Mein Vater ist vor einer Woche, am 2. September 2015, gestorben. Wie vielleicht sonst nur wenige hat er inneren Anteil genommen an den Anliegen, die hier auf den Blogs vertreten werden. Deshalb soll ihm, seinem Leben und seinen Anliegen ruhig einmal ein Beitrag hier auf dem Blog gewidmet werden. Oder auch mehrere.
Abb. 2: Mit seiner Mutter, etwa 1941 |
Er wird übermorgen begraben. In Vorbereitung auf die Beerdigung kommen einem viele Gedanken. Man findet Gedichte, die man früher nie beachtet hat. Vielleicht wird hier nach und nach einiges, was einem wertvoll erscheint, noch eingestellt werden.
Abb. 2: Als Landwirtschaftsgehilfe, etwa 1953 |
Wir leben aus den Menschen, denen wir unsere Existenz verdanken. Wenn solche Menschen sterben, wird einem das wesentlich bewußter, als es einem das war, solange sie noch lebten.
Abb. 3: Unterwegs mit einer Jugendgruppe, 1960 |
Was wir sind, verdanken wir unseren Eltern.
Abb. 4: Das erste Auto, 1964 |
Und wenn es Dinge gibt, die wir bejahen können unter all dem, was man ist, ist das Sterben eines Elternteils fast eine Art vorweggenommenes eigenes Sterben. Jedenfalls kommt man dem eigenen Tod wesentlich näher als noch beim Tod der Großeltern.
Abb. 5: um 1964 |
Ein Teil der aufgewühlten Gefühle, die man aus einem solchen Anlaß hat, sollen in diesem Blogbeitrag verarbeitet werden, indem zunächst einfach ein paar Fotos aus seinem Leben zusammengestellt werden.
Abb. 6: Die Feier der Verlobung meiner Eltern, Anfang 1965 in Salzburg |
Wie Goethe möchte ich sagen "Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt." Über seinen Vater zu erzählen, heißt zugleich viel über sich selbst zu erzählen. Ich stelle hier einige Bilder ein, die ich schon seit längerer Zeit, in der mein Vater dement geworden war, allmählich zusammen gesammelt habe aus alten Familienalben.
Abb. 7: Auslieferungsfahrer für Vorlo in Hannover, um 1965 |
Mein Vater wurde 1934 in Brandenburg an der Havel geboren und ist auf einem Bauernhof in der dortigen Gegend aufgewachsen. Er hat bis 1958 in der Landwirtschaft gearbeitet. Danach war er als Milchkontroll-Assistent weiterhin in der Landwirtschaft tätig und hat Bauernhöfe in Westfalen abgefahren. Schließlich hat er bis 1961 als Büromensch in der Landwirtschaftskammer in Bonn gearbeitet.
Abb. 8: Mit dem ersten Kind im Georgengarten in Hannover, Mai 1966 |
Infolge der Kriegs- und Nachkriegszeit hatte er nur eine ganz ungenügende Schulbildung, sich aber zeitlebens für eine weite Spanne von geistigen Themenbereichen interessiert. Sein Leben bestand aus einem lebenslangen Lernen, aus einem bis ins hohe Alter fortgesetzten geistigen Austausch mit Menschen, die ihm diesbezüglich wichtig waren. Und von diesen gab es sehr viele. Er interessierte sich insbesondere für Politik, für Vorgeschichte, Geschichte, Zeitgeschichte und weltanschauliche Fragen. Also für ganz ähnliche Themen wie sie auf meinen Blogs behandelt werden. Daran ist schon erkennbar, wie sehr ich durch meinen eigenen Vater geprägt worden bin und wie viel von seinem Erbgut in mir fortexistiert.
Abb. 9: Mit dem ersten Kind, August 1966 in Salzburg |
Einer seiner Lieblingsschriftsteller in seinen Altersjahren war der Sozialdemokrat August Winnig (1878-1956) (Wiki). Von diesem hat er wohl in seinen Altersjahren fast alle Bücher nach und nach antiquarisch erworben. Und er hat gerne auch eine interessierte Zuhörerschaft an seinen Lesefrüchten Anteil nehmen lassen. Auf Abbildung 3 lauscht er schon 1960 den Worten eines alten Lehrers, der einer Jugendgruppe auf einer Wanderung wohl gerade etwas über Vorgeschichte erzählt. (So stelle ich es mir zumindest vor nach dem, was er über jene Zeit so erzählt hat.)
Abb. 10: Mit dem ersten Kind, August 1966 in Salzburg |
Meine Mutter lernte mein Vater, obwohl er Norddeutscher war, in den Bergen, in den Alpen kennen. Sie war Österreicherin und kam aus Zell am See. Er holte sie 1965 zu sich nach Hannover, wo sie anfangs mit ihrem österreichischen Dialekt manche Heiterkeit hervorrief.
Abb. 11: Der LKW meines Vaters mit Werbung für Eden-Margarine, 1979 |
Noch heute sind wir amüsiert, wenn sie mit einer ihrer Schwestern telefoniert und dabei ganz selbstverständlich in den österreichischen Dialekt verfällt. In unserer Familie heißen Pfannkuchen deshalb auch Palatschinken. Seit 1961 arbeitete mein Vater als Verkaufsfahrer, zunächst im Blumengroßhandel in Bonn, Köln und Hannover, danach für die Getränkefirma Vorlo in Hannover und in Barbis im Harz.
Schließlich leitete er ab 1972 ein Auslieferungslager für die Belieferung von Reformhäusern in ganz Nordhessen mit Margarine, Rote-Beete-Saft, Sauerkraut, Tee und Müsliriegeln.
