"Der Untergang" - nicht im Führerbunker, sondern rund um das ehemalige Generalstabsgebäude im Spreebogen
- Eine Zusammenstellung von Erlebnisberichten
Studiert man die Geschichte der Kämpfe innerhalb der Stadt Berlin Ende April 1945, tut sich eine Kluft auf. Jene Schilderungen, die sich vor allem an den sowjetischen kriegsgeschichtlichen Erinnerungen und Darstellungen orientieren - und das scheint die Mehrheit der Darstellungen derzeit zu tun - erwecken den Eindruck, als ob ungeheure Truppenmassen in diesen Kämpfen zum Einsatz gekommen seien. Als ob bei der Eroberung einzelner Brücken und einzelner Gebäude nicht nur mehrere Regimenter kurz nacheinander oder gleichzeitig zum Einsatz gekommen seien, sondern dabei auch einzelne Regimenter vollständig aufgerieben und vernichtet worden wären. (Ein Regiment umfaßte etwa 1000 bis 1500 Soldaten.)
Liest man dann jedoch Schilderungen dieser Kämpfe, die sich an den Erinnerungen von Soldaten orientieren, die auf deutscher Seite kämpften, glaubt man im ersten Augenblick "in einem völlig anderen Film" zu sitzen, von einem völlig anderen Geschehen zu lesen. Einzelne Gruppen, höchstens in Kompagniestärke, also zwischen 10 und 100 Mann, verteidigen nicht nur einzelne Gebäude und Brücken, sondern oft ganze Straßenzüge. Höchstens noch zeitweise und wirkungsvoll unterstützt von ständig im ganzen Stadtbereich hin- und herwechselnden einzelnen Tiger-Panzern und Sturmgeschützen, von weiter rückwärts positionierten einzelnen Panzer- und Fliegerabwehrkanonen und von dem sehr wirkungsvollen Feuer der weitreichenden Fliegerabwehrabwehrkanonen auf den vier großen Flakbunkern Berlins. Zum Beispiel am Bahnhof Zoo und im Humboldthain, die erst nach der Kapitulation Berlins von den sowjetischen Truppen eingenommen werden konnten. Und im ersten Augenblick denkt man, die deutschen Schilderungen seien zu "bruchstückhaft", zu sehr "ohne Zusammenhang", um sie als den sowjetischen gleichwertig gegenüberstellen zu können.
Bis einem dämmert: Nein, so wird es tatsächlich gewesen sein. Einzelne Gruppen von 10 bis 100 Soldaten haben ganze Regimenter, ja, Divisionen aufgehalten. Und die sowjetische Kriegsgeschichtsschreibung zählte zu den kämpfenden deutschen Einheiten in Berlin nach dem Krieg noch alle ebenfalls uniformierten Männer dazu - wie Angehörige der Feuerwehr oder der Post - , ebenso wie die oft lächerlich bewaffneten deutschen Volkssturmeinheiten, von denen sich viele noch vor oder bei Beginn der Kämpfe verliefen und von denen nur wenige wirkungsvoll Widerstand leisteten und leisten konnten. Denn nur so konnte offenbar der zahlenmäßige Eindruck, den die sowjetischen Truppen von ihrem Gegenüber hatten, auch in der Kriegsgeschichtsschreibung aufrecht erhalten werden.
Dieser Umstand kann recht gut erläutert werden anhand der Verteidigung der Moltkebrücke und des deutschen Generalstabsgebäudes südlich dieser Brücke auf dem Weg zum Reichstag (1). Das deutsche Generalstabsgebäude befand sich exakt dort, wo sich heute das Bundeskanzleramt befindet (die "Bundeswaschmaschine"). Die Moltkebrücke gibt es heute noch und führt von dort zum heutigen Berliner Hauptbahnhof.
Dieses damalige Generalstabsgebäude ist - entgegen des Eindruckes, den die russischen Berichte (siehe: 1) erwecken - soweit übersehbar - vor Ort nur von 15 Soldaten auf deutscher Seite verteidigt worden. (Vorbehaltlich weiterer Erkenntnisse!) Zwar konnte auch von den deutschen Einheiten, die das Reichstagsgebäude verteidigten, auf die Moltkebrücke geschossen werden, außerdem wurden im Ernstfall noch zusätzlich einzelne Tiger-Panzer und Sturmgeschütze zu Hilfe gerufen. Aber im wesentlichen wurden die entscheidenden Stellen im nördlichen Tiergarten - Moltkebrücke, Generalstabsgebäude, Krolloper, Reichstag - nur jeweils von Kampfgruppen von 10 bis 15 Mann auf deutscher Seite verteidigt. Selbst nachdem man die folgenden Berichte zusammen gestellt hat, bleiben Zweifel, ob das überhaupt hat möglich sein können.
Befehlshaber Mohnke - er schwieg nach 1945
Einer der Gründe dafür, daß es von deutscher Seite keine gute und brauchbare, zusammenhängende Darstellung über die letzten Kämpfe in Berlin-Mitte zu geben scheint, ist der, daß der
letzte militärische Befehlshaber des innersten Verteidigungsbereiches der
Reichskanzlei und des Berliner Regierungsviertels Ende April 1945 der SS-Brigadeführer Wilhelm Mohnke (1911-2001) (Wiki, engl.) war (2-10). Und dieser scheint bis zu seinem Lebensende keine zusammenhängende Darstellung der von ihm befehligten Verteidigungsbemühungen gegeben zu haben. Ebensowenig andere Führungsoffiziere.
Korrektur/Ergänzung 18.12.2021: Diese Angabe muß insofern korrigiert und ergänzt werden, als der "Reichsjugendführer" Artur Axmann (1913-1996) (Wiki) 1995 seine Erinnerungen in Buch und Interview veröffentlicht hat (15, 16). Im Buch berichtet er, daß er in sehr enger Verbindung zu Mohnke stand während
der Endkämpfe um Berlin und das Regierungsviertel. Er selbst hatte an der Ostfront 1941 seinen rechten Arm verloren, konnte deshalb also nicht selbst an den Kämpfen teilnehmen.
