz allgemein durch die höheren Anforderungen an Aufwand und Ausbildung, die wir heute für unsere Kinder stellen. Damit hat sich unsere ganze Verteilungsordnung entscheidend geändert, und zwar nicht zwischen Sozialklassen oder Einkommensschichten, sondern innerhalb jeder Sozialklasse und Einkommensschicht zwischen den familienmäßig Ungebundenen und den Familien mit keinem oder wenigen Kindern auf der einen und denen, die die volle ökonomische Last einer notwendigen Kinderaufzucht übernehmen, auf der anderen Seite. Ich weise in meiner 'Bevölkerungslehre' nach, daß darin einer der Hauptfaktoren für den Geburtenrückgang, jedenfalls für seine extremeren Ausmaße, zu suchen ist. Er ist, so gesehen, gewissermaßen eine unerwünschte Nebenwirkung der Sozialpolitik und des sozialen Fortschritts." (1; 2, S. 60f) "Hier erwächst der Sozialpolitik noch einmal eine neue Großaufgabe, die sozialpolitische Großaufgabe des 20. Jahrhunderts: Familienlastenausgleich, m.E. der einzig sozial sinnvolle Lastenausgleich, denn sein Richtmaß ist nicht vergangener Verlust, sondern eine gegenwärtige Leistung, deren Lasten ausgeglichen werden sollen: die Lasten für das Aufbringen der jungen Generation, ohne die kein Volk und keine Kultur ihre Werte erhalten und tradieren können, müssen gerecht verteilt werden, so daß das Volk nicht durch falsche Verteilung dieser Lasten seinen Bestand gefährdet." (1; 2, S. 61)

"Eine grundsätzliche Neugestaltung der Verteilungsordnung"

"Ich möchte nur keinen Zweifel daran lassen, daß es mit einer Politik der kleinen Mittel nicht getan ist - alle solche Maßnahmen würden hoffnungslos verpuffen -, sondern daß es sich hier um eine ganz große Einkommenumschichtung und eine grundsätzliche Neugestaltung der Verteilungsordnung handeln muß, wenn man damit etwas ausrichten will, eine Umschichtung nicht zwischen Einkommens- und Sozialschichten, sondern innerhalb jeder Schicht zwischen den Familien." (4, S. 62) "Das Familienprinzip auch in der laufenden Sozialpolitik muß über eine viel stärkere Berücksichtigung des Kindes und des Jugendlichen durchgesetzt werden, des noch nicht arbeitsfähigen Schulkindes und der Lehrlinge, bis zum Abschluß ihrer Ausbildung. Wir werden überhaupt früher oder später vor der Notwendigkeit stehen, unser Interesse und auch unsere Mittel in Politik und Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik viel mehr auf unsere Jugend zu konzentrieren, wenn uns nicht der Osten darin den Rang ablaufen soll." (1; 2, S. 62)

Es gilt also zu klären: Wer trägt - auch nach all den vielen Rationalisierungen der letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte in der Landwirtschaft, im gewerblichen Bereich und im Dienstleistungsbereich - wer trägt die Hauptlasten zur Aufrechterhaltung dieser unserer arbeitsteiligen Gesellschaft? Und bildet sich das sozial gerecht in der Verteilung des wirtschaftlichen Wohlstandes, in der Verteilung der Rationalisierungsgewinne ab, die zugleich auch Zuteilung von Verantwortungsbereichen darstellen?

Wie jede berufliche Position, wie jede Geldeinnahme Verantwortung mit sich bringt und deshalb dementsprechend auch bemessen ist - auch entsprechend der Art und des Ausmaßes, wie der einzelne der jeweiligen Verantwortung gerecht wird -, so bringt auch die Position von Menschen als Eltern Verantwortung mit sich. Sogar sehr große. Und diese Verantwortungspositon muß deshalb einfach gesellschaftlich die gleiche Achtung genießen wie jede andere verantwortliche Position.

