Freitag, 31. Dezember 2010

Sarrazin für Anfänger - Schlüsseltexte

Sarrazin für Anfänger: Schlüsseltexte (chronologisch)

Sarrazin - "Eine völlig neue politische Debatte ..."

Daß eine solche Debatte kommen mußte, wie jene, die im Frühherbst 2010 durch Thilo Sarrazin zumindest in der Sache angestoßen worden ist, bzw. daß ein solches "Geschichtszeichen", wie Norbert Bolz damals sagte, gegeben werden würde, daß auf den "Paradigmenwechsel", wie ihn Frank Schirrmacher nannte, irgendwann jemand öffentlichkeitswirksamer hinweisen würde - früher oder später -, das ist diesem Blog 2006 klar geworden. Und er befaßt sich deshalb spätestens seit 2006 mit den diesbezüglichen wissenschaftlichen und bioethischen Fragen. Sie sind letztlich Ausfluß der Überbrückung des "Wissenschaftsgrabens" zwischen Geistes- und Naturwissenschaften, der schon lange von Denkern wie Edward O. Wilson vorausgesehen worden ist (vgl. "Einheit des Wissens").

Nämlich, wie Frank Schirrmacher gleich zum Beginn der Sarrazin-Debatte feststellte ("Ein fataler Irrweg", FAZ, 30.8.10):
... eine völlig neue politische Debatte (...), die im Kern biologisch und nicht kulturell argumentiert.
Dazu ist natürlich zu präzisieren, um Mißverständnisse auszuschließen: Die im Kern nicht mehr nur kulturell argumentiert, sondern unser Wissen um die biologische Bedingtheit aller menschlichen Kultur in vollem Umfang auch bei politischen Entscheidungen und bei der Gestaltung von gesellschaftlichen Stimmungen mitberücksichtigt.




Frank Schirrmacher hat recht: In mancherlei Hinsicht wird dieser Paradigmenwechsel "atemberaubende" Folgen haben. Und es ist in unsere Verantwortung gelegt, ob sich daraus atemberaubend positive oder atemberaubende negative Folgen ergeben werden.

[In diesem Beitrag wird dokumentiert, was bislang - vom Herbst 2010 - bis 18. April 2014 - in der rechten Randleiste des Blogs "Gesellschaftlicher Aufbruch - jetzt!" eingestellt war. Da jetzt dort neue Themen und Debatten dazukommen - etwa alles rund um die Montagsdemos von Lars Mährholz ("Friedensbewegung 2.0", von Kritikern auch "Völkische Friedensbewegung" genannt) - wird dieser Teil nun als allgemeiner Blogbeitrag eingestellt.]

Donnerstag, 30. Dezember 2010

E. R. Carmin "Das Schwarze Reich"

Auch tibetische Mönche machen sich über die europäische Geschichte Gedanken

Der Dalai Lama in Tibet mit roter Mütze
Zum Beispiel Rabindranath Tagore 1921

1921 besuchte der indische Dichter Rabindranath Tagore Deutschland. Zu dem geschichtlichen Schicksal, das Deutschland damals wiederfahren ist, ließ er unter anderem folgende Worte veröffentlichen:
In unseren Schriften ist ausgesprochen, dass es drei Wege gibt, das Unendliche zu realisieren gemäß den individuellen Temperamenten. Nämlich durch Wissenschaft, durch Liebe, durch Handeln. Die Pfade dahin sind Philosophie, Religion, Wissenschaft. (...) Falsche Philosophie, falsche Religion, falsche Kunst haben über uns unermessliches Unglück ergossen. Es war die Mission Europas, die Ära des Karma Hoga [richtig: Yoga] heraufzuführen, die Vollendung der Seele durch die Tat. Aber es kam die Versuchung, durch Handeln die Vollendung des eigenen Selbst zu erstreben. Europa hat gelitten, und die Welt wartet gespannt darauf, zu sehen, ob es aus seinen Leiden lernt. Wenn es die Bestimmung Deutschlands ist, den Leidensweg bis zum Ende zu durchschreiten, um der modernen Zeit Sünde willen, und wenn es rein und stark daraus hervorgeht, wenn es das Feuer entzündet hat, als ein Licht auf dem Pfade in eine große Zukunft, zum Aufschwung der Seele zu wahrer Freiheit, dann wird Deutschland in der Geschichte der Menschheit gesegnet.
Ich trage mit mir die herzliche Gastfreundschaft Ihres Volkes und Ihres Landes, und ich hinterlasse Euch meine Liebe und mein Mitgefühl. Rabindranath Tagore
Auch der deutsche Dichter Ludwig Thoma vernahm diese Botschaft und antwortete in brüderlicher Liebe:
Ina' unserer heiligen Schrift ist ausgesprochen, dass der Mensch zum Arbeiten auf der Welt ist. Das ist der vierte Weg, den es gibt, damit der Einzelne und ein ganzes Volk gesund bleibt. Vom Spintisieren der Brahminen kommt nichts heraus, als dass ein Volk von 300 Millionen die feigen Sklaven einer englischen Handelsgesellschaft geworden sind, und dass im reichsten Land der Welt jährlich Hunderttausende an Hunger sterben, weil sie zu faul sind zum Arbeiten.

Indien leidet und die Welt wartet gespannt darauf, ob es aus seinen Leiden lernt.

Wenn Sie daheim das Karma Hoga, den Zustand, dass man sich das Essen verdient, herbeigeführt haben, Herr Tagore, dann kommen Sie wieder nach Berlin und Darmstadt zu den spinnenden Hanswursten, dass Sie miteinander Huropa glücklich machen.

Ich hinterlasse Euch mein Mitgefühl und ein abgefieseltes Huhn auf Reis.