In seinen
Erinnerungen erhält man dennoch einen vergleichsweise detaillierten Eindruck
von diesen Endkämpfen - aber auch von den Vorgängen im Führerbunker
(15, 16). Er berichtet auch von einem ähnlichen letzten Gespräch mit Hitler (15, S. 443f) wie es auch Mohnke geführt hat (siehe gleich).
Ende 2007 erschien über Wilhelm Mohnke ein Buch (8). Und aus diesem Anlaß berichtete ein Amazon-Rezensent mit dem Kürzel "Stubaf" (3.1.2012):
Der
Verfasser dieser Rezension hat in den 1980er und 1990er Jahren mehrfach
die Gelegenheit gehabt, mit dem Brigadeführer (Mohnke) fachliche
Gespräche zu führen. Wilhelm Mohnke war eindeutig politischer Soldat
(und das bis zu seinem Tode), der sich ganz bewußt schon lange vor der
Machtergreifung zur Schutzstaffel gemeldet hatte. Niemals hatte Mohnke
Distanzierungen oder kritische Äußerungen gegenüber ehemaligen
Vorgesetzten oder Kameraden abgegeben. Fischer gibt als Kronzeugen für
sein Elaborat auch noch Sturmbannführer Otto Günsche an. Jeder, der Otto
Günsche kannte, weiß, daß man mit Günsche über alles sprechen konnte,
nur nicht über die letzten Tage in der Reichskanzlei.
Daraus
wird deutlich, daß Mohnke auch gegenüber Hitler selbst bis zu seinem
eigenen Tod kein besonders kritisches Verhältnis scheint gewonnen zu haben. Ähnliches geht aus den Erinnerungen des zwei Jahre jüngeren Artur Axmann hervor, der im Jahr 1928 als 15-jähriger Schüler und Sohn einer alleinerziehenden Industriearbeiterin mitten im kommunistischen Wedding die dortige Hitler-Jugend gegründet hatte, und der in seiner Gefolgschaft Hitler-Jungen hatte, die in der "Kampfzeit" von Kommunisten ermordet worden waren (15, 16).
Letzte Gespräche mit Hitler
Mohnke war gar ebenfalls kein besonders unbedeutender Soldat und Nationalsozialist.
Seit 1933 hatte er bei der SS gedient. Schon 1933 hatte er zur "Stabswache" in
Berlin gehört. Entsprechend nahe sind ihm wohl deshalb auch - ähnlich wie Axmann - die letzten
Kämpfe um das Regierungsviertel im April 1945 gegangen. In einem
der letzten Gespräche, das Mohnke mit Hitler führte, äußerte Mohnke:
"Was wir 1933 wollten, haben wir nicht ganz geschafft, mein Führer."
Selbst
für diese wenigen kritischen Worte wurde Mohnke wenig später von Martin
Bormann kritisiert, mit dem er auch noch ein zweites mal zusammen stieß,
als Mohnke keine Männer zur Verfügung stellen wollte, als Bormann eine Telefonleitung zu den Russen
gelegt wissen wollte. Sehr kritische Worte findet auch Artur Axmann über Martin Bormann. Axmann gilt auch als Zeuge des Todes von Bormann.
Axmann selbst hat offenbar noch ein ausführlicheres letztes Zwiegespräch mit Hitler geführt. In diesem fragte Axmann (15, S. 444):
"Was wird aus unserem Volk? Wir haben doch in der Überzeugung gelebt, daß unsere Geschichte erst am Anfang steht. Bismarck hat das Zweite Reich geschaffen. Unter Ihnen wurde der Klassenkampf überwunden und die politische Einheit mit dem Inhalt der Volksgemeinschaft erfüllt. Sie brachten Ihre Heimat in das Reich zurück. Wir können doch jetzt nicht am Ende unserer Geschichte stehen, das kann doch nicht das Ende sein!"
Nach einem Augenblick der Stille äußerte sich Hitler dazu: "Mich packt das Grauen, wenn ich daran denke, wie unsere Feinde die Einheit zerschlagen und das Reich zerstückeln werden. Es geht jetzt um das nackte Überleben unseres Volkes, um das nackte Überleben. Das Volk hat so viel Leid erfahren müssen. Wenn es die Leiden, die jetzt noch folgen werden, als schicksalsverbundene Volksgemeinschaft erträgt, dann wird es auch wieder einen Aufstieg geben." Nach kurzem Schweigen fügte er hinzu: "Ideen leben nach ihren eigenen Gesetzen fort. Ich glaube, es wird etwas ganz Neues kommen."
Da man auch sonst nicht den Eindruck gewinnt, daß Axmann sich in seinen Erinnerungen irgend etwas "ausgedacht" hat, sondern daß er sehr sachlich berichtet, wird man auch von diesen Worten annehmen müssen, daß sie korrekt überliefert sind. Aus ihnen spricht weniger der sonst aus diesen Tagen von Hitler überlieferte "Nach mir die Sintflut"-Gedanke heraus. Hitler wollte auch nicht, daß Axmann aus "Treue" bei ihm blieb. Er hätte dazu gesagt:
"Was wollen Sie bei einem toten Mann? Ihr Platz ist bei den Lebenden."
Mohnke
hatte auch von Anfang an am Zweiten Weltkrieg teilgenommen, zumeist als
Offizier unter dem SS-General Sepp Dietrich. Schon früh hatte sich
Mohnke um die Aufstellung von reinen SS-Panzerdivisionen bemüht. 1944 hatte er im Rahmen der 12. SS-Panzerdivision "Hitlerjugend", die nach der Niederlage von Stalingrad auf Anregung von Artur Axmann als Freiwilligen-Division gegründet worden war, als Regimentsführer in der
Normandie gekämpft, vor allem bei der Verteidigung von Caen. Er erhielt dabei das
Ritterkreuz. Aufgrund dieser Umstände kannten sich Axmann und Mohnke auch persönlich.
Im Internet finden sich viele Fotos von Wilhelm Mohnke aus
diesen Jahren, oft bei dem Anlaß, wie er von seinem Vorgesetzten Sepp Dietrich mit
einem neuen Orden ausgezeichnet wird. In der Ardennen-Offensive war Mohnke wiederum in einer führenden Position eingesetzt.
