Samstag, 28. Februar 2009

Die Taktgeber der Evolution sind nicht Punktmutationen

Das neue Buch von Joachim Bauer

Es ist nicht ohne Reiz zu beobachten, wie sich neue wissenschaftliche Erkenntnisse ausbreiten. "Studium generale" verfolgt schon seit Jahren mit besonderer Vorliebe alles, was sich an seriöser Wissenschaft jenseits des neodarwinischen Mainstreams bewegt oder im Widerspruch zu ihm. Als wichtigsten Forscher hat es da in den letzten Jahren Simon Conway Morris gegeben, dem auch ein Richard Dawkins seinen Respekt nicht verweigert hat. Und "Studium generale" befaßte sich gründlich mit ihm.

Aber seit kurzem gibt es da noch einen anderen. Sein Name lautet Joachim Bauer. Sein neues Buch "Das kooperative Gen" ist schon viele Monate auf dem Markt. Aber warum hat "Studium generale" nicht schon längst einmal einen Blick in dieses Buch geworfen?

In bislang gelesenen Rezensionen wurde Joachim Bauer immer so dargestellt, als handele es sich um einen - mit mehr oder weniger Wohlwollen und nachsichtigem Lächeln zur Kenntnis genommenen - "Hobby-Forscher". Einer, der halt auch einmal an der einen oder anderen Stelle von einer wichtigen Neueinsicht zu berichten und sie populärwissenschaftlich aufzubereiten weiß.

Joachim Bauer ist ernst zu nehmen, sogar sehr, sehr ernst

Aber nein, Joachim Bauer ist doch kein Hobby-Forscher. Das, was er in "Das kooperative Gen" ausführt, ist - ähnlich wie bei Simon Conway Morris - unglaublich dicht am Forschungsstand der wenigen letzten zehn Jahre entlang geführt. Das kann nur jemand, der tief in der Materie drinsteckt und sich in sie hineingewühlt hat, der wirklich gründlich und umfassend gearbeitet hat. Welch eine Fülle von Neuerkenntnissen referiert Bauer nur schon auf 200 recht groß gedruckten Seiten.

Auf zwölf Seiten kleiner gedrucktem Literaturverzeichnis wird kaum Literatur zitiert, die älter ist als zehn Jahre. Was aber vielleicht noch wichtiger ist: Joachim Bauer habilitierte sich im Jahr 1990 bei Wolfgang Gerok in Freiburg (siehe Bild links, geb. 1926), mit dem er auch zahlreiche Forschungsarbeiten gemeinsam veröffentlichte. 1992 hörte der Autor dieser Zeilen einen sehr guten Vortrag von Gerok über die "Biologischen und medizinischen Aspekte des Alterns". In Deutschland gibt es nur wenige Alternsforscher. Gerok ist einer von ihnen. Vielleicht darf man deshalb von Joachim Bauer früher oder später auch noch einen weiteren Bestseller zur Alternsforschung erwarten, die man ja nach dem Haeckel'schen Grundgesetz (Ontogenese spiegelt Phylogenese) in enge Beziehung auch zum Thema seines derzeit aktuellen Buches stellen könnte, und zu dem es auch in früheren Bauer-Büchern schon Vorbereitendes gibt. (Gerok ist auch Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, der früheren berühmten Preußischen Akademie der Wissenschaften.)

Es ist einfach ein Fehler, wenn das Buch von Bauer vornehmlich unter "ideologischen" Gesichtspunkten gelesen wird, statt zunächst einmal einfach die Wissenschaft nachzuvollziehen, die es hier nachzuvollziehen gibt. Und dazu muß man sich natürlich auch die von Bauer zitierte Literatur anschauen. Was denn wohl sonst? Aber hier erfährt Bauer offenbar das gleiche Schicksal wie Conway Morris. Beide fassen im Grunde nur wissenschaftliche Fachdiskussionen zusammen, die es in diversen wissenschaftlichen Bereichen sowieso schon seit Jahren gibt, nur nicht populärwissenschaftlich zusammen gefaßt. Aber wehe, es kommt einmal jemand, wie eben Conway Morris oder Bauer, der sie populärwissenschaftlich und mehr oder weniger "paradigmatisch" zusammen faßt.

Natürlich werfen neue Forschungen neue Aspekte auf. Wo hätte es jemals Stillstand gegeben in der naturwissenschaftlichen Forschung der letzten Jahrhunderte? Aber die Gralshüter atheistischer Evolutionsdeutungen und des dogmatischen Neodarwinismus - ja, allmählich könnte es doch richtig werden, solche "Kampfbegriffe" zu benutzen - solche Gralshüter glauben mitunter, es brauche sich zukünftig an ihrer Weltsicht nichts mehr zu ändern. Es wäre alles schon erforscht und geklärt.

Nichts ist abwegiger und absurder.

Kleine, vorläufige Inhaltsangabe

Wovon ist die Rede? Daß Evolution nach allen neueren Einsichten nicht allein oder vornehmlich im zufälligen, passiven, sich quälend dahinschleppenden Punktmutation-Selektion-Rhythmus verläuft, wie es Darwin noch versuchte zu beschreiben (in einer malthusianisch "vollen Welt"), sondern daß die "Taktgeber" der Evolution höchstwahrscheinlich ganz andere Dinge sind also bloße Zufallsmutationen. Aussterbe-Ereignisse, Streß-Ereignisse riesigen Ausmaßes im Rhythmus von vielen Millionen Jahren und die Art der derzeit immer besser (durch Genomvergleiche verschiedenster Arten) erforschten und erforschbaren Reaktionen des Genoms der Organismen auf diese Streß-Ereignisse. Sowie dann neue Artbildungen in sprichwörtlich leere Räume hinein.

Reaktionen auf Streßereignisse sind zum Beispiel großräumige Umgruppierungen im Genom, durch Genverdoppelungen und -vervielfachungen, durch Neuablesen von Genomen. Und all das bei gleichzeitigem "Hochkonservierten-in-Vorrat-Halten" von Genomabschnitten, die - etwa - basale zellphysiologische Mechanismen kontrollieren.

Soweit zunächst einmal nur als vorläufige Kurzfassung. Es könnte vom Leser durchaus auch eine größere innere Elastizität erfordert sein, um sich darüber klar zu werden, was es mit diesen neuen Taktgebern der Evolution eigentlich auf sich haben könnte und wie sich durch sie unser gegenwärtiges und künftiges Welt- und Menschenbild ändern könnte. (Siehe dazu auch übernächster Beitrag.)

Nachbemerkungen: Hier noch eine Sendung des Deutschlandsradios über das Buch. Ein viel zu oberflächlicher, absprechender Kommentar von Axel Meyer zu Joachim Bauer (hier als pdf.) findet sich im "Handelsblatt", auf den Bauer geantwortet hat. Übrigens diskutieren darüber auch einige Peter Mersch-Fan's auf dem Bright's-Blog. Joachim Bauer wird in der Wissenschaftsblog-Szene durchaus rezipiert. - Bauer diskutierte mit einem Mitarbeiter des "Labourjournals" ---> hier.

Freitag, 27. Februar 2009

Atheistische "Propaganda"

Die Schalksnarren des Atheismus

Bisher hat dieser Blog Michael Schmidt-Salomon und der Giordano Bruno-Stiftung immer die Stange gehalten. Das kann man vielen früheren Beiträgen entnehmen. Aber irgendwann platzt einem auch einmal der Kragen.

Was ist denn das dauernd für eine mehr oder weniger kindische Schmalspur-Version von naturalistischem Humanismus? Soll man sich denn schämen für ein geradezu lächerliches, leeres, hohlgeistiges Weltbild? Wer regelmäßig beispielsweise auf auf unseren Blogs oder auf anderen Wissenschaftsblogs mit liest, weiß oder ahnt doch zumindest, was für spannende Dinge gegenwärtig in der Evolutionsbiologie und Kosmologie erörtert werden. Dem muss doch diese mehr oder weniger kindische "Propaganda"-Trommelei der Giordano Bruno-Stiftung, diese "neunmalkluge" Besserwisserei irgendwann einmal auf die Nerven gehen.

Richard Dawkins beispielsweise strahlt eine ganz andere geistige Haltung aus. Eine ernsthaftere. Nicht diese immer mehr in Unernsthaftigkeit abgleitende Haltung wie sie bei der GBS zu beobachten ist.

Als ob mit solch einer Bimmelei, wie sie die GBS derzeit betreibt, viel geholfen wäre. Seriöse, ernsthafte Wissenschaft überzeugt doch durch sich selbst. Und das gilt für Kultur, für Kunst, für Philosophie. Von der Giordano Bruno-Stiftung kommt das stattdessen ständig stärker herüber wie "gewollt und nicht gekonnt". Ach, wie so herrlich simpel ist die Welt und das Leben! "Ohne Gott."

Kann man die Kinder nicht mal in Ruhe lassen?!

Man sehe sich doch nur dieses ziemlich merkwürdige "Propaganda-Material" an, das da gegenwärtig ausgestreut wird. Diese merkwürdigen Kinderbücher, die provozieren sollen, die aber doch eigentlich nur verdreht und lächerlich sind. Diese sonderbaren ("Luschi"-)Video's (--> Beispiel 1, 2). Oder wie soll man das nennen? Soll man denn da auf den Arm genommen werden? Auf was sollen wir uns denn noch alles einstellen? Man entschuldige schon einmal. (Ein besseres Beispiel wäre da schon --> 1)

Warum überhaupt gerade Kinder und Jugendliche als erste Adressaten in weltanschaulichen Auseinandersetzungen wählen? Kann man die auch nicht einfach einmal nur in Ruhe lassen? Werden die nicht schon genügend den verschiedensten, sich gegenseitig widersprechenden Beeinflussungen ausgesetzt? Jetzt sollen sie sich auch noch mit atheistischer Propaganda auseinandersetzen? "Neunmal klug" über Evolution daherreden können? Erst lassen die Kirchen sie nicht in Ruhe, jetzt die Atheisten - ? Wie verdreht, wenn Erwachsene Kindern "Atheismus" beibringen wollen. Das erzeugt irgendwie Übelkeit in der Bauchgegend.

