Donnerstag, 22. März 2012

Von der "roten Bude" zum Bundeskanzleramt (II)

Zur Geschichte des Regierungsviertels im Spreebogen (1871 bis heute)
Teil 2: 1918 - 1947 / heute

Im ersten Teil dieses Beitrages ist die Geschichte des Generalstabsgebäudes am Königsplatz im Spreebogen in Berlin bis Ende Oktober 1918 geschildert worden.

Abb. 1: Reichsinnenministerium (vormals Generalstab) mit Siegessäule (vor 1938)

Im folgenden sollen die Ereignisse rund um diese Örtlichkeit für den Zeitraum vom 9. November 1918 bis 1947 skizziert werden. Insbesondere in den Endtagen des Zweiten Weltkrieges hat sich hier noch ein dramatisches Geschehen vollzogen, dem aber auch noch ein eigener, ergänzender Beitrag gewidmet ist.

Das Generalstabsgebäude in den Revolutionstagen 1918/19

In den Anfangstagen der Revolution nach dem 9. November 1918 sind offenbar im Generalstabsgebäude innerhalb der politischen Abteilung auch Akten über die Entwicklung von biologischen Waffen vernichtet worden (Biol. Waffen 1915 - 1945, 1999, S. 59):

Major Marguerre hat "erkärt, daß er persönlich zur Zeit des Ausbruchs der Revolution im Keller des Generalstabsgebäudes unter Hinzuziehung einiger zuverlässiger Offiziere die Akten durch Feuer vernichtet habe".
Heinrich Marx (Handbuch der Revolution in Deutschland, 1919, S. 80):
Robert Henseling berichtet als Augenzeuge darüber folgendes: In der Nacht vom 10. zum 11. November 1918 standen im Generalstabsgebäude des Großen Hauptquartiers zwei kleine Gruppen einander gegenüber. Aus der einen Seite ...
Karl Hampe (2004, S. 797):
Im Generalstabsgebäude war man bei der Revolution zum Widerstand bereit, gab ihn aber auf Befehl der Reichsleitung auf. Man habe sich auf die Soldaten doch wohl nicht verlassen können. 
Siegfried Vietzke (1966, S. 377f):
Die Offiziersbesprechungen im Generalsstabsgebäude in Berlin (...). Auf ihr gab Major von Schleicher das damalige politische Programm der OHL bekannt: Für einen Generalstabsoffizier gäbe es im Augenblick nur eines von Wichtigkeit: die Gesundung des Wirtschaftslebens ...  
E. R. Huber (1978, Bd. 5, S. 895):
Vielmehr kündigte Hindenburg in einem sofort geführten Ferngespräch mit Ebert die Entsendung des Ersten Generalquartiermeisters Groener nach Berlin an. Am 20. Dezember 1918 begaben Groener und der ihn begleitende Major Schleicher, der Leiter der politischen Abteilung der OHL, sich nach ihrer Ankunft in der Reichshauptstadt in einem (...) vom Generalstabsgebäude in die Reichskanzlei, wo sie den Volksbeauftragten die Einwendungen ...
Ernst Otto Schüddekopf ("Das Heer und die Republik", 1955, S. 89):
Soweit sie damals in Berlin waren oder sich dort auf der Durchreise aufhielten, versammelten sie sich in den Dezembertagen des Jahres 1918 mehrmals im ehemaligen Generalstabsgebäude am Königsplatz, in der berühmten „roten Bude", ...
Und (S. 382):
Die beiden Offiziersbesprechungen im Generalstabsgebäude in Berlin. 18. Dezember  
Hagen Schulze berichtet ("Weimar", 1994, S. 112):
Am 20. Dezember 1918 findet im Gebäude des Großen Generalstabs eine Offiziersversammlung statt. 
Gilbert Zibura (1975, S. 33):
... die von der militärischen Führung in der ersten grundlegenden Besprechung nach dem Waffenstillstand im Generalstabsgebäude in Berlin am 20. Dezember 1918 entwickelt worden waren, blieb die Konzeption von Seeckts — langfristig ...

Am 25. Dezember 1918 wurde General von Lüttwitz zum Oberbefehlshaber der Truppen um und in Berlin ernannt. 

25. Dezember 1918 - General von Lüttwitz wird Oberbefehlshaber

Er residierte offenbar im Generalstabsgebäude und wurde schließlich, am 9. Januar 1919 Gustav Noske unterstellt. Ludwig R. G. Maercker berichtet ("Vom Kaiserheer zur Reichswehr", 1921, S. 67):

Das Hauptquartier der Abteilung Lüttwitz war im Generalstabsgebäude. Während der spartakistischen Wirren war es dort zu gefährdet. Es wurde am 6. 1. in das Luisenstift nach Dahlem verlegt, wohin auch Noske mit seinem Stabe ging.

Waldemar Erfurth (1960, S. 25):

Da der Stab Noskes in der Reichskanzlei und in dem Generalstabsgebäude ständig in der Gefahr schwebte, von den Spartakisten ausgehoben ...

(GB1997):

General der Infanterie von Lüttwitz führte das Generalkommando Lüttwitz, die "Abteilung Lüttzwitz", die ausführende Kommandostelle des Oberbefehlshabers Gustav Noske (Wirren, S. 58) mit gemeinsamem Sitz im Dahlemer Luisenstift (später im Gebäude des Großen Generalstabes am Königsplatz).

Friedrich Wilhelm Oertzen berichtet von Gustav Noske, der sich am 9. Januar 1919 ("Die deutschen Freikorps", 1939, S. 262) ...