Erst
Mitte April 1945 ist Mohnke dann zur Reichskanzlei abkommandiert worden und von Hitler zum Befehlshaber über den Verteidigungsbereich Zitadelle
(Regierungsviertel) ernannt worden. Die nach ihm benannte Kampfgruppe Mohnke
bestand aus neun Bataillonen. Leider sind auch mit der neuen
Buchveröffentlichung über ihn nicht allzu viele neue Erkenntnisse gewonnen worden
über die Vorgänge in seinem Befehlsbereich.
Mohnke wurde in einer Zeitschrift wie dem "Spiegel" immer wieder
einmal als Zeitzeuge angeführt, etwa über Details im Führerbunker rund um Hitlers
letzte Tage und über Ereignisse daselbst nach dem Tod Hitlers. Mohnke spielte auch Anfang der 1980er
Jahre eine Rolle, als es
um die angeblichen "Hitler-Tagebücher" ging (vgl. Spiegel). Aber all das
bezieht sich nicht auf detaillierte Erinnerungen an die Einsätze der
Kampfgruppe Mohnke, wie sie auch die zitierten Amazon-Rezensenten vermissen.*)
Auf dem englischen Wikipedia heißt es zu Mohnke (unter Berufung auf Thomas Fischer) (
Wiki):
Er bildete die Kampfgruppe Mohnke und diese bestand aus zwei schwachen Regimentern. Sie bestand aus der LSSAH Flak-Kompagnie, bestehend aus dem LSSAH Ausbildungs- und Ersatzbattalion aus Spreenhagen (unter SS-Standartenführer Anhalt), aus 600 Mann des Begleit-Bataillon's Reichsführer SS, der Führer-Begleit-Kompagnie, wobei die Kerngruppe sich aus 800 Männer der Leibstandarte (LSSAH) SS, dem Leibwache-Battalion bildete (das dazu bestimmt war, den Führer zu schützen).
He
formed Kampfgruppe Mohnke (Battle Group Mohnke) and it was divided into
two weak regiments. It was made up of the LSSAH Flak Company,
replacements from LSSAH Ausbildungs-und Ersatz Battalion from
Spreenhagen (under SS-Standartenfuhrer Anhalt), 600 men from the
Begleit-Bataillon Reichsführer-SS, the Führer-Begleit-Kompanie and the
core group being the 800 men of the Leibstandarte (LSSAH) SS Guard
Battalion (that was assigned to guard the Führer).
Es
gibt auch ein Foto, das Mohnke in russischer Kriegsgefangenschaft zeigt
und eines, unmittelbar nach seiner Entlassung aus dieser im Jahr 1955
(beide male mit Bart). Und es gibt eines von ihm aus dem Jahr 1988, das
im "Spiegel" veröffentlicht worden ist.
24. April - Verteidiger der Moltkebrücke werden abgezogen zur Verteidigung der Frankfurter Allee
Über die Erstürmung des Reichstages und die deutschen Verteidiger wird berichtet:
According to the book "With our backs to Berlin", the commander of the
the defence of the Reichtag was SS-Lieutenant (SS-Oberstürmführer) Babick of the 2nd Regiment
of the SS-Leibstandarte Adolf Hitler. With him was the "Potential
leaders company" of Spreehagen, about 100 man strong. Also, about 250
sailors sent to Berlin by Dönitz to protect the fuhrer ended up
defending the Reichtag, being called "The Dönitz contribution". Further,
a company of paratroopers from the 9th Parachute Divison, plus appox
100 Volkssturm and stragglers defended the Reichstag. In all, no more
than 550 combatants as opposed to the 5000 Russians attacking.
In einem früheren Beitrag (1) sind schon Darstellungen - entnommen vor allem
von Wikipedia - gebracht worden, die sich an der sowjetischen
Kriegsgeschichtsschreibung zu diesem Geschehen orientieren. Im
vorliegenden Beitrag sollen diese durch die Berichte deutscher
Überlebender ergänzt werden, vornehmlich zusammengestellt anhand einer
sehr brauchbaren Dokumentation von Wolfgang Venghaus zu diesen
Ereignissen (erschienen 1997/98) (11).
Der Ordonnanzoffizier und Untersturmführer Helmut Triebel hatte südlich Frankfurt/Oder zur "Kampfgruppe Becker" gehört, die sich aus Mitarbeitern des SS-Wirtschafts- und Vewaltungshauptamtes und seiner "Führerschule" in Arolsen zusammensetzte. Da er schon am 16. März verwundet worden war, gelangte er am 21. April als Genesender nach Berlin. Er berichtet (11, S. 351f):
Die Dienststellen der zuständigen Führer waren nicht mehr besetzt. Wir fanden allerdings dann sehr schnell, was wir suchten: eine Kampftruppe, die aus Angehörigen des Hauptamtes zusammengestellt war, und deren Führung ein alter Bekannter aus Arolsen, Hstuf. Mrgalla, übernommen hatte. Es war ein ziemlich gemischter Haufen in Batl.-Stärke, in dem alte und junge, ohne und mit Fronterfahrung versehene Dienstgrade vertreten waren, die für die nächsten Tage einen Teil der "Kampfgruppe Mohnke" bilden sollten.
(Ein Bataillon sind in der Friedensstärke 500 bis 600 Mann.) Er fuhr zur Kaserne der SS-Leibstandarte Adolf Hitler in Lichterfelde (der früheren Kadettenschule), um schwere Waffen (MG und Granatwerfer) abzuholen. Dort wurde er aber von dem Standartenführer Anhalt als Ordonnanzoffizier übernommen:
Der Kommandeur, Staf. Anhalt, teilte seinen Bereich dann so auf: Rechts eingesetzt Batl. Mrugalla von Bahnhof Friedrichstraße entlang der Spree nach Westen, in einem auf Südwest schwenkenden Bogen um das Reichstagsgebäude bis zum Straßenkreuz Moltkestraße-Siegesallee. Dort Anschluß an das II. Bataillon (...), das im weiteren Verlauf der Moltkestraße (gemeint wohl Siegesallee?) einen Bogen durch den Tiergarten, südlich vom Potsdamer Platz und dem Luftfahrtministerium vorbei wieder bis zur Friedrichstraße beziehen sollte.