Aber was ist der aktuelle Anlass für diesen Beitrag? Im neuesten Rundbrief kommt die GBS wieder, wieder (!) einmal mit einem neuen "tollen" Vorschlag hervor: "Christi Himmelfahrt" soll künftig "Evolutionstag" heißen. - Wir scheinen ja auch wirklich keine anderen Probleme zu haben ...

Platschfüßig kommt die Absicht daher ...

Wie stellt man sich denn hier Kinder eigentlich vor? Nürnberger Trichter und rein?

Bei Theologen könnte man wenigstens noch sagen: Man spürt die Absicht und ist verstimmt. Hier hingegen. Von wegen, man würde etwas "spüren". Die Absicht kommt hier so platschfüßig daher, dass man gar nicht mehr weiß, wie man an ihr vorbei sehen soll, peinlich berührt wie man von ihr ist. Und: ... Ach, herrje wie - - - "pfiffig"! Als hätte es die moderne Wissenschaft überhaupt nötig, dass in solcher Form für sie "Propaganda" gemacht würde. Man rede doch einfach sachlich über sie. Und Schluss. Dieses Getue. Um die moderne Wissenschaft wäre es wirklich schlimm bestellt, wenn sie solche Art von Verteidigung nötig hätte. (Eine Verteidigung die im Kern möglicherweise gar keine ist, sondern eher ein Angriff.)

Heute schon den Mainstream von morgen kennen lernen - das geht

Es kommt einem doch eher so vor, als solle hier die Öffentlichkeit "beschäftigt" werden, - wenn nicht belästigt. Statt dass sie mit den ernsthaften und mitunter brisanten Problemen konfrontiert würde, die es im Rahmen eines konsequent naturalistischen Weltbildes gegenwärtig und künftig zu diskutieren gibt. Es könnte stattdessen vielmehr darum gehen, die Menschen zu sensibilisieren für jene Entwicklungen, die in den nächsten Jahren auf unsere Gesellschaften aus weltanschaulicher Sicht zukommen werden. Und da gäbe es doch so viel zu tun. Und das könnte durchaus auch mit monotheistischem Erbe zu tun haben, das es vor allem zu überwinden gelten könnte. Denn an dem kauen wir rein kulturpsychologisch, mental, ja, polit-psychologisch, geschichtspsychologisch herum wie an dem zähesten aller zähen Ledersorten.

Und unsere Blogs versuchen immer wieder, auf solche Dinge hinzuweisen. Man könnte sie im Untertitel auch nennen: "Heute schon den Mainstream von morgen kennen lernen." Warum sollte das nicht möglich sein? Das kann auch ganz ohne Eitelkeit gesagt werden. Das sehen doch immer mehr, die die Situation überblicken. Ein solches Kennenlernen ist doch möglich. Die moderne Humangenetik und Evolutionsforschung machen doch viele Dinge immer unübersehbarer, wenn man sich nicht beduseln und einschläfern lässt, wenn man nicht sorgsam allen größeren intellektuellen und moralischen Problemen aus dem Weg geht. Man kann sachlich, ruhig und ernsthaft darüber reden.

Stattdessen jedoch immer wieder dieses "Gebimmel" der GBS. Da kann man ja nur hoffen, dass diese "Schalksnarren des Atheismus" bald wieder ihrer Wege weiter ziehen. Vielleicht sollten sie bei den Pinguinen in der Antarktis Propaganda für ihren "neunmal klugen" Atheismus machen? Die armen Pinguine! Wir jedenfalls hätten es dann hinter uns.

Montag, 23. Februar 2009

"Nature" zum Thema "Rasse und IQ"

In der Zeitschrift "Nature", der führenden internationalen Wissenschaftszeitschrift, wir am 12. Februar 09 gefragt:

Should scientists study race and IQ?

Also: "Sollten Wissenschaftler den Zusammenhang zwischen Rasse und Intelligenz-Quotient erforschen?" Und zwei Wissenschaftler, Stephen Ceci und Wendy M. Williams, antworten:

YES: The scientific truth must be pursued. (Nature)

Also: "JA: Das Streben nach wissenschaftlicher Wahrheit muß weiter verfolgt werden." Sie schreiben unter anderem:

Die meisten Wissenschaftler, einschließlich unserer selbst, stimmen darin überein, daß Gene keine Unterschiede zwischen Gruppen erklären können (was den IQ betrifft). Aber einige Themen sind noch nicht geklärt, so die Identifikation jenes Mechanismus, der genetische Potentiale zur Ausreifung bringt. Menschen zu zensieren, die genetische Erklärungen für Intelligenz-Unterschiede bevorzugen, ist nicht die Antwort, um diese Geheimnisse zu klären. (...) Das Geschrei gegen jene, die von Rasse- oder Geschlechts-Unterschieden im IQ sprechen, ist inzwischen ohrenbetäubend geworden und erinnert zeitweise in der Sprache, wenn nicht sogar in den Taten an Lyssenkoismus.
Most researchers, including ourselves, agree that genes do not explain between-group differences (in IQ). But some issues remain unresolved, such as identification of mechanisms that bring genetic potential to fruition. Censuring debaters favouring genetic explanations of intelligence differences is not the answer to solving such mysteries. (...) The outcries against those who speak of racial and gender gaps in IQ have become deafening, at times resembling Lysenkoism in language if not in deed.

Dann werden die beiden "Skandal"-Fälle rund um die Personen Lawrence Summers und James Watson in den letzten Jahren behandelt. 

Der IQ der Völker Südafrikas ist um 30 Punkte niedriger

Und im weiteren werden sie etwas konkreter was ihren eigenen Standpunkt betrifft:

Watson's erste Behauptung kann verstanden werden als wissenschaftlich gestützt: Die IQ-Werte von Schwarzafrikanern sind niedriger als die von weißen Europäern. Aber Watson's Benutzung des Begriffes "Intelligenz" ist interpretiert worden in der Bedeutung von "intrinsischer kognitiver Fähigkeit", wobei ignoriert wird, wie das Unvertrautsein mit den Test-Formaten, die niedrige Schulqualität oder die niedrige Gesundheit die IQ-Werte niedriger ausfallen lassen können. Es gibt Analysen, die zeigen, daß der durchschnittliche nationale IQ im Afrika südlich der Sahara ungefähr 30 Punkte niedriger liegt als der durchschnittliche IQ, der in vorwiegend weißen, europäischen Ländern vorherrscht, und die eine auf Rasse-Kategorien beruhende Schlußfolgerung aus diesen Ergebnissen gezogen haben. Eine Widerlegung dieser Analysen würde eine Gelegenheit sein, um das Verständnis voran zu bringen. Aber obwohl diese Analysen widerlegt werden können so wie es wir und andere getan haben, wußten jene, die Watson verachten, traurigerweise nicht einmal, daß diese Analysen existieren.
Watson's first assertion could be read as scientifically supported: black Africans' IQ scores are lower than those of white Europeans. But Watson's use of 'intelligence' was interpreted as meaning 'intrinsic cognitive ability', ignoring how unfamiliarity with testing format, low quality of schooling, or poor health might depress IQ scores. There have been analyses showing average national IQs for sub-Saharan Africa to be approximately 30 points lower than average IQs for predominantly white European nations, and drawing a racial conclusion from those results. A refutation of these analyses would provide an opportunity to advance understanding. Sadly, although these analyses can be refuted, as we and others have done, most of those who scorned Watson never knew they existed.

Worauf dieser Umstand wohl hinweist? Muß man ohrenbetäubenden Lärm genau dann machen, wenn man diese Widerlegungen nicht für überzeugend genug hält? Dieser Gedanke kommt uns gerade - bei einem leichten Überarbeiten dieses Beitrages (6.2.23) - in den Sinn. Jedenfalls nehmen diese beiden Forscher eine ganz eigene Position in der Debatte ein. 

Wenn Wissenschaft zu Religion wird ...

Sie glauben sich selbst im Bereich der Mehrheits-Meinung der Wissenschaft zu befinden, wenn sie annehmen, daß es keine (?) genetischen IQ-Unterschiede zwischen Völkern und Rassen gibt. Wirklich: Keine? Und sie scheinen außerdem die Möglichkeit schweigender Mehrheiten in informierten Wissenschaftskreisen nicht in Betracht zu ziehen. Was aber sicherlich wertvoll an ihrer Stellungnahme ist: Sie fordern wenigstens, daß die Wissenschaft die Fakten frei und offen erforschen und diskutieren möge. Abschließend sagen sie:

Wenn Wissenschaftler durch Kollegen, Verwaltungsbeamte, Herausgeber und Geldgeber zum Schweigen gebracht werden, die denken, daß nur allein schon bestimmte Fragen zu stellen unangemessen wäre, beginnt der Prozeß mehr der Religion als der Wissenschaft zu ähneln.
When scientists are silenced by colleagues, administrators, editors and funders who think that simply asking certain questions is inappropriate, the process begins to resemble religion rather than science.

Was für schlichte und zugleich starke Worte. Die Zeitschrift "Nature" hat ein offenes Netzforum eingerichtet, auf dem die Thematik weiter diskutiert wird. Bislang sind hier etwa 60 Diskussionsbeiträge eingegangen. Auf den Wissenschaftsblog "Gene Expression" von Razib Khan beziehen sich gleich mehrere Beiträge. Auch der deutsche IQ-Forscher Volkmar Weiss beteiligt sich und setzt dort gleich vernünftigerweise einen Verweis zu seiner neuesten Arbeit (hier). Ebenso melden sich dort IQ-Forscher wie Gerhard Meisenberg, Heiner Rindermann, J. Philippe Rushton und James Flynn zu Wort.

Eine solche vergleichsweise offene Diskussion zu diesem Thema dürfte für eine Zeitschrift wie "Nature" ein Novum sein, zumindest soweit die letzten etwa vierzig Jahre in Betracht gezogen werden.