... erkannt von den die Straßen füllenden erregten Menschenmassen zu Fuß ins Generalstabsgebäude durchschlug, um dort mit den Herren des Stabes der sogenannten Abteilung Lüttwitz die militärische Lage durchzusprechen. Die Abteilung Lüttwitz - schon wenige Tage später wurde diese Bezeichnung in Generalkommando Lüttwitz umgeändert - war die von der Obersten Heeresleitung bestimmte Spitze aller Freikorps in und bei Berlin. Im Generalstabsgebäude erfuhr Noske zunächst allerdings eine bittere Enttäuschung. ... In seinem Buch „1918/19. Die Wehen der Republik" erzählt Oberst Reinhard über die ...

(Die fehlenden Textteile wären noch einmal in einer Bibliothek heraus zu suchen.)

9. Januar 1919 - Gustav Noske und General Lüttwitz im Generalstabsgebäude

Über den 6. Januar 1919 heißt es (Quellen z. Gesch. d. Rätebewegung, S. 226):

Noske hatte sich sofort nach seiner Ernennung zum Oberbefehlshaber am 6.1. vorm. zum Generalstabsgebäude und von ...

Richard Müller ("Bürgerkrieg in Deutschland", 1974, S. 47):

Noske nahm sofort seine Tätigkeit als Oberbefehlshaber auf. Mittags verhandelte er im Generalstabsgebäude mit Offizieren und den Führern der vor Berlin liegenden freiwilligen Verbände, dar-...

Andreas Linhardt (2002, S. 58):

Nach einer Lagebesprechung im Berliner Generalstabsgebäude, in der deutlich geworden war, daß außer den wenigen schon bestehenden Freiwilligenformationen keine verläßlichen und schlagkräftigen Truppen mehr existierten, suchte die OHL verstärkt den Kontakt zu den sich bildenden Freikorps.

Günter Hortzschansky (Gesch. d. Nov. revol., 1978, S. 298):

Noske und die ihn umgebenden Generalstabsoffiziere hatten am Nachmittag des 6. Januar das Stabsquartier der Regierungstruppen vom Generalstabsgebäude im Zentrum der Hauptstadt in den Villenvorort Dahlem verlegt, ...

Eine Hauptquelle für diese Ereignisse ist das Buch von Gustav Noske selbst "Von Kiel bis Kapp" mit einem Vorwort vom April 1920 (zitiert auch von: Eduard Bernstein 1921, S. 143; Benoist-Mechin, Geschichte des dt. Heeres, 1939, S. 91; 1965, S. 124; Gerhard Ritter, "Die deutsche Revolution", 1968, S. 169). In ihm heißt es (1920, S. 68):

Mit einem jungen Hauptmann in Zivil sollte ich (von der Reichskanzlei) nach dem Generalstabsgebäude gehen, um dort mit einigen Offizieren die erforderlichen Maßnahmen zu besprechen. Auf der Straße

- der Wilhelmsstraße vor der Reichskanzlei -

wurde ich stürmisch begrüßt. Man hob mich hoch, und ich teilte kurz mit, daß ich zum Befehlshaber ernannt sei. (...) "Verlaßt euch darauf, ich bringe euch Berlin in Ordnung."
Als wir die Massen, mit denen die Wilhelmstraße gefüllt war, hinter uns hatten, stießen wir Unter den Linden auf das Aufgebot der Unabhängigen und Spartakusleute. Diesmal handelte es sich nicht um eine friedliche Demonstration. (...) Am Brandenburger Tor, im Tiergarten und vor dem Generalstabsgebäude mußte ich den Zug durchschreiten. Zahlreiche Bewaffnete marschierten mit. Einige Lastautomobile mit Maschinengewehren standen an der Siegessäule. Höflich bat ich wiederholt darum, mich durchzulassen, denn ich hätte eine dringende Besorgung. Es wurde mir bereitwillig der Weg freigegeben.
Und (S. 71):
In einem Zimmer des Generalstabsgebäudes fanden sich bei mir am Mittag diese Januartages neben anderen Offizieren die Generalstabsmajore von Hammerstein und von Stockhausen ein, die von nun an monatelang meine pflichteifrigsten Mitarbeiter waren und sich außerordentlich verdient gemacht haben. Auf dem Platze vor dem Gebäude wogten die demonstrierenden Massen. Wenn sie Entschlossenheit gehabt hätten, da Haus zu nehmen, hätte es kaum mit einiger Aussicht auf Erfolg verteidigt werden können. Daß hier nicht unseres Bleibens sein konnte, war klar. Rasch wurde erörtert, ob im Augenblick militärisch etwas unternommen werden könnte. Es wäre möglich gewesen, einige hundert Mann bis an den Zoologischen Garten in Charlottenburg heranzuführen. Eine Verzettelung von Kräften lehnte ich aber ab und fand für den Vorschlag lebhafte Zustimmung, aus Berlin herauszugehen und erst dann zu handeln, wenn genügend starke Kräfte einen vollen Erfolg garantierten. Als Hauptquartier wurde das freiliegende, daher leicht zu verteidigende Luisenstift in Dahlem in Aussicht genommen, ein Pensionat für mehr als 12jährige Mädchen. Nachmittags gegen 3 Uhr traf ich dort als erster ein. (...) Die Schülerinnen waren in den Ferien, unser Einzug konnte sofort beginnen.
Über den 12. Januar 1919 berichtet er (1920, S. 193):
Mittags fand Kabinettssitzung in der Reichskanzlei statt. Die Straßen begannen sich mit den Menschenmassen zu füllen, die zum Reichstagsgebäude zogen. (...)
Nachdem die Massen ein paar Stunden auf dem Königsplatz ohne Ordner und ohne Führung herumgestanden hatten, wurden Polizeibeamte angegriffen und ein Sturm auf das Parlamentsgebäude unternommen, der mit Maschinengewehren abgeschlagen wurde. 42 Tote und 105 Verwundete hatten die Unabhängigen auf dem Gewissen. Die Führer hatten hinter den dicken schützenden Mauern des Reichstagsgebäudes den Verlauf der Ereignisse abgewartet. Nicht einer der bekannten Wortführer war inmitten der auf die Straße gelockten Massen gewesen.
Noske spricht sich in Erinnerungen aus dem Jahr 1947 einen beträchtlichen Einfluß auf den Gang der deutschen Geschichte an diesem Tag zu (1947, S. 70):
Als ich zum Oberbefehlshaber, ohne Truppen, ernannt, von der Wilhelmstraße zum Gebäude des Großen Generalstabs ging, hätte ich mit einem einzigen Fingerzeig an die bewaffneten Massen, die Unter den Linden und im Tiergarten demonstrierten, die Welle des blutigen Terrors auf alles lenken können, was nicht kommunistisch war. Statt dessen schuf ich das Instrumtent, mit dem der Bolschewismus niedergeschlagen wurde.
Alfred Döblin schreibt 1950 ("Karl und Rosa", S. 329):
Der lange Spaziergänger war der beauftragte Bluthund, der sich die Massen ansah, die er jagen sollte, Gustav Noske, ... Geschlossene Züge, die sich in Richtung Moabit bewegten, machten regelmäßig halt am Generalstabsgebäude, um ihrem Haß wenigstens in „Nieder-Nieder-Rufen" Luft zu machen. Noske stand dabei. Als ein Zug herausfordernd stehenblieb ...

