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Abb. 1: Kindheit im Havelland, 1930er Jahre |
Warum sind die traditionellen Gesellschaften die kinderfreundlichsten Gesellschaften auf dieser Erde? Wo immer man auch hinkommt zu traditionellen Völkern und Volksgruppen?
Nun, die Frage stellen, heißt eigentlich schon, sie beantworten. Traditionelle Gesellschaften sind Gesellschaften, die schon seit langen Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden so leben, wie sie noch heute leben. Wie hätten sie wohl so lange überdauern können - ohne kinderfreundlich zu sein?
Warum also sind die traditionellen Gesellschaften die kinderfreundlichsten Gesellschaften auf dieser Erde? Die Antwort lautet: Weil die Begründer dieser Gesellschaften aus dem Innersten heraus kinderfreundlich waren. Und weil ihnen - bewußt oder unbewußt - bei der Durchstrukturierung ihrer Gesellschaft und ihres gesellschaftlichen und familiären Lebens nichts wichtiger war, als diese Kinderfreundlichkeit.
Ist es anders zu erklären? Daß in der traditionellen bäuerlichen Arbeitswelt die Arbeit und die gesellschaftlichen Strukturen sämtlich um die Tatsache herum strukturiert sind, daß Menschen Kinder haben? Und daß Kinder die bestmögliche Entfaltungsmöglichkeit haben?
Die Kinder etwa hätten sich an diese Lebensweise angepaßt und nicht etwa umgekehrt die Eltern die Bedürfnisse ihrer Kinder in vollstem Umfang berücksichtigt? Schon die Frage zu stellen, ist lächerlich. Natürlich letzteres. Kinder sind auf der ganzen Welt und in allen Gesellschaften ähnlich. Auch ihre Bedürfnisse.
Welches sind die wesentlichsten Bedürfnisse von Kindern? Um so jünger, um so mehr?
1. Die enge Bindung an primäre Bezugspersonen.
2. Die enge Bindung an primäre Bezugspersonen.
3. Die enge Bindung an primäre Bezugspersonen.
Mindestens bis zum dritten Lebensjahr gilt das unumschränkt. Danach stufenweise - und individuell je nach Kind - weniger. Um so mehr ältere Geschwister, Verwandte und enge Freund der Familie da sind, um so leichter fällt dem Kind die Trennung von der primären Bezugsperson.
Deshalb ist in traditionellen Gesellschaften das ganze gesellschaftliche Leben so durchstrukturiert, daß Eltern auch bei der Arbeit möglichst in der Nähe ihrer Kinder sind. Das simpelste Prinzip von der Welt. Nur nicht verständlich solchen Gesellschaften, die eh schon lange untergegangen sind, oder die gerade untergehen. Eben weil Kinderfreundlichkeit nicht das zentralste Prinzip ist, nach dem sie ihre Gesellschaft durchstrukturiert haben.
Kinderfreundlichkeit - ein Prinzip naturalistischen Denkens und des Evolutionären Humanismus
Und keineswegs ist es so, daß dieses Prinzip jemals in der Evolution, in der Humanevolution oder in der Weltgeschichte an Bedeutung verloren hätte. Im Gegenteil. Evolution ist eine ständige Steigerung und Ausdifferenzierung von kindlicher Hilflosigkeit und elterlicher Fürsorge (Adolf Portmann). Es ist eines der tiefsten Gestaltungsprinzipien der Evolution überhaupt.
Schon die grundlegendsten Unterscheidungen im Tier- und Pflanzenreich machen darauf aufmerksam: Ursprünglichere Gymnospermen, Nacktsamer, schützen ihre Nachkommenschaft weniger als die fortgeschrittenen Angiospermen, Bedecktsamer. Letztere bedecken ihren Samen, umgeben ihn mit einer Schutzhülle. Die Schönheit aller Blütenpflanzen auf dieser Erde ist dem Prinzip Nachkommenfürsorge geschuldet.
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Abb. 2: Kindheit im Havelland, 1930er Jahre |
Und im Tierreich ist es nicht anders. Ursprünglichere Amphibien und Reptilien kümmern sich weniger um ihre Nachkommenschaft als die Säugetiere. Und bei den Vögeln sind die Nesthocker, also jene Tierarten, die die hilflosesten Jungen zur Welt bringen und sich am meisten um sie kümmern, die intelligentesten Vögel (Adolf Portmann). Nicht die Nestflüchter. Bei den Säugetieren ist es nicht anders. Das extrauterine Frühjahr, das heißt die vollendete Hilflosigkeit bei der Geburt, ist eines der wesentlichsten Kennzeichen des Humanum. Die verlängerte Kindheit. Nicht die verkürzte.
Und damit auch die Ängstlichkeit des Kleinkindes, der große innere Streß bei der Trennung des Kleinkindes von primären Bezugspersonen.
Im Sinne einer krankhaften Ideologie - anders kann man es nicht nennen - fallen alle diese Erkenntnisse über die Gesetze der Evolution bei der Durchgestaltung unserer heutigen Gesellschaft völlig unter den Tisch.
Es wäre das ein "naturalistisches Denken". Menschen würden sich die Prinzipien ihres Lebens aus anderen Erkenntnissen ableiten als aus dem Weltbild eines kruden Atheismus oder einer kruden Gläubigkeit an Heilige Schriften. Und das geht ja nicht. Da schreit ja jeder rechtskonservative, Männerbünde und Mönchsorden liebende Vordenker im Innersten seines Herzens auf: Nein, so nicht! Wenn wir aus der Natur selbst die Prinzipien unseres Handelns ableiten und nicht aus Heiligen Schriften und den Beschlüssen von Kardinalskonzilien, dann landen wir im gottlosesten Heidentum. In der Ketzerei! Weg von alle dem! Die zivilisatorische Kraft des Christentums darf nicht beiseite gewischt werden!
Heilige Schriften wirken zwar heute, als sollte sich durch sie das Wort erfüllen: Viel Steine gab's und wenig Brot. Aber gerade das ist für die modernen Gesellschaften richtig. Es ist die "
katechontische Größe",
die wir brauchen. An diesem Gegenprinzip, an diesem geradezu satanischen Prinzip mögen sich moderne Gesellschaften "abarbeiten". Vielleicht ist es ja zu ihrem Heil? Sagt nicht Jesus Christus irgendwie so etwas?
Aha. Noch ein Einwand könnte kommen: Der Autor will also traditionelle Lebensformen verherrlichen und zu ihnen zurück kehren? Ja, Phantasielose könnten auf diesen Gedanken kommen. Mit Phantasielosigkeit haben Gesellschaften noch niemals Krisenzeiten überwunden.