Sonntag, 22. Februar 2009

Mensch und Evolution auf "3Sat"

Die Wissenschafts-Sendungen auf 3Sat gewähren so manchen sachlichen Einblick in gegenwärtige Entwicklungen in der Wissenschaft und geben einen persönlichen Eindruck von den beteiligten Wissenschaftlern.

Der Kasseler Biologe Ulrich Kutschera erklärt Evolutions-Kritikern die Evolution. (16.1.09) ---> 3sat. Die Zürcher Verhaltensbiologin und Soziobiologin Barbara Koenig zeigt auf, daß Mäusemütter, die miteinander kooperieren, weniger unter Streß leiden. ---> 3sat. Der Züricher Primatologe Carel van Schaik glaubt, daß kooperative Jungenaufzucht bei Primaten den entscheidenen Antrieb zur Evolution des menschlichen Großhirns darstellte. Ähnlichkeiten zu den Social Brain-Hypothesen von Robin Dunbar sind unübersehbar. Doch scheint Dunbar verallgemeinerungsfähiger zu argumentieren. (13.1.09) ---> 3sat.

Der Freiburger Neurologe Joachim Bauer zeigt, daß die Genome von Organismen nicht nur passiv Mutationen hinnehmen, sondern daß die Wechselwirkung der Genome mit allen Teilen des sie bergenden Organismus (mit dem Ablese-Apparat, mit den wirkenden Proteinen) und mit der Umwelt des Organismus viel komplexer sind als traditionell vom Neodarwinismus angenommen worden war. (12.2.09) ---> 3sat.

Der Bochumer Psychiater Martin Brüne referiert neue Forschungen und Annahmen aus der Evolutionären Medizin, wonach es Psychosen erst geben kann, seit es auch Menschen gibt, weil bestimmte kognitive Fähigkeiten vorhanden sein müssen, um überhaupt psychotische Symptome entwickeln zu können: "Ohne die Evolution der Sprache kann man keine Stimmen hören. Wahngedanken sind nur möglich, wenn man sich in andere Personen hineinversetzen kann. Letzteres haben Affen, einschließlich der Menschenaffen, doch offensichtlich nur sehr rudimentär." Auch Schizophrenie ist auf dieser Linie des Denkens eine Nebenwirkung der menschlichen Kreativität. (12.2.09) ---> 3sat.

Freitag, 20. Februar 2009

8 Millionen Jahre alte "Spielwiese" der Evolution entdeckt

- im Genom von Menschenaffen und Menschen

Als Susumo Ohno (1928 - 2000) (siehe Bild links) 1970 sein wichtiges Buch "Evolution by Gene Duplication" veröffentlicht hatte, dauerte es noch viele Jahre, bis seine innovativen Gedanken zum Allgemeinwissen der Evolutionsforscher wurden. Noch heute ist sein gut lesbares, gedanklich leicht nachvollziehbares Buch wohl vielen Evolutionsforschern nicht oder nicht ausreichend bekannt.

Der japanische Genetiker Ohno zeigte auf, daß bei vielen großen Übergängen der Evolution, etwa beim Übergang vom Wasser auf das Land, sich in den Genomen der diese Übergänge vollziehenden Tiere in großem Umfang Gen-Verdopplungen ansammelten, die sich zum Teil bis heute erhalten haben. Man kann vermuten, daß diese sinnvoll waren, weil dadurch die Evolution eine "Spielwiese" erhielt. Während die Organismen die alten Gen-Sequenzen zur Aufrechterhaltung der täglichen Lebensnotwendigkeiten benutzen konnten, konnten sie auf den verdoppelten Gen-Abschnitten mit neuen Möglichkeiten der Anpassung an die Umwelt experimentieren.

Nun macht überraschenderweise eine jüngst erschienene "Nature"-Studie auf die Bedeutung der Gen-Verdopplung auch in der Evolution der Menschenaffen und des Menschen aufmerksam. Im Handelsblatt werden die Autoren derselben mit den Worten zitiert:
„Unsere neue Studie zeigt große Unterschiede im Erbgut von Menschen und großen Affen innerhalb der verdoppelten Abschnitte, die schnell veränderliche Gene enthalten. Die meisten dieser Unterschiede entstanden zu einer Zeit kurz vor der Artbildung von Schimpanse, Gorilla und Mensch“, sagen Tomas Marques-Bonet und Jeffrey Kidd von der Universität von Washington. (...)

Genduplikation kann zu schweren Defekten führen, ist aber auch ein wesentlicher Mechanismus der Evolution. Durch Mutationen der Gen-Kopie können auch neue Gene mit zusätzlichen Funktionen entstehen. Den Forschern ist noch unklar,warum die Vorfahren von Mensch, Schimpanse und Gorilla derart viele Gen-Duplikationen durchmachten. „Wir kennen auch noch nicht die Funktionen der meisten betroffenen Gene“, sagt Kidd.
Und Die Presse schreibt richtig, Genverdopplungen
kommen auch sonst in der Entwicklung der Arten vor. Wo immer sie auftreten, wirken sie innovationsfördernd. Der Grund dafür: Nach einer Verdopplung sind von den betroffenen Genen jeweils (mindestens) zwei Ausgaben im Genom. Wenn eine davon eine Mutation durchmacht, ist noch immer die andere Ausgabe da – und sorgt dafür, dass die lebensnotwendigen Aufgaben des Gens erfüllt werden. Das heißt: Die Mutation wird nicht gefährlich. So kann sozusagen gefahrlos getestet werden, ob das mutierte Gen nicht doch für etwas gut ist: Wenn ja, dann kann es sich in den nächsten Generationen weiterentwickeln, bis es vielleicht ganz neue Aufgaben übernommen hat.
Ob all diese erstmals von Susumo Ohno genannten Gedanken noch mit dem traditionellen Bild der Evolution durch (Punkt-)Mutation und Selektion des Neodarwinismus vereinbar ist, diese Fragen haben sich viele Evolutionsforscher bis heute noch nicht ausreichend gestellt. Die neue Studie gibt dazu erneut Veranlassung. Auf Scinexx wird berichtet:
„Es ist noch unklar warum, aber der gemeinsame Vorfahre hatte eine ungewöhnlich hohe Kopieraktivität“, erklärt Jeffrey Kidd, Genetiker an der Universität von Washington und einer der Leiter der Studie.
Und der Wissenschaftsblog Science-meets-Society schreibt gut informiert (Hervorhebung nicht im Original):
Manche dieser Duplikationen betrugen 20.000 Basenpaare und mehr, und wurden wohl auch deshalb bei früheren Untersuchungen nicht bemerkt. Manche dieser duplizierten oder sogar triplizierten oder Quadruplizierten Einheiten enthielten ganze oder sogar mehrere Gene, was zu einer Erhöhung der Expressionsaktivität führen kann. Ausserdem kann eine unvollständige Duplikation die Funktion des betroffenen Gens verändern und die Duplikation einer Kontrolleinheit ebenfalls die Aktivität. Es könnte also sein, das das Menschsein nicht von mutationsbedingten Veränderungen einzelner Buchstaben des DNA-Codes abhängt, sondern vielmehr auf strukturellen Veränderungen basiert. Diese Duplikationen ermöglichen eine hohe Plastizität in der Anpassung an veränderte Lebensräume und Bedingungen.(...)
Zwanzig Prozent der gefundenen Duplikationen waren speziell auf den Menschen begrenzt und die meisten darin enthaltenen genetischen Informationen gehörten zu Proteinen unbekannter Funktion. Es gibt also noch viel zu tun!
Und wie heißt es in der Zusammenfassung des Originalartikels (Nature)?:
We find that the ancestral branch leading to human and African great apes shows the most significant increase in duplication activity both in terms of base pairs and in terms of events. (...) We discover striking examples of recurrent and independent gene-containing duplications within the gorilla and chimpanzee that are absent in the human lineage. Our results suggest that the evolutionary properties of copy-number mutation differ significantly from other forms of genetic mutation and, in contrast to the hominid slowdown of single-base-pair mutations, there has been a genomic burst of duplication activity at this period during human evolution.
(Rechts Tomas Marques-Bonet, der Erstautor der Studie.) Diese neu entdeckte "Spielwiese der Evolution" sollte auch die Gedanken der Genetiker und Evolutionsforscher wieder mehr dazu anreizen, ihre Phantasie spielen zu lassen: Durch An- und Abschalten von Genen vollzieht sich Evolution ... Und dadurch vor allem wird Neues entstanden sein in der Evolution.

Dienstag, 17. Februar 2009

Das Geheimnis der Artbildung

- Und wie es derzeit am Wissenschaftskolleg Berlin erforscht wird

Das Wissenschaftskolleg Berlin besteht seit Anfang der 1980er Jahre und holt Wissenschaftler aus aller Welt für ein Jahr nach Berlin, auf daß sie dort fern vom akademischen Alltag und in interdisziplinärem Austausch mit vielen Kollegen sich auf Grundlagen und weitere Zielausrichtung ihrer eigenen weiteren Forschungen besinnen können.

Es gibt dort einen geisteswissenschaftlichen und einen naturwissenschaftlichen Strang. Über die derzeitige inhaltliche Ausrichtung des naturwissenschaftlichen schrieb Rüdiger Wehner 2006 unter dem Titel "Life Sciences am Wissenschaftskolleg" unter anderem:
Im Zentrum des Interesses stehen jetzt Genomik und Proteomik (...). Schon seit Beginn der 1990er Jahren werden jedes Jahr ein bis zwei Schwerpunktgruppen zum Themenfeld "Theoretische Biologie" eingeladen.
Inhaltliche Schwerpunkte waren in den letzten Jahren - nur als Beispiele: Evolutionäre Medizin (Randolph Nesse) (2007/08), Konfliktlösung in biologischen Systemen (Francis Ratnieks) (2004/05), Gesellschaftliche Normen und ökonomisches Verhalten (Ernst Fehr) (2001/02), Demographie und die Evolution der Eusozialität (Raghavendra Gadagkar) (2000/01) (- bei letzterem Thema ist gemeint: bei Insekten).