Am 23. Februar 1919 kehrte der General Erich Ludendorff von Schweden, wo er seine Kriegserinnerungen niedergeschrieben hatte, nach Berlin zurück. Er schreibt in seinen Lebenserinnerungen (7, S. 46f):

Auf dem Stettiner Bahnhof hielten rote Soldaten Wache. (...) Kapitänleutnant v. Pflugk-Hartung, der später im neuen Deutschland verfolgt wurde, und Hauptmann Breucker holten mich ab und brachten mich im Kraftwagen der Garde-Kavallerie-Schützen-Division wieder in das Haus meines Regimentskameraden (gemeint: Breucker). Schon unterwegs machten mir meine Begleiter Mitteilungen, die mein Bild über die letzten Ereignisse in Deutschland vervollständigten. Im Reich hätte sich im Laufe des Februars die Regierung Ebert unter Kämpfen gegen Spartakisten, Kommunisten und ihre eigenen Angehörigen durchzusetzen begonnen. (...) Herr Noske wäre bei Niederwerfung der Aufstände mit seiner Autorität immer mehr hervorgetreten. Die Regierung habe sich in Weimar ganz unter den Schutz des Generals Maercker gestellt. (...) In Berlin würden noch ernstere Ereignisse erwartet. Während meine Begleiter mir dies erzählten, fuhren wir auch am Generalstabsgebäude vorüber, in dem ich im Frieden für die Wehrhaftmachung des Volkes und im Kriege - wenn die Oberste Heeresleitung in Berlin weilte - für dessen Erhaltung gearbeitet hatte. Jetzt hatte sich irgendeine revolutionäre Behörde festgesetzt; denn es sollte ja nach dem Willen der Revolution Deutsche Kraft "für immer" gebrochen sein.

Erich Ludendorff sah also noch während des Abfassens seiner Lebenserinnerungen Mitte der 1930er Jahre in dem damals noch bestehenden Generalstabsgebäude ein Symbol für "Deutsche Kraft". 

Die Zeit nach 1920

Im Mai 1919 erfolgte die Überführung des Kartenarchivs des Generalstabs mit über 200.000 Karten in die Kartenabteilung der Preußischen Staatsbibliothek Unter den Linden (JahrbUni.Breslau). In dem schon zitierten, kurzen Abriß zur Geschichte des Generalstabsgebäudes heißt es (Luise-Berlin ):

Nach der von den Siegermächten des I. Weltkrieges erzwungenen Auflösung des Großen Generalstabes nutzten verschiedene Reichsbehörden, so auch das Reichsinnenministerium, das Generalstabsgebäude.

In der Weimarer Republik wurde der Königsplatz in "Platz der Republik"  umbenannt. Es gab Pläne zu seiner Umgestaltung spätestens ab 1929. Darunter vor allem verschiedene Entwürfe von Hans Poelzig, die man zumindest im Vergleich mit der heutigen Bebauung als die gar nicht einmal schlechteste Alternative erachten muß.

Während des Dritten Reiches wurde der "Platz der Republik" wieder Königsplatz benannt. 

Abb. 23: Bebauungsvorschlag von Hans Poelzig aus dem Jahr 1929

Im Gegensatz zu heute war der Platz der Republik in den 1920er und 1930er Jahren offenbar dicht bewaldet.

Ab 1937 begannen die Planungen Albert Speers für die Umgestaltung der Reichshauptstadt Berlin zur "Welthauptstadt Germania" (Wiki)  (nach den späteren Worten Hitlers). Im Zentrum dieser Umgestaltung stand eine gigantische Überlagerung der alten Siegesallee Kaiser Wilhelms II. (von der Alsenstraße im Spreebogen über den Königsplatz bis zum Kemperplatz) durch eine neue, viel gigantischere Siegesallee an gleicher Stelle. Sie sollte aber nach Norden und Süden bis zum Autobahnring hin zu einer "Nord-Süd-Achse" verlängert werden.