Bfüat di Gott Tagore mit deine langen Hoore!
So primitiv, brutal und ungeistig konnte es aus einem Ludwig Thoma herausbrechen. Der es einfach nicht begreifen wollte, was seit 1918 mit Deutschland geschehen war. .... Und all das geschah - - - "bevor Hitler kam".

*****

Das Lesen des Buches "Das Schwarze Reich - Geheimgesellschaften und Politik im 20. Jahrhundert" von E. R. Carmin, zuerst erschienen 1994, das einem aus dem Bekanntenkreis heraus schon vor Jahren empfohlen wurde, und das man jetzt erneut liest, um die merkwürdigen personellen Kontinuitäten in Deutschland über die Jahre 1933, 1945 und 1989 hinweg besser verstehen und einzuordnen zu können (siehe frühere und künftige Beiträge), weckt in einem sehr widersprüchliche Gefühle. So kann man zum Beispiel sagen, daß das letzte Drittel des Buches, das die Zeit ab 1945 behandelt (ab Seite 385: "Das Haus der Neuen Ordnung") zwar wie auch sonst immer ein wenig zu weitschweifig, aber zugleich auch sehr informativ und detailreich geschrieben ist, da es auf einigen wichtigen zitierten, wissenschaftlichen, zeithistorischen, seriösen Arbeiten fußt, die wohl zumeist noch nicht genug Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit gefunden haben.

Etwa die Arbeiten der Autoren Mark Arons und John Loftus ("Unholy Trinity - The Vatican, the Nazis and Soviet Intelligence", 1992), Bernt Engelmann (1973, 1977, 1982), Caroll Quigley (1966), Jürgen Roth ("Die Mitternachtsregierung - Wie westliche Geheimdienste internationale Politik manipulieren", 1992) und vor allem Steward Steven ("Sprengsatz - Die Operation Splinter Factor der CIA", 1975). Die letztere Arbeit führt aus, daß der CIA nach 1945 nationalkommunistische, von Moskau hinweg gravitierende Bestrebungen innerhalb des Ostblocks Stalin gegenüber zu diskreditieren versuchte, den Stalin'schen Verfolgungs- und Unterdrückungsapparat zu provozieren versuchte, um die Fronten beiderseits des Eisernen Vorhangs zu - zementieren. Daß also der CIA - wie die westliche Außenpolitik schon bis 1945 auch nach 1945 viel zur Stabilisierung von Stalins Herrschaft in Osteuropa beitrug.

Westliche Geheimdienste: Mit Diktatoren wie Stalin oder Hitler "Strategien der Spannung" fahren

Wenn man von diesem letzten Drittel auf die beiden vorigen Drittel des Buches schließt, wird man zunächst trotz der vielen unglaubwürdigen Rauschning-Zitate (s.u.) davon ausgehen können, daß diese Teile ähnlich informativ und detailreich geschrieben sind. Auch mutet der Argumentationsrahmen insgesamt stimmig an. Und auch wichtig, weil er bislang mit einer solchen Materialdichte noch selten untermauert worden ist. Nämlich die Argumentation, daß - etwa - die Wallstreet zusammen mit dem CIA Dikaturen und Terrorregime wie die von Josef Stalin, Adolf Hitler, solche in Südamerika oder im arabischen Raum oder diejenige des Linksterrorismus in Europa während der 1970er Jahre deshalb bewußt an die Macht bringt und stabilisiert, um "Strategien der Spannung" fahren zu können, mit Hilfe deren die Völker gegeneinander ausgespielt, gegeneinander in Kriege gehetzt werden können ("heiße" oder "kalte"), um sie dadurch besser Weltherrschaftszielen gefügig machen zu können. (Das hier nur in Kurzfassung.)


Die Rotmützen-Sekte in Tibet
Auf dieser Linie argumentieren auch die beiden ersten Drittel dieses Buches und unterfüttern diese Argumentation mit vielfältigen Tatsachen und reichhaltigen Literaturhinweisen. Deshalb sind diese ebenfalls besonders wertvoll.

"E. R. Carmin": Nonchalanter Ton des Besserwissers

Junge Mönche der Rotmützen
Was aber insgesamt stört, und was einen dieses Buch vielleicht erst jetzt, nach Jahren genauer lesen läßt, das ist der von Anfang an sich aufdrängende nonchalante, ja, irgendwie "besserwisserische" Ton, in dem es - und zumal seine Anfangsteile geschrieben sind. Der Autor schreibt so, als gewönne er seine letzte Sicherheit über all die von ihm geschilderten Zusammenhänge gar nicht aus der Durchforstung der von ihm zitierten  Detailliteratur, sondern im Vorlauf schon selbst aus eigenem Wissen "geheimer" oder "magischer" Art.

Als stünde er in irgendeinem Zusammenhang mit jenen okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus, die er einerseits darstellt und gelegentlich auch verurteilt, andererseits aber ständig ebenso auch als "faszinierend" und "bedeutungsvoll" (auch für uns heute) hinstellt. Er tut also so, als wüßte er selbst alles noch besser, als alle die von ihm geschilderten geschichtlich Handelnden, als die von ihm gekennzeichneten Geschichtsmächte (Wallstreet, CIA, Freimaurer, katholische Orden, Vatikan ...) und auch sogar deren bisherige Kritiker.

Kurz gefaßt: Er schreibt irgendwie so in dem arrogant-schnöseligen Ton eines Rabindranath Tagore (siehe oben).

