Gedanken zur Psychohistorie und zur Psychohygiene
Afterliebe ist ein altertümlicher Ausdruck.
Abb. 1: "Der sündige Mönch" - Radierung von Max Schenke - 1924 |
Im "Adelung", einem deutschen Wörterbuch des Jahres 1793, werden neben dem Wort "Afterliebe" viele andere Worte angeführt und erläutert, die in ähnlicher Weise wie dieses gebildet worden sind in Zeiten vor 1793 (1). Keines dieser Worte wird heute noch benutzt. Am ehesten noch können wir heute dem Wort "Afterliebe" Bedeutung zuordnen. Aber auch das nur mit Mühe und wenn wir historische Beispiele seiner Verwendung auf uns wirken lassen (2) (G-Bücher). Diese machen deutlich, daß das Wort Afterliebe in der Frühen Neuzeit ein nicht selten genutztes Wort war. Es bezeichnete die unechte, die verlogene, die aufgesetzte Liebe (1, 2).
Auffallend sollte es doch sein, wenn wir heute gar kein Wort mehr benötigten für ein solches Phänomen wie Afterliebe.
Wenn dieses Wort in der Frühen Neuzeit verwendet wurde, ging es oft um eine aufgesetzte, verlogene Liebe zu Gott. Und eine solche verlogene Liebe zu Gott konnte mit einer verlogenen Liebe zu den Mitmenschen einher gehen - und umgekehrt. Es konnte das auch eine verlogene Liebe zu sich selbst einschließen und zu allem, was einem zugehört (Familie, Kulturraum).
Wenn wir auf Google nach dem Wort "Afterliebe" suchen, stoßen wir als erstes auf die Schriften eines polnischen
Karmeliter-Mönchs namens "Hieronymus a Sancto Hyacintho" (geboren 1603
in Krakau) (G-Bücher) (2). Dieser Treffer mag völlig willkürlich sein. Dieser Hieronymus hat noch nicht einmal einen Wikipedia-Artikel. Seine Schriften wurden erstmals gedruckt im Jahr 1645, 1768 erneut. Vor allem in Klöstern und von Klosterbewohnern sind sie gelesen worden. Probleme, mit denen sich christliche Kleriker herum geschlagen haben, womöglich aber in Zeiten, in denen es wenigstens noch ansatzweise einen Hauch von Gespür für tatsächliche Anständigkeit gab, ein Gespür, dem als Gegenstück dann ein solches Phänomen wie "Afterliebe" entgegengesetzt werden konnte.
In der christlichen Welt und in Klöstern hat man sich mit Heuchelei, aufgesetzter Frömmigkeit, Frömmelei, aufgesetzter Liebe, "Afterliebe" immer wieder auseinandergesetzt. Man scheint innerlich dazu gezwungen gewesen zu sein. Ein Umstand, der schon auffallend genug sein könnte. Auf jeden Fall hat man sich damit auseinander gesetzt. Man ist dieser Auseinandersetzung nicht scheu ausgewichen. Vielmehr war sie damals - aus einer christlichen Lebenshaltung heraus - noch mehr oder weniger selbstverständlich.
Beispielsweise versteht man nichts an der historischen Gestalt von Martin Luther, wenn man sich nicht die Selbstzweifel klar macht, von denen Martin Luther als junger Mensch durchdrungen war. Die Grundfrage auch seines Lebens war: Wie finde ich einen gnädigen Gott? Man verachte die Christen nicht um dieser Frage willen. Ist sie denn eine so unberechtigte?
Christen hatten damals das Gefühl, daß Gott auf heuchlerische Liebe, auf Afterliebe mit Abscheu schauen könnte. Aber womöglich gibt es ja solche Heuchelei auch heute noch in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen, in unserer Beziehung zu uns selbst oder zu etwaig übergeordneten Werten. Aber fragt jemand danach? Soweit man nicht auf Politiker verweisen könnte, die man - spielend leicht - als heuchlerisch benennen könnte?