1938 Umgestaltungen zur "Welthauptstadt Germania"

Zunächst wurden dazu alle Denkmäler der alten Siegesallee abgeräumt und an andere Orte versetzt. Also die Siegessäule, die Denkmäler Bismarcks, Roons, Moltkes, sowie der brandenburgischen Kurfürsten und Könige. Sie alle wurden nun als zu bescheiden in ihren Dimensionen empfunden. Die Siegessäule und die ihr zugeordneten Denkmäler am vormaligen Königsplatz wurden auf den "Großen Stern" versetzt, der neuen West-Ost-Achse. Dort stehen sie noch heute - letztlich als Zeugnis der städtebaulichen Umgestaltungen der Nationalsozialisten. 

Das Zentrum Berlins ist also bis heute in einigen seiner wichtigsten Wahrzeichen (der Siegessäule, dem Platz vor dem Reichstagsgebäude und der wilhelmischen Siegesallee) von den Umgestaltungen der Nationalsozisten entscheidend mitgeprägt geblieben. Also von Umgestaltungen, die nur niemals zu Ende haben durchgeführt werden können, und die vor allem das Stadtbild des  kaiserzeitlichen Königsplatzes und der Siegesallee durchgreifend zerstört haben.

Der Krieg und die bewußte Platzierung des sowjetischen Siegesmales direkt auf der kaiserzeitlichen und nationalsozialistischen Siegesallee vollendeten dann das Ziel, das vormalige wilhelminische Deutschland im Zentrum der deutschen Hauptstadt der Geschichtsvergessenheit anheim fallen zu lassen. Die Erinnerungen an das kaiserzeitliche Deutschland sind durch die beiden totalitären Umgestaltungen fast völlig ausgelöscht worden. Ein mit Unkraut bewachsener Pfad führt heute an Stelle der vormaligen kaiserzeitlichen Siegesallee durch den Tiergarten bis zum Kemperplatz.

Abb. 24: Blick (wohl) aus dem vormaligen Generalstabsgebäude auf Siegessäule und Reichstagsgebäude, vor 1938 

Auch die "rote Bude", das alte Generalstabsgebäude, fand im Rahmen der nationalsozialistischen Umgestaltungen kein Wohlwollen mehr. Es hatte ebenfalls unbarmherzig abgerissen werden sollen. Denn an seiner Stelle war ja viel Wichtigeres vorgesehen. Nämlich die gigantische "Große Halle". Der deutsche Generalstab hatte an Stelle dessen ein neues Gebäude genau zwischen Reichstagsgebäude und Brandenburger Tor erhalten sollen. Aber alle diese drei Gebäude hätten lächerlich klein gewirkt neben der geplanten "Großen Halle" (Fröhl. Neugestalt., S. 51). Die Präsenz des Militärs wäre (Fröhliche Neugestaltung, S. 28) ...

... im neuen Zentrum Berlins mit dem Generalstabsgebäude direkt neben dem Reichstagsgebäude gegenüber der Reichkanzlei, dem gewaltigen Komplex des Oberkommandos des Heeres und der "Soldatenhalle" unmittelbar südlich des Tiergartens und dem Triumphbogen und der Trophäenallee vor dem Südbahnhof geradezu erdrückend geworden.
Auf den Fotos von 1945 sieht man - abgesehen von Bunkereinbauten - den Königsplatz schon seines vormaligen Denkmalschmuckes entledigt. Der Historiker Jan Kindler berichtet:

Als Mitte der Dreißigerjahre das ehemalige preußische Genralstabsgebäude in Berlin-Tiergarten  (...) weichen sollte, stand man vor einem erinnerungspolitischen Problem: Das sogenannte Moltkezimmer, Arbeitszimmer des prominenten ehemaligen Generalstabschefs Moltke dem Älteren und inzwischen zum "Gedenkraum" umfunktioniert, in dem auch seine Totenmaske aufbewahrt wurde, mußte ebenfalls abgerissen werden. Es drohte der Verlust eines zentralen Erinnerungsortes preußisch-deutscher Militärtradition. (...) Die Heeresführung beauftragte ein Kamerateam der armeeeigenen Heeres-Filmstelle, Aufnahmen des Zimmers und seiner traditionsrelevanten Artefakte herzustellen. Die so entstandenen stummen Filmaufnahmen, überliefert im Bundesarchiv, dienten im direktesten Sinne einer filmischen Bewahrung von Erinnerung.
Dieses Zimmer wird auch in einer Ausgabe der Moltke-Briefe aus dem Jahr 1960 erwähnt (E. Kessel, S. 389)
Moltke-Gedächtniseimmer = Arbeitszimmer Moltkes im ehemaligen Generalstabsgebäude am Königsplatz in Berlin, vom Reichsministerium des Innern, das nach 1918 das Gebäude zugewiesen erhielt, mit Dokumenten, Bildern usw. als ...

1943 wurde Heinrich Himmler zum Reichsinnenminister ernannt. 

1943 - Dienstgebäude Heinrich Himmlers (?)

Gelegentlich wird erwähnt, daß er eine Dienstwohnung im ehemaligen Generalstabsgebäude bezogen hätte. Deshalb hat dieses Gebäude 1945 in den Augen der sowjetischen Soldaten auch als das "Haus Himmlers" gegolten. In geschichtswissenschaftlichen Darstellungen (1, S. 650f) werden aber nur das Dienstgebäude "Unter den Linden" und das Reichssicherheitshauptamt in der Prinz-Albrecht-Straße als Dienstsitze Himmlers erwähnt. 

Abb. 26: Moltkestraße in Richtung Reichstag - links Reichswohnungskommissar, rechts vormaliges Generalstabsgebäude, nun  Reichsinnenministerium (undatiert - um 1940?)

