Sonntag, 29. Juni 2014

"Wie der deutsche Geheimdienst den Alliierten half, den Zweiten Weltkrieg zu gewinnen"

Canaris benutzte einen leicht entzifferbaren Funkcode - absichtlich

Die Nationalsozialisten ahnten es schon dumpf und der Nationalsozialist Johann von Leers (1902-1965), der 1945 kein Wendehals sein wollte, hatte es schon 1954 in die Worte gefasst (6): "Invasion 1944 - Sieg der Alliierten oder der deutschen Verschwörer?" Soweit übersehbar, sollte er mit seiner dabei geäußerten Vermutung recht behalten: Der Zweite Weltkrieg war offenbar ein "Sieg der deutschen Verschwörer".

Abb.1: John  Byrden - "Fighting to Lose" (2014)
Genau über dieses Thema hat jedenfalls im April dieses Jahres ein in Rente gegangener kanadischer Journalist, Buchautor und vormaliger liberaler Parlamentsabgeordneter, John Bryden (geb. 1943), ein neues Buch herausgebracht. Mit dem aussagekräftigen Titel: "Kämpfen um zu verlieren - Wie der deutsche Geheimdienst den Alliierten half, den Zweiten Weltkrieg zu gewinnen" (1). Es geht um den deutschen militärischen Geheimdienst unter Wilhelm Canaris, über den wir hier auf dem Blog schon einen Artikel veröffentlicht haben (2). Dieses neue Buch scheint die Inhalte unseres Artikels voll und ganz zu bestätigen. Ein Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis:
Prolog: Korrupt? Ineffizient? Dumm? (...) Kapitel 2: Hitlers innerer Feind (...) Kapitel 6: Canaris verrät die Sache
Welche "Sache", kann erst nach Lektüre des Buches gesagt werden. Ein Interview, das Bryden vor vier Wochen dem "Ottawa Citizen" über sein neues Buch gegeben hat, trägt den noch knapperen Titel "Die Spione, die uns halfen" (3):
Q: Tell me a bit more about Canaris?
A: As I delved more deeply, Canaris’s role in some of the major events of the war expanded. He was a central figure in the German Army’s secret resistance against Hitler and a moving force behind some of the early attempts to oust him. Evidence accumulated that he was in indirect and then direct contact with MI6, Britain’s Secret Intelligence Service. The key clue was the ciphers (Verschlüsselungen) the Germans had supplied to their spies.
They were too simple. Given that MI5, the Security Service, had no experience with codes and ciphers at the beginning of the war, it was easily tricked into believing the German wireless spy messages it was intercepting (abfangen) and reading were real, and the spies captured were real. … The inevitable logic is the messages were intended to be deciphered and read.
Also auf Deutsch:
Der Schlüsselhinweis waren die Verschlüsselungen, die die Deutschen ihren Spionen bereitgestellt hatten. Sie waren zu einfach. Wenn man davon ausgeht, dass MI5, der Geheimdienst, am Beginn des Krieges keine Erfahrung hatte mit Codes und Verschlüsselungen, war der Glaube leicht zu erreichen, dass die deutschen drahtlosen Spionage-Nachrichten, die er abfing und las, real waren, und die Spione, die gefangen wurden, real waren. ... Die unausweichliche Logik ist, dass es beabsichtigt war, dass die Nachrichten entschlüsselt und gelesen wurden.
Gesagt soll offenbar damit sein: Zu einem späteren Zeitpunkt, zu dem die Verschlüsselungssysteme ebenso wie die Entzifferungssysteme komplizierter gewesen waren, wäre bei so einfachen Verschlüsselungen leichter der Verdacht aufgekommen, dass es sich nur um eine Täuschungsaktion handeln würde. Im Klappentext auf Amazon heißt es zu dem Buch:
Recently opened secret intelligence files indicate that the famed British double-cross or double-agent system was in fact a German triple-cross system. These files also reveal that British intelligence secretly appealed to the Abwehr for help during the war, and that the Abwehr’s chief, Admiral Canaris, responded by providing Churchill with the ammunition needed in order to persuade Roosevelt to lure the Japanese into attacking Pearl Harbor.
Also zu Deutsch:
Kürzlich zugänglich gemachte Geheimdienst-Akten legen nahe, dass das berühmte britische Überkreuz- oder Doppel-Agenten-System tatsächlich ein deutsches Dreifach-Agenten-System war. Diese Akten zeigen auch auf, dass der britische Geheimdienst während des Zweiten Weltkrieges auf geheimem Weg Hilfeersuchen an die Abwehr richtete, und dass der Abwehr-Chef, Admiral Canaris auf diese antwortete, indem er Churchill mit jener Munition versorgte, die er brauchte, um Roosevelt zu überzeugen, dass er die Japaner zum Angriff auf Pearl Harbor verlocken müsse. 
Triple-Agenten-System hieße: Die Briten haben einen deutschen Agenten umgedreht und als Doppel-Agenten benutzt. Er tat weiterhin so, als würde er für den deutschen Geheimdienst arbeiten und lieferte diesem - um diesen Eindruck aufrechtzuerhalten - nicht zu wichtige und nicht zu unwichtige Informationen. Während er eigentlich für den britischen Geheimdienst arbeitete. Und Bryden meint nun also: Nein, es war von deutscher Seite aus mit eingeplant, dass die eigenen Agenten umgedreht würden. Und sie wurden bewusst als solche umgedrehten benutzt, aber zur Tarnung gegenüber der NS-Führung (oder gegenüber einem Reinhard Heydrich) gab man vor, nichts von ihrer Natur der Doppelagenten zu ahnen oder zu wissen. "Irgendwie so" jedenfalls! :)

