Menschen im Aufruhr der Leidenschaft. Die englische Malerin Maria Cosway (1760-1838) (Wiki) lebte in ihrer Jugend in Zeiten des "Sturm und Drang". Sie gehörte derselben Generation an wie die Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft (GAj2009). Unter anderem wurde Maria Cosway in ihrer Jugend auch gefördert von der zwanzig Jahre älteren Deutsch-Schweizer Malerin Angelika Kaufmann (1741-1807).
Abb. 1: "Eine Perserin in Anbetung der Sonne" - Gemälde von Maria Cosway, 1784 |
Das Genie hat es schwer. Nicht zu allen Zeiten möchten Menschen auf Genie's treffen. In Zeiten des Sturm und Drang gab es dafür womöglich mehr Offenheit in der Gesellschaft als sonst. Denn in den meisten Zeitepochen möchten Menschen eher, daß alle, denen sie begegnen, so sind wie sie selbst. Alles andere würde zu viel Unruhe und Verwirrung hervorrufen, im Herzen, im Leben.
Deshalb, Genie, sei klug, gib dich nicht als solches zu erkennen. Tu so, als wärest du wie alle. Hat nicht selbst Jesus so getan als wäre er - "wie alle"? Nein, das hat er nicht getan. Aber wer von uns ist schon Jesus?
Bei den antiken Griechen gab es - offenbar - vor allem einen Grund dafür, daß das Genie aus der Stadt verbannt wurde: Man wollte selbst Genie sein und möglichst vielen anderen die Möglichkeit geben, Genie zu ein. So zumindest nach der Deutung von Friedrich Nietzsche (Stgen2023). Nietzsche, der selbst so ehrgeizige könnte dafür ja ein Verständnis gehabt haben.
Und heute?
Auch heute gibt es diese Einstellung, gegenüber der sich das Genie zu allen Zeiten aufgelehnt hat, die Einstellung, die Nietzsche in die Worte faßte: Ein Lüstchen für den Tag, ein Lüstchen für die Nacht.*)
Die englische Malerin Maria Cosway, Jahrgang 1760
Maria Cosway hat schon mit 21 Jahren einen zwanzig Jahre älteren Mann geheiratet, ebenfalls einen Maler. Es scheint sich dabei nur um eine Standesehe gehandelt zu haben. Die Leidenschaften scheinen weiter in ihr gebrodelt zu haben.
Mit 24 Jahren malte sie "Eine Perserin geht, um die Sonne anzubeten" (Abb. 1). Die dargestellte Frau wirkt leidend und emphatisch.
Abb. 2: "Ein Mädchen am Meer, sich dem Geist der Melancholie widersetzend" - Gemälde von Maria Cosway |
In Zeiten des "Sturm und Drang" probieren die Menschen viele Gefühle aus. Sie geben sich mit bekannten Gefühlen nicht zufrieden. Sie gehen dem Unbekannten, gerne auch Verwirrenden, Maßlosen nach.
Ähnlich das "Mädchen am nächtlichen Meer, das sich dem Geist der Melancholie widersetzt". Dem menschlichen Gefühl, der menschlichen Gefühlswelt sind keine Schranken gesetzt.
Es sind titanische Kräfte, die in uns lodern. Es sind flammende Feuersäulen, die zum Himmel lohen in wabernder Glut, wenn menschliches, heftiges Verlangen umschlägt in unendliche Seufzer himmlischer Sehnsucht in stürmischer, gewittriger Nacht.
Brodelnde, gurgelnde Wasser in dunkler stürmischer Nacht auf dem weiten, unendlichen, grausamen Meer - sie mögen angemessen sein für die leidende Seele, die im Aufruhr der Leidenschaften sich sehnt und leidet.
Heftige Winde, stürzende Wasser, brodelnde, brausende Flut, enge Felsen, hoch hinauf schlagende, peitschende Wellen.
Abb. 3: Der Tanz am nächtlichen Meer - Gemälde von Maria Cosway |
Grausig rächt sich das Meer an den Lebenden, grausig rächt sich das Meer am toten, fühllosen Stein, grausam und unendlich in liebender Flut umfängt es die Gestade der Himmlischen und Seligen. Es reißt sie hinunter in die Fluten. Und nicht weit entfernt zürnt herauf - wie ein Titan - der Ätna, eine Feuersäule loht zum Himmel hinan, Ascheregen überall, erstickt alles Leben, tötet alles Leben. Titanische Kräfte ringen mit lebender Materie, Leben ringt sich unter der Vernichtung hervor.