Heinrich Himmler stellte Hitler aber in den Endtagen des Zweiten Weltkrieges seine eigene Leibwache zur Verteidigung des Regierungsviertels zur Verfügung. Ob sie besonders das Innenministerium verteidigt hat, ist der bisher eingesehenen Literatur nicht zu entnehmen, wie es überhaupt bis heute keinen einzigen unmittelbaren deutschen Augenzeugenbericht von den so schweren Kämpfen an der Moltkebrücke und um das Generalstabsgebäude Ende April 1945 zu geben scheint bis heute.

Schwerste Kämpfe um das Generalstabsgebäude im April 1945

Die Bedeutung der Moltkebrücke und des Generalstabsgebäudes während der Kämpfe um Berlin Ende April 1945 und während des Selbstmordes von Hitler nur wenige hundert Meter entfernt im Führerbunker der Reichskanzlei ist gegenwärtig auf dem englischen Wikipedia wesentlich eindrucksvoller geschildert, als auf dem deutschen, weshalb das englische zitiert sei (Wiki):

The bridge saw heavy fighting during the Battle of Berlin in April 1945 at the end of World War II. German defenders, about 5000 members of the SS and Volksturm, barricaded the bridge at both ends and wired it for demolition. On April 28, units of the Soviet 3rd Shock Army, commanded by Major-General S.N. Perevertkin, fought their way down Alt-Moabit towards the bridge. Their goal was the capture of the German Reichstag, only 600 metres from the bridge. At dusk, the Soviets assaulted the bridge. The detonation charges damaged the bridge, with a section falling into the Spree, but enough stood for men and vehicles to cross. It was damaged by German demolition charges as the Soviet forces marched towards the center of the city, but it didn't collapse. By midnight, the Soviet 150th and 171st rifle divisions had secured the bridgehead against any counterattack the Germans could muster. From here they moved on the Reichstag, which they captured on May 1. Though damaged, the bridge was one of the few to survive the war and looks similar to the original construction, though it was repaired and strengthened to take the weight of modern traffic.

Und noch etwas allgemeiner über die letzten, schweren Kämpfe im Bezirk Tiergarten (Wiki):

By 28 April, the Germans were now reduced to a strip less than five kilometres wide and fifteen in length, from Alexanderplatz in the east to Charlottenburg and the area around the Olympic Stadium (Reichssportfeld) in the west. (...) The 3rd Shock Army were in sight of the Victory Column in the Tiergarten and during the afternoon advanced down towards the Moltke bridge over the Spree, just north of the Ministry of the Interior and a mere 600 metres from the Reichstag. German demolition charges damaged the Moltke bridge but left it passable to infantry. As dusk fell and under heavy artillery bombardment the first Soviet troops crossed the bridge. By midnight, the Soviet 150th and 171st rifle divisions had secured the bridgehead against any counterattack the Germans could muster. (...)
During the evening, von Greim and Reitsch flew out from Berlin in an Arado Ar 96 trainer. (...)
In the early hours of 29 April, the 150th and 171st Rifle divisions started to fan out from the Moltke bridgehead into the surrounding streets and buildings. Initially the Soviets were unable to bring forward artillery, as the combat engineers had not had time to strengthen the bridge or build an alternative. The only form of heavy weaponry available to the assault troops were individual 'Katyusha' rockets lashed to short sections of railway lines. Major-General Shatilov's 150th Rifle Division had a particularly hard fight capturing the heavily fortified Ministry of the Interior building. Lacking artillery they had to clear it room by room with grenades and sub-machine guns.

Das vormalige Gebäude des Großen Generalstabes mußte also von den sowjetischen Truppen - ebenso wie das Reichstagsgebäude - Raum für Raum mit Handgranaten und Maschinenpistolen erobert werden.

Abb. 27: 28. bis 30. April 1945 - Vorstoß über die Moltkebrücke (s.a. b)

Weiter heißt es:

The Nordland Division was now under Mohnke's central command. All the men were exhausted from days and nights of continuous fighting. The Frenchmen of the Nordland had proved particularly good at destroying tanks, of the 108 Soviet tanks destroyed in the central district, they had accounted for about half of them.

Zu den vielen kampfunfähigen sowjetischen Panzern siehe die Abbildungen. Aus den Kellerfenstern des Generalstabsgebäudes haben offenbar die deutschen Kanoniere die Bildung eines sowjetischen Brückenkopfes auf der Südseite der Brücke zu verhindern gesucht (Abb.).

Abb. 28: "Kanoniere in den Kellerfenstern des Reichsministerium des Innern" (ForPzArch)

Die beiden letzten Ritterkreuze wurden für diese Panzervernichtungen verliehen, eines an einen Franzosen, ein anderes an einen deutschen Soldaten der Waffen-SS:

At 06:00 on 30 April the 150th Rifle Division had still not captured the upper floors of the Ministry of the Interior, but while the fighting was still going on the 150th launched an attack from there across the 400 metres of Königsplatz towards the Reichstag. (...) The initial infantry assault was decimated by cross fire from the Reichstag and the Kroll Opera House on the western side of Königsplatz. By now the Spree had been bridged and the Soviets were able to bring up tanks and artillery to support fresh assaults by the infantry. (...) Accurate fire from 12.8 cm guns two kilometres away on the Berlin Zoo flak tower prevented any further successful advance (...) during daylight. (...)
During the morning, Mohnke informed Hitler the centre would be able to hold for less than two days. Later that morning Weidling informed Hitler in person that the defenders, would probably exhaust their ammunition that night and again asked Hitler permission to break out. At about 13:00 Weidling who was back in his headquarters in the Bendlerblock, finally received Hitler's permission to attempt a breakout. During the afternoon Hitler shot himself. (...)
Because of the smoke, dusk came early to the centre of Berlin. At 18:00 hours, while Weidling and his staff finalized their breakout plans in the Bendlerblock, under cover of a heavy artillery barrage, three regiments of the Soviet 150th Rifle Division, closely supported by tanks, assaulted the Reichstag. All the windows were bricked up, but they managed to force the main doors and entered the main hall. The German garrison, of about 1,000 defenders - a mixture of sailors, SS and Hitler Youth - fired down on the Soviets from above, turning the main hall into a medieval style killing field. Suffering many casualties, the Soviets made it beyond the main hall and started to work their way up through the building. The fire and subsequent wartime damage had turned the building's interior into a maze of rubble and debris amongst which the German defenders were strongly dug in. The Soviet infantry were forced to clear them out. Fierce room-to-room fighting ensued. As May Day approached Soviet troops reached the roof of the Reichstag as fighting continued inside. (...)
The fighting continued as there was still a large contingent of German soldiers down in the basement. The Germans were well stocked with food and ammunition and launched counter-attacks against the Red Army leading to close fighting in and around the Reichstag. Close combat raged throughout the night and the coming day of 1 May, until the evening when some German troops pulled out of the building and crossed the Friedrichstraße S-Bahn Station where they moved into the ruins hours before the main breakout across the Spree. About 300 of the last German combatants surrendered. A further 200 defenders were dead and another 500 were already hors de combat lying wounded in the basement, many before the final assault had started. (...)
The commander of the Zoo flak tower (that had proved impervious to direct hits from 203 mm howitzer shells) was asked to surrender on 30 April.

Das punktgenaue Sperrfeuer des Flakturms vom Bahnhof Zoo hatte also mit dazu beigetragen, daß es für die sowjetischen Truppen so schwer war, die 600 Meter vom Generalstabs- bis zum Reichstagsgebäude zu überwinden.


Abb. 29: "Die JS II und SU 152 fahren von der Brücke in Richtung Reichstag"

Wohl von wenigen anderen eng umgrenzten Kampforten des Zweiten Weltkrieges werden so viele Photographien, erstellt unmittelbar nach Ende der Kämpfe überliefert sein wie für die Kämpfe rund um diese Örtlichkeiten.

Abb. 30: An der Moltkebrücke

Da man auf den Abbildungen keine Gefallenen sieht, wird man vermuten können, daß die Photographien erstellt wurden nach dem Absammeln der Gefallenen vom Schlachtfeld aber noch vor Abstransport der liegengebliebenen und gefechtsunfähig gewordenen Panzer, sowie der Panzerabwehrkanonen.

Hohe Verluste beim Überqueren der Moltkebrücke

Der Historiker Le Tissier schreibt über den Kampf um das Generalstabsgebäude (S. 178f):

Um 2.00 Uhr am 29. war das erste Ziel, das Haus Ecke Uferanlagen/Moltkestraße, erreicht. 

Die Russen waren dann heftigen deutschen Gegenangriffen von beiden Seiten des Flusses aus, auch vom Lehrter Güterbahnhof aus, ausgesetzt. Le Tissier weiter:

Nach der Errichtung eines kleinen Brückenkopfes im Eckhaus bedienten sich die Russen ihrer üblichen Taktik, um diesen zu erweitern, sie kämpften sich durch die Häuser vor. Die 150. Division durchkämmte die Häuser in der Moltkestraße, während die 171. Division begann, den Rest des Häuserblocks zu säubern. Das 525. Schützenregiment kämpfte auf dem Kronprinzenufer, das 380. Schützenregiment zu seiner Rechten (also wohl am Schlieffen-Ufer). (...) Die Vielzahl der Einheiten, die zusammengedrängt auf engem Raum kämpften, weist auf die Entschlossenheit der sowjetischen Führung hin, diese Tatsache läßt aber auch den Schluß zu, daß die Russen hohe Verluste beim Überqueren der Brücke erlitten haben müssen.

Um 7 Uhr begann die zweite Phase dieser Operation mit einem zehnminütigen Feuerschlag. Die 150. Division bereitete sich darauf vor, über die Moltkestraße zum Haupteingang des Innenministeriums, "Himmlers Haus", wie sie es nannten, vorzustoßen. Die Eingänge der beiden mittleren Häuser auf der rusischen Straßenseite lagen genau gegenüber dem Ministerium, und es ist anzunehmen, daß dieser Weg gewählt wurde. Die Russen rannten über die Straße, drückten sich an die Mauern des Ministeriums, warfen Handgranaten in den Eingang und stürmten dann in die Eingangshalle. Die Kämpfe zogen sich schnell über die Haupttreppe in alle Stockwerke und hielten den ganzen Tag und die Nacht über an, im erstickenden Qualm der brennenden Möbel und Teppiche. Die SS-Verteidiger leisteten heftigen Widerstand, so daß die 150. Division noch ihre Reserve, das 674. Schützenregiment, anfordern mußte, um die Südwestecke des Gebäudes zu säubern.

Also die Gebäudeseite zum Königsplatz und zur Krolloper hin. Und weiter (S. 184f):

Um 4.00 Uhr morgens am 30. April hatte die 150. Division das Innenministerium und die 171. Division die Westhälfte des Diplomatenviertels von den Deutschen gesäubert. Das 525. Schützenregiment hielt die Alsenstraße, das 380. Schützenregiment die Schweizer Gesandtschaft mit Blick über den Königsplatz auf den Reichstag, das Ziel der Operation, besetzt. Verluste waern auf beiden Seiten hoch, und es ist bezeichnend, daß von diesem Zeitpunkt an das 469. Schützenregiment nicht mehr erwähnt wird.