Und gesellschaftliche Anerkennung und damit allzu oft auch Selbstwertgefühl wird in der heutigen Zeit vor allem durch Lohn- und Gehaltsabrechnungen zugeteilt oder entzogen. Zu solchartigen Analysen der heutigen Situation hört man von der Partei "Die Linke", die dafür wohl prädestiniert wäre (- oder wer sollte es sonst sein?), so gut wie gar nichts. Was nützen uns da hohle, abgenutzte, abgedroschene Phrasen des Klassenkampfes?

_________________

*) Ob sie - in den Formulierungen von Karl Marx selbst - zu diesem Zweck jemals ihrer Anlage nach wirklich ausreichend fähig gewesen ist oder ob sie nicht doch eher verwirrt als klärt, das haben wir für uns noch nicht überprüft und wäre noch einmal zu klären. Das bleibe an dieser Stelle dahingestellt. Hat Karl Marx den Zusammenhang womöglich doch noch nicht klar genug gesehen und als grundlegend genug angesehen oder er hat zu mißverständlich darüber gesprochen? Jedenfalls scheinen seine Anhänger bis heute darüber nicht ausreichend klar strukturiert argumentieren zu können. Nichts anderes aber könnte notwendig sein in unseren Zeiten, wenn man einen gesellschaftlichen Konsens in diesen Fragen erreichen will. Daß sich Karl Marx der Rationalität des Prinzips Arbeitsteilung aber durchaus bewußt war, geht aus vielen seiner Ausführungen hervor. Nur mögen diese Ausführungen womöglich auch untergehen in seinen sonstigen Analysen (siehe z.B. --> hier).

 _________________  

  1. Mackenroth, Gerhard: Die Reform der Sozialpolitik durch einen deutschen Sozialplan. In: Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Neue Folge Band 4, Berlin 1952, S. 39-48, 56-59. Gekürzter Wiederabdruck in: 2., S. 43-74
  2. Böttcher, Erik (Hg.): Sozialpolitik und Sozialreform. Ein einführendes Lehr- und Handbuch der Sozialpolitik. J.C.B. Mohr, Tübingen 1957
  3. Henßler, Patrick: Bevölkerungswissenschaft im Werden - Die geistigen Grundlagen der deutschen Bevölkerungssoziologie. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2007
  4. Mackenroth, Gerhard: Bevölkerungslehre. Theorie, Soziologie und Statistik der Bevölkerung. Springer-Verlag, Berlin u.a. 1953

7 Kommentare:

A.O. hat gesagt…

Ich bin sehr erstaunt, wie Mackenroth die Problematik so klar erfasst hat. Aber Du sagste es ganz deutlich, keiner wollte und will ihn hören. Schon garnicht die Linke (was auch immer das heissen mag). Im Polemisieren sind sie sicher - allen voran der gute alte Oskar - schier unübertrefflich, aber wenn´s an´s Argumentieren geht, dann herrscht wohl plötzlich die große Sprachlosigkeit.