Man bekommt das Gefühl, als ginge er davon aus, daß es neben dem von ihm geschilderten "Schwarzen Reich" der Geheimgesellschaften noch irgendwie ein komplementäres "Weißes Reich" (- von wem?) gäbe, und daß sich diese beiden Reiche gegenseitig bedingen - vielleicht sogar durchdringen - würden. Sozusagen: Erst nachdem die Menschheit das "Schwarze Reich" durchlaufen hat, ist sie irgendwann reif und befähigt für das "Weiße Reich", da ihr ja zwischenzeitlich - mit dem "Schwarzen Reich" - die metaphysische Orientierung abhanden gekommen ist, wie Carmin schreibt. Und um sie dafür - für eine neue metaphysische Orientierung - reif zu machen, scheint es der Autor sogar für richtig zu halten, wenn während des 20. Jahhrunderts die  diversen Geheimmächte des "Schwarzen Reiches" durch okkulte Wurzeln befördert wurden und umgekehrt. Die Verurteilung der Leiden und der Verbrechen des 20. Jahrhunderts ist dementsprechend durchgängig oberflächlich. Eben "nonchalant". Als verstünde sich eine solche Verurteilung von selbst. So heißt es an einer Stelle etwa:
Weder der erste noch der zweite Weltkrieg, weder der Kommunismus noch das Dritte Reich Adolf Hitlers waren Betriebsunfälle der Geschichte. (...) Okkult-esoterische Machtgruppen standen hinter dem Experiment eines auf rein spirituell-magischer Basis aufgebauten Dritten Reichs ebenso wie hinter dem nicht zuletzt mit vatikanischer Hilfe beendeten kommunistischen Experiments im Ostblock.
Gerade was diesbezüglich übrigens das "kommunistische Experiment" betrifft, bringt der Autor fast keine Belege und läßt noch vieles offen. Wie so oft. Es wird also so getan, als ob die Wallstreet, der CIA und der Vatikan auch ganz im Sinne dieser okkult-esoterischen Machtgruppen gehandelt hätten, deren Wurzeln allzu gerne nicht nur im Westen, sondern auch in Tibet und Indien verortet werden. Irgendwie erinnert diese Art des Denkens an Autoren wie etwa Sri Aurobindo (1872-1950), der ja auch der Priesterkaste Tibets zuzuordnen ist (siehe etwa "Der Stern des Abgrundes", pdf.).

Pseudonym "E. R. Carmin" = der "Scharlachrote"?

Im Weltnetz fragen sich Leser deshalb mit recht, welche Person sich hinter dem offenbaren Pseudonym  "E. R. Carmin" eigentlich verbirgt (a, b). Dessen Buch "Das Schwarze Reich" erschien zuerst im Verlag von Ralph Tegtmeier. Tegtmeier hat viel mit dem Ordo Templi Orientis (O.T.O.) zu tun und hat auch ein Buch über Alister Crowley geschrieben, die beide im Buch an ziemlich zentraler Stelle behandelt sind. Tegtmeier hat auch schon andere Bücher unter Pseudonymen geschrieben, arbeitet auch als Übersetzer von Phantasie-Literatur. Es scheint, als ob man ihm es anhand seiner anderen Bücher durchaus zutrauen könnte, daß er ein solches über weite Strecken doch auch sehr wissenschaftliches Buch geschrieben haben könnte. Denn das vermuten manche Leser (siehe unten).
Dalai Lama und Papst
Der Name "Carmin" ist der Name für die Farbe "Scharlachrot". Diese Farbe spielt nicht nur in der Priestertracht der katholischen Kirche eine Rolle (s. Wikip.). "Rot ist die Farbe der Kardinäle und einiger weniger Sonderprivilegierter wie des Primas von Deutschland als Legatus Natus".

Nein, diese Farbe spielt besonders auch eine Rolle in buddhistischen Priestertrachten. (Es sollte einen  übrigens nicht wundern, wenn es für diese Farbe auch eine Bedeutung in der Freimaurerei oder in den anderen monotheistischen Priesterschaften/Männerorden gibt.) In Tibet jedenfalls, wohin irgendwie die "Weiße Magie" des Autors E. R. Carmin hinzugravitieren scheint, gibt es die mächtige Sekte der "Rotmützen" (auch "Dugpas", bzw. englisch "red hat sect"; Quellen der Fotos dieses Beitrages: a, b, c, d, e, f).

Die Rotmützen-Sekte in Tibet

Ein Priester der Rotmützen-Sekte
Vorerst könnte es einem vielleicht glaubhaft erscheinen, wenn man den Autor des Buches "Das Schwarze Reich" irgendwie in die geistige Nähe dieser Rotmützen steckt. Auch von dem jetzigen Dalai Lama findet man Abbildungen mit der roten Mütze. (- Oder wofür könnte eine Abkürzung wie E.R.C. stehen, dem der germanisch-deutsche Vorname "Armin" hinzugefügt wäre?)

Wie auch immer. Abschließend noch einige Zitate aus Kundenrezensionen bei Amazon zu diesem Buch, die noch einige der genannten Aspekte unterstreichen. So wirft ein Manfred Luger am 19.2. 2007 unter anderem kritisch zu dem Buch ein:
Manche Zitate stammen aus Romanen (so von D'Israeli, Engelmann) (...).
Ein Ron Forrester schreibt sehr stimmig (am 26.3.2007):
(...) Warum also hat er das Buch geschrieben?
Lassen Sie uns einmal spekulieren wie der unbekannte Autor. Nehmen wir einmal an, Logenbrüder hoher Grade hätten die Absicht, eine umfangreiche Werbeschrift unter das Volk zu bringen. Ein Buch, das in eitler Geschwätzigkeit von ihrer Macht kündet. (...) Ein Buch, das freimütig dunkle Machenschaften schildert, die ja allesamt durch einen hohen Endzweck gerechtfertigt sind.
Nehmen wir weiter an, das Buch solle auf unterhaltsame Weise den Leser verwirren, ihn an allen Autoritäten zweifeln lassen, ihn in Unsicherheit setzen und das Schaudern lehren. Und es soll ihm am Ende nur die Wahl lassen, die "Neue Weltordnung" entweder über sich ergehen zu lassen oder aber selbst Teil der Verschwörung zu werden. (...)