Führt ein solches Verweisen auf andere zu einem Hinterfragen der eigenen, inneren, menschlichen Situation, Haltung und Ausgerichtetheit? Hinterfragt jemand auch einmal seine eigene Einstellung in all diesen Dingen? So wie das - zum Beispiel - die Mönche taten? So wie das Martin Luther tat?
Ist es denn eigentlich gesund, hier nichts zu hinterfragen? Könnte die Situation entstanden sein, daß uns heute sogar Mönche des 17. Jahrhunderts diesbezüglich etwas sagen könnten? Weil sie uns voraus waren? In dem Vermissen - und in dem Anstreben - von menschlicher Aufrichtigkeit und Anständigkeit? Mönche wären uns voraus? Es gäbe Anlaß, bei ihnen anzuknüpfen? Wirklich?
Psychohygiene
Wir müssen nicht lange suchen, wie Luther und all die anderen Mönche auf diese Auseinandersetzungen gekommen sind. Man findet sie allgegenwärtig auch schon im Alten Testament. Auch hier ist die ständige Frage der Gläubigen: Tun wir wirklich das, was Gott will? Der diesbezügliche Selbstzweifel ist allgegenwärtig. Werden wir dem Willen Gottes gerecht? Und in der Antwort auf diese Frage verzweifeln die Menschen dort allzu oft an Gott, werden ohnmächtig vor ihm, werden sich ihrer Schwäche gewahr ihm gegenüber, des Ungenügens, sie haben immer wieder eine Ahnung davon, daß sie nicht eifrig genug Gottes Willen folgen.
Und deshalb sinken sie in den Staub gegenüber Gottes Herrlichkeit und Größe. Im Angesicht dieser Herrlichkeit empfinden sie sich als unwürdig, als "Scherbe", als "Nichts". Sie empfinden es als unwürdig, im Angesicht dieser Größe und Herrlichkeit nicht im Staub zu liegen. Da sie dieser so unangemessen und selbstgerecht begegnen.
Sollte nicht - wenn wir schon Despoten anbeten wollen in dieser Zeit, sollte dann dieser Despot nicht wenigstens Gott sein? Wenn schon?
Wäre nicht Gott ein Despot, den anzubeten - wenn schon - am angemessenste wäre? Statt uns so unzählig viele andere Despoten zu wählen in der Welt. Nennen wir sie Glück, Wohlbehagen, Zufriedenheit, Seelenruhe, Abwesenheit nagender Selbstzweifel. Freilich können solche seelischen Erscheinungen auch zu Despoten werden, freilich .... Und würde es nicht Sinn machen, der Verehrung solcher Despoten die Verehrung anderer "Despoten" entgegenzustellen? Ist dies nicht womöglich sogar der Grundgedanke des Monotheismus? Seine eigentliche ihm innewohnende Stärke?
Woher wohl die Seelenhaltung kam, die wir da im Alten Testament finden? Gott als Despot. Und der Mensch im Staub und in Unwürdigkeit vor ihm. Wo sie wohl erstmals Ausdruck gefunden hat in der Menschheitsgeschichte in dieser extremen Unterwürfigkeit, in dieser Unbedingtheit, in diesem Eifer? Liegt hierin die innere psychische Notwendigkeit des Mono-Theismus? Einem Gott kann ich unbedingter folgen als vielen. Einer Wahrheit (über Gott) (einer willkürlich postulierten) kann ich unbedingter folgen als dem vielen "Raten und Meinen" (über Gott und Götter).
Hat es Anbahnungen einer solchen Haltung in Ägypten gegeben? Bei den Assyrern? Anbahnungen zu dieser Emphase? Aber war sie schließlich dennoch die "Neuerfindung" des Judentums, womöglich im 6. Jahrhundert v. Ztr. während der Belagerung Jerusalems durch die Assyrer, eine Zeit, in der sich die frühesten archäologischen Belege für so etwas wie "Judentum" finden (3)? Verstärkt in den Zeiten des Hellenismus, als das Judentum konfrontiert wurde mit der aristotelischen Unterscheidung zwischen Wahr und Falsch, der sie die monotheistische Unterscheidung zwischen Wahr und Falsch entgegensetzten (4)?
