Donnerstag, 16. Dezember 2010

Wissenschaft und Religion in einem neuen Kinofilm

"Das kreative Universum" von Rüdiger Sünner (2011)

Im Frühjahr 2011 kommt ein möglicherweise sehr bemerkenswerter neuer Film in die Kino's und in die Verkaufsregale: "Das kreative Universum" von Rüdiger Sünner (1, 2). Rüdiger Sünner hat sich 1998 in dem Film "Schwarze Sonne" mit den "Kultorten und der Esoterik" des Dritten Reiches beschäftigt (genauer: mit der "Entfesselung und (dem) Mißbrauch der Mythen in Nationalsozialismus und rechter Esoterik") (Youtube). In einem Film von 2006, benannt "Geheimes Deutschland", hat er sich mit der "Spiritualität" der deutschen Frühromantik  beschäftigt, also unter anderem derjenigen von Friedrich Hölderlin (Youtube). In diesem seinem neuen Film nun macht er den Brückenschlag zu der "harten" Naturwissenschaft.

In ihm kommen viele Naturwissenschaftler zu Wort, die auch diesem Blog wichtig sind. Denn sie betreiben Kosmologie und Evolutionsforschung jenseits vom neodarwinischen und atheistischen Mainstream. (Wer weiß denn eigentlich, wie viel Rüdiger Sünner hier auf unseren Blogs "spickt"? Bei dieser Gelegenheit noch einmal eine Bitte an alle Leser, auch mal eine Rückmeldung zu geben, falls man von Beiträgen dieses Blogs profitieren kann.) Dies gilt vor allem für die von uns behandelten Forscher Simon Conway Morris und Joachim Bauer. (Auch Thomas Görnitz haben wir auf einer Tagung sehr positiv wahrgenommen, allerdings wollen uns seine Bücher nicht so recht überzeugend erscheinen. Hat denn zu dem Thema nicht der Lehrer von Thomas Görnitz, Werner Heisenberg, alles Wesentliche schon gesagt?) Hier der Anbeißer des Filmes. In ihm heißt es:
"Alle im Film interviewte Forscher lehnen kreationistische Konzepte als mit der Evolutionstheorie unvereinbar ab."
Dieses Zitat ist der springende Punkt. Damit bleibt der Kinofilm - soweit übersehbar - also im Rahmen der aktuellen Naturwissenschaft und setzt sich nicht wie so viele Monotheisten frisch-fröhlich über ihn hinweg. Ein Reinhard Lüke nennt als eine Frage des Filmes:
ob Begriffe wie „Freiheit“ und „Spiel“ notwendigerweise im Widerspruch zu den Naturwissenschaften stehen.
Alles Fragerichtungen, die denen dieses Blogs sehr nahestehen, die aber sonst auf deutschen Wissenschaftsblogs und in der deutschen Wissenschaftsberichterstattung herzlich selten erörtert werden. Auch der interviewte Stuart Kauffmann sagt - wie immer - sehr schätzenswerte Dinge zu diesen Themen.

Ein Kinofilm aus dem Umfeld der Anthroposophie

Rüdiger Sünner hat auch einen Film über Rudolf Steiner gedreht und steht offenbar wie viele Interviewpartner in dem Film der Anthroposophie nahe. Der Film kommt auch in einem anthroposophischen Verlag heraus. Daraufhin wird man sich natürlich alles noch einmal auch sehr genau und kritisch ansehen müssen. Unter Anthroposophen gibt es einerseits überzeugte Christen (etwa der anthroposophischen "Christengemeinschaft" angehörend). Aber die Mehrheit der Waldorf-Schüler sind schon seit vielen Jahrzehnten überdurchschnittlich kirchenfrei und glauben nicht an übernatürliche Kräfte und Wesen (3). Diese Haltung scheint nun auch dieser Film wiederzuspiegeln.