Über den 24. April schreibt er, wobei zu bemerken ist, daß eine Kompagnie etwa aus 150 Soldaten besteht (11, 352f):
Bei den Bataillonen verlief das Beziehen der Stellungen zunächst planmäßig, doch schon in den Abendstunden kam der Befehl, das Btl. Mrugalla herauszuziehen und im Osten der Frankfurter Allee als Auffangreserve einzusetzen. (...) Nunmehr mußte sich das II. Btl. über den ganzen Regimentsbereich ausdehnen, was nur durch stützpunktartige Besetzung der Linie geschehen konnte. Zum Beispiel hatte eine Kompagnie den großen Bogen innerhalb des Tiergartens zu verteidigen, so daß nur alle 50 m ein Schützenloch besetzt werden konnte.
Andererseits hatten mehrere Batterien ihre Feuerstellung auf den freien Flächen des Tiergartens eingerichtet. (...) Ab 28.4. war dieser Teil unseres Verteidigungsabschnittes praktisch durch die weitmaschige Schützenlinie überhaupt nicht gesichert, so daß ein energischer russischer Stoßtrupp schon zu diesem Zeitpunkt nach Überwindung der Spree zwischen Reichstag und Krolloper in den Tiergarten hätten eindringen können. Aus diesem Grund hatte Staf. Anhalt einen Zug Grenadiere als Regimentsreserve im Bereich des Gef. Stands in Höhe Brandenburger Tor - Schweizer Botschaft angeordnet. Dies blieb die einzige Sicherung bis zur letzten Stunde vor dem Ausbruch; und es ist mir noch heute ein Rätsel, warum die Russen diese schwache Stelle nicht festgestellt und genutzt haben.
Es ist immer zu berücksichtigen, daß jeder einzelne Erlebnisbericht nicht den Gesamtüberblick hatte und nur Teilausschnitte aus dem Geschehen wiedergeben kann. Aber indem man viele solche einzelnen Erlebnisberichte zur Kenntnis nimmt, formt sich doch allmählich ein Eindruck vom Gesamtgeschehen auf deutscher Seite.
28. April - 15 Fallschirmjäger verteidigen das Generalstabsgebäude
Die eben genannte Lücke wurde unter anderem auch von einer Einheit gestopft, von der Helmut Triebel gar nichts scheint mitbekommen zuhaben, oder die er zwischenzeitlich wieder vergessen hatte. Sie stand unter dem Befehl eines Herbert Kuntze. Dieser war Chef der 1. Batterie Fallschirmjägerflakabteilung 11 in der im Dezember 1944 neu aufgestellten 9. Fallschirmjäger-Division.
Diese Division war die erste, die unter dem massiven Trommelfeuer und Ansturm der Sowjets auf
die Seelower Höhen zusammengebrochen ist - zum großen Zorn von Hermann
Göring. Teile dieser Division konnten sich nun nach Berlin-Mitte retten.
Zu ihnen zählte auch Herbert Kuntze und seine Einheit. Er berichtet über seine weiteren Erlebnisse (11, S. 206 - 208):
Ich
erfuhr, daß der Abschnitt um das Reichstagsgebäude einschließlich des
südlichen Spreeufers unter dem Befehl des Obersturmführers Babick stand.
Babick hatte seinen Befehlsstand im Keller des
Reichstags-Präsidialgebäudes. Ihm wurde ich einsatzmäßig unterstellt.
(...)
Am 28. 4. teilte mir Ostuf. Babick mit: "Der
Führer wünscht, daß Sie mit ihren Männern das Gebiet an der Moltkebrücke
abriegeln."
Es wurden also am 28. April doch noch Soldaten in die Frontlücke geschickt. Und sogar Adolf Hitler selbst hat offenbar ihren Einsatz befohlen. Kuntze weiter:
Hier stand als Ruine das Gebäude des Kaiserlichen
Generalstabes. (...) Mit etwa 15 Mann (Offz./Uff./Mannschaften)
schlurfte ich durch den Tunnel (Tunnel für die Versorgungsleitungen) vom
Reichstags-Präsidialgebäude in das Reichstagsgebäude.
/ Nebenbei: Offenbar - oder möglicherweise - handelt es sich um den gleichen Tunnel, durch den die Reichstagsbrandstifter 1933 in den Reichstag gelangt sind. (Siehe dazu andere Beiträge hier auf dem Blog.) / Kuntze weiter:
Im
Reichstagsgebäude empfing mich mein Conschef Oblt. Franz (...) von der
5. Batterie. Er sagte mir, selbst im Reichstagsgebäude sei die Lage
unübersichtlich. Von der oberen Etage (Bibliothek) wurden Handgranaten
und andere Sprengkörper in die Luft- und Fahrstuhlschächte geworfen,
also mußten schon einige Russen eingedrungen sein. Er machte sich daran,
die Russen auszuräuchern. Ich sah riesige Ölgemälde brennen, die sich
nach oben aufrollten. Plötzlich kam ein Parlamentär in deutscher
Sanitätsoffiziersuniform eine Treppe herunter. Er wurde mit Schimpf und
Schande weggejagt; so hatten sich die Verräter vom Komitee "Freies
Deutschland" schon öfter bemerkbar gemacht. Ich werde nie vergessen, wie
die Männer um Oblt. Franz in dem Inferno sangen: "Ho, ho, ho, wir sind
die Männer von Navaho!" Die Angst war überwunden, es war ein
Höllengesang.
(Im Netz findet sich ein "
Navajolied" - das auch der Schlagersänger "Heino" gesungen hat. Dieses hat allerdings nicht jenen hier angegebenen Refrain. Möglicherweise hat Kuntze verschiedene
Lieder jener Zeit durcheineinander gebracht.) Kuntze weiter:
Ich selber mußte vom Südausgang aus mit
meinen Männern über den Königsplatz Richtung Moltkebrücke im Sprunglauf
durch Artillerie- und Werferfeuer hindurch. Dabei schleppten wir unsere
Sturmgewehre 44 und Panzerfäuste mit. (...) In den Trümmern des alten
Generalstabsgebäudes richteten sich meine Männer zur Verteidigung ein.