Die Logenbrüder hätten sicher kein Problem, in ihrem Kreise einen routinierten Schreiber zu finden, der aus einem Haufen Papier ein solches Buch fabrizieren könnte. Der Schreiber könnte sich in der ruhigen Gewissheit an die Arbeit begeben, dass das Buch genügend Verlage finden würde.
Ich glaube, dass am Ende ein Buch dabei herauskäme, das dem des unbekannten schwarzen Ritters "E. R. Carmin" recht ähnlich sähe.
Kundenrezensionen auf Amazon - nicht immer dumm

An diesen Worten scheint viel Wahres dran zu sein. Was am 25.2.2009 auch die Leserin "Sandra" so sieht:
Ihre Einschätzung ist nicht von der Hand zu weisen.
Das Buch ist zuerst im Verlag Ralph Tegtmeier erschienen, es finden sich zahlreiche Verweise auf den O.T.O. Crowley, Eismagie.
Das Pseudonym Carmin = Scharlachrot deutet ebenfalls daraufhin.
Das sicherste Indiz ist allerdings die Gefühlslage, die es beim Leser erzeugt:
Ohnmacht, Wut, Misstrauen, Hoffnungslosigkeit, Hass. Im Sinne der Fraternitas ein gelungenes Werk.
Und in der Kundenrezension der Leserin "pretty" vom 15.12.2007 heißt es:
Der Autor bleibt, selbst bei gründlichster Recherche, ebenso nebulös wie Vieles im Werk "Das Schwarze Reich". Seine hinsichtlich der Thule-Gesellschaft und dem vermuteten esoterischen Hintergrund des 3. Reiches herangezogenen Quellen sind oftmals bedenklich (z.B. Rauschning, Ravenscroft), auf keinen Fall jedoch authentisch. Legenden und Romaninhalte werden mit Fakten vermischt, die Führungsriege der Nazis wird zu Okkultisten umgedeutet (lediglich für Hess und Himmler ist dies halbwegs sicher belegbar), ...
- Genau das hatten auch wir oben zum Ausdruck bringen wollen. Der Autor vermittelt atmosphärisch eine größere Sicherheit, als diese sich aus der Literatur selbst heute schon ergibt. Doch er gibt nicht ausreichend klar genug an, worauf er diese Sicherheit gründet. Es mag ja auch alles gar nicht unplausibel sein, was er schreibt. Es ist vor allem der nonchalante Ton des "Eingeweihten", der stört. Weiter die Leserin "pretty":
... Okkultisten, die irgendwelchen - sonstwie gearteten - höheren Zielen zu dienen glaubten. E.R. Carmins Quellenstudium scheint hier mehr als fragwürdig, Rosenberg hat er jedenfalls nicht gelesen - oder aber nicht verstanden. Zu behaupten, Hitler habe "Mein Kampf" nur für die "breiten Massen geschrieben", ist ebenso lächerlich, wie ausgerechnet den berüchtigten Rauschning als authentischen Zeitzeugen hinzustellen. Der Mann wurde schon vor Jahrzehnten entlarvt, und was Hitler in "Mein Kampf" schrieb, entsprach in allen wesentlichen und schrecklichen Kosequenzen auch dem, was er später tat. Wer sich "Das Schwarze Reich" antun möchte, möge zunächst die Arbeit "The Occult Roots of Nazism" von Goodrich-Clarke lesen. Dort wird mit wesentlich mehr belegbaren Annahmen umgegangen als der stringent auf ein Ziel zuschreibende Carmin es unternimmt. 
Wiederum sehr passend formuliert: "der stringent auf ein Ziel zuschreibende Carmin". Wie gesagt: Er braucht von der Faktenlage gar nicht Unrecht haben. Aber wäre diese Faktenlage so, wie dargestellt, müßte demgegenüber der Abscheu, die Distanzierung viel stärker und glaubwürdiger zum Ausdruck kommen. Aber es schwebt über allem ein buddhistisches "Alles ist - letztlich - gut." Und es stört, daß der Autor atmosphärisch mehr zu wissen vorgibt, als daß er Anhaltspunkte gibt dafür, woher diese Sicherheit kommt.

Dennoch ist das Buch zum Verständnis der Geschichte des 20. Jahrhunderts - gerade auch bei Beachtung der hier genannten Vorbehalte und wie eingangs schon ausgeführt - unentbehrlich.

Samstag, 25. Dezember 2010

Die Wallstreet kaufte Hitler - Allen Dulles, der CIA und seine Verbindungsleute in Deutschland erledigten alles weitere

Es mag von nicht geringem Interesse sein, den amerikanischen Zeithistoriker und Buchautor Antony C. Sutton (1925-2002) (Wiki) einmal in einer Videoaufnahme persönlich zu erleben. (Danke für den Hinweis an einen Leser!) So in einem Interview aus dem Jahr 1980 (Archive.org).

Antony C. Sutton weist in seinen Büchern auf viele brisante zeitgeschichtliche Zusammenhänge hin, unter anderem darauf, daß das Dritte Reich in wesentlichen Teilen finanziell und industriell von den USA aus aufgebaut worden ist. Selbst wenn man Sutton schon vor langer Zeit einmal gelesen haben sollte, ist man doch immer wieder neu erschüttert über das, was er herausgebracht hat und behauptet. Es wäre eine unglaubliche Unverfrorenheit. Wenn es wahr sein sollte. - Ist es wahr?