Dieses Jahr lautet der sicherlich spannendste Schwerpunkt "Sympatrische Artbildung: theoretische Modelle und empirische Daten" unter Federführung des Buntbarsch-Spezialisten Axel Meyer (geb. 1960). In diesem Schwerpunkt werfen Wissenschaftler einen zum Teil sehr tiefen Blick in die möglichen Mechanismen der Artbildung, die in vielerlei Hinsicht noch längst nicht geklärt sind und zum Teil sehr widersprüchliche Fragen aufwerfen und aus sehr unterschiedlichen fachlichen Ansätzen heraus beantwortet werden können.

Unterschiedliche Lebensweise ruft unterschiedliche Arten hervor

Der Brite James Mallet (geb. 1955) befaßt sich hierbei vor allem mit den äußeren Lebensumständen:
I propose to use the opportunity to work on a book project of my own on "The Evolution of Biological Diversity" during my tenure at the Wissenschaftskolleg. The project aims to clarify the relationship between ecology and speciation or diversification. It will go beyond the theme of speciation, and attempt to connect ecological and genetic ideas of biodiversity, including competition, natural selection, speciation, evolution within and between species, community ecology, macroecology and biodiversity studies. It will also cover new genomics-based results in the understanding of speciation.
Der Spanier Francisco Ubeda de Torres (geb. 1972) nimmt bestimmte Beobachtungen über Methylierung und Demethylierung im Genom zum Anlaß weiteren Nachdenkens.
Why are imprinted genes clustered within the genome? An imprinted gene is a gene that has a different pattern of expression depending on whether it is inherited via sperm or via egg. A conflict may emerge when a gene's expression in one individual has fitness consequences for other individuals who have different probabilities of carrying a copy of the first individual's paternally-derived allele. Such is the case in a mating system in which females have multiple partners and the resources to raise the offspring are fixed and provided by the mother. Paternally-derived alleles in an offspring will be selected to demand a greater amount of resources than maternally-derived alleles in the same offspring. When the expression of a particular gene results in a greater allocation of maternal resources to her offspring, the maternally-derived allele in this offspring will be silenced and vice versa.

One reason why imprinted genes are peculiar is that they tend to cluster in the genome. I am interested in addressing how these clusters and their expression architecture have evolved.
Welche Rolle spielt die genomische Prägung bei der Artbildung?

Der Amerikaner Jeffrey L. Feder (geb. 1958) interessiert sich für Genomabschnitte, die möglicherweise ebenfalls besonders deutlich für Artbildung verantwortlich sein können:
My specific aims at the Wissenschaftskolleg are to (...):
- Investigate the theoretical basis for why genes involved in reproductive isolation tend to map to regions of low recombination and, in particular, to chromosomal inversions for populations undergoing divergence-with-gene-flow speciation.
- Develop a possible book or monograph on the topic of sympatric speciation, with emphasis on studying organisms known to the working group.
Weiterhin sind an diesem Schwerpunkt beteiligt der Kroate Patrik Nosil (geb. 1975) und die Kanadierin Maria R. Servedio (geb. 1971).

Fragen, die sich dem Blog "Studium generale" stellen

Reichen alle diese Fragestellungen schon tief genug hinab, um die Mechanismen der Artbildung vollständig beschreiben zu können? Es kann sich ja offenbar nur um die unterschiedliche Evolution der Ablesezustände von Genen handeln. Wenn man sich die konvergente Evolution von Buntbarschen ansieht, so scheint ja die eigentliche Gensequenz gar nicht der entscheidende Punkt zu sein für unterschiedliche Artbildung, sondern das Ablesen unterschiedlicher Gene, die - offenbar (- oder nicht?) - über genomische Prägung ("genomic imprinting") an die kommende Generation weitergegeben werden. (Also dadurch, daß auch die Keimzellen neu "geprägt" werden.) Wissen wir aber über genomische Prägung schon genug, um sagen zu können, wie sie konkret auf molekularer Ebene funktioniert? Wie dieses "zweite System der Vererbung" funktioniert?

Und man könnte schließlich dann weiterhin annehmen, daß erst im zweiten Schritt in der Evolution sich in der Gensequenz selbst Mutationen ansammeln, die zu der jeweiligen genomischen Prägung "passen" (weil sie nicht durch Reperatur-Mechanismen gleich wieder beseitigt werden). Auf diese Weise, so könnte man annehmen, entstehen dann erst jene "jüngsten Selektionsereignisse", die derzeit im menschlichen Genom (und möglicherweise auch in dem Genom von Buntbarschen und anderen Organismen) so haufenweise entdeckt werden, ohne daß man das Gefühl hätte, mit ihnen schon den eigentlichen Schlüssel zur Artbildung in der Hand zu haben. Natürlich gibt es in einer solchen Annahme auch ein Element des "Lamarckismus", das die Sache vielleicht um so spannender macht.

All das sind vor dem Hintergrund der modernsten Erkenntnisse außerordentlich spannende Themen und sie verdienten es, daß man sich noch einmal tief in die Forschungsliteratur der letzten Jahre hierzu hineinknien würde.

- Übrigens arbeitet auch der Mainzer Philosoph und Psychologe Thomas Metzinger dieses Jahr am Berliner Wissenschaftskolleg im Rahmen eines weiteren Schwerpunkt-Themas. Aber ihm kann jemand wie der Autor dieser Zeilen höchstens in brillianten populärwissenschaftlichen Darstellungen folgen, auf eine solche soll deshalb zum wiederholten male bei "Stud. gen." verwiesen werden, da diese Darstellung zum Teil auch sehr konkret biologisch argumentiert: --> Gehirn & Geist.

Sonntag, 15. Februar 2009

Die Gefahren der "Politischen Korrektheit", der monotheistischen Unfehlbarkeit und die Theorie kostspieliger Signale

Das "Karriereportal der Wissenschaft" (academics.de) wird in Zusammenarbeit der Wochenzeitung "Die Zeit" und der "führenden hochschul- und wissenschaftspolitischen Zeitschrift Deutschlands", "Forschung & Lehre" (herausgegeben vom "Deutschen Hochschulverband") betrieben, also der Interessen-Vertretung der deutschen Professoren und Dozenten.

Und auf diesem Portal findet man gegenwärtig gleich mehrere hochinteressante Themen behandelt, zwischen denen sich ein innerer sachlicher Zusammenhang herstellt, wenn man genauer hinschaut. Zum einen hat die Zeitschrift "Forschung & Lehre" in ihrer neuesten Ausgabe (2/2009) in gleich sechs Beiträgen die Gefahr der "Political Correctness" für die Freiheit von Wissenschaft und Lehre zum Thema. - Schüttel! "Die spinnen, die Römer!" Man darf davon ausgehen, daß diese Ausgabe schon vor dem Williamson-Skandal geplant gewesen war. Dennoch ein recht auffälliges, zeitliches Zusammentreffen.

Der Vatikan - religionsanthropologisch informiert?

Aber das gleichzeitig dort erscheinende "Zeit"-Interview von Wissenschafts-Journalist Ulrich Schnabel mit dem Religionswissenschaftler Richard Sosis darüber, wie die Stabilität von Religionen sichergestellt wird, bzw. werden könnte, weist einen Aktualitätsbezug auf, der geradezu atemberaubend ist. Auf Richard Sosis ist schon oftmals sehr wohlwollend Bezug genommen worden hier auf "Studium generale". Aber daß seine Erkenntnisse so unmittelbar auf die Tagespolitik, hier: die der katholischen Kirche, angewendet würden, darauf wäre man wohl bisher auch noch nicht gekommen.

Tatsächlich? Läßt sich die Politik der katholischen Kirche gegenwärtig von modernsten religionswissenschaftlichen, anthropologischen Erkenntnissen leiten? Darauf kommt man, wenn man dieses brisante und wichtige Interview studiert. (auch hier) Ulrich Schnabel stellt gleich zu Anfang eine hochbrisante Frage:
Professor Sosis, als Religionsanthropologe erforschen Sie Faktoren, die den Erfolg religiöser Kommunen ausmachen. Eines Ihrer verblüffenden Ergebnisse lautet: Je strikter eine Gemeinschaft das Leben ihrer Gläubigen reglementiert, umso dauerhafter ist sie. Gilt diese Erkenntnis auch für die katholische Kirche?
- Öha! Öha! Natürlich findet Sosis eine einigermaßen diplomatische Antwort (siehe daselbst ...), sagt aber dann:
... Im Großen und Ganzen würde ich Ihre Frage bejahen.
Und dann Schnabel noch brisanter (!) und konkreter:
Es gibt Wissenschaftler, die auf der Basis dieser Theorie (der soziobiologischen Theorie von den "kostspieligen Signalen") argumentieren, das 2. Vatikanische Konzil sei ein Fehler gewesen. Die damals beschlossene Liberalisierung habe den Gruppendruck gesenkt, der das Erfolgsprinzip religiöser Gemeinschaften ist. Aus dieser Perspektive wäre also ein eher konservativer Kurs angeraten.
Das 2. Vatikanische Konzil und die "Theorie kostspieliger Signale"

Wenn das keine Frage ist!? Tatsächlich? Sollte sich das gegenwärtige Handeln von Herrn Ratzinger-Benedikt von der Theorie kostspieliger Signale leiten lassen? Dann wäre praktisch alles erklärt, ja, alles. Mach es deinen Mitgläubigen schwer, nur dann sind sie wirklich bereit, Opfer zu bringen. Ob die Theorie auf die heutigen Katholiken in Deutschland und der Welt noch anwendbar ist? Hm, hm, hm. Stirnrunzel, Stirnrunzel, Stirnrunzel.

Recht "bescheiden" spricht Richard Sosis dann über seine eigene Religion, die jüdische, sie wäre in ihrer 2.000-jährigen Geschichte erheblich weniger erfolgreich gewesen als die katholische Religion. So schlicht sehen das heute allerdings nicht alle Anthropologen und Humangenetiker.