Also wahrlich wieder einmal ein verrücktes Geschehen. Damit hätte Canaris also nicht nur Deutschland mit vollem Bewusstsein in einen Krieg hineingezogen, wie schon im letzten Beitrag zu ihm behandelt, sondern auch die USA. 

Über alles weitere kann erst berichtet werden, wenn man das Buch selbst in der Hand gehabt hat. Die von Bryden ausgewerteten Quellen erweisen jedenfalls auch noch einmal erneut - wie im Interview noch ausgeführt wird (3) - dass Roosevelt eben zumindest doch von dem geplanten Angriff auf Pearl Harbor wusste. Aber eigentlich doch mehr: dass er die Japaner dazu verlockte. Und offenbar Canaris mit ihm ... !

Abb. 2: Karikatur wiedergegeben in der deutschen NS-Emigranten-Zeitschrift "Der Weg" (Buenos Aires, 1954)
Der Nationalsozialist Johann von Leers ahnte davon einiges schon 1954

Letztes Jahr stieß ich auf das interessante Buch von Bettina Stangneth "Eichmann vor Jerusalem", in dem die Netzwerke rund um Adolf Eichmann in Argentinien bis 1960 behandelt werden. In diesen spielte auch der begeisterte Nationalsozialist, SA-"Rabauki" und heftige Antisemit Johann von Leers (1902-1965) eine Rolle. Er benutzte laut der neuesten Biographie über ihn (die ich rezensiert habe) spätestens ab 1944 und bis in die 1960er Jahre eine deutlich den Völkermord an den Juden bejahende Sprache. Bei niemandem konnte sich ein Adolf Eichmann jedenfalls nach 1945 mehr bestätigt fühlen, was die Taten betraf, die er sich selbst zuschrieb, als bei einem Johann von Leers. Andererseits scheint der Johann von Leers auch bestens geeignet gewesen zu sein für Geheimdienste, um ihn als "Agent Provokateur" zu benutzen. (Beispielsweise spielte er beim Verbot der Ludendorff-Bewegung 1960/61 eine nicht unbedeutende Rolle, die an anderer Stelle dargestellt worden ist und der Veröffentlichung harrt.)

Bei näherer Beschäftigung mit dieser Figur stellte sich aber auch heraus, dass von Leers einen zuweilen erstaunlich klaren Blick hatte auf die Hintergrundpolitik rund um das Dritte Reich und den Zweiten Weltkrieg. Er nahm in den 1950er Jahren schon vieles vorweg, was heute durch freigegebene Akten in amerikanischen und britischen Archiven ebenfalls durchsickert.