Wir sahen die Russen am anderen Spreeufer, wie sie an einer bestimmten
Stelle in den Trümmern verschwanden, sicher war dort eine Befehlsstelle.
Oberwachtmeister Hildebrand von der Berliner Polizei, der sich mir mit
den Worten angeschlossen hatte: "De Russen in Berlin ..., nee det jeht
nicht," stellte sich mit einem Karabiner an einen Baumstumpf. Er war ein
ausgezeichneter Scharfschütze. Zu bemerken ist noch, daß hier, in
unmittelbarer Nähe zu den Russen, kein Artilleriefeuer lag. Ich hörte
sogar noch die Vögel in der Frühlingssonne tirilieren.
Die
Moltkebrücke war nur halbseitig, am uns zugewandten Ende gesprengt.
Später gelang es den Russen tatsächlich, über diesen Spreeübergang
einzudringen. (...) Wir fanden keine weiteren Soldaten vor. Das
sogenannte Himmlerhaus wurden also nicht von SS-Männern (wie später von
den Russen berichtet), sondern von Fallschirmjägerartilleristen der
1./11 verteidigt. Nachdem ich meine Männer zu diesem Vorposten geführt
hatte, mußte ich zu meinen im Innenministerium zurückgelassenen Leuten
zurück. Diesmal scheute ich den Sprunglauf über den Königsplatz und
wählte den Weg durch den Tiergarten zum Brandenburger Tor. Hierbei
überholte ich einen russischen Trupp, der mit starr nach vorn
gerichtetem Blick (Brandenburger Tor) im Rosengarten lag. (...).
Ich
berichtete Ostuf. Babick über den ausgeführten Auftrag und bat
gleichzeitig für den folgenden Tag (29.4.) um einen Panzer, mit dem ich
Verpflegung für die Männer an der Moltkebrücker heranschaffen wollte.
(...) Es kam ein Sturmgeschütz mit einer (7,5 cm) Langrohrkanone. Die
Fahrt zu unserem Stützpunkt mit der in einer Kiste verpackten
Verpflegung verlief völlig undramatisch. (...) Die Männer an der
Moltkebrücke waren wohlauf und über die Verpflegung hocherfreut. Sie
zeigten mir einen großen Stapel Panzerfäuste, den sie im Keller gefunden
hatten. Die Russen auf dem anderen Spreeufer liefen weiter sichtbar
herum. Das war das letzte Treffen mit meinem Vorposten. Der
Geschützführer drängte auf Rückfahrt.
29. April - Verteidigung des Generalstabsgebäudes unter Alkohol-Einfluß?
Sollten also das Generalstabsgebäude und die Moltkebrücke allein von 15 Männer auf deutscher Seite verteidigt worden sein? Dieses "schwer einnehmbare", weil hartnäckig verteidigte Gebäude? Zumindest geht dies auch aus einem weiteren Bericht hervor, dem womöglich noch weitere Schicksale dieser Kampfgruppe im Generalstabsgebäude zu entnehmen sind. Laut Berichten deutscher Überlebender heißt es (nach Erich Kuby, 1965 im Spiegel):
Nicht nur sowjetische Chroniken, auch deutsche Zeugen erzählen
vom Sturm auf den Reichstag. Der ehemalige Unteroffizier zbV der 3.
Schweren Flakbatterie der Abteilung 211, Gerhard Zilch, heute
Oberpostinspektor (...). Die Schilderung Gerhard Zilchs ist kennzeichnend für die Stimmung
in einigen Truppenteilen während der allerletzten Tage:
"Der erste sowjetische Stoßtrupp, der in der Nacht zum 29. April in
den Reichstag eindrang", so berichtet Gerhard Zilch, "wurde von
SS-Pionieren mit Flammenwerfern erledigt." Am Morgen wird das eine
von den zwei noch brauchbaren Flakgeschützen seiner Batterie so
weit vorgezogen, daß es die gesprengte, aber nicht gänzlich
zerstörte Moltkebrücke unter Feuer halten kann, über die
Neustrojews Soldaten klettern.
Auch Panzer waren dort, und einige schießt der 45jährige
Oldenburger Groter mit seiner Kanone kampfunfähig. Dann bekommt sie
einen Volltreffer, Groter stirbt durch Kopfschuß. Gleich darauf
fällt auch das dritte und letzte Geschütz der Batterie aus. Krieg
zu Ende, dachten die noch übrigen Flaksoldaten von Zilchs Batterie,
und das dachte er selbst auch. Zilch erinnert sich: "Aber nein, wir hatten wieder eine falsche
Rechnung gemacht. Jetzt traten die Nahkampfspezialisten in Aktion. Ihr
Führer war der SS-Obersturmführer Babick, Kampfkommandant des
Reichstages. Ich diente als Verbindungsmann zwischen den
verbliebenen Flaksoldaten und dieser SS-Kampfgruppe. Sie gehörte
zur SS-Division Nordland, die ihr Hauptquartier im Europa-Haus am
Anhalter Bahnhof hatte.
"Babick machte jetzt Krieg, wie er ihn sich vorstellte. Unsere
beiden Batteriechefs, Radloff und Richter, hatten keine
Befehlsgewalt mehr. Sie waren nur noch Befehlsempfänger. Der
Gefechtsstand von Babick befand sich nicht im Reichstag, sondern im
Keller des Hauses Dorotheen-, Ecke Hermann-Göring-Straße, und zwar
auf der Seite, die der Spree zugewandt ist. Dort war er in einem
zivilen Luftschutzkeller, einem etwa 25 Quadratmeter großen Raum.
"An der Wand stand ein altes Sofa, davor ein Wohnzimmertisch, auf
dem ausgebreitet die Karte vom Stadtzentrum Berlin lag. Auf dem
Sofa saß ein älterer Kapitänleutnant, ihm zur Seite zwei
Marine-Unteroffiziere. Außerdem befanden sich in diesem Keller ein
paar SS-Angehörige, und im Zentrum von allen, über die Karte
gebeugt, SS-Obersturmführer Babick. "Er spielte den Feldherrn und ließ alle in diesem von Kerzen
notdürftig erhellten Raum anwesenden Männer an seiner
Kampfschulweisheit teilnehmen. Er sprach vom Endsieg, er verdammte
die Feiglinge und Volksverräter und ließ niemanden darüber im
Zweifel, daß er alle, die den Führer jetzt verlassen würden,
standrechtlich erschießen werde.