Grüße von Thialfi

Anonym hat gesagt…

Erst seit dem 17. und 18.Jh.wurde die Warenform total, begann also alle anderen ökonomischen Verhältnisse auszuschließen (d.h.: es wird fast auschließlich nur noch produziert, um zu verkaufen) und sich auch die nicht-ökonomischen Bereiche der Gesellschaft unterzuordnen. Damit konnten „Liebe“, „Ehre“ oder so etwas käuflich werden, also für Geld zu haben sein, obwohl in ihnen keine gesellschaftliche Arbeit vergegenständlicht ist, sie also wert-los sind.
Es setzte sich die wertvergesellschaftete Gesellschaft durch. Menschen treten sich in ihr nur noch (oder immerhin: fast ausschließlich) als Warenbesitzer – zumeist Besitzer der Ware Arbeitskraft oder Kapital – gegenüber.
Frage: “Was bist Du?“ Antwort: „Maurer“, „Schuster“, „Becker“.
In der „Berufstätigkeit“ des Mannes soll die Reproduktionstätigkeit der Frau mit entgolten sein, so will es das traditionelle Familienbild.
Eine solche Gesellschaft inclusive hochspezialisierter Arbeitsteilung usw. den ganzen Unsinn bräuchte man nicht wenn es nur 500 Mio Menschen auf der Erde gäbe. Man könnte so leben wie es der Natur des Menschen entspricht, könnte die Nahrung unmittelbar aus der Natur entnehmen ohne die Natur auszubeuten. Es bedürfte keinerlei Rationalisierungsverfahren und denaturierte Nahrung gäbe es nicht ebensowenig wie überdüngte und pestizidverseuchte Ackerflächen intensiver Landwirtschaft. Einen sog. „Generationenvertrag“ in den Zivilisationen kann es nicht geben, denn Renten werden immer nur auf Arbeitsplätzen erwirtschaftet, weswegen die „Wirtschaft“ immer der entscheidend determinierende Faktor für Bevölkerungswachstum ist und auch nur sein kann. Das sagt sogar Mackenroth, wenn er schreibt:„Nun gilt der einfache und klare Satz, daß aller Sozialaufwand immer aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden muß. Es gibt gar keine andere Quelle und hat nie eine andere Quelle gegeben, aus der Sozialaufwand fließen könnte, es gibt keine Ansammlung von Periode zu Periode, kein ‚Sparen‘ im privatwirtschaftlichen Sinne, es gibt einfach gar nichts anderes als das laufende Volkseinkommen als Quelle für den Sozialaufwand “
– Gerhard Mackenroth: Die Reform der Sozialpolitik durch einen deutschen Sozialplan. in: Schriften des Vereins für Socialpolitik NF, Band 4, Berlin 1952
„Überzählige“ Kinder machen ein Volk, eine Wirtschaft kaputt, die Sozialabgaben für jene übersteigen jegliches Maß. Man sieht in China, wo inzwischen sämtliche Flachen überdüngt und mit Pestiziden verseucht sind sowie auch das Grundwasser vergiftet ist auf Generationen hinaus, daß es zurecht verboten wurde mehr als ein Kind zu bekommen. Solche Länder mit viel Nachwuchs sind keineswegs kulturfähiger, ganz im Gegenteil. Die ganzen ökonomischen Faktoren, welche da noch mit reinspielen, wie Wassererschmutzung, Medikamentenmissbrauch, die ganze Logistik samt Verkehr, immenser Sojaanbau nur für Tiernahrungsmittel usw. Wozu soll das gut sein?
Läßt man die Menschen mit Ideologie in Ruhe, regeln sich die Bevölkerungszahlen von selbst, insofern als bei einem wirtschaftlichen Aufschwung mehr Kinder geboren werden, weil es den Menschen gut geht – anderenfalls tritt das Umgekehrte ein.
Eine Demografie wie in Deutschland mit 233 Menschen pro km² (1000 x1000 m – das muß man sich mal vorstellen) braucht keine weiteren Menschen mehr und insofern schon gar keine Anreize finanzieller Art, im Gegenteil sollte für Kinder die keinen Arbeitsplatz bekommen (können) von den Eltern lebenslang für deren Auskommen gesorgt werden, weshalb sollte das die Gemeinschaft übernehmen oder gar diejenigen die aus Verantwortungsbewußtsein für die Natur und die Erde auf Kinder verzichtet haben? Immer mehr Menschen in die Welt zu setzen ist heutzutage ein Verbrechen, ebenso wie ein solches Verhalten künstlich mit finanziellen Anreizen zu fördern.  

Anonym hat gesagt…

Diese Thesen sind nicht von Mackenroth, sondern von Samuelson.
"Samuelson beriet mehrere amerikanische Präsidenten. Jedoch lehnte er ein Angebot von John F. Kennedy mit der Begründung ab, er wolle keine Position übernehmen, in der er nicht länger sagen und schreiben könne, was er wolle und wissenschaftlich für richtig halte. Zeitweise war er ständiger Berater des US-Schatzamtes und Berater der US-Zentralbank.[3]" http://de.wikipedia.org/wiki/Paul_A._Samuelson
Berater der FED stimmen immer für ihre Interessen...
Das sagt alles.

Ingo Bading hat gesagt…

"Deutschland schafft sich ab" aufgrund zu geringer Kinderzahlen.

