Auf diesem Familienbild (Abb. 1) ist der Familienvater Ferdinand Beneke (1774-1848) (Wiki) im Kreise seiner Familie zu sehen.
Abb. 1: Ferdinand Beneke, Hamburger Patriot und Rechtsanwalt, mit Frau und drei Kindern |
Dieser Ferdinand Beneke war Anfang des 19. Jahrhunderts Rechtsanwalt und Patriot in Hamburg. Er hatte nicht geringen Einfluß auf die Politik der Hamburger Bürgerschaft. Und er nahm intensiv Anteil am gesellschaftlichen Leben seiner Zeit.
Vor allem aber hat er umfangreich Tagebücher über sein Leben hinterlassen. 2012 bis 2019 sind diese - als von der internationalen Historikerschaft sehr geschätzte historische Quelle - herausgegeben worden. In der deutschen Presselandschaft sind sie weitum überraschend wertschätzend behandelt worden. Beispielsweise der Artikel im Deutschlandfunk, über den man vermutlich am schnellsten einen Einblick bekommt in den Wert dieser historischen Quelle - sowie in die Begrenzungen des Wertes derselben. Der Artikel kann einen sehr begeistern (1).
Mit ihm bekommt man manche Sympathie für diesen - auf der Abbildung so griesgrämig dreinschauenden - Familienpatriarchen. Man erfährt zum Beispiel: Es war eine Liebesheirat, die ihn mit seiner Ehefrau, die neben ihm sitzt, verbindet. Und das sieht man doch zumindest ihr auch klar an (Abb. 1).
Der Artikel des Deutschlandfunks hält zum Beispiel über diese Tagebücher fest (1):
Selbst wenn es ums Wetter geht, ist der Text nicht banal: "Häßlich schneidende, trockne OstLuft mit SandPuder, und SpottSonnenSchein."
Von solchen Beispielen werden noch allerhand weitere gegeben. So schön aber dann vor allem auch der folgende Satz von Sieglinde Geisel (2):
Die "Achtsamkeit", die wir heute neu zu entdecken meinen, scheint vor zweihundert Jahren selbstverständlich gewesen zu sein.
Dieser Umstand wird aufgezeigt anhand der Introspektion des Ferdinand Beneke in seinen Tagebüchern, und zwar im Zusammenhang mit der Anbahnung seiner Ehe. Es waren das damals - oft - kultivierte Menschen. Erst in jenen Zeiten der Unkultur von heute muß "Achtsamkeit" mühevoll und künstlich "gesucht" werden. In "Achtsamkeits-Seminaren". Oh, Graus! Oh höllischer Graus!
Beneke, das ist die Generation Hölderlins. Beneke ist nur vier Jahre jünger als Friedrich Hölderlin. Und damit ist eigentlich alles klar.
"Er ist nun für Deutschland gestorben"
Selbst als belesener Mensch wird man bislang gar nicht gewußt haben, daß der in den deutschen Schulen bis 1945 so selbstverständlich als Vorbild hingestellte Ferdinand von Schill (1776-1809) (Wiki), jener preußische Offizier, der 1809 den ersten Aufstand gegen Napoleon versucht hat, und der dabei versucht hat, das deutsche Volk und die deutschen Landesregierungen mitzureißen, schon gleich von seinen Zeitgenossen so außerordentlich hoch eingeschätzt worden ist (1):
Als überragend und von höchstem Symbolwert gilt ihm die Tat des preußischen Husarenoffiziers Ferdinand von Schill, der seinem König den Gehorsam aufkündigt und mit seinem Freikorps die Franzosen in Bedrängnis bringt. Seit seiner Hilfe bei der Verteidigung Kolbergs 1807 gilt Ferdinand von Schill ohnehin als Held. Ja, Beneke nennt ihn sogar "christusähnlich". Als die Nachricht von Schills Tod im Kampf Hamburg erreicht, trauert der Tagebuchschreiber um seinen Helden, doch sieht der nüchterne Politiker und Advokat im Tod des Patrioten zugleich die Möglichkeit einer großen Erzählung, die Deutschlands Befreiung und Einigung befördern könnte: "Eins freut mich: er hat groß geendet, er ist nun für Deutschland gestorben, der Erste; sein Name und sein Blut werden Dich wecken, Germania! und das Bruderband schlingen um alle Deutsche; und aus Schills Tode wird einst das Leben eines großen Volks erstehen."
Was für Worte. Ganz ohne kritische Anmerkungen werden sie 2019 in einem Artikel des Deutschlandfunks gebracht. 1809 also durfte man so auch noch aus Sicht des Deutschlandfunks denken und schreiben, ohne daß das aus heutiger Sicht skeptisch kommentiert werden bräuchte. Aber 200 Jahre Abstand werden dazu dann offenbar doch notwendig sein.
Wir haben es hier also mit einer Zeit zu tun, in der Patriotismus und Achtsamkeit keine Gegensätze darstellten, sondern sich gegenseitig bedingten. Schon 1848 sollte Franz Grillparzer bezüglich dieser beiden Lebenstendenzen eher den Gegensatz wahrnehmen. Da prägte er das bekannte und prophetische Wort:
"Von Humanität / Durch Nationalität / Zur Bestialität."
Und mit diesem Wort hat er ja bis heute nur gar zu deutlich recht behalten. Sowohl mit Nationalität wie mit Globalisierungswünschen können heute alle Formen von Bestialität - alle Formen von Bestialität - Hand in Hand gehen. Denn alle echte, aus selbstverständlicher Kultivierung entsprungene Achtsamkeit ist schon lange, schon lange, lange, lange über Bord gegangen.
Kein Achtsamkeits-Seminar wird sie uns jemals zurück bringen.
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- Sieglinde Geisel, Klaus-Rüdiger Mai: Ein empfindsamer Patriarch und liberaler Patriot, 2019, https://www.deutschlandfunkkultur.de/ferdinand-benekes-tagebuecher-ein-empfindsamer-patriarch.1270.de.html
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