Entspringt aus der bis dahin angebahnten Unterwürfigkeit, vermischt mit "mosaischem Eifer" und mit Feindvernichtungswünschen (5) die "sprengende" Macht des Monotheismus? Und wenn ja: Was würde uns das sagen über uns, die wir unterworfen worden waren, über tausend Jahre lang von Monotheismus? Die wir über tausend Jahre lang einen zutiefst despotischen Gott angegebetet haben? Die wir über tausend Jahre lang vor ihm im Staube lagen?
Es ist natürlich, sozusagen "höllisch leicht", in all dem - von einem "germanischen", "nordeuropäischen" Standpunkt aus - unwürdige Kriecherei vor Gott sehen. "Afterliebe" (6). Aber wenn diese innere Haltung des Angstvollen, des allen Einklangs mit Gott Enthobenen, der Entblößung, der Entbehrung des Göttlichen, der Entehrung durch diese Entbehrung, wenn diese "Afterliebe" der Wahrheit entspricht, zumindest einen Zipfel von wahrer Erkenntnis, Selbsterkenntnis enthält - trägt sie dann nicht auch dazu bei, der eigenen "Lage" gegenüber Gott, der eigenen Stellung gegenüber Gott und gegenüber Gottes Herrlichkeit in dieser Welt gewahr zu werden? Würde sie nicht helfen, dieses Gewahrwerden mit den einer solchen Lage angemessenen Gefühlen zu begleiten? Statt in womöglich billiger, unhinterfragter Afterliebe - entblödet und verblödet sich für den so einigermaßen gottnächsten Menschen auf Erden zu halten?
Abb. 2: van Gogh - Alter Fischer |
Kann es wirklich sein, daß wir alle so gottnah sind - wenn es doch gleichzeitig so wüst zugeht auf Erden und in unser aller Leben? Eine "Wüstheit", die doch mehr hervorruft als bloßes "Unbehagen" (wie das von der Kulturpsychologie auch schon einmal benannt worden ist).
Geschichtlich gesehen erkämpfte sich der Indogermane exzentrisch mit dem Schwert nach außen hin zugleich Seelenmut, Großherzigkeit, Adel der Seele, Höhe, Erhabenheit, Entgrenzung, und zwar nach innen ebenso wie nach außen in die zwischenmenschlichen Beziehungen hinein. Die Welt der Indogermanen, die Geschichte der Indogermanen ist erfüllt von Waffenlärm, von freudiger Lebenshaltung, der Lebenshaltung "Sieg oder Tod".
Unbedingtheit
Diesen Seelenmut, diesen Adel, diese Entgrenzung, diese Verherrlichung des Menschen, der Götter und der Welt finden wir - beispielsweise - noch in jeder Zeile der "Ilias": "Helllumschiente Achaier" sind gegenüber gestellt einem "helmumflatterten Hektor". Menschen, die in dieser Dichtung erwähnt werden, sind per se - möchten sie Gutes, Heldenhaftes tun oder das Gegenteil - per se sind sie schön, edelgesinnt, verherrlicht. Alle. Freund und Feind. Homer kann über Menschen nicht anders denken. Es ist ihm unmöglich. Eine der Haltung des Mittelalters und des Alten Testamentes völlig entgegengesetzte Seelenhaltung und Sichtweise.
Die Weiten der Steppe, die Weiten des Meeres, das ahnungsvolle verschwommene Rot eines prachtvollen Sonnenaufganges, die "rosenfingrige Eos" entsprachen jener Seelenhaltung, die hier Ausdruck findet. In der weiten Stille eines Sommermorgens, eines Wintermorgens wurden in heiliger Einsamkeit Gaben an die Götter niedergelegt (wieder gefunden von Archäologen allerorten in Europa als "Hortfunde"). Die Weltgeschichte klingt Jahrtausende lang wieder von dieser Seelenhaltung, von diesem Adel, von dieser Höhe, davon, daß Kleinmut Kleinmut bleiben möge und davon, daß Großherzigkeit selbstverständlich ist.