Neun Jahre nach Kriegsende 1945 war schon so viel Memoiren-Literatur veröffentlicht worden, dass es für einen belesenen und kritischen Geist wie Johann von Leers möglich war, vieles zu Ende zu denken, was in dieser womöglich nur angedeutet war. (Das gilt übrigens auch für den Reichstagsbrand - ebenfalls nicht Thema des vorliegenden Blogartikels.)

Autoren, die einem Johann von Leers grundsätzlich nahe standen - wie Otto Skorzeny, Wilfried von Oven oder Paul Carell alias Paul Karl Schmidt - haben zwar auch schon manche Vermutungen geäußert oder angedeutet, etwa über die Politik von Canaris in Spanien und Italien. Oft war das aber auch nur für jene Leser erkennbar, die dafür sensibilisiert waren (etwa bei "Paul Carell"). Aber selbst noch in neuesten Canaris-Biographien ist oft verzweifelt wenig über das zu lesen, was einem Johann von Leers schon 1954 in groben Zügen klar war - und jetzt auch durch den genannten kanadischen Historiker John Bryden weiterer Klärung entgegen geführt wird.

Abb. 3: Zwei Seiten aus der deutschen NS-Emigranten-Zeitschrift "Der Weg" (Buenos Aires, 1954) 
von Leers hat Hinweise auf den Landesverrat der deutschen militärischen Abwehr unter Canaris behandelt bezüglich:
- der Niederlage des deutschen Afrika-Korps im Oktober 1942
- der alliierten Landung in Nordafrika am 8. November 1942
- des sowjetischen Zangenangriffs auf Stalingrad im November 1942
Beispielsweise schreibt von Leers (6, S. 562):
Auffällt, dass bei Stalingrad und El Alamein derselbe Trick angewandt wurde, das Frontkommando in trügerische Sicherheit zu wiegen, um die Truppe um so mehr leichter in eine militärische Krise hineinzusteuern. Gerade im Falle Stalingrad ist die Verbindung mit innerdeutschen Putschplänen nachweisbar. Dem Sinne der von Halder entwickelten und von Canaris zum Leitgedanken seiner Nachrichtenpolitik gemachten "Rückschlagtheorie", - nach der ein Staatsstreich nur nach vorhergehendem militärischem Rückschlag möglich sei, entsprach die von den Verschwörern im Winter 1942/43 angewandte Taktik voll und ganz. Mit drei Eingriffen gelang es Canaris, sowohl die gesamte Mittelmeerfront zum Einsturz zu bringen, als auch die Ostfront aus den Angeln zu heben. Die Krisen sollten den damals von General Beck, Oberst Oster u. a. vorbereiteten "Stalingrad-Putsch" (vgl. Gisevius) erleichtern, bei dem die Generale Frhr. v. Seydlitz, von Daniels, sowie Oberst Adam, der Adjutant Paulus', eine Rolle spielten. (Vgl. das Buch des französischen Militärhistorikers Maxim Mourin: "Les Complots contre Hitler", S. 134/135).
Schon im Jahr 1954 referiert Johann von Leers auch den Kenntnisstand über die Landung in der Normandie so wie er heute wohl als Stand der Forschung anzusehen ist. Also deutscher Verrat rund:
- um die alliierte Landung bei Anzio im Januar 1944 (6, S. 565)
- um die alliierte Landung in der Normandie im Juni 1944
Zum Verrat der deutschen Abwehrbemühungen an der Kanalküste zitiert Johann von Leers unter anderem das Buch von Allen W. Dulles "Verschwörung in Deutschland" (S. 171 und 174) (zit. n. 6, S. 566):
"Anfang April (1944) konnte ich auf Grund von Meldungen von Goerdeler und General Beck ... die folgende Zusammenstellung über die Einstellung der Verschwörer senden ... Wären die deutschen Generale, die jetzt das Kommando an der Westfront haben ... bereit, den Widerstand aufzugeben und die Landung der alliierten Truppen zu erleichtern."
Und:
"Anfang Mai 1944 bekam Gisevius aus Berlin einen Plan, der von der militärischen Gruppe der Verschwörung verfasst worden war ... Der Hauptinhalt des Plans war, dass die antinazistischen Generäle den amerikanischen und britischen Truppen den Weg für die Besetzung Deutschlands frei machen ... würden."
Diese so umfangreichen deutschen Landesverrats-Handlungen, mit denen der Ablauf des Zweiten Weltkrieges "punktgenau" gesteuert werden konnte, sind noch bis heute in der zeitgeschichtlichen Literatur - soweit übersehbar - nicht umfassend in den Blick genommen worden. Das ist verständlich. Das Schimpfwort gegen Adenauer, ein "Bundeskanzler der Alliierten" zu sein, hätte ja noch viel leichter angewandt werden können auf so viele Angehörige des deutschen Widerstandes gegen Hitler, die in führende Positionen der Bundeswehr, der deutschen Ministerien und Geheimdienste aufgerückt waren nach 1945, wenn darüber zu viel bekannt gewesen wäre. Auch sie wären als das bezeichnet worden, was sie offenbar in der Tat schon vor 1945 waren: als Generäle und Offiziere der Alliierten, die ihren deutschen Kameraden im Westen, im Osten und im Süden in den Rücken fielen und - den Dolchstoß verpassten.