Man könnte vermuten, daß die Spekulationen von Schnabel und Sosis über die Zukunft der katholischen Kirche noch einen Aspekt zu wenig berücksichtigen, nämlich daß sich die katholische Kirche zunächst einmal klar machen müßte, zu welchem Prinzip sie sich wirklich bekennen will, zum Prinzip der wissenschaftlichen Unterscheidung zwischen Wahr und Falsch, zu dem sich der Konvertit Bischof Williamson in Bezug auf zeitgeschichtliche Fragen bekennt oder zu dem Prinzip der letztlich mosaischen Unterscheidung zwischen Wahr und Falsch, zu dem sich Angela Merkel, der Papst und so viele andere zumindest auf einem eng umschriebenen zeitgeschichtlichem Gebiet derzeit immer noch bekennen.

Angela Merkel und das politische Establishment sollten Jan Assmann studieren

Auf diesem Gebiet der "Politischen Korrektheit" wird eine der Kernfragen liegen. Und dazu macht das Themenheft "Forschung & Lehre" ja wiederum recht aufschlußreiche Ausführungen. Nicht alle Artikel dieser Ausgabe scheinen im Netz freigeschalten zu sein aber derjenige von Klaus Adomeit ist schon aufschlußreich genug, spricht über Jürgen Habermas und Ernst Nolte, also über den Historikerstreit von 1986, der bis heute die Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt hat, und noch so viele wichtige anderen Dinge.

Die grundlegende Frage scheint einem doch - im Sinne der modernen Religionsanthropologie - diese zu sein: Will man Religiosität durch kostspielige Signale stabilisieren, die auf mosaischer Unterscheidung zwischen Wahr und Falsch beruhen oder durch kostspielige Signale, die allein auf wissenschaftlicher Unterscheidung zwischen Wahr und Falsch beruhen. Diese Frage scheinen sich die meisten Menschen in Deutschland und der Welt, denen Religiosität noch "irgendwie" wichtig zu sein scheint, auch in der Politik, nicht wirklich klar und eindeutig genug gestellt zu haben. Zum Beispiel unsere Bundeskanzlerin, die verehrte Frau Angela Merkel. Von der Klärung dieser Frage dürfte aber die künftige eher stärker freiheitliche oder eher stärker unfreiheitliche Entwicklung unserer Gesellschaft nicht zum geringsten abhängen.

"Dalai Lama - Fall eines Gottkönigs"

Im Veranstaltungskalender des "Humanistischen Pressedienstes" wird auf Vorträge von Guntram Colin Goldner über den Dalai Lama in Hamburg, Hannover und Berlin hingewiesen (hpd): "Dalai Lama - Fall eines Gottkönigs".

Dies soll zum Anlaß genommen werden, in unser Bücherangebot die gleichnamige Publikation dieses Autors aufzunehmen neben weiteren kritischen Veröffentlichungen aus der Feder des Autors (Bücherangebot). Er hat sich nämlich auch über die vielerseits populäre "Familienaufstellung nach Hellinger" kritisch geäußert.

Da man solche kritische Stimmen vergleichsweise selten hört, wird man sie als um so wichtiger erachten. Guntram Colin Goldner (Wikip.) ist auch Beiratsmitglied der Giordano Bruno-Stiftung. Sein Vortrag zum Thema in Linz letztes Jahr ist übrigens schon über das Internet anzuhören. (Atheisten.at)

Man muß zunächst hoffen, daß er zuverlässig arbeitet. Denn vieles, was er sagt, ist der Sache nach so haarsträubend, daß man es oft nicht glauben möchte. Also wird man sich das auch sehr kritisch ansehen müssen. Aber andersherum darf man auch nicht den Boten für die Botschaft verantwortlich machen, wenn sie denn der Wahrheit entspricht.

Nietzsche über Angela Merkel und den deutschen "Gutmenschen" überhaupt

Friedrich Nietzsche
Im Anschluß an Kommentare bei Michael Blume zum Fall Williamson soll hier noch einmal aus dem "Antichrist" von Friedrich Nietzsche zitiert werden. Er wurde im Herbst 1888 geschrieben, aber erst 1894 veröffentlicht (Wikip.). Daraus soll das vorletzte Kapitel einigermaßen vollständig zitiert werden. Also jenes Kapitel, dem dann das letzte Kapitel folgt, das mit den Worten beginnt: "Hiermit bin ich am Schluß und spreche mein Urteil." Es handelt sich um einen Text, in dem Nietzsche statt Christentum auch Monotheismus insgesamt hätte sagen können, ein Text, in dem Nietzsche ebenfalls einen Deutschen behandelt, der "päpstlicher ist als der Papst" (also wie Angela Merkel und Konsorten), der damit die monotheistische "Unfehlbarkeit" wiederbelebt und damit - nach Meinung Nietzsches - (ebenfalls) eine (etwaige?) italienische "Rennaisance" beendet hat:
Hier tut es not, eine für Deutsche noch hundertmal peinlichere Erinnerung zu berühren. Die Deutschen haben Europa um die letzte große Kultur-Ernte gebracht, die es für Europa heimzubringen gab – um die der Renaissance. Versteht man endlich, will man verstehn, was die Renaissance war? Die Umwertung der christlichen Werte, der Versuch, mit allen Mitteln, mit allen Instinkten, mit allem Genie unternommen, die Gegen-Werte, die vornehmen Werte zum Sieg zu bringen... (...)

Ich sehe eine Möglichkeit vor mir von einem vollkommen überirdischen Zauber und Farbenreiz – es scheint mir, daß sie in allen Schaudern raffinierter Schönheit erglänzt, daß eine Kunst in ihr am Werke ist, so göttlich, so teufelsmäßig-göttlich, daß man Jahrtausende umsonst nach einer zweiten solchen Möglichkeit durchsucht; ich sehe ein Schauspiel, so sinnreich, so wunderbar paradox zugleich, daß alle Gottheiten des Olymps einen Anlaß zu einem unsterblichen Gelächter gehabt hätten – Cesare Borgia als Papst... Versteht man mich?... Wohlan, das wäre der Sieg gewesen, nach dem ich heute allein verlange –: damit war das Christentum abgeschafft!

– Was geschah? Ein deutscher Mönch, Luther, kam nach Rom. Dieser Mönch, mit allen rachsüchtigen Instinkten eines verunglückten Priesters im Leibe, empörte sich in Rom gegen die Renaissance... Statt mit tiefster Dankbarkeit das Ungeheure zu verstehn, das geschehen war, die Überwindung des Christentums an seinem Sitz –, verstand sein Haß aus diesem Schauspiel nur seine Nahrung zu ziehn. (...)

– Luther sah die Verderbnis des Papsttums, während gerade das Gegenteil mit Händen zu greifen war: die alte Verderbnis, das peccatum originale, das Christentum saß nicht mehr auf dem Stuhl des Papstes! Sondern das Leben! Sondern der Triumph des Lebens! Sondern das große Ja zu allen hohen, schönen, verwegenen Dingen!... Und Luther stellte die Kirche wieder her: er griff sie an...

Die Renaissance – ein Ereignis ohne Sinn, ein großes Umsonst! – Ah diese Deutschen, was sie uns schon gekostet haben! Umsonst – das war immer das Werk der Deutschen. – (...)

Es sind meine Feinde, ich bekenne es, diese Deutschen: ich verachte in ihnen jede Art von Begriffs- und Wert-Unsauberkeit, von Feigheit vor jedem rechtschaffnen Ja und Nein. Sie haben, seit einem Jahrtausend beinahe, alles verfilzt und verwirrt, woran sie mit ihren Fingern rührten, sie haben alle Halbheiten – Drei-Achtelsheiten! – auf dem Gewissen, an denen Europa krank ist – sie haben auch die unsauberste Art Christentum, die es gibt, die unheilbarste, die unwiderlegbarste, den Protestantismus auf dem Gewissen... Wenn man nicht fertig wird mit dem Christentum, die Deutschen werden daran schuld sein...
Angela Merkel ist protestantische Pfarrerstochter ... Sollte man etwa auch sagen können: Wenn man nicht fertig wird mit Monotheismen, mit monotheistischen Unterscheidungen zwischen Wahr und Falsch, die Deutschen werden dran schuld sein?

Mittwoch, 11. Februar 2009

Holocaust-Leugnung und der "Appell von Blois"

"Protest und noch einmal Protest"

Was gerade noch an anderer Stelle kommentiert wurde (hier und hier), soll auch auf den eigenen Blog gestellt werden. Es ist nämlich sehr auffällig, daß in der ganzen öffentlichen Diskussion um Holocaust-Leugnung und päpstliches Unfehlbarkeits-Denken auf Seiten von Leuten, die päpstlicher als der Papst sein wollen, kein einziges mal an den "Appell von Blois" vom letzten Sommer erinnert wurde, auf den verdienstvollerweise neuerlich durch Adelinde aufmerksam gemacht wird. Er ist ja auch von Seiten des auch sonst sehr schätzenswerten Historiker-Ehepaares Jan und Aleida Assmann, von so prominenten deutschen Historikern wie Heinrich August Winkler oder Gerd Lüdemann unterzeichnet worden. Und er verdiente sicherlich noch eine breitere öffentliche und wissenschaftliche Diskussion, als er sie bisher gefunden hat.

Deshalb hier noch einmal sein Wortlaut (Welt):
Die Geschichte darf kein Sklave der Aktualität sein noch unter dem Diktat konkurrierender Erinnerung geschrieben werden. In einem freien Staat steht es keiner politischen Autorität zu, die historische Wahrheit zu definieren und die Freiheit der Historiker unter der Androhung von Strafen einzuschränken.

Wir rufen alle Historiker auf, ihre Kräfte in ihren jeweiligen Ländern zu sammeln und unseren Strukturen vergleichbar aufzubauen. Jeder soll unverzüglich diesen Appell unterzeichnen, um die Pläne für Gesetze zum historischen Erinnern aufzuhalten.