Bis die großen Weltreligionen von den Herzen der Menschen Besitz ergreifen, bis in Asien der Buddhismus, im Vorderen Orient der Islam und in Europa das Christentum Wurzel fassen.
Und heute, da - auch - die Indogermanen, die Völker ursprünglich indogermanischer Seelen- und Geisteshaltung übermannt sind von der Geisteshaltung des Vorderen Orients, eingetaucht sind in die Geisteshaltung des Vorderen Orients - seit tausend oder zweitausend Jahren, ist heute nicht eine erste Voraussetzung für die innere Befreiung von dieser Geisteshaltung, für ein Entschlüpfen aus der tiefen Ohnmacht dieser Geisteshaltung eine schlichte Benennung jener innerseelischen Tatsachen, die vorliegen, eine Benennung der Wahrheiten, die im Eingetauchtsein in die Geisteshaltung des Vorderen Orients ihre Wurzel finden? War Wahrhaftigkeit nicht immer schon eine der ersten, selbstverständlicher gelebten Tugenden des indogermanischen Geistes? Und gerade auch in den Klöstern des Mittelalters (6)? Sind wir - nach innen, in das tiefste Innere unseres Innenlebens wirklich hinabgestiegen - so wahrhaftig wie nur immer möglich?
Eine "Proklamation" "hoher", "würdiger" Geisteshaltung im Angesicht der Welt und im Angesicht Gottes oder im Angesicht der Liebe (in Paarbeziehungen) mißlingt doch heute an allen Orten und zu gar zu vielen Zeiten. Wenn wir ehrlich und aufrichtig hinterher hören. Mögen es nun eigene Worte seien, mögen es Worte anderer sein. Wo klingt etwas nicht hohl, aufgesetzt, "entformt", "wabbelig", formlos oder - im Gegensatz dazu - steif?
Gibt es auch noch Pathos, der nicht steif, der nicht hohl klingt?
Stehen wir auf der Höhe? In der weiten freien Ebene? Am Meer? Innerseelisch? Oder befinden wir uns nicht vielmehr im Tal, in der Schlucht, in der Enge, in der "Beugehaft", im "Strafvollzug" (der Geschichte), im Gefängnis, zu Boden gebeugt, am Ende. (Hier schreibt jemand gerade "assoziativ", ohne Nachdenken, nur die Worte fließen-lassend.) Und sollte es nicht wirklich so sein, daß aus einer solchen Lebenshaltung heraus nur noch kleine "Afterlieben" möglich sind? Daß wir uns im freien Fall befinden? Daß wir: Fallen - fallen - fallen - ?
Psychohistorie
Sollte denn anderes noch wahr sein? Sollte es schon deshalb wahr sein, weil wir behaupten, es wäre wahr? Weil wir gerne hätten, es wäre wahr?
Oder wäre es psychohistorisch, wäre es für unsere heutige Psychohygiene sinnvoll, einmal in die Bücher christlicher Kleriker der frühen Neuzeit hinein zu schauen und uns ihrer - und damit vielleicht unserer - Ohnmacht vor Gott gewahr zu werden? Ihrer - und unserer - Entfernung zu Gott? Dem Erleben ihrer - und unserer - Schmach?
Nur weil ich jedenfalls behaupte, die Dinge wären so und so (mit mir), nur weil ich sie so benenne, heißt keinesfalls, daß sie auch wirklich so sind. Schon Ralph Waldo Emerson gab uns den Rat, so oft wie möglich auch das Gegenteil unseres Fürwahrgehaltenen in Betracht zu ziehen (St Nat 2021) (7).*)
Wir können voller Nacht sein, voller Dunkelheit, voller Moder, voller Dreck, voller Gewürm, voller Schmutz, voller Dingen, die uns (eigentlich) ohnmächtig machen könnten, sollten (vor Gott). Und wir könnten uns - dennoch (aber unberechtigt): frei, hell, rein und sonnenumflutet dünken. Aber eben ohne daß wir es wirklich sind.