Buch von A. C. Sutton

Daß Adolf Hitler und seine Bewegung in wesentlichen Teilen vom Ausland aus finanziert worden sind (siehe etwa: 1-7), hat schon der Reichskanzler Brüning nach dem Zweiten Weltkrieg behauptet. Der preußische Innenminister Severing hat seinen Ministerialrat Wilhelm Abegg 1930 aufgefordert, den ausländischen Geldgebern von Hitler nachzugehen (6). Der erste Chef der Gestapo, Rudolf Diels, machte in seinen Erinnerungen, die 1950 erschienen sind (2), ebenfalls auf diese Vorgänge aufmerksam. Diese These ist inzwischen in vielen weiteren Darstellungen übernommen worden (Beispiele: 8-15).

Gekaufte Leute brauchte man sowieso nicht "entnazifizieren" - nach 1945

All diese Dinge könnten in jenem Augenblick wieder wichtig werden, wo heute immer besser durch den Fortschritt der Forschung und durch den zeitlichen Abstand erkennbar wird, daß und wie der CIA und verschiedene deutsche Bundesminister und Ministerialräte dafür sorgten, daß zwar manche Nationalsozialisten und deutsche Militärs nach 1945 in Schauprozessen verurteilt worden sind, eine viel größere Zahl von Nationalsozialisten und Militärs nach 1945 aber von Strafverfolgung verschont geblieben sind, um den BND, das Bundeskriminalamt, das Auswärtige Amt, das Bundesinnenministerium, das Bundesjustizministerium, das Bundesamt für Verfassungsschutz, die deutsche Industrie und Wirtschaft, die deutsche Medienlandschaft und die deutsche Zeitgeschichtsforschung und "Vergangenheitsbewältigung" aufzubauen.

In früheren Beiträgen wiesen wir schon auf diese Seilschaften hin, die auch die deutsche Zeitgeschichtsschreibung - etwa über die Blomberg-Fritsch-Krise von 1938 - bis heute massiv beeinflussen (etwa der Verfassungsschutzmann und "Historiker" Fritz Tobias).

Deutschland, die Bananenrepublik und der Spielball seit 1933

So wie die USA und ihre Geheimdienste, insbesondere auch in der Zeit unter Allen Dulles persönlich, so wie die Geheimdienste anderer Länder auf viele südamerikanische, arabische, südostasiatische oder afrikanische Staaten nach Belieben Einfluß nehmen, Politiker und politische Bewegungen finanzieren und fördern, Staatsstreiche inszenieren, Politiker ermorden lassen, die Wirtschaft boomen lassen oder ihr Sand ins Getriebe streuen, Kriege anzetteln und am Laufen halten oder beenden - jeweils nach Belieben - so scheint all dies gegenüber Deutschland während des 20. Jahrhunderts ebenfalls geschehen zu sein. Als wäre es eine der vielen beliebigen Bananenrepubliken gewesen.

Willfährige Eliten wurden keinesfalls ausgetauscht, auch wenn es sich um gegensätzlichste Systeme handelte, denen sie dienten. Das gilt auch für den Systemumbruch von 1989. Dagegen wurden unbotmäßige Eliten "selbstverständlich" ihrer Macht beraubt. Beispielsweise wurden jene der Sozialdemokratie nahestehende Beamte, die die preußische Polizei in der Weimarer Republik aufgebaut hatten, und die 1933 ihre Ämter verloren (Abegg und andere), nach 1945 auffallend geschnitten bei der Neuvergabe von Führungspositionen im Bundeskriminalamt und anderwärts - zugunsten von ehemaligen SS-Polizeioffizieren.

Erst allmählich erkennen wir, in welch großem Umfang Deutschland seit 1933, seit 1945 ein billiger "Trabant" der USA geworden ist, mit dem man "alles" machen kann. Es kann dies anhand der Personalpolitik und Strafverfolgungspolitik immer genauer auf allen ministeriellen Ebenen in den Nachkriegsjahrzehnten für Deutschland aufgezeigt werden. In diesem Zusammenhang ist auch das neu erschienene Buch "Das Amt" von nicht geringer Wichtigkeit.

Die Schnelligkeit, mit der sich viele Angehörige der Nazi-Eliten noch im Jahr 1945 "wendeten", deutet schon daraufhin, daß sie schon vor 1945 innerlich auf ganz anderen Seiten standen, vielleicht sogar seit 1933. Da sich unter ihnen viele zehntausend Freimaurer befanden, stellt sich die Frage, ob der "Kampf" der Nationalsozialisten während des Dritten Reiches gegen die Freimaurerei nicht zu großen Teilen ein reiner Scheinkampf gewesen ist. Ein solches Geschehen würde gut zu all den anderen Unverfrorenheiten passen, die zum Beispiel Antony C. Sutton aufzeigt.

Daß deutsch-jüdische Industrielle im Umkreis jener Industriellen, die auch Sutton und anderen Autoren nennen und behandeln, die Hitler-Bewegung finanzierten, diese Tatsache muß offenbar zunehmend auch in das "offizielle" Geschichtsbild einfließen (15).