Die Krolloper war aber noch in deutscher Hand, weshalb der Reichstag nicht erstürmt werden konnte, da von der Krolloper heftiges Abwehrfeuer über den ganzen Königsplatz abgegeben werden konnte. So mußte im weiteren erst die Krolloper von den Russen erobert werden. Erst abends um 18 Uhr, nachdem die Krolloper erobert worden war, erreichten die ersten russischen Soldaten das Reichstagsgebäude. Aber auch um dieses sollte noch über mehrere Tage hinweg und zwischen den verschiedenen Stockwerken gekämpft werden.

Abb. 31: Russische Soldaten in der Moltkestraße, 1945

Der britische Historiker Anthony Beevor schreibt (S. 381):

Die 150. Schützendivision attackierte das Innenministerium. (...) Türen und Fenster waren bis auf Schießscharten für die Verteidiger verbarrikadiert. Es war schwer einzunehmen. Geschütze und Raketenbatterien konnten hier nicht eingesetzt werden. (...) Die wichtigsten Waffen, die am Vormittag des 29. April im Nahkampf zum Einsatz kamen, waren Maschinenpistolen und Handgranaten. 

So berichtet Beevor laut eines Gespäches mit dem Augenzeugen Oberleutnant Nikolai Beljajew im Juli 2000. Offenbar hat auch Beevor - wie alle Historiker vor ihm - keine Augenzeugen aus den Reihen der deutschen Verteidiger bei diesen Kämpfen mehr ausfindig machen können. Stattdessen zitiert Beevor den Brief eines kurze Zeit später gefallenen einfachen russischen Soldaten, der offenbar schon auf der Südseite der Spree geschrieben worden ist, und in dem unter anderem berichtet wird (S. 381):

Ich lebe und bin gesund, nur die ganze Zeit ein wenig berauscht. Aber das brauchen wir, um uns Mut zu machen. Eine vernünftige Ration Drei-Sterne-Kognak schadet nicht. 

Ein sechsstöckiges Haus sei über seinen Kameraden zusammengestürzt. Im weiteren referiert Beevor einen im Jahr 2000 veröffentlichten Bericht des russischen Kriegsberichterstatters Nikolai Schatilow (S. 387f):

Unter sporadischem Beschuß brachte man den Korrespondenten dann im Zickzack zum Himmler-Haus. Nach den detonierenden Handgranaten und dem Rattern der Maschinenpistolen zu urteilen, wurde in den oberen Etagen noch gekämpft. Im Keller dagegen bereitete das Küchenbataillon fast ebenso geräuschvoll das Frühstück für die Sturmtrupps zu. Im Parterre suchte sich Hauptmann Neustrojew, ein Bataillonskommandeur, der den Sturm auf den Reichstag anführen sollte, zu orientieren. Immer wieder schaute er auf seine Karte und dann auf das graue Gebäude vor ihm. Sein Regimentskommandeur, der wegen Verzögerung langsam ungeduldig wurde, stand plötzlich neben ihm.

"Da steht ein graues Gebäude im Weg," erklärte Neustrowjew. Der Regimentskommandeur nahm ihm die Karte weg und suchte nach dem eigenen Standpunkt. "Neustrowjew," rief er schließlich aufgebracht. "Das ist der Reichstag!" Der junge Bataillonskommandeur hatte sich nicht vorstellen können, daß sie ihrem Ziel so nahe waren.

Auch der Korrespondent riskierte einen Blick aus dem Fenster. Auf dem Königsplatz "Blitze, Flammen, detonierende Granaten und Feuerpfeile der Leuchtspurgeschosse". Bis zum Reichstag waren es kaum 400 Meter. "Ohne die Kämpfe", schrieb er, "hätte man die Entfernung in wenigen Minuten hinter sich gebracht. Aber nun schien dieses Stück Weg, das Geschoßkrater, Eisenbahnwaggons, Drahtverhaue und Gräben versperrten, völlig unpassierbar zu sein." (...)

Beim Frühstück "kontrollierten" alle noch einmal ihre Waffen und Ersatzmagazine". Um sechs Uhr zog die ersten Kompagnie in den Kampf. Sie waren "kaum 50 Meter vorangekommen, als ein Feuersturm des Gegners sie niederwarf". Zwei sehr gelichtete Bataillone stürmten kurz danach noch einmal vor, wobei zahlreiche Männer fielen. Schweres Sperrfeuer kam von der Krolloper (...) und aus dem Reichstag selbst.
Reed/Fisher schreiben über die Verteidiger der Moltkebrücke und des Generalstabsgebäudes (S. 604):

Es waren  meistens SS-Leute, aber auch zwei Bataillone Volkssturm, einige Reste der 9. Fallschirmjägerdivision und die Marine-Radartechniker vom Großadmiral-Dönitz-Bataillon.

Der Kampf um die Brücke war (S. 616)

ein harter und blutiger Kampf, der die ganze Nacht hindurch anhielt, mit Abwehrfeuer und Gegenangriffen von rückwärts und von den Flanken wie auch von der Front, denn deutsche Truppen standen noch im Lehrter Güterbahnhof in Perewjortkins rechter Flanke. 

Über die Identifizierung des Reichstages ergänzen Reed/Fisher noch (S. 626):

Neustrojew war immer noch nicht überzeugt. (...) Entschlossen, eine zweite Meinung zu hören, befahl Neustrojew einem seiner Männer, einen der deutschen Gefangenen zu holen, die sie gerade gemacht hatten. Ein älterer Volkssturmmann (...) wurde hereingebracht. "Was ist das?" fragte Neustojew und zeigte auf das graue Gebäude. "Der Reichstag", stotterte der Gefangene. Immer noch nicht überzeugt, befahl Neustrojew, noch einen zweiten Gefangenen zu befragen. Auch er identifizierte das Gebäude als Reichstag. Um ganz sicher zu gehen, ließ Neustrojew einen Dolmetscher holen und durch ihn fragen, ob dies der einzige Reichstag sei. Der Gefangene, ein Berliner, bestand darauf.