Der Begriff "Spiritualität" hebt auf eine Religiosität ab, der die innere Erfahrung, das innere Erleben das Wesentliche ist. Sie bedarf deshalb nicht des Glaubens an die Existenz von übernatürlichen Kräften und Wesen. Auch Vorzeige-Atheisten wie Richard Dawkins oder Karlheinz Deschner stehen einer solchen Weltanschauung zumindest nahe.

Einstweilen soll Claudia Knepper das letzte Wort über diesen Film behalten, sie schreibt unter anderem (2):
... In seinem Film kommen zahlreiche Biologen und Physiker zu Wort, die einen solchen Brückenschlag  (zwischen Naturwissenschaft und Spiritualität) bereits vollziehen, sei es, dass sie der Anthroposophie nahe stehen (Bernd Rosslenbroich, Wolfgang Schad, Wolfram Schwenk, Johannes Wirz, Arthur Zajonc), die naturwissenschaftliche mit einer theologischen Existenz in ihrer Personen vereinen (George Coyne, John Polkinghorne) oder eigene kreative Wege in der Wissenschaft gehen (Rupert Sheldrake, Stuart Kauffman, Hans-Peter Dürr, Joachim Bauer, Thomas Görnitz, Stephan Harding, Simon Conway Morris). Gezielt hat Sünner nach wissenschaftlichen Vertretern gesucht, deren Forschungen "Raum für göttliche oder transzendente Kräfte lassen". (...)

Allerdings vermag es der Film, den Zuschauer ins Staunen über das Wunder der Natur zu versetzen. Dies wird nicht zuletzt durch die fast meditativ wirkende Ästhetik des Films unterstützt. Wissenschaft präsentiert sich hier weniger als nüchtern Berechnende, sondern als leidenschaftlich Fragende. Ausgehend vom erreichten enormen Wissensstand von Biologie und Physik bewegt sich der Film an den Rändern dessen, was wir bisher erklären können. War das Universum auf die Entstehung des Lebens hin angelegt? Strebte die Evolution auf die Entwicklung des Menschen zu? Woher kommen Ordnungsstrukturen? Wie ist der Überschuss an Schönheit und Vielfalt von Kosmos und Natur zu erklären? Mehrere befragte Wissenschaftler stimmen im Film darin überein, dass nicht die von den Wissenschaften gut untersuchte Materie das Entscheidende sei, sondern die Beziehungen zwischen den Teilchen, die bisher kaum verstandenen "Informationen" wie sich Materie ordnet, also etwas, das mit "Geist" bzw. etwas "Geistigem" vergleichbar sei.

Diese und andere Fragen folgen einer Leitthese, die sich Sünner für den Film zu eigen gemacht hat: Die "überwältigende Kreativität innerhalb der Evolution" sei das Bindeglied zwischen Naturwissenschaft und dem, was Sünner nicht Religion, sondern Spiritualität nennt. Am deutlichsten bringt der Biologe Stuart Kauffman diese Kreativität in die Nähe religiöser Verehrung: "Ich möchte die natürliche Kreativität Gott nennen, nicht Schöpfergott, nur Kreativität des Universums."

Der Film selbst sowie alle darin zu Wort kommenden Wissenschaftler sind bemüht, sich von den "unwissenschaftlichen" Entwürfen des Kreationismus und des Intelligent Design abzugrenzen. Deutlich hingegen ist Rüdiger Sünners Nähe zur Anthroposophie, der er bereits einen viel beachteten Film ("Abenteuer Anthroposophie") gewidmet hat. Aber auch von wissenschaftlicher Seite wird der Film zur Kenntnis genommen. Am 6. Dezember lud die Urania in Berlin zur Premiere ein.
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1. Sünner, Rüdiger: Das kreative Universum. DVD, 83 Min., 2011
2. Knepper, Claudia: Neu im Kino - Das kreative Universum. In: Newsletter der EZW. 12/2010
3. Bading, Ingo: Der "anthroposophische Lebensstil" als demographischer Faktor. Studium generale, 26.2.2008

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