Wir wissen heute, daß es solches Geschehen häufig in der Erdgeschichte gegeben hat (Wiki). Es mag so einigermaßen angemessen sein, der leidenschaftlichen, empfindsamen, in heftigem Verlangen befindlichen Seele.
Maria Cosway malt ein Mädchen, das nachts am Meer tanzt (Abb. 3). Ihre Augen blicken ängstlich. Aber sie stellt sich den vernichtenden Mächten in ihrer Angst - und tanzt mit ihnen. In wabernder Furcht.
Abb. 4: Klythia, die verschmähte Geliebte des Apollon - geschaffen von Maria Cosway, 1785 |
Klythia (Wiki) war die Geliebte des Apoll, die - von ihm verschmäht - seine neue Geliebte in Verruf brachte. Deren Vater ließ diese daraufhin bei lebendigem Leibe begraben.
Auch dadurch jedoch konnte Klythia Apollon's Liebe nicht zurück gewinnen. Apollon grollte ihr vielmehr um dieser Tat willen.
Im Aufruhr ihrer Leidenschaften setzte sich Klytia in Auflösung auf einen Felsen nieder, aß und trank nichts mehr und starrte in die Sonne. Ihr Herz war zerrissen vor Sehnsucht und Schmerz.
Dieses Geschehen einzufangen, scheint sich Maria Cosway bemüht zu haben (Abb. 4). Kythia wurde durch ihr Herzeleid nach neun Tagen in eine Blume verwandelt (behauptet Ovid). Sie dreht ihre Blüte stets nach Apollons Sonnenwagen.**)
Poesie, wohin man schaut bei den Griechen.
Abb. 5: Ariadne - Gemälde von Angelika Kauffmann, 1782 |
In ihrer Jugend hat auch Angelika Kauffmann Menschen im Aufruhr der Leidenschaften gemalt. Wir greifen hier eine Ariadne (Wiki) heraus (Abb. 5). Ariadne wird auf der Insel Naxos von ihrem Geliebten Theseus zurück gelassen, so das Motiv des Gemäldes (im Hintergrund das abfahrende Schiff des Theseus).
Die Geschichte sollte den folgenden Fortgang haben: Hesiod und die meisten anderen Erzähler berichten, daß sie am Strand der Insel von Dionysos völlig verlassen und schlafend aufgefunden wurde. Der Weingott verliebte sich in sie und erkor sie zu seiner Braut. Ihr Diadem schleuderte er hoch hinaus in den Himmel. Dort wurde es zum Sternbild der Nördlichen Krone. Dionysos und Ariadne bekamen mehrere Söhne. Ariadne blieb trotz ihrer Verbindung mit Dionysos weiterhin auch in Theseus verliebt. Seinen Tod beweinte sie bitterlich. Dionysos holte Ariadne dennoch nach ihrem Tod aus dem Tartarus zu sich hinauf auf den Olymp.
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Aber der Klytie mag, wenn auch entschuldigen konnteLiebe den Schmerz und Schmerz den Verrat, der Spender des LichtesNicht mehr nahn, und er setzt dem Bund mit jener ein Ende.Seitdem schwand sie dahin, unsinnig sich härmend in Sehnsucht,Nie zu den Nymphen gesellt, und im Freien auf offener ErdeSaß sie bei Tag und Nacht, achtlos auf das hangende Haupthaar,Und neun Tage hindurch sich Trank und Speise versagendGab sie dem nüchternen Mund nur Tau und eigene Tränen.Nie auch wich sie vom Sitz. Zum Gesicht des wandelnden GottesSchaute sie nur und wandte sich stets nach ihm mit dem Antlitz,Haften blieb, wie es heißt, am Boden ihr Leib, und die fahleBlässe entfärbt sich zum Teil zu saftentbehrendem Kraute;Rot ist gefärbt ein Teil, und violenähnliche BlumeDeckt das Gesicht. Sie wendet, obgleich von der Wurzel gehalten,Immer dem Sol sich zu und bewahrt verwandelt die Liebe.