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  1. Reinhard, Severin: Spanischer Sommer. Die abendländische Wandlung zwischen Osten und Westen. Aehren Verlag, Affoltern a.A. 1948
  2. Diels, Rudolf: Lucifer ante portas. Zwischen Severing und Heydrich. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1950
  3. Kardel, Hennecke: Adolf Hitler - Begründer Israels. Marva, Genf 1974 (Archiv.org)
  4. Sutton, Anthony C.: Wallstreet und der Aufstieg Hitlers. Perseus Verlag 2008 (Zuerst auf Englisch 1976) (s.a. --> Online
  5. Scholl, Heinz: Von der Wallstreet gekauft. Die Finanzierung Hitlers durch ausländische Finanzmächte. Eine Dokumentation. Verlag für zeitgenössische Dokumentation, Euskirchen o.J. (1977)
  6. Ledraque, Jean: Springers Nazionismus. Der Schoup und seine Zeugen. Marva, Genf 1978
  7. Schulze, Hagen: Otto Braun oder Preußens demokratische Sendung. Ullstein Verlag, 1990
  8. Schmalbrock, Gerd: Die politischen Falschspieler. Hinter den Kulissen geheimer Kriegsmacher (II). Verlag IKC Presse, Gladbeck 1978
  9. Deschner, Karlheinz: Der Moloch. Zur Amerikanisierung der Welt. 1992. (Der Moloch. Eine kritische Geschichte der USA. 2002.) 
  10. Eggert, Wolfgang: Im Namen Gottes. Israels Geheim-Vatikan als Vollstrecker biblischer Prophetie. Bd. 1 - 3. Propheten-Verlag, München 2001
  11. Carmin, E.R.: Das schwarze Reich. Geheimgesellschaften. Templerorden, Thule-Gesellschaft, Das Dritte Reich, CIA. Nikol Verlagsgesellschaft, Hamburg 2002 (zuerst 1997)
  12. Khan, Mansur: Die geheime Geschichte der amerikanischen Kriege. Verschwörung und Krieg in der US-Außenpolitik. Grabert-Verlag, Tübingen 1998, 2001
  13. Schmidt-Salomon, Michael: Freigeisterhaus :: Thema anzeigen - Der Moloch – eine kritische Geschichte der USA. 2004
  14. Palomino, Michael: Hitlers Financiers. 2007
  15. Rügemer, Werner: „Zugesehen - mitgemacht - profitiert?“ – Teil 2: Jüdischer Unternehmer für Hitler: Paul Silverberg. Neue Rheinische Zeitung, 5.3.2008

Donnerstag, 16. Dezember 2010

Wissenschaft und Religion in einem neuen Kinofilm

"Das kreative Universum" von Rüdiger Sünner (2011)

Im Frühjahr 2011 kommt ein möglicherweise sehr bemerkenswerter neuer Film in die Kino's und in die Verkaufsregale: "Das kreative Universum" von Rüdiger Sünner (1, 2). Rüdiger Sünner hat sich 1998 in dem Film "Schwarze Sonne" mit den "Kultorten und der Esoterik" des Dritten Reiches beschäftigt (genauer: mit der "Entfesselung und (dem) Mißbrauch der Mythen in Nationalsozialismus und rechter Esoterik") (Youtube). In einem Film von 2006, benannt "Geheimes Deutschland", hat er sich mit der "Spiritualität" der deutschen Frühromantik  beschäftigt, also unter anderem derjenigen von Friedrich Hölderlin (Youtube). In diesem seinem neuen Film nun macht er den Brückenschlag zu der "harten" Naturwissenschaft.

In ihm kommen viele Naturwissenschaftler zu Wort, die auch diesem Blog wichtig sind. Denn sie betreiben Kosmologie und Evolutionsforschung jenseits vom neodarwinischen und atheistischen Mainstream. (Wer weiß denn eigentlich, wie viel Rüdiger Sünner hier auf unseren Blogs "spickt"? Bei dieser Gelegenheit noch einmal eine Bitte an alle Leser, auch mal eine Rückmeldung zu geben, falls man von Beiträgen dieses Blogs profitieren kann.) Dies gilt vor allem für die von uns behandelten Forscher Simon Conway Morris und Joachim Bauer. (Auch Thomas Görnitz haben wir auf einer Tagung sehr positiv wahrgenommen, allerdings wollen uns seine Bücher nicht so recht überzeugend erscheinen. Hat denn zu dem Thema nicht der Lehrer von Thomas Görnitz, Werner Heisenberg, alles Wesentliche schon gesagt?) Hier der Anbeißer des Filmes. In ihm heißt es:
"Alle im Film interviewte Forscher lehnen kreationistische Konzepte als mit der Evolutionstheorie unvereinbar ab."
Dieses Zitat ist der springende Punkt. Damit bleibt der Kinofilm - soweit übersehbar - also im Rahmen der aktuellen Naturwissenschaft und setzt sich nicht wie so viele Monotheisten frisch-fröhlich über ihn hinweg. Ein Reinhard Lüke nennt als eine Frage des Filmes:
ob Begriffe wie „Freiheit“ und „Spiel“ notwendigerweise im Widerspruch zu den Naturwissenschaften stehen.
Alles Fragerichtungen, die denen dieses Blogs sehr nahestehen, die aber sonst auf deutschen Wissenschaftsblogs und in der deutschen Wissenschaftsberichterstattung herzlich selten erörtert werden. Auch der interviewte Stuart Kauffmann sagt - wie immer - sehr schätzenswerte Dinge zu diesen Themen.

Ein Kinofilm aus dem Umfeld der Anthroposophie

Rüdiger Sünner hat auch einen Film über Rudolf Steiner gedreht und steht offenbar wie viele Interviewpartner in dem Film der Anthroposophie nahe. Der Film kommt auch in einem anthroposophischen Verlag heraus. Daraufhin wird man sich natürlich alles noch einmal auch sehr genau und kritisch ansehen müssen. Unter Anthroposophen gibt es einerseits überzeugte Christen (etwa der anthroposophischen "Christengemeinschaft" angehörend). Aber die Mehrheit der Waldorf-Schüler sind schon seit vielen Jahrzehnten überdurchschnittlich kirchenfrei und glauben nicht an übernatürliche Kräfte und Wesen (3). Diese Haltung scheint nun auch dieser Film wiederzuspiegeln.