Die verantwortlichen Politiker - die für den Erhalt der kollektiven Erinnerung eintreten - rufen wir dazu auf, sich bewusst zu machen, nicht durch das Gesetz und für die Vergangenheit staatliche Wahrheiten aufzustellen, deren juristische Anwendung schwerwiegende Folgen für die Historiker und die intellektuelle Freiheit im Allgemeinen haben.

In einer Demokratie ist die Freiheit der Geschichte die Freiheit aller.
Wenn man zu diesem Appell im Netz recherchiert, stößt man sehr bald auf den Kommentar des pensionierten Vorsitzenden Richters Günter Bertram, der schreibt:
Der Appell von Blois ist 100 mal berechtigt!

Unser deutscher § 130 Strafgesetzbuch (Volksverhetzung) besaß Sinn und Legitimation, bis er 1994 mit der Pönalisierung der „Holocaustleugnung“ geschichtspädagogisch instrumentalisiert wurde. Das war zur Bekämpfung wirklicher antijüdischer Hetze unnötig, wie ich in einer Zuschrift an die FAZ vom 19. 08. 08 („Triftige Gründe“) skizziert hatte.

Die nochmalige Ausweitung des Tatbestands durch Novelle vom Frühjahr 2005 raubt der Strafbestimmung jegliche Kontur (von mir dargelegt in der Neuen Juristischen Wochenschrift 2005, 1483: „Der Rechtsstaat und seine Volksverhetzungsnovelle“).

Also müßte das deutsche Strafrecht (insoweit) dringlich zurückgeschnitten werden. Wenn nun aber – ganz im Gegenteil! – ein Rahmenbeschluß (dem m.E. jegliche europarechtliche Ermächtigungsgrundlage fehlt: wo wäre die denn??!) die verfehlte deutsche Bestimmung noch einmal ausweiten und europaweit oktroyieren will, ist Protest und noch einmal Protest das Gebot der Stunde."

Protest und noch einmal Protest ist das Gebot der Stunde.

Dienstag, 10. Februar 2009

Wilde Eisbären, die mit Hunden spielen ...

... gefunden ebenfalls über "Gedankenstücke" von Bastian Greshake: "Polar Bears and Dogs playing".


Wenn man es recht versteht, handelt es sich um wilde Eisbären - was man schon für hochgradig erstaunlich halten kann. Denn: Der Wolf ist doch der natürliche Feind der Bären. Woher wissen diese, daß diese Hunde ihnen ungefährlich sind - und umgekehrt? Offenbar kann Intelligenz auch der Vertrauensbildung dienen.

Singen, gefördert durch Microsoft

Gefunden über die "Gedankenstücke" von Bastian Greshake: "Songsmith" wird die Singkultur in Deutschland und der Welt fördern, wie zumindest die Firma Microsoft erwartet, die dieses neue Programm entwickelt hat. - Naja, warum eigentlich nicht?

Oh yeah!

Das Wunder "1.000-Dollar-Genom"

Das vielerseits angekündigte und diskutierte "1.000-Dollar-Genom", also die vollständige Sequenzierung des Genoms eines Menschen für nur etwa tausend Euro, das sicherlich dann von den Krankenkassen finanziert wird, und das eine Revolutionierung unseres Wissens von uns selbst bringen wird und eine Revolutionierung unseres Umgangs mit uns selbst und unseren Mitmenschen (siehe frühere Beiträge) - wie wird es rein technisch eigentlich in näherer Zukunft erreicht werden?

Dieses Video, gefunden über "WeissbierundWissenschaft", gibt einem zumindest einen ersten Eindruck. Irgendwie verrückt. Wenn man es recht versteht, werden synchron viele Tausende, wenn nicht Millionen von DNS-Sequenzen gleichzeitig sequenziert und "buchstabengetreu" abgelesen durch die offenbar ziemlich gewitzte Kombination biochemischer, chemischer und technischer Prozeduren.

Aber was gibt es da weiter zu erzählen. Sehen Sie doch einfach selbst.

Sonntag, 8. Februar 2009

Taucher-Legende Hans Hass 90 Jahre alt

"Meine Damen und Herren, es gibt viel schöne und geheimnisvolle Länder auf der Welt. Aber das schönste und geheimnisvollste ist das Meer!"

Mit welcher Begeisterung man 1953 noch Filme ankündigen konnte ... (1).

Ob es so etwas heute noch gibt?

Die Taucherlegende Hans Hass (1919-2013) (Wiki). Von ihm hatte der Verhaltensforscher I. Eibl-Eibesfeldt die Idee, mit einer Kamera "um die Ecke" zu filmen, damit sich die gefilmten Menschen nicht so beobachtet fühlen und ihr Verhalten so ungezwungener dokumentiert werden könnte.

Das Internet und die Nachrichten sind voll mit ihm (Abendblatt). Deshalb sei hier bis auf weitere Ausführungen verzichtet.

Man findet schöne Filmausschnitte von ihm im Netz. Etwa: "Taucherlegenden Hans Hass auf der Boot 2009". 



Was drehte man aber "früher" auch für schöne Filme!

Und hier noch ein längerer Film (2).

Ergänzung 27.2.2021: Inzwischen ist noch eine Verfilmung und eine Dokumentation zum Leben von Hans Hass im Internet zugänglich geworden (3), aus denen die Bedeutung seines Lebens noch klarer hervorgeht. 

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Samstag, 7. Februar 2009

Erstsemester-Fängerei durch die katholische Kirche?

Der katholischen Kirche fehlt der Priesternachwuchs

Vielleicht rätseln wir noch eine ganze Weile daran herum, warum vieles heute in der katholischen Kirche so ganz anders läuft, als über viele Jahrzehnte hinweg. Warum sie sich - verhalten, gewiß - den Naturwissenschaften gegenüber öffnet (und dabei zugleich dem Kreationismus) - und "gewisse" andere Dinge mehr. Warum der Papst sich neuerdings über die Nützlichkeit des Internet Gedanken macht, und daß es der Verbreitung des "Wahren, Guten und Schönen" in der Welt dienen könne.(Und natürlich vor allem seiner eigenen Ansprachen.)

All das und sicherlich vieles andere mehr hat wohl letztlich nur einen Nenner und er wird - unter anderem - besonders deutlich, wenn man dem Bischof Williamson, der derzeit so durch die Presse gejagt wird, genauer zuhört. Da gibt es bei Youtube eine Ansprache "Bischof Williamson an die Deutschen", wo er kräftig in seinem englischen "Deutsch" konservative Kulturkritik übt - "sozusagen". (Youtube)

Nur krude Erstsemester-Fängerei durch die Kirche?

Aber der Hauptpunkt, um den es ihm eigentlich geht, der der Ausgangspunkt und Endpunkt all seiner vielen Philippiken ist, das ist, daß die katholische Kirche derzeit schlicht und einfach "um das Letzte" kämpft. Was ihr fehlt, massiv fehlt, ist Nachwuchs. Und die Tatsache, daß Bischof Williamson und andere (... "Höhergestellte") so deutlich an der Provokations-Schraube drehen, kann wohl größtenteils darauf zurück geführt werden, daß sie sehen, daß es keinen Priester-Nachwuchs mehr gibt. Und bei einem solchen eklatanten Überlebensproblem scheuen die alten, greisen Männer in der Kirche ganz offensichtlich nicht davor zurück, auch mit dem Thema Holocaust, mit dem Thema Mohammed Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Andere Themen ziehen offenbar nicht mehr wirklich.

Denn, das sehen diese "Radikalos" möglicherweise ganz richtig: Priester sein, heißt, selbst die Bereitschaft aufzubringen, eine gewisse Lebens"radikalität" zu leben. Vielleicht, so meint man, fällt diese Bereitschaft jungen Leuten leichter, wenn sie in gewisser Weise - - - "provoziert" dazu werden, wenn sie - und sei es auch nur irgendwie - zur Stellungnahme aufgefordert werden? Vielleicht hat man da schon Anzeichen von Erfolgen mit dieser Strategie irgendwo bemerkt bei Studienanfängern im Fach Katholische Theologie?

Auf den kruden Gedanken, den derzeitigen Zustand der Kirche verbessern zu wollen, könnte durchaus so manches naive Erstsemester kommen ....

Sollte diese These richtig sein, dann könnte man sich noch auf so einiges von Seiten der katholischen Kirche in näherer Zukunft gefaßt machen ... Man könnte sich dann jeweils immer überlegen: Was glaubt wohl die katholische Kirche, wie dieser spezielle Fall sich nun wieder auf Studienentscheidungen bezüglich des Faches Katholische Theologie auswirkt oder auswirken könnte.

Dabei sollen die Studenten doch ordentliche Fächer studieren. In Physik, Chemie und Biologie etwa erfährt man heute sicherlich weitaus mehr über Gott (so es etwas derartiges gibt), als ausgerechnet in - - - katholischer (oder evangelischer) Theologie.

Freitag, 6. Februar 2009

Päpstlicher als der Papst: die Deutschen

Vorspruch:

Maikäfer flieg!
Dein Vater ist im Krieg.
Die Mutter ist in Pommerland,
Pommerland ist abgebrannt.
Maikäfer flieg!
Frau Merkel spricht den Deutschen aus der Seele

Aus Gründen der zeitgeschichtlichen Dokumentation sollte man die Äußerung von Frau Angela Merkel zum Thema "Holocaust-Leugnung und Vatikan" in Erinnerung behalten.

Man findet das Video offenbar in mehreren Versionen im Netz (FAZ). Bei Youtube gibt es auch ein Video mit Merkel-kritischen Untertiteln.