"Dieser Gefechtsstand war für mich leicht durch einen Kellereingang
zu erreichen, der vom Reichstag unter der Hermann-Göring-Straße
hindurch in den Keller des Eckhauses der Dorotheenstraße führte.
Durch diesen Gang lief auch ein dickes Heizungsrohr, das vermutlich
im ehemaligen Herrenhaus des Preußischen Landtages endete. So ist
es mir in Erinnerung. "Ich hatte die Aufgabe, von Babick Befehle über den Einsatz unserer
Leute entgegenzunehmen. Das Trommelfeuer auf den Reichstag hielt
unvermindert an. Bei meinen kurzen Aufenthalten im Stabe Babick
erfuhr ich immer das letzte über die Lage und vernahm, es sei
wieder ein russischer Stoßtrupp in die oberen Geschosse des
Reichstages eingedrungen, aber vernichtet worden. Babick war
ungeheuer stolz auf die Erfolge seiner Männer.
"Er hoffte auch auf Verstärkung. Von irgendwoher waren in der Nacht
zum 29. April noch Marine-Infanteristen nach Berlin gekommen, an
ihrer Spitze jener Kapitänleutnant, der im Keller saß und nichts zu
sagen hatte. Babick stand vor der Karte und zeichnete ein, von wo
er Truppenverstärkung erwartete. Er erzählte sogar, in Kürze würden
Königstiger eintreffen. "Babick fühlte sich in dieser Stunde noch sehr zuversichtlich. Ihm
konnte im Keller nichts passieren. Vor der Kellertür standen
SS-Posten, vor dem Gang zum Reichstag standen wieder Posten, und
nun sollten sogar noch Königstiger kommen, unsere feinste Waffe.
"Er hatte seine Leute in Gruppen von fünf bis zehn Mann rings um
den Reichstag verteilt. Eine Gruppe wurde von dem
SS-Untersturmführer Undermann (oder so ähnlich, genau verstand ich
den Namen damals nicht) geführt, er saß südlich der Moltkebrücke im
Innenministerium (in dem Gebäude, das die Sowjets 'Das Haus
Himmlers' nannten), und zwar in einem Keller mit Schußfeld zur
Brücke. "Von dort kam ein etwa 19jähriger SS-Junker und meldete Babick,
Undermann und seine Männer hätten im Keller Alkohol gefunden und
sich besoffen. Der Junker sagte, er hätte vorsichtshalber den
Undermann gleich mitgebracht, er stünde draußen. "Babick tobte und sein Urteil stand fest: Erschießen! Der Junker,
hackenknallend, lief hinaus, Sekunden später hörten wir einen
Feuerstoß aus der MP, der Knabe erschien wieder und meldete: Befehl
ausgeführt. Babick befahl ihm, den Trupp Undermann zu übernehmen."
Von einem solchen Gegenangriff innerhalb des Reichstages am 29. April berichtet auch der Ordonnanzoffizier Helmut Triebel (11, S. 356):
Schon am 29. April erhielten wir Meldung, daß ein russischer Stoßtrupp über die Spree bis an das Reichstagsgebäude vorgedrungen sei. Daraufhin wurde ich in der Nacht beauftragt, die Lage bei der dort eingesetzten Kompagnie zu erkunden und die Kampfgruppe (Mohnke) darüber zu informieren.
Offenbar im Keller eines Hauses in der Nähe des Reichstags-Präsidialgebäudes
fand ich den Kompagniechef bei der Vorbereitung zu einem Gegenstoß, weil die Russen im oberen Stockwerk des Reichstagsgebäudes festsaßen und ihre rückwärtige Verbindung unterbrochen werden konnte. Die Kompagnie hatte schon erhebliche Ausfälle, war aber durch Versprengte und Freiwillige aufgefüllt und noch kampfkräftig. So hatte sich ein Marineoffizier mehrere Munitionsgurte um die Schultern gehängt und unterstützte, mit einem MG 42 bewaffnet, den angreifenden Stoßtrupp der Waffen-SS. Dieser hatte seine Ausgangsbasis im Keller und Erdgeschoß des Reichstagsgebäudes, die noch in eigener Hand waren und wohin auch ein Kellergang führte.
Die Russen hatten sich in den Räumen und Fluren verschanzt und waren nicht zu überwinden, obwohl sie vorläufig von draußen nicht verstärkt oder entsetzt werden konnten. Unsere Männer kamen über das Erdgeschoß hinaus nicht weiter, hielten aber auch ihre Stellungen. Darüberhinaus mußte noch die Spree nördlich des Reichstags abgesichert werden, damit die Russen keine weiteren Truppen übersetzen konnten.
30. April - Russische Panzer dringen über die Moltkebrücke vor
Im Dezember 1944 ist auch die schwere Panzerabteilung 503 "Feldherrnhalle" aufgestellt worden mit den modernsten Tiger-Panzern. In dieser befehligte Georg Diers einen Tiger-Panzer, der am 21. April von Müncheberg nach Berlin kam und dort in verschiedensten Stadtteilen Einsätze fuhr, vor allem in Neukölln zusammen mit der Division Charlemagne (11, S. 114). Am 29. April verteidgt der Panzer am Potsdamer Platz. Georg Diers berichtet (11, S. 115):
30. April 1945 - Befehl zum Reichstag über Funk nachmittags. (...) Das Reichstagsgebäude war schon ziemlich zerbombt, ausgebrannter Plenarsaal. Auf der Eingangsseite sahen wir zur Krolloper herüber und rechts von uns stand eine große Anzahl T-34, wohl 30 Stück an der Zahl mit Rohr aufs Reichstagsgebäude, auf uns. Nach genauer Einweisung der Besatzung haben wir den Sprung um die Ecke gewagt und gegen diese große Zahl das Feuer mit Erfolg aufgenommen.
Man könnte sich vorstellen, daß dabei viele jener Panzer abgeschossen worden sind, die auf jenen Fotos vom Südausgang der Moltkebrücke zu sehen sind, die wohl bald nach Ende der Kämpfe aufgenommen worden sind.
Auch Hans Rave, Führer eines Sturmgeschützes mit 7,5 cm Langrohrkanone des Panzerregimentes "Hermann von Salza", berichtet (11, S. 271):
An der Kroll-Oper waren wir auch im Einsatz. Dort haben wir eine Fallschirmjäger-Einheit unterstützt.
(Auch dieses Sturmgeschütz nahm dann nach Hitlers Tod an dem viel diskutierte Ausbruchversuch der verbliebenen Truppen über die Weidendammer Brücke teil.)
1. Mai - Russische Panzer vor der Krolloper
Georg Diers berichtet weiter:
01. Mai 1945 -
Einsatzraum Reichstagsgebäude, Brandenburger Tor bis zur Siegessäule.
Auf der Achse Gegenstoß bei der Kroll Oper. Vor der Krolloper hatten
sich russische Panzer aufgestellt, in der Kroll Oper waren noch deutsche
Verwundete. Wir konnten den Vorplatz freihalten. Unser Funker, Alex
Sommer, wurde durch Oberleitungskabel verletzt. Der Russe ist an diesem
Tag mit einem Spähtrupp in das Reichstagsgebäude eingdrungen und konnte
sich in der Mitte des Gebäudes festsetzen und schoß von oben in die
einzelnen Luftschächte oder Wendeltreppen auf uns. Im Obergeschoß des
Reichstages waren noch ein paar schießende sMG's von uns, die aber nach
und nach verstummten. Unten ist ein deutscher Gefechtsstand. Ein
Gegenstoß mit unserer Unterstütztung bringt auch nichts als nur weitere
Löcher in den zugemauerten Fenstern. Gegen 19.00 Uhr kommt der Befehl
zum Ausbruch.
(Gemeint ist der Ausbruch über die Weidendammer Brücke.) Auch Ordonnanzoffizier Helmut Triebel schreibt (11, S. 358):
In
der Nacht zum 01. Mai mußte ich noch einmal raus in den Tiergarten zur
Kontrolle unserer Posten, von denen gemeldet wurde, daß der "Iwan"
nördlich der Ost-West-Achse mit schwächeren Kräften vorfühlte. Unsere
Männer hatten das rechtzeitig bemerkt und mit einem kleinen Feuerzauber
stärkere Kräfte vorgetäuscht. Die Russen blieben vorsichtig, versuchten
aber immer wieder, in das Gelände des nördlichen Tiergartens
"einzuwieseln". Sonst war es ziemlich ruhig in dieser Nacht, die an
vielen Orten von Bränden erleuchtet wurde.
Ein wirklich zusammenhängendes Bild von den Geschehnissen aus deutscher Sicht läßt sich aus all diesen Berichten dennoch nicht so recht gewinnen. Aber man gewinnt doch allerhand Teileindrücke.
1. Mai - Uniform aus-, Zivilkleidung angezogen
Wie es jenen ergehen konnte, die nicht mit ausbrachen, wird auch berichtet (Kuby, Spiegel):
Zilch und seine Kameraden trafen am 1. Mai, als Babick und seine
Leute plötzlich verschwunden waren, im Keller des Reichstages zwei
belgische Arbeiter, die sich dort versteckt hatten. Der Keller war
ein Labyrinth, es gab auch Ecken, wo nicht gekämpft wurde. Die Belgier zeigten den Flaksoldaten einen Garderobenraum, dort
fanden sie Zivilsachen und zogen sich um. Sie verbrannten ihre
Soldbücher und warfen Uniformen und Ausrüstung in den noch fünf
Meter tiefer liegenden Heizungskeller. SS-Streifen kämmten den
Keller durch, die Belgier versteckten die nun in Zivilisten
verwandelten Flaksoldaten in einem Lüftungsschacht.
Sie hatten den Eindruck, der Kampf sei zu Ende und wagten, die Tür
des Waschraumes zu öffnen, als jemand mit Schlägen gegen das Holz
Einlaß begehrte. Drei uniformierte Männer erschienen, vorweg ein
sowjetischer Soldat mit einer weißen Fahne, an zweiter Stelle ein
älterer Offizier in einer unbekannten Uniform, zuletzt wieder ein
Russe. Einer der Belgier sagte dem russischen Trupp in gebrochenem
Deutsch, hier seien nur Belgier. Daraufhin zog die Gruppe mit der
weißen Fahne weiter. "Wir dachten, nun kann nichts mehr schiefgehen", erzählte
Oberpostinspektor Zilch. Er glaubt, später gehört zu haben, der
deutsch sprechende Parlamentär in der unbekannten Uniform sei ein
in sowjetische Gefangenschaft geratener deutscher Oberstabsarzt
gewesen, den man gezwungen habe, dem Reichstagskommandanten die
Übergabebedingungen zu verlesen.
Doch schon wenige Stunden später drangen Sowjetsoldaten in den
Reichstagskeller. Sie trieben den verkleideten Zilch und seine
Kameraden aus dem Keller quer über den Königsplatz in die Schweizer
Botschaft. Dort wurde Zilch von einem gut deutsch sprechenden
Sowjetoffizier verhört. Zilch: "Ich gab mich als Postbeamter aus, der auf dem Weg zur
Arbeit von deutschen Soldaten kassiert worden sei. Ich weiß nicht,
ob man mir glaubte. Ich wurde abgeführt. Als ich aus dem Haus trat,
sah ich, daß sich auf dem Königsplatz zahlreiche Russen
versammelten. "Wir marschierten zur Lüneburger Straße, Ecke Alt-Moabit. Dort
wurde ich zum zweitenmal in einem Eckhaus -Keller verhört. Ich weiß
auch den Namen dieses perfekt deutsch sprechenden Offiziers,
mindestens den Vornamen: Walter. (...) "Auch Walter glaubte mir wohl nicht, daß ich kein Soldat sei. Es
ging zur Strafanstalt Pötzensee. Dort strömten Tausende von
Gefangenen zusammen." Zilch kam in ein Gefangenenlager, wurde
abermals verhört und dann einem Gefangenentransport eingegliedert,
der für die Sowjet-Union bestimmt war. Doch Zilch gelang, die
Flucht. Bei einer Marschpause außerhalb Berlins konnte er sich
beiseite schlagen und unerkannt, als Eisenbahner getarnt, nach
Berlin zurückkehren.
