Sonntag, 28. Juni 2009

Eine emphatische Frau

Abb.: Mary Wollstonecraft

Vor 250 Jahren wurde Mary Wollstonecraft geboren

Was für ein emphatischer Text - "Eine Verteidigung der Rechte der Frauen" aus dem Jahr 1792 von Mary Wollstonecraft (1759-1797) (1)*). Und schon fünf Jahre später starb sie, mit 38 Jahren. Jene, die diesen Text verfaßt hatte (siehe auch Bild oben).

Es muß an der Zeit liegen: Die Anfangsjahre der Französischen Revolution, als in Deutschland Johann Gottlieb Fichte und Friedrich Hölderlin ähnliche emphatische und zugleich tiefsinnige philosophische Texte zu verfassen fähig gewesen waren. Man erinnere sich etwa an "Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus". Mary Wollstonecraft schreibt:

Worin besteht die Überlegenheit des Menschen über die Schöpfung? Die Antwort ist klar: in der Vernunft. Welche Eigenschaft erhebt ein Geschöpf über das andere? Wir antworten ohne Besinnen: die Tugend.
Wozu sind dem Menschen die Leidenschaften eingepflanzt? Damit er durch Kampf mit ihnen einen Grad von Bewußtsein erreiche, der den Tieren versagt ist.

Ob eine Antwort auf die zuletzt gestellte Frage heutige Menschen ebenso kurz, knapp und entschlossen geben würden? Mary Wollstonecraft, die erste Frau Englands, die mit dieser Schrift im Jahr 1792 die volle Gleichberechtigung der Frau einfordert hat, und deren Schrift sehr schnell auch ins Deutsche damals übersetzt wurde, schreibt in derselben weiter:

Infolgedessen ist die Vervollkommnung unserer Natur und unserer Fähigkeit zur Glückseligkeit abhängig von dem Grade der Vernunft, Tugend und Einsicht, die das Individuum auszeichnen und die die Gesetze leiten, die die Gesellschaft binden. Daß aus der Anwendung der Vernunft Einsicht und Tugend sich von selbst ergeben, ist ebenso unleugbar, wenn man die Menschheit als Ganzes ansieht.

Ohne Frage ist dies noch im vollen Freiheitsgefühl des "Fortschrittsoptimismus" formuliert. Wir wollen uns an dieser Stelle einmal selbst keinen Gallentrank einschenken und uns keineswegs daran erinnern, daß wir heute, zweihundert Jahre später, viel dazu gelernt haben - ebenso wie die Feinde der Aufklärung. Von denen wir uns schließlich erklären lassen müssen, daß es so etwas wie eine "Dialektik der Aufklärung" (Wiki) geben würde. Eine solche würde ihnen natürlich gut in den Kram passen.**)

"Mit der Entschlossenheit des Geistes, der sich seine eigenen Grundsätze bildet"

Nachdem Mary Wollstonecraft auf die vielen eingefahrenen Vorurteile ihrer Zeit hingewiesen hat, schreibt sie weiter:

Der Geist muß sehr stark sein, der mit Entschlossenheit sich seine eigenen Grundsätze bildet. Denn es herrscht eine Art von intellektueller Feigheit, die viele Menschen vor der Aufgabe zurückschrecken oder sie nur halb leisten läßt.

Und dann hält sie in überraschend ähnlichem Tonfall wie das Älteste Systemprogramm ihre Forderungen fest (- hat sich da etwa Hölderlin drei Jahre später von Mary Wollstonecraft inspirieren lassen?):

Für die Gesamtheit der Frauen ist die erste Pflicht die gegen sich selbst als vernunftbegabte Wesen und die nächste an Bedeutung die als Bürgerin, eine Pflicht, die so viele andere einschließt, namentlich auch die der Mutter. Die Frau, die ihrem Gatten treu ist, aber ihre Kinder weder stillt noch erzieht, verdient kaum den Namen Gattin und hat kein Recht auf den des Bürgers - nur eine Patriotin kann Patrioten, nur eine Staatsbürgerin kann Bürger gebären und erziehen.

Was für eine Frau.