Das Gesicht von Frau Merkel ist sehr betroffen und sehr traurig. - - -

In der Szene der Wissenschaftsblogger gibt es dazu zwei neuere Beiträge:
"Was sagen Sie zum Papst?" von Edgar Dahl (3.2.09)

"Bischof Williamson und die 'Natur der Universitäten'" von Thilo Kuessner (5.2.09)
In der Tat ist man veranlaßt, sich zu fragen: Was hat Benedikt-Ratzinger sich eigentlich dabei gedacht? Und die Antwort ist wahrscheinlich einfach, daß er, der sonst so Kluge, Intelligente, Schlaue, Gerissene die Sensibilität des Thema's Holocaust für uns heutige Deutsche unterschätzt hat. Er und die nächsten deutschsprachigen Berater in seiner Nähe. Deshalb war er so - "entsetzt". Wir Deutsche können uns - offenbar und offensichtlich - so lange nicht für eine bessere Welt einsetzen, so lange auf dem Gebiet der Zeitgeschichte das Geschichtsbild nicht mit päpstlicher Unfehlbarkeit festgeschrieben ist und bleibt. Und deshalb haben wir Forderungen an den Papst.

Wir Deutschen sind also - wieder einmal - "päpstlicher als der Papst".

Die Deutschen auf der schiefen Ebene

Herr Ratzinger hat die Sensibilität des Thema's immer noch unterschätzt. Und man kann die Sensibilität dieses Themas tatsächlich immer wieder und wieder unterschätzen. Weil wir Deutschen uns hier psychologisch auf eine immer schiefere Ebene begeben.

Würden wir aber versuchen wollen, von dieser schiefen Ebene herunterzukommen, müßte sich zu viel ändern, unsere bürgerlich-seelische "Behaglichkeit", auf die wir uns in den letzten Jahrzehnten eingelassen haben, könnten wir nicht mehr aufrecht erhalten.

Kein Wunder also, daß wir Angst haben, uns auf Veränderungen - auch nur auf die leiseste Andeutung eines Gedankens an solche - einzulassen. Wir klammern uns an das sinkende Schiff eines Weltbildes mit aller Kraft, Verbissenheit und Verstiegenheit, weil wir Angst haben, wir könnten nicht schwimmen, wenn wir es loslassen würden.

Wenn man diesen Dingen hinterherdenkt, dann beginnt man zu vermuten, daß noch nicht einmal solche politischen Kräfte wie der Zentralrat der Juden in Deutschland sich über die ganze, riesige Sensibilität dieses Thema's in vollem Umfang Klarheit verschafft haben. Sie spulen ihr altes und bewährtes Programm ab. Aber bringt nicht auch das auf die Dauer so seine "Gefährdungen" mit sich? Möglicherweise werden die durchaus auch überraschenden Abläufe der derzeitigen öffentlichen Debatte in dieser Frage auch hier einiges neue Nachdenken veranlassen.

Man hat das Gefühl: Die monotheistischen "Hauptkräfte" könnten immer mehr in eine verfahrene, weil verkrampfte, verstiegene Situation hinein geraten. Sind denn auch sie - auf einer schiefen Ebene? Wer wollte das bestreiten? Und kann man da als freier, ungebundener Deutscher, Europäer und Weltbürger gelassen zusehen und sagen, die monotheistische Welt wird schon an ihren eigenen inneren Widersprüchen, an ihren "Monotheismen" zugrunde gehen?

Ja: Was wäre denn, wenn es so wäre? Im tiefsten Elend - ausgelöst nicht zuletzt auch oder sogar vor allem durch Monotheismen - hielten die Deutschen ihren Kopf hoch - und sangen. Und ja, das Singen ist wichtig. Und vieles in Deutschland ist heute so, weil die Deutschen die Fähigkeit, frei und beherzt zu singen, verloren haben. Es waren oft traurige Lieder, die sie sangen - aber selten ganz hoffnungslose. Es gäbe viele Beispiele. Belassen wir es nur bei dem schönen:
Die Gedanken sind frei,
wer kann sie erraten?
Sie fliehen vorbei,
wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen,
kein Jäger erschießen,
mit Pulver und Blei,
die Gedanken sind frei!

Montag, 2. Februar 2009

Was geschah auf anderen Blogs im Januar?

Ein kleiner Überblick, was auf anderen Blogs im Januar noch so an Interessantem berichtet und diskutiert wurde.

Einmal zu zeitgeschichtlichen, geschichts- und religionspolitischen Themen:
"Gibt es gute Kriege?" von Yoav Sapir (5.1.09) und dortige Folgebeiträge

"Der lange Arm Israels" von Adelinde Bauer (12.1.09)

"Operation Walküre" von Edgar Dahl (22.1.09)

"Die Ausschwitzlüge" von Edgar Dahl (27.1.09)

"Richard, der Holocaust-leugnende Bischof" von Christian Reinboth (29.1.09)
Und einmal zu genetischen Themen:
"Israel, der Mittlere Osten: Raketen und Publikationen" von Tobias Maier (12.1.09)
(erst ab dem 29.1. auch eine genetische Diskussion)

"Politische Genetik" von Ali Arbia (27.1.09)

"Und noch eine fragliche Zwillingsstudie" von Jürgen Schönstein (28.1.09)
(Dabei auch die wichtigen Beiträge von Ulrich Berger.)
Sicherlich ist dabei noch vieles Wichtige übersehen worden.

Intelligenz-Evolution des Menschen - Axel Meyer bloggt

Ein Rundum-Blick in der Kolumne "Quantensprung"

Auf der hervorragenden Veranstaltung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von neulich konnte man auch den spannenden Ausführungen des Evolutionsbiologen Axel Meyer lauschen. (siehe Stud. gen.) Angeregt dadurch entdeckt "Studium generale" jetzt - erst jetzt! -, daß es schon seit über zwei Jahren quasi einen außerordentlich lesenswerten "Wissenschafts-Blog" von Axel Meyer gibt, der über weite Bereiche ein sehr ähnliches Themenspektrum behandelt wie "Studium generale", nämlich die Kolumne "Quantensprung" auf der wöchentlichen Wissenschaftsseite des "Handelsblattes". Sie wurde schon am 24.11.2005 begonnen. (Überlick siehe ---> hier) Diese Kolumne ist inzwischen auch als Buch erschienen (---> Bücher) und wird man sicherlich nicht nur deshalb mit Interesse lesen, weil Axel Meyer unter anderem auch Beiratsmitglied der "Giordano Bruno-Stiftung" ist.

Beschleunigung der Evolution durch Gehirne (Allan C. Wilson)

Schauen wir rein. Der spannendste Beitrag, den man dort finden kann, ist eine Kolumne vom 26.8.2008. Sie behandelt das Thema: "Große Gehirne fördern die Evolution" (pdf.). Meyer berichtet in ihr über seinen bedeutendsten akademischen Lehrer (neben Ernst Mayr), nämlich Allan C. Wilson, sowie über dessen These, daß große Gehirne durch eine Gen-Kultur-Koevolution die Evolution beschleunigen, sowie über neue Belege, die jüngst gesammelt wurden für die Richtigkeit dieser These. Meyer schreibt:

Offensichtlich sind einige Tiergruppen evolutionär erfolgreicher als andere - obwohl es umstritten ist, wie man „Erfolg“ in der Evolution überhaupt definieren soll. Der Biologe J.B.S. Haldane unterstellte Gott mit einem Augenzwinkern eine Vorliebe für Käfer, denn keine andere Gruppe von Organismen sei so artenreich. Eine andere Meßlatte für Erfolg ist aber nicht Artenreichtum, sondern das Ausmaß und die Geschwindigkeit äußerlicher Evolution, also die Frage, wie sehr sich Arten in einer Gruppe voneinander unterscheiden.

Schon vor genau 25 Jahren schlug mein Professor in Berkeley, der Biochemiker Allan C. Wilson, vor, daß bei „höheren“ Wirbeltieren die Verhaltensflexibilität eine entscheidende Rolle für evolutionären Erfolg spielt. Diese Idee wurde „Behavioral drive“-Hypothese genannt. Der „Verhaltensantrieb“ sollte etwa erklären, warum Vögel evolutionär erfolgreicher sind als Amphibien. Die Theorie war jedoch sehr umstritten und wurde wieder vergessen.

In den 25 Jahren nach Wilsons Studien konnten Vergleiche zwischen vielen Arten zeigen, daß Gehirngröße und Verhaltenskomplexität eng gekoppelt sind. Nun haben Daniel Sol von der Autonomen Universität Barcelona und Trevor Price von der Universität von Chicago in der Fachzeitschrift „American Naturalist“ einen Artikel veröffentlicht, in dem sie den Verhaltensantrieb als starke evolutionäre Kraft wiederauferstehen lassen.

Im Vergleich von 120 verschiedenen Vogelfamilien mit über 7 000 Arten von Vögeln konnten sie nachweisen, daß die Gehirngröße der Tiere einen großen Teil der Unterschiede zwischen den Arten innerhalb einer Familie erklärt. Soll heißen, klügere Vögel mit überdurchschnittlichen großen Gehirnen haben sich mehr und schneller verändert als solche mit kleineren Gehirnen. Die Gewinner waren Spechte, Hornvögel, Eulen, Papageien und Krähen.

Nebenbei bemerkt, auch wenn der Titel der Zeitschrift - „American Naturalist“ - eher wie das Fachblatt der Nudistenbewegung Amerikas klingt, so ist sie doch eine der renommiertesten Zeitschriften der Evolutionsbiologie, und diese Daten sind statistisch solide.
Diese Studie war bislang der Aufmerksamkeit von "Stud. gen." entgangen und sie wird man sich gewiß noch einmal besonders anschauen müssen. (hier, hier ... freies pdf.) Und da wird es natürlich um so spannender, wie Meyer ansonsten so die Vergangenheit und Zukunft der Evolution des Menschen sieht. Nur folgerichtig erscheint es, wenn Meyer schon in einer Kolumne zuvor am 17.7.2008 über die Frage "Entwickelt sich der Mensch noch weiter?" zum Schluß zu dem Ergebnis kommt:
Die Evolution geht weiter, auch für uns, und sie wird durch Kultur eher noch schneller als langsamer.
Und entsprechend heißt es in der bislang jüngsten Kolumne vom 29.1.09 wiederum sehr richtig:
Die Evolution hat im Holozän nicht haltgemacht, sie hat sich eher beschleunigt. Beispielsweise hat sich die Fähigkeit, als Erwachsener Milchzucker zu verdauen, sehr schnell innerhalb nur sehr weniger Generationen verbreitet. Und vom Gen für Amylase, ein Enzym, das Stärke in Zucker zerlegt, tragen genau die Völker besonders viele Kopien im Genom, die auch viel Stärke essen. Schimpansen übrigens besitzen nur zwei Kopien dieses Gens.