Der Begriff "Spiritualität" hebt auf eine Religiosität ab, der die innere Erfahrung, das innere Erleben das Wesentliche ist. Sie bedarf deshalb nicht des Glaubens an die Existenz von übernatürlichen Kräften und Wesen. Auch Vorzeige-Atheisten wie Richard Dawkins oder Karlheinz Deschner stehen einer solchen Weltanschauung zumindest nahe.

Einstweilen soll Claudia Knepper das letzte Wort über diesen Film behalten, sie schreibt unter anderem (2):
... In seinem Film kommen zahlreiche Biologen und Physiker zu Wort, die einen solchen Brückenschlag  (zwischen Naturwissenschaft und Spiritualität) bereits vollziehen, sei es, dass sie der Anthroposophie nahe stehen (Bernd Rosslenbroich, Wolfgang Schad, Wolfram Schwenk, Johannes Wirz, Arthur Zajonc), die naturwissenschaftliche mit einer theologischen Existenz in ihrer Personen vereinen (George Coyne, John Polkinghorne) oder eigene kreative Wege in der Wissenschaft gehen (Rupert Sheldrake, Stuart Kauffman, Hans-Peter Dürr, Joachim Bauer, Thomas Görnitz, Stephan Harding, Simon Conway Morris). Gezielt hat Sünner nach wissenschaftlichen Vertretern gesucht, deren Forschungen "Raum für göttliche oder transzendente Kräfte lassen". (...)

Allerdings vermag es der Film, den Zuschauer ins Staunen über das Wunder der Natur zu versetzen. Dies wird nicht zuletzt durch die fast meditativ wirkende Ästhetik des Films unterstützt. Wissenschaft präsentiert sich hier weniger als nüchtern Berechnende, sondern als leidenschaftlich Fragende. Ausgehend vom erreichten enormen Wissensstand von Biologie und Physik bewegt sich der Film an den Rändern dessen, was wir bisher erklären können. War das Universum auf die Entstehung des Lebens hin angelegt? Strebte die Evolution auf die Entwicklung des Menschen zu? Woher kommen Ordnungsstrukturen? Wie ist der Überschuss an Schönheit und Vielfalt von Kosmos und Natur zu erklären? Mehrere befragte Wissenschaftler stimmen im Film darin überein, dass nicht die von den Wissenschaften gut untersuchte Materie das Entscheidende sei, sondern die Beziehungen zwischen den Teilchen, die bisher kaum verstandenen "Informationen" wie sich Materie ordnet, also etwas, das mit "Geist" bzw. etwas "Geistigem" vergleichbar sei.

Diese und andere Fragen folgen einer Leitthese, die sich Sünner für den Film zu eigen gemacht hat: Die "überwältigende Kreativität innerhalb der Evolution" sei das Bindeglied zwischen Naturwissenschaft und dem, was Sünner nicht Religion, sondern Spiritualität nennt. Am deutlichsten bringt der Biologe Stuart Kauffman diese Kreativität in die Nähe religiöser Verehrung: "Ich möchte die natürliche Kreativität Gott nennen, nicht Schöpfergott, nur Kreativität des Universums."

Der Film selbst sowie alle darin zu Wort kommenden Wissenschaftler sind bemüht, sich von den "unwissenschaftlichen" Entwürfen des Kreationismus und des Intelligent Design abzugrenzen. Deutlich hingegen ist Rüdiger Sünners Nähe zur Anthroposophie, der er bereits einen viel beachteten Film ("Abenteuer Anthroposophie") gewidmet hat. Aber auch von wissenschaftlicher Seite wird der Film zur Kenntnis genommen. Am 6. Dezember lud die Urania in Berlin zur Premiere ein.
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1. Sünner, Rüdiger: Das kreative Universum. DVD, 83 Min., 2011
2. Knepper, Claudia: Neu im Kino - Das kreative Universum. In: Newsletter der EZW. 12/2010
3. Bading, Ingo: Der "anthroposophische Lebensstil" als demographischer Faktor. Studium generale, 26.2.2008

Montag, 13. Dezember 2010

"Die Frauenarbeit im Hause" - sie ist allen egal, seit 1905

Zufallsfund im Netz (1) des heutigen Tages (aus: 2):
Der Gedanke, den nationalökonomischen Wert der häuslichen Frauenarbeit abzuschätzen, zu prüfen, ob die Frauen für die Erfüllung so zahlreicher Pflichten das gebührende Aequivalent an Geld, an bürgerlichen und politischen Rechten, an sozialer Wertschätzung erhalten, dieser Gedanke ist den Nationalökonomen nur selten gekommen. Haben sie mit Absicht dieses Kapitel der Wirtschaftslehre außer Acht, außerhalb ihrer scharfsinnigen Analysen, ihrer eindringenden Forschung gelassen? Verdiente dieser Gegenstand die Aufmerksamkeit des Mannes nicht?
Oder hat man gefühlt, daß hier eine Gefahr vorlag, eine Mine, die springen und das Gebäude der "Männerwelt" zum Sturze bringen konnte? Hat man gefürchtet, durch eingehendes Studium der Frauenarbeit im Hause zu einer Umwertung bestehender Werte, zur wissenschaftlichen Anerkennung unbequemer Forderungen gezwungen zu werden?
- Es mutet einem wie totaler Wahnsinn an, daß eine so ganz und gar banale und selbstverständliche, sich von selbst verstehende Forderung der Frauenbewegung noch hundert Jahre später auch nicht ansatzweise Erfüllung gefunden hat, auch nicht ansatzweise ihrer tatsächlichen Bedeutung gemäß öffentlich erörtert worden ist. Ja, daß sie geradezu tabuisiert wird. Die Autorin des eben gebrachten Zitates (siehe auch Foto rechts) ist schon 1930 gestorben.  Also vor achzig Jahren.

