Sonntag, 31. Oktober 2010

"Nein, Heilige sind es nicht gewesen ..."

Unser Wort zum Sonntag 
- und zu dem Tag, an dem Martinus Lutherus aus Wittenberg an der Elbe den Kampf ansagte der Infamie  und Pestilenz des römischen Papstums und aller Papisterei

Gestern mitgemacht beim Ausräumen des Hauses eines verstorbenen, 86-jährigen Rechtsanwalts, dessen Vater Medizin-Professor war. Das Haus von oben bis unten angefüllt mit Büchern.

Aber letztlich auch wieder interessant, wie wenig man von dem behalten wird, was man sich da zunächst zusammensammelt. Ernst Haeckel's "Schöpfungsgeschichte" vielleicht. Oder auch ein kleines Büchlein, 5 mal 10 cm groß, von 1890 "Grabschriften und Marterlen, gesammelt und herausgegeben von Ludwig von Hörmann", 150 Seiten. Darin stehen solche Sprüche von Inschriften auf alten Grabsteinen und "Marterln" drin wie dieser (S. 124):

"Er sammelte allerlei Kräuter,
Aber für den Tod hat er keins gfunden."
(Schweiz, auf einen Kräutersammler)

"Grabschriften und Marterlen" (1890)

Oder (S. 121):

"Wie wahr o wie wahr! Als ich in meinen 68. Lebensjahr den 17. August 1863 für meine Geisen Gras zu Heu machen wollte, stürzte ich über diese Hohe Felswand. Meine Sackuhr ging noch eine Zeitlang, doch meine Lebensuhr blieb plötzlich stehen, mein Fleisch und meine Gebeine verdorrten, sind bereits verfault, da du dieses liesest.
Wanderer! bethe für mich 
Eugen Haslwanter vom Ochsengarten."
(Zwischen Ötz und Ochsengarten)

Noch einer (S. 120):

"Was der Herr mit Ignatz gethan,
Zuletzt schaut er noch den Bruder an,
Er sagt, springt hin auf den Hut geschwind,
Sonst nimmt ihn hinweg der Wind.
Und als er so auf den Hut hin sprang,
Kein Eisen (gemeint: Steigeisen) ist in den Wasen (gemeint: Rasen) gang.
Er fiel hinunter auf einen Stein,
Der Kopf war entzwei, kein Hirn mehr drein,
Vermuthlich war er auch schon todt,
Tröste ihn der liebe Gott.
Nachschrift. Hier verunglückte Josef Staller im 36. Lebensjahr.
(Auf dem Wege nach Virgen zwischen Rückenthal u. Mitteldorf am "großen Lärchen", am Hinteregger Kogel - beim Bergheuen.)

Als Josef Weinheber sein Gedicht "Marterl" (in "O Mensch, gib acht") dichtete (Marterl), hatte er also viele Vorlagen. Und sein Gedicht klingt also nur in unserem Jahrhundert wie eine Übertreibung, hätte in früheren Jahrhunderten gar nicht so geklungen.

Börries von Münchhausen - Balladen-Buch (1962)

Und wo man schon dabei ist, noch eine Lesefurcht aus einem anderen, "älteren" Buch, das man sich neulich hat ersammeln können, nämlich aus Börries Freiherr von Münchhausen "Das Balladen-Buch" (Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart, Lizenzausgabe Im Bertelsmann Lesring 1962). - Was der heutige christkatholische Bertelsmann-Verlag übrigens damals noch so alles in Lizenzausgabe herausgab ... 

In diesem Buch nun gibt es viele schöne Balladen, die man zum Teil auch schon kannte, etwa aus "Der ewige Brunnen". Etwa die Lederhosen-Saga, die Ballade vom Brennettelbusch, das Lied "Jenseits des Tales", "Die Glocken stürmten vom Bernwardsturm" und andere mehr. - Aber neu war einem - und wurde einem auch gleich zum neuen Lieblingsgedicht von Börries von Münchhausen: "Die Hochzeit" (S. 255). Aber auch "Wunderwirkung der Latinität" (S. 275) hat einen so angesprochen, als würde man es zum ersten mal lesen. Das erstere der beiden sei hier noch einmal eingestellt, auch weil man es derzeit im Netz nirgends zitiert findet. (Allerdings ist Gedichtelesen am Bildschirm überhaupt eine fragwürdige Sache. Solche Beiträge wie der vorliegende können ja nur Anregung sein, mal wieder ein paar rauhe Buchseiten aufzuschlagen.) Das Gedicht ruft einem womöglich auch die Shakespeare-Zeit ins Gedächtnis zurück. Es macht womöglich deutlich, daß damals auch in Deutschland die Zeitumstände viele Vorlagen für Shakespeare-Dramen hätten liefern können.

Die Hochzeit

Nein, Heilige sind es nicht gewesen,
Von denen ich heute morgen gelesen!
Unsere Ahnen waren derb und hart -
Niedersächsische Bauernart!
Wenn ihrer einer über den Gutshof ging,
Schwer die Erde in seinen Stiefeln hing,
Und seinen Fäusten sah man's an,
Daß er nicht Wunder damit getan!

Fromm aber waren sie über die Maßen!
Man mag sich gar nicht mehr sehen lassen
Vorm Lieben Gott, wenn man liest, was ihnen
Alles für Dinge als Wunder erschienen!

Einen alten Schmöker ich heute fand,
Der droben im obersten Börte stand,
Ich setzte mich hin und las und las,
Bis ich dies glatte Jahrhundert vergaß
Und mich versenkt in Freud und Leid
Der prächtigrauhen vergangenen Zeit.

Erst stehen die Namen drin zu lesen
Derer, die auf der Hochzeit gewesen
Von Ursula Quitzowen tugendsam
Und Klaus Münchhausen, dem Bräutigam.
Dann die Hochzeitspredigt von qualvoller Länge
Und Litanei und Gemeindegesänge,
Und nun heben die Gebete an,
Durch die man den Lieben Gott gewann,
Daß alles ohne Raub abliefe,
Daß niemand "Wafen, Feindio!" riefe,
Daß ehrbar sich verhielten die Gäste,
Daß keiner am Leibe Schaden nähme,
Und daß von dem trauten Familienfeste
Auch jeder lebendig nach Hause käme.