Haben wir denn noch ein Gespür überhaupt für Möglichkeiten? Solcher Art? Entspricht nicht alles Unflexible, Einseitige in unser aller Leben dem Nicht-in-Betrachtziehen von Möglichkeiten? Gewisser Art? Dem Nicht-Inbetracht-Ziehen der Möglichkeit des Bestehens von "Afterliebe"?
Probieren wir es doch, ermutigt von Ralph Waldo Emerson. Sagen wir: Oh, Mensch, du in deiner Dunkelheit! Seien wir Dichter. Geben wir der Sprache Raum. Behandeln wir unsere Sprache und Worte wieder - - - "wie ein Gebet". Schauen wir - meinetwegen - in die Bibel.
Aber werden wir doch dabei nicht - - - "hoffärtig".
Wieder so ein altes Wort.
Für bestimmte psychische Möglichkeiten hatten jedenfalls die christlichen Kleriker des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, einschließlich Luthers ein Gespür, das uns verloren gegangen ist mit dem Hochmut der späten Neuzeit und des Materialismus, mit dem Hochmut und der Blasiertheit des 20. und des 21. Jahrhunderts samt seiner lächerlich schalen "politischen Religionen". Damals, in der Frühen Neuzeit, gingen die Menschen mit diesem Gespür - tagtäglich - um. Sie fanden Worte dafür, sie lagen - um dessentwillen - in Schmach vor Gott. Noch in den Jugendgedichten von Friedrich Schiller finden wir genügend von einer solchen Geisteshaltung. Nur weil Schiller gelebt hätte im deutschen Volk wären wir von allen psychohistorischen Möglichkeiten, die es vor Schiller gegeben hat, entbunden? Die Orientierung an ihnen wäre entbehrlich?
Womöglich wäre dem Menschen von heute zuzurufen: "Mensch, in deiner Dunkelheit, kehre um. Kehre um, gehe zum Licht, werde dir des Unwürdigen, Vermoderten, Entherzten, Abgeschmackten Deiner inneren 'Welten' und 'Werte' bewußt. Wäre dir nicht zunächst einmal die Frage zu stellen: Hast du denn überhaupt 'Innenwelt'? Gibt es Räume, Hallen, Dome in dir? Oder doch nur Dumpfheit, Moder, Natterngezücht, ... Afterliebe?"
Abb. 3: van Gogh - Betender alter Mann |
Hast du mehr in dir außer Gründe zum Stöhnen und zum Aufschrei vor Gott? Aus deiner eigenen Verwesung und Niedrigkeit heraus? Aus deiner Vermodertheit heraus? Aus deiner Verlassenheit heraus? Aus deiner "Entmetaphysierung" heraus? Aus deiner Entblößung heraus? Aus deiner Entgöttlichung heraus? Wer die Welt ohne Gott sieht, sieht der nicht auch sich selbst als ungöttlich an, als wertlos an, als entheiligt an? Gar zu leicht? Auch wenn er anderes postulieren sollte? Mensch, beachte die Möglichkeiten, die vorliegen könnten.
Die christlichen Kleriker des Mittelalters und der Frühen Neuzeit - wußten sie mehr als wir um die Unwägbarkeiten im Verhältnis zwischen Gott und Mensch? Um die Unwägbarkeiten des grenzenlosen, nicht umzubringenden Stolzes, der uns immerwährend einflüstert, wir wären schon gut, so gut wie wir sein könnten, im Angesicht Gottes, im Angesicht der Welt. Wir bräuchten uns nicht zu ändern. Alles wäre "gut". Dabei ist doch gar nichts gut - ?
Liegen nicht hier, im Bereich solcher Möglichkeiten Leistungen, die zu erbringen wären? Rechenschaften, die abzulegen wären? Bevor auch nur ansatzweise sinnvoll etwas anderes, Weiterbringendes geschehen könnte?
Wäre nicht hier der Anfang dessen, was überhautp zu tun wäre - für "Werkleute", "Bauleute" des Geistes (GAj)?
"Gott, aus tiefer Schmach ruf ich zu dir," beteten die Beter. Früher.
