Dienstag, 17. Februar 2009

Das Geheimnis der Artbildung

- Und wie es derzeit am Wissenschaftskolleg Berlin erforscht wird

Das Wissenschaftskolleg Berlin besteht seit Anfang der 1980er Jahre und holt Wissenschaftler aus aller Welt für ein Jahr nach Berlin, auf daß sie dort fern vom akademischen Alltag und in interdisziplinärem Austausch mit vielen Kollegen sich auf Grundlagen und weitere Zielausrichtung ihrer eigenen weiteren Forschungen besinnen können.

Es gibt dort einen geisteswissenschaftlichen und einen naturwissenschaftlichen Strang. Über die derzeitige inhaltliche Ausrichtung des naturwissenschaftlichen schrieb Rüdiger Wehner 2006 unter dem Titel "Life Sciences am Wissenschaftskolleg" unter anderem:
Im Zentrum des Interesses stehen jetzt Genomik und Proteomik (...). Schon seit Beginn der 1990er Jahren werden jedes Jahr ein bis zwei Schwerpunktgruppen zum Themenfeld "Theoretische Biologie" eingeladen.
Inhaltliche Schwerpunkte waren in den letzten Jahren - nur als Beispiele: Evolutionäre Medizin (Randolph Nesse) (2007/08), Konfliktlösung in biologischen Systemen (Francis Ratnieks) (2004/05), Gesellschaftliche Normen und ökonomisches Verhalten (Ernst Fehr) (2001/02), Demographie und die Evolution der Eusozialität (Raghavendra Gadagkar) (2000/01) (- bei letzterem Thema ist gemeint: bei Insekten).

Dieses Jahr lautet der sicherlich spannendste Schwerpunkt "Sympatrische Artbildung: theoretische Modelle und empirische Daten" unter Federführung des Buntbarsch-Spezialisten Axel Meyer (geb. 1960). In diesem Schwerpunkt werfen Wissenschaftler einen zum Teil sehr tiefen Blick in die möglichen Mechanismen der Artbildung, die in vielerlei Hinsicht noch längst nicht geklärt sind und zum Teil sehr widersprüchliche Fragen aufwerfen und aus sehr unterschiedlichen fachlichen Ansätzen heraus beantwortet werden können.

Unterschiedliche Lebensweise ruft unterschiedliche Arten hervor

Der Brite James Mallet (geb. 1955) befaßt sich hierbei vor allem mit den äußeren Lebensumständen:
I propose to use the opportunity to work on a book project of my own on "The Evolution of Biological Diversity" during my tenure at the Wissenschaftskolleg. The project aims to clarify the relationship between ecology and speciation or diversification. It will go beyond the theme of speciation, and attempt to connect ecological and genetic ideas of biodiversity, including competition, natural selection, speciation, evolution within and between species, community ecology, macroecology and biodiversity studies. It will also cover new genomics-based results in the understanding of speciation.
Der Spanier Francisco Ubeda de Torres (geb. 1972) nimmt bestimmte Beobachtungen über Methylierung und Demethylierung im Genom zum Anlaß weiteren Nachdenkens.
Why are imprinted genes clustered within the genome? An imprinted gene is a gene that has a different pattern of expression depending on whether it is inherited via sperm or via egg. A conflict may emerge when a gene's expression in one individual has fitness consequences for other individuals who have different probabilities of carrying a copy of the first individual's paternally-derived allele. Such is the case in a mating system in which females have multiple partners and the resources to raise the offspring are fixed and provided by the mother. Paternally-derived alleles in an offspring will be selected to demand a greater amount of resources than maternally-derived alleles in the same offspring. When the expression of a particular gene results in a greater allocation of maternal resources to her offspring, the maternally-derived allele in this offspring will be silenced and vice versa.

One reason why imprinted genes are peculiar is that they tend to cluster in the genome. I am interested in addressing how these clusters and their expression architecture have evolved.
Welche Rolle spielt die genomische Prägung bei der Artbildung?

Der Amerikaner Jeffrey L. Feder (geb. 1958) interessiert sich für Genomabschnitte, die möglicherweise ebenfalls besonders deutlich für Artbildung verantwortlich sein können:
My specific aims at the Wissenschaftskolleg are to (...):
- Investigate the theoretical basis for why genes involved in reproductive isolation tend to map to regions of low recombination and, in particular, to chromosomal inversions for populations undergoing divergence-with-gene-flow speciation.
- Develop a possible book or monograph on the topic of sympatric speciation, with emphasis on studying organisms known to the working group.
Weiterhin sind an diesem Schwerpunkt beteiligt der Kroate Patrik Nosil (geb. 1975) und die Kanadierin Maria R. Servedio (geb. 1971).

Fragen, die sich dem Blog "Studium generale" stellen

Reichen alle diese Fragestellungen schon tief genug hinab, um die Mechanismen der Artbildung vollständig beschreiben zu können? Es kann sich ja offenbar nur um die unterschiedliche Evolution der Ablesezustände von Genen handeln. Wenn man sich die konvergente Evolution von Buntbarschen ansieht, so scheint ja die eigentliche Gensequenz gar nicht der entscheidende Punkt zu sein für unterschiedliche Artbildung, sondern das Ablesen unterschiedlicher Gene, die - offenbar (- oder nicht?) - über genomische Prägung ("genomic imprinting") an die kommende Generation weitergegeben werden. (Also dadurch, daß auch die Keimzellen neu "geprägt" werden.) Wissen wir aber über genomische Prägung schon genug, um sagen zu können, wie sie konkret auf molekularer Ebene funktioniert? Wie dieses "zweite System der Vererbung" funktioniert?

Und man könnte schließlich dann weiterhin annehmen, daß erst im zweiten Schritt in der Evolution sich in der Gensequenz selbst Mutationen ansammeln, die zu der jeweiligen genomischen Prägung "passen" (weil sie nicht durch Reperatur-Mechanismen gleich wieder beseitigt werden). Auf diese Weise, so könnte man annehmen, entstehen dann erst jene "jüngsten Selektionsereignisse", die derzeit im menschlichen Genom (und möglicherweise auch in dem Genom von Buntbarschen und anderen Organismen) so haufenweise entdeckt werden, ohne daß man das Gefühl hätte, mit ihnen schon den eigentlichen Schlüssel zur Artbildung in der Hand zu haben. Natürlich gibt es in einer solchen Annahme auch ein Element des "Lamarckismus", das die Sache vielleicht um so spannender macht.

All das sind vor dem Hintergrund der modernsten Erkenntnisse außerordentlich spannende Themen und sie verdienten es, daß man sich noch einmal tief in die Forschungsliteratur der letzten Jahre hierzu hineinknien würde.

- Übrigens arbeitet auch der Mainzer Philosoph und Psychologe Thomas Metzinger dieses Jahr am Berliner Wissenschaftskolleg im Rahmen eines weiteren Schwerpunkt-Themas. Aber ihm kann jemand wie der Autor dieser Zeilen höchstens in brillianten populärwissenschaftlichen Darstellungen folgen, auf eine solche soll deshalb zum wiederholten male bei "Stud. gen." verwiesen werden, da diese Darstellung zum Teil auch sehr konkret biologisch argumentiert: --> Gehirn & Geist.

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