So flehten sie Gott drei Wochen lang an,
Und siehe: Gott hat das Wunder getan,
Er nahm die Vetternschaft in Hut,
Es ging "wider jedes Vorausgesicht" gut.

Und als die Hochzeit vorbei gewesen,
Da haben sie wieder Gebete gelesen
In allen Kirchen landab, landauf,
Und gepriesen den absonderen Lauf.
Denn, obgleich der Adel des ganzen Landes
Zur Feier des jungen Ehestandes
Drei Tage von Morgen zum Abend gesessen,
Gegessen, getrunken, getrunken, gegessen,
So sei doch kein Totschlag vorgekommen,
Nicht mal habe einer Schaden genommen
An seinen Gliedern oder Haupt -
Ja, wer da nicht an Wunder glaubt!

So haben es unsere Ahnen getrieben
Und haben's sogar in Bücher geschrieben,
Aber, trotz Bittgang und Lobgedicht,
Nein - eigentlich Heilige waren es nicht!

Als sehr befreiend können solche Gedichte empfunden werden in diesem - - - aaaaaaaal-"glatten Jahrhundert", wo die Bundeskanzlerin das Nachlassen des christlichen Glaubens bedauert (man glaubt es kaum!!!!!), und wo Margot Käßmann mehr Religionsberichterstattung in den Medien fordert. (Wohl gemerkt: Noch mehr!!!)

"Traute Familienfeste" in früherer Zeit ...

"Und daß auch jeder lebendig nach Hause käme" "von dem trauten Familienfeste" ... Ja, es könnte zu viel Glattheit in unseren sozialen Verhältnissen geben, auch den engsten. Ein bischen mehr bäuerlich-heidnisch-derbe Rauheit und Unkompliziertheit, ein bischen mehr Unverwüstlichkeit und Cicero-hafte Latinität stünde uns allen ganz gut an. Will heißen: Mehr echte Kultur anstatt glattes, "sauberes", religiös und politisch "korrektes" Gejohle und Gesabbere auf allen Kanälen und über alle Frequenzen.

Man kann bei Börries von Münchhausen, diesem Lebemann und Mädchenverführer, auch immer im Hinterkopf behalten, daß, wie erst vor einigen Jahren bekannt wurde, die große Dichterin Ostpreußens, Agnes Miegel, diese zum Schluß allseits verehrte, ehrwürdige alte Dame, ihr Leben lang unsterblich und unglücklich verliebt geblieben ist in diesen Börries von Münchhausen, den sie als blutjunges Mädchen im Jahr 1900 in Berlin kennenlernte, und vorwiegend um dessentwillen sie ihr ganzes Leben lang unverheiratet geblieben ist. Viele ihrer ergreifendsten Liebesgedichte, ja, vieles ihrer Dichtung überhaupt, wird aus dem Wissen um diesen Umstand leichter nachvollziehbar. Diese Liebe hat sie so sehr geprägt, daß sie auch ihren Alterssitz nach der Vertreibung aus Königsberg in Bad Nenndorf nahm, weil dies am nächsten zum Stammsitz seiner Familie lag, und obwohl - oder weil - sich Börries von Münchhausen 1945 das Leben genommen hatte.

Kurz vor seinem Selbstmord im April 1945 hatte Börries von Münchhausen übrigens noch gedichtet: "Die Sonne, die heute auf Deutschland scheint, die ist aus der Hölle gekommen ..." Damit hat sich dieser ungehobelte, rauhbeinige Dichter von dieser Welt verabschiedet. Nein, ein Heiliger ist auch er nicht gewesen ... Und deshalb behalten wir ihn so gern in Erinnerung. Ihn und seine "sechstausend schweren märkischen Reiter".

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Anmerkung:
Zu ergänzen wäre noch, daß sich das zitierte Gedicht "Die Hochzeit" bezieht auf das Buch "Eine Christliche Erklerung von dem rhum, ehr, lob und preis des heiligen Ehestandes ... zu Ehren dem Edlen gestrengen und Ehrenvesten Jungherrn Clawes von Münnichhausen ... und der edlen und vieltugendreichen Jungfrauen Urselen von Quitzowen ... auf ihren Hochzeitlichen Ehren- und Freudentag geschehen Anno Christi 1588 den 8. Juli (Rostock, Ferber d. Jüng.)".

Freitag, 29. Oktober 2010

"Vom Gotthard weht ein schlimmer Wind ..."

Schwarze Pädagogik: Systematische sexualisierte Gewalt gegen Kinder, ausgeübt durch Jesuiten

Auf Netzwerk B von Norbert Denef, dem "Netzwerk Betroffener von sexualisierter Gewalt", ist ein neuer Bericht von einem Schüler am Aloisiuskolleg in Bonn-Bad Godesberg der frühen 1960er Jahre veröffentlicht worden (NetzwerkB, 25.10.10), also einem der drei jesuitischen Elitegymnasien in Deutschland. Wie viele Berichte geht er noch davon aus, daß das Jahre lange wissentliche Dulden von Mißbrauchsfällen in der jesuitischen Erziehung nur deshalb stattgefunden hätte, damit der Orden nicht in einen schlechten Ruf kommen würde (eigentlich widersprüchliches Argument in sich).

Viel naheliegender hingegen ist - zumal auch nach Kenntnisnahme dieses Berichtes - wieder der Gedanke, daß der Orden es ganz bewußt zuließ, daß seine Schüler "zur Sünde" verleitet worden sind. Denn Menschen, die sündig geworden sind und sich so fühlen, lassen sich ja viel leichter von Priestern leiten als solche, die gar kein Sündenbewußtsein haben und auch keinerlei Anlaß dafür. All dies gehört zu den Prinzipien "Schwarzer Pädagogik". Es scheint sogar zu den Prinzipien der volkspädagogischen katholischen Einflußnahmen im Medienwesen zu gehören, wie schon verschiedentlich hier auf dem Blog gemutmaßt worden ist (Stichwort "Sacro pop").