Abbildung 31 zeigt den zerschossenen Reichstag und die Moltkestraße. Abbildung 29 und 30 zeigen, wie sich am Südausgang der zum Teil von den Deutschen gesprengten Moltkebrücke deutsche Panzerabwehrkanonen und außer Gefecht gesetzte russische Panzer nach dem Ende der Kämpfe miteinander verkeilt unmittelbar gegenüberstehen. Im Hintergrund sieht man noch die zum Teil überwundenen Panzersperren.

Abb. 32: Sowjetisches Ehrenmal und Generalstabsgebäude (1945) (s.a. a) - auch der Panzergraben quer über den Königsplatz ist noch gut zu erkennen

Abbildung 32 ist zu entnehmen, daß nur der Eingang des sowjetischen Ehrenmals exakt mittig auf der vormaligen Siegesallee liegt, und daß das bauliche Zentrum desselben etwas nach links verschoben liegt. Dies  will berücksichtigt sein, wenn man sich heute an Ort und Stelle ein Bild von der kaiserzeitlichen Gestaltung der Örtlichkeit verschaffen will.

Abb. 33: Generalstabsgebäude, 1945

Aus dem September 1947 gibt es Filmaufnahmen, auf denen hinter dem sowjetischen Ehrenmal noch das vormalige Generalstabsgebäude zu sehen ist (Minute 5'15):

Wenn man im Vorangehenden einen kleinen Einblick in die Geschichte dieser Örtlichkeit bekommen hat, ist natürlich der Gegensatz zur heutigen Gestaltung des Regierungsviertels im Spreebogen in die Augen fallend. Fast alles dort ist heute "neu". Und vieles nimmt sich dort heute so aus, als ob man die von den Nationalsozialisten versäumte "Gigantomanie" in anderer Form hätte nachholen wollen.

Zur Situation heute

Im Norden der riesige neue Hauptbahnhof mit Glasfassade. Nur der etwas spreeabwärts gelegene, um 1871 errichtete "Zollpackhof" (heute Restaurant) und die daneben liegende, 1945 so umkämpfte, 1888 bis 1891 errichtete Moltkebrücke ("A") geben einem auch heute noch eine leise Orientierung hinsichtlich der historischen städtebaulichen Verhältnisse in der ereignisreichen Epoche zwischen 1860 und 1950. Und ebenso die heute reichlich deplatziert und verloren wirkende, von allen Häusern allein stehen gebliebene Schweizer Botschaft. Noch heute bewegt man sich im Spreebogen wie in "Niemandsland". Als wäre der Krieg nicht 65, sondern nur fünf Jahre her.

Abb. 34: Regierungsviertel im Spreebogen heute - "waagerecht" in die Weltordnung eingegliedert?

Weiter im Süden folgt dann das neue Bundeskanzleramt. Es dominiert mit seiner starken West-Ost-Achse das Bild. Dies wird noch verstärkt durch das Abgeordnetenhaus, das auf der gleichen Achse angesiedelt ist und sich über die Spree hinweg nach Osten ähnlich fortsetzt, wie der Kanzleramts-Garten über die Spree hinweg nach Westen die gleiche Achse fortsetzt. Soll damit architektonisch angedeutet sein, wie fest und "waagerecht" sich Deutschland inzwischen in eine Weltordnung einordnet - zwischen Moskau und Paris, und ohne noch gar zu eigenwillig in andere Himmelsrichtungen "abzugleiten"?

Und die "Bundeswaschmaschine", genannt Bundeskanzleramt? Soll sie sie die tägliche Gehirnwäsche und Umvolkung versinnbildlichen, die von allen deutschen Bundeskanzlern seit Konrad Adenauer vorangetrieben werden?

Oder wäre es möglich, eine versöhnlichere Charakterisierung der heutigen städtebaulichen Situation dieses Ortes zu formulieren? Dies fällt vorderhand zu schwer, als daß es noch Thema dieses Beitrages sein soll. Der allzu deutliche Unterschied zur Zeit vor 1945 dürfte herausgearbeitet worden sein. Und die heutige weitverbreitete Geschichtsvergessenheit bezüglich dieser Örtlichkeit dürfte allemal kritisierenswert sein.

Und Bäume dürften vielleicht auch wieder ein wenig mehr rauschen zwischen Reichstagsgebäude und Bundeskanzleramt ... Was hätte versöhnlicheren Charakter als Bäume?


_________________
  1. Stephan Lehnstaedt: „Das Reichsministerium des Inneren unter Heinrich Himmler“, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 54/2006 (freies pdf) 
  2. Le Tissier, Tony: Der Kampf um Berlin 1945. Von den Seelower Höhen zur Reichskanzlei. Ullstein, Frankfurt/M. 1991 (engl. 1988)
  3. Read, Anthony; Fisher, David: Der Fall von Berlin. Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 1995 (engl. 1992)
  4. Beevor, Antony: Berlin 1945. Das Ende. C. Bertelsmann Verlag, München 2002 (engl. 2002) 
  5. Noske, Gustav: Erlebtes aus Aufstieg und Niedergang einer Demokratie. Bollwerk-Verlag, Karl Drott, Offenbach/Main 1947 (Google Bücher)
  6. Lüttwitz, Walther von: Im Kampf gegen die November-Revolution. Vorhut-Verlag O. Schlegel, Berlin 1934 (139 S.)
  7. Ludendorff, Erich: Meine Lebenserinnerungen von 1919 bis 1925. Ludendorffs Verlag, München 1940, 1941 

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