Stichworte zu diesem Thema würden dann dementsprechend lauten: #Psychohygiene, #Reinigung, #Katharsis, #Entschlackung. Abwehr des Fürwahr-Gehaltenen. Überprüfung der Frage: "Ernähren" wir uns richtig? Haben wir die richtige Ernährung? Haben wir - also - die richtigen Worte für unser Verhältnis zu Gott? Zu den Menschen? Zur Welt? Zu uns selbst? Wären solche Worte nicht auch: Ernährung. Nahrung. - ?
Kleider?
Gott, aus tiefer Schmach ruf ich zu dir.
Schaffe dir ein neues Kleid an. Mensch.
Wähle Worte, die gesund sind. Wähle Worte, die dich gesund machen. Nicht deshalb, weil sie "schön" wären. "Angenehm" wären, "glatt eingehen". Sondern weil sie schlicht wahr sind. Und uns darum - völlig - gegen den Strich bürsten. Mensch. Wähle Bilder, die dich gesund machen. Die nicht heucheln, die nicht der Hölle deshalb entnommen sind, weil sie unwahr sind.
Wenn du lieber der Afterliebe anhängst als der echten Liebe - dann sage es doch auch. Sinke in den Staub vor dich selbst.
Bekenne dich dazu.
Schau in den Spiegel deiner Seele. Deiner Worte.
Dein Beichtstuhl, der Ort deiner Reue, deiner Schmach, deiner Schande sei dein inneres Selbstgespräch, sei das innere Flüstern in dir ....
"Mensch werde wesentlich ..."
Welcher Ort wäre angemessener dafür als das innere Gespräch? Du willst einem - Pfaffen - beichten? Nicht doch. Nein. Nur eines könnte gelten: Befreie dich selbst - und du befreist alle. Gehe nicht zu - Pfaffen. Niemals. Aber horche jenen unter ihnen hinterher, die dir - dennoch - etwas zu sagen haben können. Setze dabei ihrer Herrschgier dein Selbstbestimmungsrecht entgegen. Gegen alle Fremdbestimmung. Dein Leben aus eigener Kraft.
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*) Einige diesbezügliche Zitate von Ralph Waldo Emerson, der von Nietzsche so gerne gelesen worden ist (3): "Ich werde der Wahrheit nachgehen entgegen dem, was Gott genannt wird."
(Original: "I will think the truth against what is called God.") Oder "Der Candidat der Wahrheit ... prüft alle entgegengesetzten Verneinungen zwischen denen wie zwischen Mauern sein Wesen hin und her gestoßen wird ... und ehrt das höchste Gesetz seines Seins." Oder: ".... Jede Geißelung, die an ihm vollzogen wird, ist ruhmvoll für ihn, jedes Gefängnis ein glänzender Aufenthalt; jedes verbrannte Buch oder Haus erhellt die Welt; jedes unterdrückte oder vernichtete Wort hallt wieder durch die ganze Erde ... Im Allgemeinen ist jedes Übel, dem wir nicht unterliegen, eine Wohltat für uns."
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- Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 175-176. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000013323
- Hieronymus a Sancto Hyacintho: Sammlung einiger auserlesenen geistlichen Büschlein aus dem Acker göttlicher Schrift und heiliger Vätter zu Anstellung eines wahrhaft geistlichen Leben. 1645; erneut 1768 (G-Bücher)
- Israel Finkelstein, Neil Asher Silberman: Keine Posaunen vor Jericho. Die archäologische Wahrheit über die Bibel, dtv Verlagsgesellschaft, 2001
- Assman, Jan: Die Mosaische Unterscheidung oder Der Preis des Monotheismus. Hanser, München 2003
- Sloterdijk, Peter: Zorn und Zeit. Politisch-psychologischer Versuch. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2006
- Hunke, Sigrid: Europas andere Religion. Die Überwindung der religiösen Krise. Econ-Verlag, Düsseldorf 1969
- Bading, I.: Eduard Baumgarten, 2011, ergänzt 2021, https://studiengruppe.blogspot.com/2011/08/eduard-baumgarten-eine-groe_30.html