Verantwortungslose christkatholische Eltern, verantwortungsloseste christkatholische Pädagogen

Im folgenden nun nur Auszüge aus dem Bericht, nur Auszüge, die sich vornehmlich auf die Reaktion der Ordensoberen auf die Empörung der Mutter des Schülers konzentrieren. Auch die Empörung der Mutter ist - alles in allem genommen - viel zu halbherzig geblieben - aus "Rücksicht" (!!!???) auf ihre beiden Neffen, die auch auf der Jesuitenschule waren:
(....) Die Dämonisierung des Weiblichen – nicht wenige meiner Schulkameraden hatten schwerste Schulstrafen bis hin zum Verweis zu erdulden, weil sie sich mit Mädchen auf dem Theaterplatz unterhalten haben sollten. (...)

Insgesamt bin ich in diesen Jahren wohl zwanzig Mal missbraucht worden, wobei ich die Wochenenden dabei als einen Vorfall zähle. Ich war im fraglichen Zeitraum 12 bzw. 13 Jahre alt. (...) Wie hätte man sich als Zwölfjähriger gegenüber einer erwachsenen Person wohl verhalten können, die eben noch der Religionslehrer gewesen war und den weißen Priesterkragen trug, der nun aber nackt vor mir unter der Dusche stand und (...) den ich zu allem Überfluss auch noch Duzen sollte, was mir überhaupt nicht gelang. Zudem war dieser Mann auch wegen seines unglaublichen Jähzorns und seiner Unberechenbarkeit bekannt, was mir besondere Angst machte.
"Jährzornige, unberechenbare Lehrer" - sie führen heute die katholische Lobby weltweit

Jährzornige, unberechenbare Lehrer, sollen das nicht auch andere deutsche Bischöfe, ja, der heutige Papst  und sein Bruder früher gewesen sein? ....
Meine Mutter, eine Godesberger Geschäftsfrau, die sich als Witwe eines Spätheimkehrers in der Welt durchaus zu behaupten wußte, sprach, nachdem ich mich offenbart hatte, sofort mit der Schulleitung, die damals aus Pater D. und Pater L. bestanden hatte. Dabei stellte sich zur großen Verwunderung, ja zum Entsetzen meiner Mutter heraus, dass sie den beiden Patres augenscheinlich nichts Neues überbringen konnte, denn sie schienen von den Taten etwas gewusst, zumindest aber etwas geahnt zu haben, hatten aber bis auf die spätere Versetzung (nach Tirol) nicht nur nichts unternommen, sondern ließen es zudem zu, dass Schüler des Kollegs weiterhin in Tirol mit dem Pater in Kontakt treten konnten.

Meine Mutter schien darüber besonders empört zu sein, liess aber aus ihrer christlichen Grundhaltung heraus die Dinge nun auf sich beruhen, zumal meine beiden älteren Vettern auch Schüler des Aloisiuskollegs waren und ihre Schullaufbahn durch rechtliche Schritte gegen die Kollegleitung unmöglich gemacht worden wäre. Vielleicht ist meine Mutter aber auch von den beiden Patres beschworen worden, von weiteren Verfolgung abzusehen, um sie ganz dem Orden und seiner Gerichtsbarkeit zu überlassen.

Ich selbst wurde freilich mehrfach ins Rektorenzimmer bestellt und, nach einer allgemeinen Gesprächseröffnung, deren blumige Allegorik und theologische Weitschweifigkeit ich nicht im mindesten begriff, bei Kakao und Keksen über die an mir begangenen Taten einvernommen.

Anschließend wurde mir eindrücklich empfohlen, über diese „schlimmen Dinge“ zu schweigen. (...)

Was mich damals schon als junger Mensch so empört hatte, war aber dies:

Der Pater hatte mit dem Ausleben seiner homosexuellen Neigungen gegen jenes Dogma verstoßen, das wir, die Zöglinge des Kollegs, bei strengsten Strafen zu glauben hatten und auch glaubten: Das Geschlechtliche an sich war sündig.

Dafür stand Aloysius von Gonzaga, dessen Heiligkeit nicht zuletzt darauf beruhte, dem spanischen Hofleben so gründlich entsagt zu haben, dass er bereits mit zehn Jahren das Gelübde der Keuschheit abgelegt hatte. Er war nicht nur der Namenspatron des Kollegs, sondern wachte auch als Marmorfigur in der Eingangshalle über die Einhaltung jener Regeln, die uns bei den gefürchteten Einkehrtagen, den sogenannten Exerzitien, von einem Pater P. gründlich eingeflößt worden waren.
"Die gefürchteten Einkehrtage, die Exerzitien ..."
Wer von uns Schülern gegen diese ehernen Regeln verstieß, also unkeusch war und Sünden, ja Todsünden beging, musste Kolleg und Internat über Nacht und ohne jede Gnade verlassen, auch wenn er nur als Sekundaner beim Tanztee in der Stadthalle mit – horribile dictu – Mädchen getanzt oder sich an der Bushaltestelle mit ihnen unterhalten hatte. Das Kolleg hatte überall Spione und glaubte grundsätzlich allen Zuträgern. Ständig forderten die Patres uns Schüler direkt oder indirekt auf, ihnen unser Wissen oder Halbwissen über Verborgenes und Verbotenes zu offenbaren.

Die schweren sexuellen Übergriffe des besagten Paters auf Schutzbefohlene und Minderjährige hingegen sind nicht nur unterschliffen, sondern von der Schulleitung offenbar auch deshalb über Jahre hingenommen worden, damit der Orden keinen Schaden nähme.

Der Schaden hätte darin bestanden, dass die religiösen Ziele der Gesellschaft Jesu durch eine Strafverfolgung und den damit verbundenen öffentlichen Skandal gefährdet hätten werden können.
"Das Kolleg hatte überall Spione und glaubte grundsätzlich allen Zuträgern"

Wenn es aber um Albernheiten wie die „Micky Maus“-Heftchen ging, scheuten sich die Jesuiten hingegen nicht, klar Stellung zu beziehen. So schreibt ein Pater H. im Ako-Heft 1960 über die amerikanischen Comics:

„Der verantwortungsbewußte Erzieher bewahrt ganz selbstverständlich seinen Schutzbefohlenen vor schlechten Kameraden. Er untersagt ihm auch den Umgang mit denen, die nicht bis ins tiefste Seelenleben hinein schlecht sind, die vielleicht nur wenige unedle Eigenschaften neben manchen guten haben, aber ihrer ganzen Veranlagung nach einen verderblichen Einfluss auf junge, unfertige Menschen ausüben können.“

Bei den eigenen Patres, den wirklich schlechten Kameraden, legte man freilich die moralische Messlatte wesentlich tiefer.

Insofern hatten wir, die missbrauchten Knaben, nicht nur das Unglück mit einem homosexuellen Jesuiten, der unsere Körper und Seelen jederzeit seinen Neigungen aussetzen durfte und dem als Individuum trotzdem vielleicht auch irgendwie zu verzeihen gewesen wäre, sondern auch – und vor allem – mit einer infamen jesuitischen Casuistik, die offenbar das Wohl des Ordens und seiner Ziele über das setzte, was als zivilisatorischer Standard in unserer Gesellschaft auch bei der Societas Jesu hätte gelten müssen.

Die Frage, ob mein Missbrauch und der anderer Knaben zu verhindern gewesen wäre, wenn die Kollegleitung gleich nach einem ersten Hinweis auf die Übergriffe die entsprechenden Konsequenzen gezogen hätte, ist wohl eher eine rhetorische:

Ja, natürlich, das hätte die Schulleitung tun müssen.

Sie allerdings hat es vorgezogen, uns, die ihnen anvertrauten Knaben, an höhere Ziele (oder vielmehr an das Zerrbild von höheren Zielen) zu verraten.
"Kein ernsthafter Wille" vorhanden, die Gewalt abzustellen - im Gegenteil

Und dann der deutlichste Hinweis:
Dass die Schulleitung des Aloisiuskollegs seinerzeit keineswegs ernsthaft vor hatte, dass Problem für die betroffenen Schüler zu einer endgültigen Lösung zu bringen und jeden möglichen neuen Missbrauch zu unterbinden, beweist ein Eintrag in der Ako-Chronik. Ein Jahr, nachdem das Ako den ND-Pater endlich und viel zu spät wegen seiner Übergriffe in die Tiroler Berge verbannt hatte, gab es an prominenter Stelle im Akoheft 1962/2 seine neue Adresse sozusagen als Einladung zur Kontaktaufnahme an.

Der offenbare Verrat der Jesuiten an Kindern um der hohen Ordensziele wegen wiegt für mich besonders schwer, weil er sich als Erfahrung wie Mehltau über mein eigenes Leben gelegt und Spuren genug in meinem Umgang mit Menschen hinterlassen hat. Von meinem Christentum ist seit jenen Tagen auch nicht mehr viel übrig geblieben.(...)
Unglaubliche Zustände. Wie sehr müssen Johannes Scherr, Ferdinand Freiligrath oder Gottfried Keller recht gehabt haben. Und Otto von Bismarck, als er den Jesuitenorden in Deutschland verbot. Und warum hört man immer noch nicht auf all diese weisen Menschen: "Vom Gotthard weht ein schlimmer Wind ..."

Donnerstag, 28. Oktober 2010

Große Ehre!

Der bislang inhaltlich bedeutendste Beitrag zur Sarrazin-Debatte

Dieser Blog hat die Ehre, den bislang besten und bedeutendsten wissenschaftlichen Sachbeitrag zur Sarrazin-Debatte (1) der Netzgemeinde verfügbar machen zu können (--> Academia.edu). Es handelt sich um einen Aufsatz des Anthropologen und Historikers Andreas Vonderach (Bild rechts) (a, b). Dieser neue Aufsatz ergänzt und erweitert die von ihm in letzter Zeit erschienenen Netzbeiträge (2 - 5) noch einmal bedeutend.

In diesem neuen Aufsatz kommt der Paradigmenwechsel hinter den naturwissenschaftlichen Sachargumenten von Thilo Sarrazin in jener Breite und Dichte zur Darstellung, wie das bislang zumindest in deutscher Sprache noch an keiner anderen Stelle geschehen ist, wie das aber allein als dem Gegenstand angemessen erachtet werden kann.

Solche Aufsätze sollten jetzt eigentlich in der FAZ, in der "Zeit", im "Focus" oder im "Spiegel" erscheinen, damit Gelegenheit gegeben wird, die von Thilo Sarrazin angestoßene wissenschaftliche Sachdebatte niveauvoll fortführen zu können. Und zwar eben nicht nur im Elfenbeinturm der Wissenschaft, wo sie sowieso schon seit Jahrzehnten stattfindet. Insbesondere Menschen wie Frank Schirrmacher möchte man diesen oder ähnliche Aufsätze dringend ans Herz legen.

Wichtige Aspekte dieses Paradigmenwechsels hinsichtlich des Themas "Are we still evolving?", bzw. des Themas "Jüngste Selektionsereignisse im menschlichen Genom", sind übrigens von fast allen großen Tages- und Wochenzeitungen in den letzten Jahren immer wieder einmal aufgegriffen worden (Beispiel: Focus, 31.1.2006).

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  1. Vonderach, Andreas: Die Sache mit den Genen. In: Sezession, Sonderheft Sarrazin, Herbst 2010
  2. Vonderach, Andreas: Der „Verband Biologie, Biowissenschaften & Biomedizin in Deutschland“ (VBiO) hat grundlegende genetische Zusammenhänge falsch verstanden. Auf: Sezession im Netz, 6.9.2010
  3. Vonderach, Andreas: Sind Verhalten und Intelligenz genetisch begründbar? (Präzisierung zu Äußerungen Sarrazins). Auf: Sezession im Netz, 2.9.2010
  4. Vonderach, Andreas: Haben Völker eine genetische Identität? (Präzisierung zu Sarrazins Äußerung). Sezession im Netz, 30.8.2010
  5. Vonderach, Andreas: Herausforderung Soziobiologie. In: Sezession, Februar 2009

Dienstag, 26. Oktober 2010

Jesuiten für Völkerverständigung

"Wir begrüßen die Globalisierung"

Jetzt wird so langsam klar, warum die Jesuiten den von ihnen seelisch geschädigten und gemordeten Jesuitenschülern nicht in ähnlich umfangreicher Weise helfen können - und wollen -, wie ihren eigenen Ordensmitgliedern, wenn diese psychische Probleme haben oder dazu neigen, anderen psychische Probleme zu bereiten. Der Jesuitenorden braucht das Geld, um damit "höheren Zielen" zuzustreben, um - z.B. - einen neuen "Lehrstuhl für Völkerverständigung" einzurichten (a, b, c, d). 