Wahnsinn. Totaler Wahnsinn. Und da wundert man sich - mit oder ohne Sarrazin - warum moderne arbeitsteilige Gesellschaften der Nordhalbkugel seit Jahrzehnten viel zu wenig Kinder auf die Welt bringen? In so krass existenzgefährdender Weise?

Wir selbst haben vor drei Jahren eine Annäherung an diese Fragen versucht, entlang der Forschungsliteratur unserer Zeit zu dieser Thematik (3).

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1. Schröder, Hiltrud: Käthe Schirmacher. Auf: Fembio.org
2. Schirmacher, Käthe (1905): Die Frauenarbeit im Hause. Ihre ökonomische, rechtliche und sociale Wertung. Leipzig. Dietrich (Rechtsfragen, 3) 1905, S. 3
3. Bading, Ingo: Warum Erziehungsgehalt? In 7 Teilen. Auf: Studium generale, Mai und Juni 2007

Donnerstag, 2. Dezember 2010

"Die Mörder sind unter uns" (1946)


"Die Mörder sind unter uns". Dieser Titel des ersten deutschen Filmes nach dem Zweiten Weltkrieg wird oft benutzt, um die Situation der deutschen Nachkriegsgesellschaft zu kennzeichnen. Denn viele Menschen, die bis 1945 Verbrechen begangen hatten, lebten nach 1945, zumeist von ihren Mitmenschen unerkannt, in der bundesdeutschen Gesellschaft unbehelligt weiter. Oft auch in guten beruflichen Positionen. Dieses Thema war schon Inhalt früherer Beiträge (GA-j!) und soll auch noch in künftigen Beiträgen weiter behandelt werden. Aber um einfach auch einmal dieses vielgebrauchte Wort "Die Mörder sind unter uns" richtig einschätzen zu können, ist es sicherlich sinnvoll, Person und Werk des deutschen Filmemachers Wolfgang Staudte zu kennen, der diesen Film "Die Mörder sind unter uns" 1945 gedreht hat (s.a. Youtube).

Die markanten Gesichter des Wolfgang Staudte selbst und vieler seiner Schauspieler, in der sich eine typische asketische, entbehrungsreiche Lebenshaltung wiederspiegelt, wie sie wohl gerade für die 1950er Jahre typisch ist, findet sich noch in einem seiner letzten Filme, in der Jack London-Verfilmung "Der Seewolf" von 1971 wieder. Mit Raimund Harmstorf in der Hauptrolle hinterlies dieser Film auch noch auf die Generation des Autors dieser Zeilen (Jg. 1966) einigen Eindruck, ähnlich wie vielleicht der Film "Der eiserne Gustav". Eine gewisse Düsterkeit, Unheimlichkeit ist die Grundstimmung all solcher Filme.

Aber diesen Eindruck versteht man eigentlich erst richtig, wenn man das Lebenswerk von Wolfgang Staudte ganz überblickt, nämlich angefangen von "Die Mörder sind unter uns" aus dem Jahr 1946. Es ist ein Lebenswerk, das einen vielleicht auch die Geschichte der bundesdeutschen Nachkriegsjahre  überhaupt ein wenig mehr verstehen hilft (1). "Moral" ist hier überall darauf reduziert, die ziemlich durchstilisierte Moral eines angeblichen typischen deutschen Kleinbürgers abzulehnen. Das ist natürlich banal.

Und auch sonst wird schnell klar, wie absurd es im Jahr 1946 war, ein gerade vergangenes Konzentrationslager- und Unrechtsystem zu kritisieren, ohne auch nur ansatzweise anzudeuten, daß sich gerade erst ein neues dabei war zu etablieren und fröhliche Urständ' feierte. Diese gänzliche Eindimensionalität des "Moralisierens", auch dieses Wolfgang Staudte, nimmt dem Lebenswerk natürlich viel von einer 100%ig künstlerischen Gültigkeit und macht seine Filme allesamt zu Tendenzwerken.

Eindimensionale Moral

In der Zeit, in der Staudte seinen Film drehte, starb beispielsweise Heinrich George im Konzentrationslager Sachsenhausen infolge von Unterernährung, so wie zehntausende von Deutschen östlich der Oder zur gleichen Zeit. War das der richtige Zeitpunkt, mit "Moralisieren" anzufangen, noch dazu in einer solchen Weise? Aber einfach nur, um die Zeitstimmung nach 1945 zu verstehen, eignen sich die Filme von Wolfgang Staudte sicherlich als "Zeitdokumente". Über den Film "Die Mörder sind unter uns", ist zu erfahren (Fotos: a, b, c, d):
Das Zentralkomitee (ZK) der SED forderte die Landes- und Provinzialleitungen der Partei auf, für diesen Film eine "besondere Propaganda durch Aushängeplakate in den Büros, Kulturstätten etc. …" zu entwickeln, und begründete das damit, daß er gemessen an der bisherigen deutschen Filmproduktion eine ausgesprochene Spitzenleistung darstelle und der erste große Film eines neuen Deutschland sei.
Auf dem Grabstein des Filmemachers steht das Wort:
"Feigheit macht jede Staatsform zur Diktatur."
Dieses Wort könnte auch ein Leitwort dieses Blogs sein. Aber ob Wolfgang Staudte diesem Wort selbst gerecht geworden ist, indem er sagte (1), daß eigentlich alle Diktaturen und Kriege jeden einzelnen Menschen "überfordern", stehe dahin. Die Schlußfolgerung wäre: Weil wir "überfordert" sind, leben wir quasi immer in Diktaturen. Das sollte man einer solchen hedonistischen Gesellschaft wie der heutigen nicht sagen, weil es schlicht nicht stimmt. Wir sind nicht überfordert.
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  1. Mörsdorf, Rüdiger: Ein unbequemer Moralist. Wolfgang Staudte - Filmregisseur in Deutschland. (Teil 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9)