Menschliche Rassen und Völker in der Evolution

Ob sich da Meyer auch schon zu dem Thema jüngste, lokale Humanevolution geäußert hat, spricht zum Thema "Rasse und Genetik"? Ja, schon am 16. 11.2006 wandte er sich diesem Thema zu ("Genom und Rassen des Menschen", ---> hier, pdf.), das ja auch für seinen akademischen Lehrer Ernst Mayr nie ein Tabuthema war und sein konnte. Meyer schreibt:

... Die Genomik und daraus erwachsene neue Disziplinen wie Systembiologie sind heiße Forschungsgebiete - neue Zeitschriften und Professuren schießen wie Pilze aus dem Boden, in den USA, England, Singapur und China. (...)

Die Genomik ist auch wirtschaftlich bedeutend. Die "Pharmakogenomik“ sucht nach Behandlungen und Medikamenten-Cocktails, die auf Einzelne oder Gruppen von Patienten zugeschnitten sind und auf deren spezieller Genzusammensetzung beruhen.

Patientengruppen? Kaum eine Frage erregt die Gemüter so sehr wie das Konzept und die genetischen Grundlagen menschlicher „Rassen“. Es ist nicht politically correct, sie zu erforschen oder auch nur das Wort in den Mund zu nehmen. Ein ethisches Minenfeld (...).

Immer häufiger erscheinen aber Artikel in renommierten Fachzeitschriften, die entweder kategorisch behaupten, daß es keine biologischen (genetischen) Grundlagen für menschliche Rassen gibt, oder aber - was jeder Arzt weiß -, daß es sehr wohl eine Beziehung zwischen gesundheitlichen, genetisch bedingten Risikofaktoren und Prädispositionen für bestimmte Krankheiten bei bestimmten Patientengruppen gibt, ohne sie Rassen zu nennen. Es gibt biomedizinische und populationsgenetische, objektive Kriterien, nach denen menschliche Populationen charakterisiert und kategorisiert werden könn(t)en. Dafür sind nur relativ wenige „Markergene“ nötig, die in verschiedener Häufigkeit oder Zusammensetzung auftreten bei der ältesten und genetisch diversesten Population, den Afrikanern, und jüngeren Populationen, die von ihnen abstammen. Zu Letzteren gehören „Kaukasier“ (wie „Weiße“ in den USA genannt werden), Bewohner der pazifischen Inseln (z.B. Papua-Neuguinea und Melanesien), Ostasiaten und die jüngste Gruppe, die nordamerikanischen Ureinwohner (...). Die biologisch-genetische Basis für Unterschiede zwischen Menschen verschiedener geographischer Herkunft besteht sehr wohl. Die Pharmaindustrie weiß es längst und forscht daran.

IQ-Evolution?

Angesichts all der bislang angeführten Kolumnen-Ausführungen wäre es nur naheliegend, wenn Axel Meyer auch die Erforschung und Diskussion der lokalen, jüngsten Evolution des menschlichen IQ's vorurteilsfrei behandeln würde. Aber als es zu dem Skandal von 2007 um James Watson diesbezüglich kam (siehe Beiträge dazu auf St. gen.), äußerte sich Meyer auffallend zurückhaltend unter dem Titel "Das traurige Ende des ehrlichen Jim" (1.11.2007). Dabei ließ er im Artikel letztlich offen, ob er die damals diskutierten Äußerungen Watson's über die Beziehung zwischen IQ und Rasse zum "unhaltbaren Blödsinn" oder nur zum "politisch Unbeliebten" unter den vielen Äußerungen von Watson zählt (---> hier, pdf.). Ob das die richtigen Signale aus der Wissenschaft heraus an die Öffentlichkeit sind, mag dahin stehen.

Axel Meyer und Monogamie

Monogamie könnte ebenfalls etwas mit Intelligenz-Evolution zu tun haben, wie Forschungen von Robin Dunbar jüngst vermuten lassen. Mit Monogamie nun beschäftigt sich Axel Meyer auch recht häufig, allerdings offenbar noch ohne die Forschungen Robin Dunbar's zu erwähnen. Der Tenor seiner Äußerungen liegt etwas anders:

Monogamie widerspricht einigen der ältesten und tiefsten evolutionären Neigungen des Menschen,

sagt er zum Beispiel am 27.3.2008. Und am 3. April 2008 titelt er sogar ziemlich kraß "Monogamie ist unnatürlich". Doch dieser Artikel endet mit den entzaubernd/verzaubernden Worten über die in der Natur vorherrschende "milde Form polygamer Verhaltensweisen", sie

... dürfte daher also genetisch veranlagt sein. Was natürlich ist, muß nicht „gut“ sein. Kleine Wunder passieren aber immer wieder, und viele Ehen sind auch genetisch monogam.

Nunja. - - - Monogamie "unnatürlich"?

/ Ergänzung 6.2.23: Über die Bedeutung der Monogamie für die Evolution komplexen Lebens auf der Erde haben wir auf "Studium generale" seither mehrere grundlegende Beiträge veröffentlicht. Inzwischen ist übrigens auch bekannt geworden, daß soziale Monogamie mehr zu Gehirn- und Intelligenz-Evolution beiträgt als die hier genannte genetisch vorgegebene Monogamie. /

Axel Meyer und Simon Conway Morris

Am 26. Juni 2008 beschäftigt sich Meyer unter dem Titel "Notwendigkeit und Zufall" mit Simon Conway Morris. Dieser war schon vielfältig Thema auf "Studium generale" war. Der Schluß des Artikels, in dem zuvor auch schon recht abwertend von "Armstuhlbiologie" die Rede war, kann einem als weitaus zu einseitig formuliert erscheinen, wo es doch gerade Axel Meyer ist, der konvergente Evolution auch bei seinen hoch geliebten Buntbarschen erforscht - und das ja mit viel Grund:

Conway-Morris' Thesen sind nur eine sehr merkwürdig anmutende Mischung aus Teleologie und Theologie.

Das ist schlicht und einfach nicht wahr und viel zu verkürzt geurteilt. Theologie enthält nur das letzte, kurze Kapitel seines Buches "Life's Solution". Der Rest ist ausschließlich Naturwissenschaft. 

/ Ergänzung 6.2.23: Inzwischen wird kaum ein Wissenschaftler mehr sagen, daß es "merkwürdig" wäre, auf die reiche Fülle der evolutionäre Konvergenzen hinzuweisen und zu fragen, worauf sie zurück zu führen ist und ob sie nicht auch philosophische Deutungen nahelegt, die nicht in gar zu schlichte materialistische Weltbilder passen. /

Mit der "bezahlbaren Genomik für alle", die ebenfalls schon Thema hier auf dem Blog war, beschäftigt sich Meyer am 27.11.08:

Den meisten Menschen in der westlichen Welt wird es in wenigen Jahren möglich sein, ihr komplettes Genom auf einer DVD nach Hause zu tragen.

Verwandten-Ehen und IQ-Evolution

Am 15. Januar 2009 ist die Kolumne betitel "Forschergene und Inzest mit Cousinen". Sie beschäftigt sich mit der spannenden Thematik der Verwandten-Ehen, die durchaus auch etwas mit (IQ-)Evolution (zum Beispiel bei aschkenasischen Juden) zu tun haben könnten, wie ebenfalls schon auf "Stu. gen." diskutiert worden ist. (Verwandten-Ehen können eine Häufung sowohl von positiven wie negativen Merkmalen mit sich bringen, was neue Ansatzpunkte für Selektion schaffen kann.) Meyer führt über Cousin-Cousinen-Ehen aus:

Das genetische Risiko für Kinder aus solchen Ehen ist abhängig von komplexen Faktoren: Etwa von dem Maß, in dem die Menschen einer Gesellschaft sich genetisch unterscheiden, ...
- sehr richtig. Hier spricht Meyer von dem durchschnittlichen genetischen Verwandtschaftsgrad zwischen Menschen einer Bevölkerung, der durchaus sehr unterschiedlich sein kann und sich auch ändern kann. (Die Thematik wurde auf St. gen. zuletzt hier behandelt.) Weiter:
... außerdem von der Häufigkeit eines Gendefekts, dem Modus der Vererbung und der Anzahl der beteiligten Gene. Alles in allem scheint aber das genetische Risiko bei Kusinenheiraten nur um etwa zwei bis drei Prozent zu steigen.

In der Kolumne vom 22.1.09 heißt es zum Thema "Natur oder Kultur?":

Sogar von Genen für Religiosität ist mittlerweile die Rede - und niemand scheint sich mehr zu wundern.
;-) - Und weiter:
In einem Fernsehinterview letzte Woche sagte in diesem Zusammenhang der erfolgreiche Darwinbuchautor und promovierte Biochemiker Jürgen Neffe etwas sehr Merkwürdiges. Herr Neffe erklärte richtig, daß nur etwa fünf Prozent unseres Genoms Gene sind. Deshalb sei das menschliche Verhalten zu 95 Prozent kulturell bestimmt. Wie kommt er darauf?

Grins. Natürlich eine einigermaßen idiotische Schlußfolgerung. - Im Ganzen also eine sehr spannend zu lesende Kolumne, schon wegen der Themenauswahl. Eine Kolumne allerdings, bei der man phasenweise durchaus immer einmal wieder "Schwächeln" erwarten muß, was man aber gerne in Kauf nimmt, wenn man dann wieder in "Stärkephasen" hinein gerät.

Und auch dem Studium der langen Reihe von Artikeln für andere Zeitungen (hier), bzw. natürlich auch der Forschungsartikel (hier) sieht man da mit einigem Interesse entgegen.