Abb. 12: Mit unserem Haflingerfohlen Lilofee, unserem Bullenkälbchen und unserem Hund Astor, 1981 |
Als Auslieferungsfahrer mit einem eigenen Lager (vor dem er auf Abb. 12 steht), das er selbständig führte und in dem er Frau Rhode, unsere Sekretärin, seinen Schwager Jochen und noch einen weiteren Lagerarbeiter beschäftigte, hat er viel arbeiten müssen, sein ganzes Leben. Gerne hat er einen Spruch gesagt - aber noch viel mehr gelebt, von dem ich gerade nur die letzten Zeilen in Erinnerung habe, der da aber lautete:
Arbeitsfreude ist von Nöten
die ist göttlich - nicht das Beten!
Oft war ich mir im Zweifel, ob er wirklich nur arbeitete, um zu leben, oder ob er lebte, um zu arbeiten. Ich habe ihn dafür oft kritisiert, natürlich ohne Erfolg. Er lebte die Arbeitsmoral der Generation des Wirtschaftswunders.
Abb. 13: Einer der beiden 7,5-Tonner meines Vaters auf unserem Hof (ein Fiat), etwa 1981 |
In den Jahren des Wirtschaftswunders und bis zur Aufgabe seines Betriebes 1990 hat er allerdings als Auslieferungsfahrer keineswegs im Niedriglohnbereich gearbeitet wie das heute wahrscheinlich der Fall wäre. Nein, er hat gut verdient. So daß unsere Eltern uns vier Kindern eine großzügige Kindheit auf dem Dorf in einem alten Fachwerkpfarrhaus mit großem Garten, Scheune und vielen Tieren (s. Abb. 6) ermöglichen konnten.
Viele Jahre prangten auf den 7,5-Tonnern meines Vater anstelle der Werbung für Eden Margarine in gleicher Größe Aufkleber wie "Atomkraft? - Nein danke!". Denn meine Eltern waren auf Regionalebene Mitbegründer der grünen Bewegung in Nordhessen und der Partei die Grünen in Hessen (anfangs der GLU, der Grünen Liste Umweltschutz). Freilich sind sie aus der Partei "Die Grünen" bald ausgetreten, nachdem darin Leute wie Joschka Fischer darin das Sagen bekommen haben und Leute wie Gerd Bastian, Petra Kelly oder Rudi Dutschke plötzlich tot waren.
Abb. 14: Aufbau von Verkaufsständen in den neuen Bundesländern, etwa 1991 oder 1992 |
Nach der Wiedervereinigung gab mein Vater sein Auslieferungslager auf und wurde Vertreter für die Firma Eden in den neuen Bundesländern. Er half dort, die Reformhäuser wieder aufzubauen und auf "Westniveau" zu bringen. Der "Besserwessi" also.
Manche Reformhaus-Inhaber waren ihm aber auch dankbar, wenn er ihnen Ware zurück nahm, die sie aus ihrer großen Unerfahrenheit anfangs in viel zu großen Mengen bestellt hatten, und auf der sie sonst sitzen geblieben wären.
Abb. 15: An einem Verkaufsstand in denen neuen Bundesländern, etwa 1991 oder 1992, vielleicht in Zwickau |
Von den politischen Anliegen und Absichten her war mein Vater ein Revolutionär wie Rudi Dutschke. Das kann vielleicht in weiteren Blogbeiträgen noch genauer erläutert werden. Hier zunächst nur einmal so viel: Die Größe eines Menschen ergibt sich nicht daraus, wie viel Erfolg ein Mensch in seinem Leben hatte, wie viele Menschen ihn kennen. Oder gar: Wie viele Fernsehauftritte er hatte. Und was es da an Maßstäben sonst noch so geben möge.
Die Größe eines Menschen ergibt sich aus dem, für was dieses Menschenleben stand oder für was es steht. Und das Leben meines Vaters stand für viel. Es stand für das Überleben und fruchtbare Gedeihen gewachsener Volkskulturen weltweit. Es stand für eine Weltanschauung und Hintergrundpolitikkritik, die diesem Überleben und Gedeihen neuen Freiraum geben möchte. Ebenso wie das in ähnlicher Weise auch für seinen einstigen Parteifreund Rudi Dutschke gegolten haben mag.
Abb. 16: Im Rentenalter auf dem Bauernhof der Vorfahren ... (um 1995) |
Gerade auch aus diesem Grund könnte über meinen Vater noch viel gesagt werden. Es kann sein, daß die Leserschaft dieses Blogs davon nicht verschont werden wird. - - - Aber für heute sei abgebrochen. Nur noch ein Gedicht zum Abschluß.
Saat
Aber dies alles wird Saat,
und es ist nicht wahr,
daß nur der rasende Tod
über die Erde kam.
Einst, an einem Morgen,
wenn das schneeige Leichentuch
hinschmolz im Frühling,
stehn wohl Kreuze im Feld,
und über schmerzlichen Hügeln
dampfen schweigende Nebel.
Aber dies alles ist Saat.
Und eine erste Lerche
singt wie einst sich zur Sonne,
lobt das heilige Leben
und preist die Wonne der jungen Welt.
Alles ist Saat.
Alles, das hinsinkt in Nacht,
schickt seine Kraft ins All.
Über die Kreuze
wuchern noch Rosen,
über den Hügeln
weichen die Nebel aus Menschentränen.
Dann kommt ein großes Wissen:
wofür dies alles war,
und ein weinend, lachend Gebet
wagt zu danken:
Denn dies ist das Reich
und die Kraft
und die Herrlichkeit.
Hans Schmidt-Kestner (1892-1915)
(Wiki)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen