Donnerstag, 29. Juni 2017

"Wir hatten ein Schulfach, das hieß Schuld"

Wir Deutschen - Und die Briten hatten ein Schulfach, das hieß Haß
"Wir hatten ein Schulfach, das hieß Schuld. Zwei mal die Woche hatten wir Schuld. Am Freitag hatten wir Schämen. Und als ich vierzehn war, hab ich gedacht, ich hab Polen überfallen, ich war dabei, ich war irgendwie dabei."

So erzählte der deutsche Spaßmacher Michael Mittermeier (Jahrgang 1966) (Wiki) vor zwei Wochen im ARD (Yt, 1'26'32ARDMediathek). Und er ist nur eine Woche nach mir geboren worden und ich habe es exakt genauso erlebt (dabei wuchs er doch in Bayern, ich in Hessen auf). Und dann erzählt der Mittermeier, wie er einmal in New York auf der Bühne von einem jüdischen Spaßmacher abgelöst wurde, der dann einen Witz nach dem anderen über ihn als "lustigen Nazi" vom Hocker riß:

"Und ich saß halt da mit diesem deutschen Grundreflex, siebziger Jahre in der Schule. Immer dieses: Du bist Deutscher, du bist schuldig, fall net auf, fall net auf, du bist schuldig, du bist schuldig, du bist schuldig. Und das hast du so im Kopf. Sag jetzt nichts, schau nach unten."

Jetzt ist Mittermeier ja 50 Jahre alt. Jetzt kann er ja allmählich über sein kindliches Trauma sprechen. Sogar vor Londoner Publikum (Yt2015):

Und er und andere priesen das vor zwei Wochen an als Völkerverständigung und das deutsche Publikum klatschte wohlgefällig.

Ob das aber schon ausreicht für echte Völkerverständigung? Dem Londoner Publikum hätte ich noch ganz andere Dinge erzählen können, etwa über seine Eliten. Vieles weiß es davon doch selbst. Und ein Blick in meine Magisterarbeit (1) hätte da noch mancherlei zusätzliches Stichwort geben können.

Völkerverständigung?

Trotzdem: Das, was Mittermeier da sagt, ist - was meine Person betrifft - in keiner Weise eine satirische Übertreibung (so kennzeichnete er das gesprächsweise [Stern2015; s.a. KSTA2012]). Unser Gesellschaftskunde-Lehrer - er hatte ein großes Porträt von Karl Marx über dem Wohnzimmer-Sofa hängen - hat mit uns den gesamten Spielfilm "Holocaust" (1979) (Wiki) während des normalen Schulunterrichtes angesehen. Dieser Spielfilm hat eine Länge von geschlagenen sieben Stunden. Und er macht dich fertig. Dazu ist er gedreht worden.

Damals hatte ich genau jenes Alter von 14 Jahren, von dem Mittermeier spricht. Und das Ansehen eines solchen Mammutfilmes kann man nur verteilen auf neun Unterrichtsstunden. Das zog sich also über Wochen hin. Stundenbeginn: Knopfdruck, Spielfilm läuft, Klingelingeling, Stunde ist zu Ende, Spielfilm wird unterbrochen. Das war mein schulischer Alltag: Realschule Homberg/Efze, etwa 1980, etwa 6. Klasse (- Stayfriends, das zum Mitschreiben!, Mitschüler, ihr könnt es bezeugen: Wir hatten ein Schulfach, das hieß Schuld).


Und ich konnte ja nicht ahnen, daß wenn ich dieses Fach noch einmal als Wahlpflichtfach (oder so ähnlich) wählen würde im nächsten Schuljahr, ich wieder diesen Lehrer kriegen würde und ich diese Prozedur noch ein weiteres mal über mich würde ergehen lassen müssen (- ehrlich, so war das!).

Übrigens hatten die Briten während des Zweiten Weltkrieges ein Schulfach das hieß "Haß". Auch das ist in meiner Magisterarbeit behandelt (1). George Orwell berichtet darüber in "1984". Das haben wir doch alle gelesen, oder etwa nicht? Täglich waren fünf Minuten Haß zu konsumieren .... Merkwürdig. Kein Thema für deutsche Komödianten? Ein Baby fliegt durch die Luft und wird vom Maschinengewehr zersiebt? Es gibt nichts Lustigeres als tote Deutsche?

(Ach übrigens, lieber Leser: Den ganzen Rest des ARD-Rummels von vor zwei Wochen kann man sich schenken. Selbst bei Piet Klocke fehlt einfach der Reiz des Neuen. Schön ist vielleicht noch, wie Mittermeier von der Unterstützung durch seine Familie spricht. Sie wird auch eine große Hilfe gewesen sein dabei, an seinem "german Schuldkomplex" zu arbeiten ...)

(Auch sein neues Programm "Achtung, Baby" finde ich nicht empfehlenswert. Mein Gott, was werden wir heute auf "Härte" trainiert - von unseren Spaßmachern. Ich meine: seelische Härte. Dagegen war die Zeit unter den Nazis, unter Churchill und Stalin "Kinderstube". Ehrlich. Go back to America, Mittermeier, ehrlich.)

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  1. Bading, Ingo: Wie kam Stalin in die Mitte Europas? Kriegsziele der westlichen Demokratien seit 1941. Magisterarbeit, Universität Mainz 1993, überarbeitete Neufassung 2007. Auf: Academia.edu und http://www.lulu.com/spotlight/studium_generale

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