Um gleich auf das viel benutzte und emotional aufgeladene Wort hinzuweisen.

von Leers führt auch aus, dass der nachmalige Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz Otto John, der Hitler-Attentäter Stauffenberg und Oberst Hansen, der Nachfolger von Canaris, schon am 1. Juni 1944 von der bevorstehenden Großlandung der Alliierten in der Normandie gewusst hätten (6, S. 567).

_______________________
  1. Bryden, John: Fighting To Lose. How the German Secret Intelligence Service Helped the Allies Win the Second World War, Dundurn Press, Toronto 2014 (GB)
  2. Bading, Ingo: Menschheitsverbrecher Canaris - "ein geschichtliches Regulativ". Ein Kriegshetzer und -verlängerer im Dienste satanistischer Okkultlogen? Auf: GA-j!, 8. Dezember 2013
  3. Robb, Peter: Q and A John Bryden - The spies who helped us. Ottawa Citizen, 2. Juni 2014
  4. van Obbergen, Paulus (= Johann von Leers): The Oberfohren Memorandum London German Information Bureau, 1933
  5. von Oven, Wilfried: Mit Goebbels bis zum Ende. Dürer-Verlag, Buenos Aires 1949 (Band 1, 295 S.) (Bd. 2 1950)
  6. Obbergen, Paulus van (= Johann von Leers): Invasion 1944 - Sieg der Alliierten oder der deutschen Verschwörer? In: Der Weg, Jg. 1954, S. 561 - 568 (siehe Scribd)
  7. von Leers, Johann: Zum Fall Otto John. In: Der Weg, Jg. 1954, S. 619 - 626 (siehe Scribd)
  8. Obbergen, Paulus van (= Johann von Leers): Vom Reichstagsbrand zum Untergang des Reiches. Aufsatz in drei Teilen. In: Der Weg, Buenos Aires, 12/1954, S. 851 - 858, 1955, S. 23 - 30, 169 - 174 (enthalten in: ScribdEbookArchive.org(siehe Scribd)
  9. Beneke, Paul: Franco hielt den Schlüssel in der Hand. Warum Spanien 1941 nicht in den Krieg eintrat. In: Der Weg, 1955, S. 641 - 648
  10. Leers, Johann von: Reichsverräter II, 2. Folge. Sonderheft zu „Der Weg“. Dürer Verlag, Buenos Aires 1955 (siehe Metapedia)
  11. Leers, Johann von: Reichs-Verräter III. dritte Folge [Sonderheft der Zeitschrift: 'Der Weg'] Dürer-Verlag, Buenos Aires 1956 (67 S.)
  12. Beneke, Paul: Canaris und der Tod Udets. In: Der Weg, 1956, S. 157 - 166 (siehe Scribd)
  13. Beneke, Paul: Die Rolle der Gestapo. In: Der Weg (Buenos Aires, Argentinien) 10 (1956): 353 - 358, 476 - 480 (enthalten in: ScribdEbookArchive.org(siehe Scribd)

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