Sie argumentiert gegen Jean Jacques Rousseau und seine "Zauberfeder", gegen seine These, daß der Mensch als "Wilder" schon die edelste Form von Menschentum überhaupt ausgebildet habe. Und sie schreibt:

Um das Schöpfungswerk zu krönen, wurde ein vernünftiges Wesen hervorgebracht, dem die Möglichkeit gegeben ist, durch Übung seiner Kräfte sich zu vervollkommnen. Da die göttliche Gnade es für gut fand, eine Kreatur, höher als das Tier, zu bilden, ein Geschöpf, das denken und sich vervollkommnen kann, warum soll man dieses unschätzbare Geschenk – denn ein Geschenk ist es, so geschaffen zu sein, sich über das rein tierische Wohlbefinden erheben zu können –, warum soll man dieses Geschenk einen Fluch nennen? (...) Warum sollte Gott uns dann weiter führen von der Selbstliebe zu jenen höchsten Regungen, wie die Erkenntnis seiner Weisheit und Güte ist, wenn diese Regungen nicht in uns wären als ein Teil unser selbst, um unsere Natur zu vervollkommnen und zu befähigen, ein gottähnliches Glück zu genießen? Fest überzeugt, daß es kein Übel in der Welt gibt, das Gott nicht in bestimmter Absicht eingerichtet hat, baue ich darauf meinen Glauben an die Vollkommenheit Gottes.

Ja, damit beantwortet Wollstonecraft zumindest vorläufig und doch auch in erster, einigermaßen überzeugender Weise die große Frage der Theodizee: Wie kann ein gütiger Gott Böses schaffen, zulassen in der Welt? Zuvor schon hatte sie geschrieben:

Das weise Wesen, das uns schuf, erkannte das Gute und wollte durch die Leidenschaften, die es in uns pflanzte, unsere Einsicht so entwickeln, daß das gegenwärtige Böse künftiges Gutes erzeugen könne.

"Nicht alles war gut oder ist gut, sondern: alles wird gut sein"

Das ist gänzlich selbständig formuliert, unabhängig von christlichen, monotheistischen Grundlagen. Viel zu "fortschrittsoptimistisch", mit viel zu viel Vertrauen in die Kraft, das Gute tun und vollbringen zu können, als daß es noch christlich oder monoethistisch bezeichnet werden könnte. - Und wie schön schreibt sie dann weiter:

Rousseau bemüht sich zu beweisen, daß uranfänglich alles gut war, viele andere Schriftsteller wollen dartun, daß alles gut ist, und ich will zeigen, daß alles gut sein wird.

Welche Emphase! Wie beeindruckend, wenn ein Mensch sich stolz aufrichtet und das Leben und die Zeiten und auch die Schwierigkeiten in denselben so bejaht wie Mary Wollstonecraft.

Die Frau als eine Mitarbeiterin zum Höchsten

Dann referiert sie kurz die verschiedenen, allesamt immer noch christlich gefärbten Ansichten über die unterschiedlichen Grade der Minderwertigkeit der Frau gegenüber dem Mann, die in ihrer Zeit - und auch noch von den fortschrittlichsten männlichen Denkern - vertreten worden sind (etwa Milton oder Rousseau). Und kommt schließlich zu ihren eigenen Ansichten:

Wenn wir also vom Wesen des Weibes sprechen, wollen wir von der sinnlichen Seite der Frage absehen und untersuchen, inwieweit es möglich ist, die Frau zu einer Mitarbeiterin des Höchsten zu machen.

Offenbar fiel das damals auch noch den bedeutendsten männlichen Denkern schwer, von der sinnlichen Seite des Themas Frau einfach einmal ganz abzusehen. Was für verrückte Zeiten. Aber dann erst: "Die Frau zu einer Mitarbeiterin des Höchsten zu machen." 

Was für eine Frau.

Und damit genug für einen Beitrag. Genug zunächst von der Inspiration, die auch heute noch von einer Frau wie Mary Wollstonecraft ausgehen kann.

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*) Interessant auch, daß in Deutschland im Jahr 1939 solche, vom Zeitgeist ganz unabhängige Aufsätze erscheinen konnten. - Und gräßlich weiterhin, wenn man liest, welche zeitgeistig beeinflußte Deutung eine Zeitschrift wie "Emma" im Jahr 2009 dem Wirken einer historischen Persönlichkeit wie dem der Mary Wollstonecraft geben kann. (Emma)
**) Aufklärung ist "Faschismus", so die Ansicht der Vertreter des Gedankens von der "Dialektik der Aufklärung". Bzw. Aufklärung ist auch - oder sogar wesentlich - "Faschismus". (Wem dieser Gedanke ein bisschen zu simpel daherkommt, mag ja gerne einmal ein wenig hinter die Kulissen schauen und Fragen, in wessen Interessen solche Gedanken formuliert worden sind.)

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  1. Bäumer, Gertrud: Mary Wollstonecraft. In: Gestalt und Wandel. Frauenbildnisse. Berlin, F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung 1939, S. 231 - 271 (auch als pdf

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