Dieser Beitrag muß wenn neue Erlebnisberichte gefunden werden, noch weiter ergänzt werden. Hinweise auf solche werden gerne entgegengenommen.
Lothar Loewe als Hitlerjunge in den Kämpfen um Berlin
Ergänzung 19.4.2021. Auch der spätere ARD-Auslandskorrespondent Lothar Loewe (1929-2010)(Wiki) war als Hitlerjunge ebenfalls an den Endkämpfen von Berlin beteiligt (14) (1:17:15):
Wir
bezogen unsere Gefechtsstellung am Flugplatz Tempelhof am 21. oder 20.
April. Und ich habe dann die Kämpfe hier in Berlin miterlebt bis zum
Ende, auch bis zum Ausbruch aus Berlin. Am 2. Mai wurde ja in Berlin
kapituliert, nicht aber im Westen der Stadt, dort gab es ja einen großen
Ausbruchversuch über Spandau, um die Wenck-Armee, die in Nauen stehen
sollte, zu erreichen. Und daran habe ich teilgenommen. Und am 30. April
ergab es sich, daß ich auch einen sowjetischen Panzer abgeschossen habe
mit einer Panzerfaust. (...) Der Abschuß eines Panzers in den Straßen
war gar nicht so schwierig. Meine Kameraden und ich haben die Gefahr,
getroffen zu werden, verwundet zu werden oder gar umzukommen, eigentlich
unterschätzt. Die Angst kam später. Nach dem Abschuß, als dieser Panzer
auseinander flog, und die russische Infanterie in dieser Straße also
vordrang, und wir uns sehr schnell durch Kellergänge und andere Straßen
zurückziehen mußten, dann kam die Angst. Und die Angst, die eigentliche,
große Angst vor dem Tode kam nach meiner Verwundung. Wenn Sie erst mal
verwundet sind, dann sind Sie so geschockt und so schockiert .... (...)
Ich war immer noch gehfähig und hatte immer noch den Wunsch, den Russen
zu entgehen. Und das ist der Grund, weshalb ich mit meiner Einheit dann
an diesem Ausbruch teilgenommen habe. Aber ich habe dann eigentlich
keinen Schuß mehr abgefeuert und hatte jedesmal Angst, wenn irgend eine
Granate einschlug. Ich hatte eine schreckliche Angst, nochmal getroffen
zu werden.
Über die Zeit nach der Gefangennahme berichtet er (14) (1:22.28):
Wir
marschierten quer durch Berlin. Wir kamen in Spandau an und
marschierten die Heerstraße ... über die zerstörte Heerstraßen-Brücke
balancierten wir über die Brückentrümmer, und dann in einer riesigen
Kolonne, vielleicht zehn-, vielleicht fünfzehntausend Gefangene und
marschierten dann den Kaiserdamm, also die Ost-West-Achse runter quer
durch Berlin. Berlin sah aus wie Karthago. Die Brände waren erloschen,
die Russen waren da, die Straßenschilder waren russisch, russische,
weibliche Soldaten regelten den Verkehr. (...) Viehherden, Rinderherden
wurden über den Kaiserdamm gen Osten getrieben. (...) Die Stadt machte
eigentlich den Eindruck einer russischen Stadt. Ich habe nicht für
möglich gehalten, daß Deutschland je wieder in irgendeiner Form gedeihen
konnte.
/ Letzte Ergänzungen:
19.4.2021 [Lit.ang. 14];
18.12.2021 [Lit.ang. 15, 16] /
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*) Der Amazon-Rezensent F. Hammer schreibt (30.1.2012):
Nun muß ich ja wirklich mal Dampf ablassen! Ich hatte mir das Buch
gekauft, da ich sehr an dem Gelände der Reichskanzlei und den Bauten im
alten Berliner Regierungsviertel interessiert bin. Ein Bericht von
Mohnke zu seinen Erlebnissen in dem Gebäude erschien mir spannend. Die
meisten Zeitzeugenbücher dazu kenne ich schon. Von Mohnke kannte ich
noch keine aufgeschriebenen Erlebnisse der Letzten Tage in der
Reichskanzlei. (...)
Es schreibt aber nicht etwa Mohnke, sondern nur der Autor.
Sachen, die aus anderen Büchern oder Berichten zusammengetragen wurden.
Kaum etwas Authentisches und wenn dann nicht von Mohnke. Auf Seite 138
kommt dann endlich das Kapitel "Die Kampfgruppe Mohnke sichert das
Regierungsviertel". Und wieder kein Mohnke zu lesen. Der Autor schwafelt
bekanntes Zeug und ab und zu kommt mal für 4 oder 5 Zeilen ein
unbekannter SS-Mann zu Wort, der von einem Kampfeinsatz irgendwo in
Berlin (nicht das Regierungsviertel) berichtet.
Ich mache es kurz.
Das
Buch hat 200 Seiten. Auf Seite 153 kommt das erste mal Mohnke zum Thema
Reichskanzlei zu Wort und das für ganze 16 Zeilen und mit einem
Bericht, der seit 1975 bereits vorliegt. Danach folgen noch, wenn man den
auf mehrere Seiten zerstückelten Bericht Mohnkes einmal zusammenzählt,
gerade einmal EINE SEITE Mohnkebericht. Dieser besteht dann noch
hauptsächlich in der Beschreibung der Ereignisse im Führerbunker nach
Hitlers Selbstmord. Eine weitere Seite ergibt sich, wenn man die
Berichtfetzen von Mohnkes Ausbruch zusammen nimmt. Wir kommen also auf
ganze 2 Seiten Bericht von Mohnke in diesem Buch. Das ist genau 1% des
Gesamtinhaltes. Für mich ist das eine bewusste Täuschung des Kunden, indem man einen Titel wählt, der sich verkauft.
Diese
Worte und die sonstige geringe Überlieferung von Mohnke selbst bis
heute legen nahe, daß man auch mit Mohnke selbst nur schwer über
die letzten Kämpfe im Regierungsviertel sprechen
konnte.