Die Migranten- und Islam-Debatte in Deutschland und der Welt hätte gezeigt, so der Jesuit Michael Bordt heute abend im "Deutschlandradio" (Danke an einen Leser für den Link ---> dradio.de), daß sich die Kulturen untereinander noch nicht genug verstehen würden.  Und der Jesuitenorden wäre für Völkerverständigung insbesondere geeignet und würde sich auch über die Globalisierung freuen, weil er ja selbst weltweit tätig wäre: "Wir begrüßen die Globalisierung."

Trifft sich ja gut, daß wir im Zeitalter der Globalisierung den Jesuitenorden haben, und daß er jetzt endlich die moralische Integrität gewonnen hat, um anderen Moral predigen können.

Mittwoch, 13. Oktober 2010

Mit dem i-Pod in den Weltraum

Das ist ein völlig irres Video (über Andreas Müller, über P.Z. Myers):



Ein New Yorker läßt einen i-Pod an einem Fallschirm über die Erdatmosphäre hinaussegeln. Dort zerplatzt der Schirm und der i-Pod landet nur wenige Kilometer entfernt wieder auf der Erde. Und das alles aufgenommen auf Video!

Dienstag, 12. Oktober 2010

Ein moderner Mensch im Hochmittelalter

Die Frage nach dem Menschlichen im Naumburger Dom ...

Der Naumburger Meister ist einer der bedeutendsten Künstler des Hochmittelalters (a, b, c, d). Er lebte um 1250. Im nächsten Jahr 2011 wird es in Naumburg eine Landesausstellung des Landes Sachsen-Anhalt mit dem Titel "Der Naumburger Meister - Bildhauer und Architekt im Europa der Kathedralen" geben (a, b):
Der weltberühmte Naumburger Meister und dessen Werkstatt sind trotz ihrer überragenden kunsthistorischen Bedeutung bislang noch niemals Thema einer großen Ausstellung gewesen. (...) Im Rahmen der Landesausstellung 2011 wird den Besuchern also zum ersten Mal die Möglichkeit gegeben, einen Überblick über die bildhauerischen und architektonischen Werke zu erhalten, die mit dem Naumburger Meister in Verbindung gebracht werden.
Unter anderem schuf der Naumburger Meister das Abendmahlsrelief im Westlettner des Naumburger Domes (a, b, c). Von diesem Kunstwerk im folgenden ein paar Beispiele:


Abb. 1: Der Westlettner im Naumburger Dom mit dem Abendmahlsrelief

Abb. 2: Ausschnitt aus dem Abendmahlsrelief im Naumburger Dom:
Jesus gibt Judas das Brot

Das Thema des Abendmahlsreliefs im Naumburger Dom ist das Thema Schuld. Der Naumburger Meister scheint dies ähnlich zu behandeln wie 300 Jahre später Tilman Riemenschneider in seinen Abendmahldarstellungen.

Die Dargestellten scheinen zu fragen: Hätte nicht auch ich an der Stelle des Judas schuldig werden können und einen gottnahen Menschen verraten können? - Warum er und nicht ich? Das ist die tiefernste Frage, die sich Menschen stellen, wenn sie erleben, wie andere sich nicht mehr ihren vormaligen Wertvorstellungen entsprechend entscheiden. Sie richten die Frage nach innen, zu sich selbst. Es gibt keinen Vorwurf gegen den, der schuldig geworden ist. Für kleinliche Vorwürfe ist die Schuld bei eklatanten Entscheidungen viel zu groß.

Abb. 3: Ausschnitt aus dem Relief am Westlettner des Naumburger Doms

Die Frage ist: Wie geht der Einzelmensch mit Schuld um? Sowohl mit der eigenen Schuld, als auch mit der Schuld anderer.




Jesus vor Pontius Pilatus, der seine Hände "in Unschuld" wäscht

Der "Mainzer Kopf mit der Binde", höchstwahrscheinlich ein Werk des Naumburger Meisters

Über den Heiligblutaltar von Tilman Riemenschneider in Rothenburg ob der Tauber erfahren wir ähnliches (a, b), wie über den Naumburger Westlettner:
Die zentrale Figur ist Judas, nicht, wie sonst üblich, Jesus selbst. Judas und Jesus haben überdies eine erstaunliche Ähnlichkeit in den Gesichtszügen.
Die grundlegende Frage, die auch von dem Künstler Tilman Riemenschneider erörtert wird, ist die Frage: Kann nicht auch ich Jesus verraten ebenso wie Judas? Allgemeiner übersetzt: Kann nicht auch ich das Göttliche verraten so wie Judas das Göttliche verraten hat (zumindest nach Deutung des christlichen Glaubens)? - Warum er und in diesem Falle nicht ich?

Freitag, 8. Oktober 2010

Sarrazin und etwaige gruppenevolutionäre Strategien des intelligentesten Volkes auf Erden - heute

Auf dem Blog "Feuerbringer, Aufklärung 2.0" hat Andreas Müller gestern abend folgende Grafik veröffentlicht und erläutert:
Zu dieser Grafik haben wir dort eben gerade kommentiert:
Kevin MacDonald hätte mit dieser Grafik keine Probleme.
Wozu dienen Ideologien, politische Strategien, Religionen? Sind die innersten Antriebskräfte derselben – so wie Jahrzehntausende in der Humanevolution – etwa ethnozentrische oder quasi-ethnozentrische Interessen?
Dieser Möglichkeit gehen Soziobiologen wie Kevin MacDonald, David Sloan Wilon und andere nach.
MacDonald etwa interpretiert viele moderne westliche Strategien nicht zuletzt als gruppenevolutionäre Strategien des intelligentesten Volkes auf Erden, um ALS Minderheit in Mehrheitsgesellschaften und eben ALS diese intelligenteste Population über viele Jahrhunderte hin überleben zu können, und um dazu ethnozentrische Strategien anderer Völker zu unterlaufen. Diese Strategie würde dann sehr flexibel, anpassungsfähig, ja, „weise“ verfolgt werden.
Und TEIL dieser Flexibilität und Weisheit könnte es neuerdings auch sein, daß der Zentralrat der Juden in Deutschland nicht gegen „Spiegel“ und „Bild“ wettert, weil sie mit Sarrazin ein neues Thema in der öffentlichen Auseinandersetzung ganz oben angesiedelt haben (quasi dem Establishment eine Diskussion aufgezwungen haben, die es selbst gar nicht führen will), und daß der israelische Botschafter und zahlreiche jüdische Intellektuelle neuerdings sagen, Sarrazin dürfe man nicht tabuisieren.
So ähnlich argumentierten 2006 auch die „Anti-Defamation League“ und viele jüdische Intellektuelle in den USA in einer bemerkenswerten, überraschenden Wendung, als in der „New York Times“ und im „Economist“ dem Erscheinen des Aufsatzes „Natural History of Ashkenazi Intelligence“ eine überdurchschnittliche öffentliche Aufmerksamkeit geschenkt wurde.
2010 und 2006 VÖLLIG andere öffentliche Reaktionen als die Reaktionen auf das Erscheinen von „The Bell Curve“ im Jahr 1994. Das scheint auf großer Intelligenz zu beruhen.
- - - Und was geschah zwischen 1994 und 2006, bzw. 2010? Die "Mondlandung" in der modernen Humangenetik. Die vollständige Sequenzierung des menschlichen Genoms und der Paradigmenwechsel, der sich daraus ergeben hat und noch weiter ergeben wird.
Jüdische, der Naturwissenschaft nahestehende Intellektuelle wie Steven Pinker, Marek Kohn, ja, im deutschsprachigen Raum sogar Robert Misik (TAZ) haben auf diesen Paradigmenwechsel quasi „in Echtzeit“ reagiert, während die große Mehrheit der sonstigen Intellektuellen noch mit sonnigem Gemüt im Tiefschlaf liegt. (Frank Schirrmacher freilich hat schon unruhige Träume und wälzt sich im Schlaf …)
Stephan J. Kramer, Zentralrat der Juden

Diese Worte seien hier noch kurz mit einigen Literaturnachweisen untermauert (1 - 5). Wie schon gesagt, hat der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan J. Kramer, keineswegs gegen die Bildzeitung oder gegen den Spiegel gewettert. Und es wurde zumeist bislang übersehen, daß sich Kramer schon am 17. September (auch) auf Sachargumentation in der Sarrazin-Debatte eingelassen hat, und zwar nicht auf die allerdümmste Weise (4):
Wenn beispielsweise die Araber vom Schicksal mit einem so niedrigen Entwicklungsstand geschlagen wären, wie Sarrazin erkannt zu haben glaubt (gemeint ist hier: genetisch mitbestimmten), hätten sie vor eintausend Jahren keine blühende Zivilisation mit hoch entwickelter Wissenschaft und Philosophie entwickelt, von deren Früchten die angeblich überlegene Zivilisation Europas bis heute zehrt.
Solche Fragen sind es in der Tat, die bislang von der Intelligenzforschung noch nicht ausreichend haben geklärt werden können. Da ist die Forschung mitten im Fluß. Und Kramer geht sogar noch weiter, wenn er sagt:
Gewiss, Genetik ist ein interessantes und legitimes Gebiet der Wissenschaft.
Und:
Es ist legitim, nach einer Erklärung für die Tatsache zu suchen, dass Juden in vielen Ländern zu den erfolgreicheren Bevölkerungsgruppen gehören.
Yoram Ben-Zeev, israelischer Botschafter

Seine Quintessenz, daß Sarrazin alles "plump" aufs Erbgut reduzieren würde, ist demgegenüber gar nicht mehr von so großer Wichtigkeit. - Als noch viel bedeutender aber wird man einschätzen müssen, was zwei Tage später der israelische Botschafter in Deutschland Yoram Ben-Zeev sagte (5):
Allerdings bin ich schon erstaunt darüber, wie heftig diese Auseinandersetzung geführt wird. Offenbar hat Sarrazin ein Thema getroffen, das den Menschen hier auf der Seele brennt. Seine Aussagen sind provozierend, aber auch interessant.
Auch er spricht nicht darüber, daß eine solche Debatte erst einmal durch Zeitungen wie den "Spiegel" und "Bild" sehr bewußt "gesetzt" werden müssen. Oft sind die Dinge, über die nicht gesprochen wird, die interessantesten. Man wird vielleicht so weit gehen können zu sagen: Wenn "Spiegel" und "Bild" auch nur ansatzweise hätten erwarten können oder müssen, daß der israelische Botschafter oder der Generalsekretär des Zentralrats auf ihre Themensetzungen schärfer reagieren würden, als sie es hier getan haben, daß sie dann diese Themen gar nicht erst gesetzt hätten. Man darf also wohl schon zumindest schweigende Übereinkünfte im Vorfeld voraussetzen.*)

Ja, der israelische Botschafter geht sogar noch weiter. Er gibt deutschen Politikern sogar Ratschläge, auf die sie doch sonst immer so gerne hören - warum ausgerechnet diesmal nicht?:
Ich habe mich darüber mit SPD-Chef Sigmar Gabriel unterhalten. Auch mit Hannelore Kraft, der Ministerpräsidentin von NRW. Das waren interessante Gespräche. Ich will da keine Empfehlung abgeben, das steht mir nicht zu. Ich kann nur betonen: Ein Klima offener Debatte ist die beste gesellschaftliche Medizin.
Andere jüdische Intellektuelle, die fordern, man dürfe Sarrazin nicht tabuisieren, bzw., die sagen, ein Mann wie Sarrazin wäre in Israel einer der letzten, der dort tabuisiert würde, sind - ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Henry M. Broder, Ralph Giordano, André Herzberg, Yoav Sapir, Edo Medicks (1).

Hans-Ulrich Wehler

Daß sich unter solchen Umständen dann auch Hans-Ulrich Wehler herbeiläßt und die Debatte begrüßt (6 - 8), ist dann schon kaum noch verwunderlich. Fehlt ja nur noch unser herzallerliebster Staatsphilosoph Jürgen Habermas. Aber der muß wohl seit er den Peter Sloterdijk wegen seines "Menschenparkes" so hart angefahren hat, in der Schmollecke sitzen bleiben, wenn er wenigstens einigermaßen glaubwürdig bleiben will. (Am Vergleich der Menschenpark-Diskussion von 1997 mit der heutigen Sarrazin-Debatte wird übrigens gut deutlich, was sich zwischenzeitlich schon verändert hat.)

Nachtrag: Von ähnlichen Leuten können aber auch sehr unterschiedliche Dinge geäußert werden (s. Yoav Sapir).

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*) Kai Diekmann könnte angelegentlich irgendeines sonstigen Gespräches angedeutet haben: "Wir werden Auszüge des neuen Sarrazin-Buches im Vorabdruck bringen, bin mal gespannt, was dabei herauskommt." - Und er könnte als Antwort erhalten haben: "Naja, wenn euch sonst weiter nichts einfällt ..." Und das könnte ihm schon gereicht haben als Antwort und Ermutigung.

1. Waldrich, Hans-Peter: Israel: Großes Lob für Sarrazin! der freitag, 30.8.2010
2. Noll, Chaim: Grundwissen des Judentums. In: FAZ, 3.9.2010 (auch: hier)
3. Felizitas Küble: Jüdische Schriftsteller nehmen Sarrazin in Schutz. Israel Info Presse, 8.9.2010
4. Kramer, Stephan J.: Vorsicht, Rassismus. Versuche, Völker durch ihr Erbgut zu „erklären“, sind ein gefährlicher Wahn. In: Zukunft, 10. Jahrgang Nr. 9 / 17. September 2010
5. Jan-Eric Peters und Claus Christian Malzahn: Der israelische Botschafter stärkt Thilo Sarrazin. In: Welt am Sonntag, 19. September 2010
6. Kaube, Jürgen: Wehler verteidigt Sarrazin. Parteiausschluss undenkbar. In: FAZ, 8.10.2010
7. Im Gespräch: Hans-Ulrich Wehler Sarrazin und die Bildungskatastophe. In: FAZ, 9.10.2010
8. Wehler, Hans-Ulrich: Ein Buch trifft ins Schwarze. In: Die Zeit, 9.10.2010

Sonntag, 3. Oktober 2010

"Sie leiten den großen Paradigmenwechsel ein, Herr Sarrazin," sagt Frank Schirrmacher

Schirrmacher interviewt Sarrazin

Als Einleitung drei aktuell wichtige Bücher ...


... alle in der Signalfarbe rot.

- - - Frank Schirrmacher hat vorgestern in der FAZ ein deutlich weiterführendes Gespräch mit Thilo Sarrazin veröffentlicht. Darin sagt Schirrmacher:
Jetzt, wo die Leute das Buch überhaupt erst lesen, beginnt eine neue Phase der Rezeption. Viele, das merke ich täglich, verstehen meine Einwände nicht. (...)
Diese Einwände von Schirrmacher verstand dieser Blog auch nicht (siehe frühere Beiträge). Um so schöner, diese Worte nun auch aus Schirrmachers Mund selbst zu hören! Sehr schön! Aber Schirrmacher weiter zu Sarrazin:
Eine der leider von der Kritik gar nicht beachteten Passagen Ihres Buches findet sich ganz am Anfang. Dort sagen Sie: Sie hätten genau das Gegenteil schreiben können. Sie wissen, wie das geht. Denn Sie haben Jahrzehnte – seit dem Arbeitsminister Herbert Ehrenberg – der politischen Klasse gedient und mussten dafür sorgen, dass Ihre Chefs politisch überleben. Ich finde das fast einen Satz für die Geschichtsbücher.
"Einen Satz für die Geschichtsbücher"

Ein Satz für die Bücher über die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Ja. In der Tat. Das findet allerdings dieser Blog auch. Auch ihm ist dieser Satz aufgefallen. Absolut schrecklich, wie Politische Korrektheit Menschen korrumpiert. Absolut schrecklich. Sarrazin selbst hat sich Jahrzehnte lang korrumpiert. Kein Wunder, daß ein korrumpierter Mensch nicht mit einem Schlag, mit einem Buch alle Korruptheit ablegen kann. Aber schon der Versuch selbst ist lobenswert. Und deshalb ist sein Buch ein Buch des Übergangs, nur ein Buch des Übergangs - aber immerhin. Schirrmacher weiter:
Und ich frage mich: Was haben Sie eigentlich die ganze Zeit getan, wenn Sie das wussten?
Na, wie Sarrazin darauf antwortet, kann sich jeder an allen seinen zehn Fingern selbst abzählen: Vielleicht, weil er seinen Job nicht verlieren wollte? Nur mal so ganz blöd gefragt. Wer verliert schon gerne seinen Job? Nicht wahr?

Ja, das ist ein sehr, sehr wichtiges Interview. Auch Frank Schirrmacher bessert sich zunehmend in Bezug auf die Äußerung seines Problembewußtseins hinsichtlich des Buches von Thilo Sarrazin.
Lassen Sie uns über das achte Kapitel reden, in dem Sie meiner Meinung nach den großen Paradigmenwechsel einleiten. Eine soziale Frage wird biologistisch beantwortet – das beginnt bei der Fertilität bestimmter Schichten, geht über in die Vererbung von Individuen und Ethnien und greift dabei auf die Idee einer „Zuchtwahl“ zurück. Wir kennen diese Debatte aus einer Ihrer wesentlichen Quellen, dem Buch „The Bell Curve“.
Sarrazin antwortet darauf ganz und gar angemessen - und im Grunde hätte Schirrmacher genauso auch selbst schon von Anfang an argumentieren müssen, da er ja weiß, wie auf diesem Gebiet zu argumentieren ist:
Biologismus meint, dass Soziales auf Biologisches oder meinetwegen Genetisches reduziert wird. Das lehne ich ab. Mich interessiert das Zusammenspiel von „Nature“ und „Nurture“, von Angeborenem und Umweltfaktoren.
Gunnar Myrdal und Gerhard Mackenroth - beide Sozialreformer wurden durch den Idealismus und den Aufbruchgeist der Jugendbewegung geprägt ...