Es wäre konstruiert, würde man sagen, all die Hervorbringungen der Kulturvölker der Nordhalbkugel hätten auch mit weniger Menschen hervorgebracht werden können. Das ist überhaupt nicht zu beweisen. Fakt ist: Unsere Kultur wurde hervorgebracht von einem 80 Millionenvolk, das bis 1945 in einem um ein Drittel größeren Territorium lebte als heute, also nicht so dicht "zusammengepfercht" wie heute, sondern weite, unbesiedelte Gegenden östlich der Oder und der Neiße besaß.

Viele Tierarten passen ihre Nachkommenzahlen einem eingeschränkten Territorium an. Die Deutschen scheinen das derzeit auch zu probieren.

Anonym hat gesagt…

1950 gab es 47 Mio in Deutschland, das bedeutet ungefähr 135 Menschen pro km², davor waren es 41 Mio. auf einer so viel größeren Fläche daß 50 Menschen auf dem km²lebten. Aber selbst wenn das deutsche Volk nur 4 Mio. groß wäre, sagt das wohl kaum etwas über die kulturellen Leistungen aus.Die islamischen Länder haben so gut wie kaum wissenschaftliche oder kulturelle Innovationen hervorgebracht und haben wesentlich mehr Menschen. Die Juden haben einen der höchsten IQs überhaupt aber nur eine Volksgröße von ca. 8 Mio.(in ihrem Land) Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Lage und Bevölkerung. In Ländern mit hohen Geburtenraten frißt die Versorgung des Nachwuchses einen großen Teil des ohnehin bescheidenen Einkommens auf. "Wo die Zahl der Menschen schneller wächst als die Wirtschaftsleistung, sinkt der Lebensstandard, und die Armut nimmt zu", beschreibt Reiner Klingholz, Leiter des unabhängigen Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, diesen Teufelskreis.Die Schlüsselrolle für einen Weg aus diesem Teufelskreis sieht Klingholz bei den Frauen: "Wo Frauen mehr Rechte haben sowie Zugang zu Bildung und eigenem Einkommen, bekommen sie erst später und vor allem weniger Kinder." Die Geburtenrate sinkt, und es öffnet sich für kurze Zeit ein "Fenster" fürs wirtschaftliche Wachstum, wie Klingholz es ausdrückt: Wenn weniger Kinder nachwachsen, werden Mittel für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes frei. Die UN haben das erkannt und auf der Konferenz von Kairo 1994 das Recht auf "reproduktive Gesundheit" in allen Ländern gefordert - ein Recht, das insbesondere religiöse Kräfte in allen Weltgegenden einschränken und verwehren. Insofern und aus ökologischer Sicht ist es ausgesprochen sinnvoll wenn die Deutschen sich dem Territorium anpassen.

Ingo Bading hat gesagt…

Sehr richtig: "Wo die Zahl der Menschen schneller wächst als die Wirtschaftsleistung, sinkt der Lebensstandard, und die Armut nimmt zu".

Aber diese Verhältnisse hat es in Mittel- und Nordeuropa seit über hundert Jahren nicht mehr gegeben. Die Wirtschaftsleistung ist viel, viel schneller egwachsen als die Zahl der Menschen, die ja bekanntlich (was die IQ-begabten "Autochthonen" betrifft) sinkt und zwar bald recht drastisch.

Ingo Bading hat gesagt…

Damit es dazu nicht kommt, gibt es schon seit dem Mittelalter das europäische Heiratsmuster, das da lautete: keine Heiratserlaubnis ohne Stellennachweis. So wurde in Europa dafür gesorgt, daß Bevölkerungswachstum und wirtschaftliche Entwicklung in etwa parallel gelaufen sind. (Denn außerehliche Kinder hatten demographisch keine gar so große Bedeutung.) Das ging gut bis vor etwa 100 Jahren. Seit dem ist die (autochthone) Bevölkerungsentwicklung eine ganz andere als die wirtschaftliche Entwicklung. Die demographische Basis für die entsprechende Wirtschaftsentwicklung bricht von Tag zu Tag stärker weg.

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