Lange wird gesprochen über den schwedischen Sozialreformer und Nobelpreisträger Gunnar Myrdal. Dazu wäre die nicht uninteressante Anmerkung zu machen, daß der bedeutendste deutsche Bevölkerungswissenschaftler und Sozialreformer des 20. Jahrhunderts, Gerhard Mackenroth mit dem Ehepaar Myrdal seit den späten 1920er Jahren, seit den Studienjahren befreundet war. Beide stammen aus der Jugendbewegung. Myrdal wurde Sozialdemokrat, Mackenroth 1933 Nationalsozialist (was das Ehepaar Myrdal nicht verstehen wollte). Hätten sie jeweils im anderen Land gelebt, möchte man mutmaßen, daß Mackenroth Sozialdemokrat und Myrdal Nationalsozialist geworden wäre. Beide haben wesentliche Lebensleistungen erst nach 1945 erbracht. Insgesamt ein ganz spannendes Thema (siehe andere Beiträge auf "Studium generale" zu Gerhard Mackenroth).

... und von monotheistischen Lobby's bis heute ausgebremst

Sehr wesentlich erscheint in diesem Zusammenhang, daß das Wort von Konrad Adenauer "Kinder bekommen die Leute von allein" gesprochen wurde im Zusammenhang mit der Zurückweisung der Vorschläge Gerhard Mackenroths zu einem modernen Familienlastenausgleich, wie er auch heute von vielen vernünftig denkenden Menschen (etwa von der Familienpartei Deutschlands) gefordert wird. Es waren monotheistische Kräfte rund um Adenauer, die seit 60 Jahren zu dem Reformstau auf dem Gebiet der Bevölkerungspolitik beigetragen haben, der durch die allerchristlichste Politik unserer Ursula von der Leyen und ihrer allseitigen Förderung von frühkindlicher "Kollektiverziehung" nur noch verschärft wurde.

Gunnar Myrdal war zudem Berater des großen Sozialdemokraten Olof Palme, der mit aller Wahrscheinlichkeit nach in ähnlichen politischen Zusammenhängen ermordet wurde wie Uwe Barschel, sprich vom israelischen Geheimdienst Mossad.

"Über sieben Brücken mußt du gehen, Frank Schirrmacher ...."

An späterer Stelle sagt Frank Schirrmacher:
Oder, und auch das halte ich für möglich: Ihr Buch ist eine Zäsur und ein Geschichtszeichen dafür, dass wir Thesen nicht mehr dahingehend diskutieren, wohin sie historisch geführt haben.
Schirrmacher muß noch über sieben Brücken gehen, bis er ganz bei der Sachdebatte selbst angekommen ist. Man verfolgt mit mancherlei Interesse sein kindliches Verwundern darüber, wie sich alle Vorzeichen des politischen Diskurses derzeit verschieben. Vor allem sein unausgesprochenes Verwundern darüber - offenbar -, daß dieser Verschiebung der Vorzeichen von bestimmten Lobby's nicht mehr in der alten Vehemenz widersprochen wird. (Warum diese alten Lobby's heute so handeln, dazu werden wir demnächst hier auf dem Blog noch ein paar Thesen vorschlagen. Kurz gefaßt: Sie könnten sich vor "Zornbanken", vor Wechselbeziehungen zwischen "Zorn und Zeit" fürchten ...) - Sarrazin sagt unter anderem:
Wir haben in Deutschland 1,4 Millionen Fünfundvierzigjährige, weniger als eine Million Zwanzigjährige, 650.000 Null- bis Einjährige und davon einen wachsenden Anteil aus bildungsfernen Schichten - wie soll das funktionieren?
- Peter Mersch meldet sich übrigens in den Leserkommentaren zu Wort. (Auch im Handelsblatt gibt es interessante neue Äußerungen von Thilo Sarrazin.)

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(4.10.10: Dieser Beitrag konnte erst nach und nach fertiggestellt werden, da es schwer ist, mit einem Neugeborenen auf dem Arm mit zwei Händen zu schreiben ... - So viel übrigens als Lösungsvorschlag zur deutschen demographischen Krise und des deutschen Facharbeitermangels ...)

Freitag, 1. Oktober 2010

Sarrazin verdoppelt unsere Leserzahl

"Gesellschaftlicher Aufbruch - jetzt!" - damit Deutschland sich nicht abschafft

Wie schon angekündigt und voraussehbar, hat die Sarrazin-Debatte für diesen Blog ganz grob eine Verdoppelung der durchschnittlichen monatlichen Besucherzahlen (der letzten sechs Monate) mit sich gebracht. Will heißen: Wir haben steigende Besucher- und Leserzahlen - aber gleichbleibende oder sinkende Zahlen von Leuten, die kommentieren. - Warum auch immer.

Der Sarrazin "rockt" in jedem Fall noch viel mehr als die Kindermißbrauchsfälle der Jesuiten im Februar. Das ist gut so.

Aber, Achtung: Über 2.600 monatliche Besucher lächelt man bei "renommierten" Sciencebloggern bloß müde. Deshalb, Leute, Leser: Wenn Ihr meint, daß dieser Blog ein bischen was Vernünftigeres und Sinnvolleres tut, als das, was die überwiegende Mehrheit der Blogger auf den beiden renommierten deutschen Scienceblog-Portalen tun, oder die Blogger auf katholisch-konservativen Blogportalen wie Sezession.de, dann: kommentiert, zitiert, verlinkt, macht Werbung, müllt die kleinen und großen Online-Redaktionen voll mit dem Hinweis, daß sie diesen Blog lesen sollen und - günstigstenfalls den Bloginhaber dieses Blogs zum Chefredakteur ihrer Online-Redaktionen ernennen sollen. - Vielen Dank für Eure Bemühungen im Voraus!

Betet, lärmt und zündet Kaufhäuser an*), bildet Lichterketten: Damit Deutschland sich nicht abschafft.

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*) - Spaß! Das bitte nicht tun ... Aber Tomaten dürft ihr werfen auf Merkel, Wulff, Gabriel und Co.. Tomaten sind erlaubt. Möglichst matschige, daß ihnen das Trommelfell nicht platzt - es aber dennoch angemessen aussieht.