Mittwoch, 24. November 2021

Religionsimperialistische Priesterkasten gegeneinander - Der "Exarch von Moskau" in Lemberg (1939 bis 1951)

Das Leben zweier katholisch-orthodoxer Bischöfe, die einer polonisierten ukrainischen Adelsfamilie entstammten, erläutert den Religionsimperialismus christlicher Kirchen gegeneinander, der auch heute die Politik mit bestimmt.

Vor knapp zwei Wochen wiesen wir hier auf dem Blog auf die religionsimperialistischen Bestrebungen und Spannungsverhältnisse zwischen Rußland und "dem Westen" hin, die darin bestehen, daß die ukranisch-orthodoxe Kirche sich der Oberherrschaft des Papstes in Rom unterstellt hat, daß dies aber der Patriarch in Moskau keineswegs getan hat (1).

Diese Machtverhältnisse sind den wenigsten Menschen bewußt. Wie diese aber in der Ukraine gelagert sind, kann auch noch einmal geschichtlich sehr gut an dem Metropoliten von Lemberg Andrej Scheptyzkyj (polnisch Andrzej Szeptycki; 1865-1944) (Wiki) erläutert werden. Scheptyzkyj stammte aus einem  nicht uninteressanten polonisierten ukrainischen Adelsgeschlecht. Sein Amtsbereich, traditionell "Galizien" genannt, gehörte bis 1918 zur österreichisch-ungarischen Monarchie, einem Kernland des Katholizismus. Sein Vater war Abgeordneter des österreichischen Reichsrates. Sein Großvater mütterlicherseits war - interessanterweise - einer der bedeutendsten Komödiendichter Polens.

Dieser Andrej Scheptyzkyj hatte noch zwei weitere Brüder. Das Leben dieser drei Brüder macht mit religionspolitischen, religions- und zeitgeschichtlichen Zusammenhängen bekannt, deren sich sicherlich nur die wenigsten Menschen bewußt sein werden in der westlichen Welt, selbst wenn sie eine umfangreichere Allgemeinbildung in diesen Bereichen besitzen sollten. Zunächst also zu diesem Lemberger Metropoliten (Wiki):

"Am 22. August 1892 empfing Scheptyzkyj im griechisch-katholischen Ritus die Priesterweihe. Er studierte im Jesuitenseminar von Krakau und promovierte im Jahr 1894 zum Doktor der Theologie. (...) Papst Leo XIII. bestätigte die Ernennung am 19. Februar 1899. (...) Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde der Metropolit festgenommen und in mehreren Orten der Ukraine und Rußland inhaftiert."

Mehrere, sicherlich nicht uninteressante Angaben. 

1914 /15 - Besetzung Lembergs durch Rußland

Versuchen wir zunächst eine allgemeinere Einordnung: Ende August 1914, zu der Zeit als die Schlacht von Tannenberg in Ostpreußen siegreich für Deutschland geschlagen wurde, war die österreichisch-ungarische Armee von Lemberg aus in mehreren blutigen Schlachten siegreich gegen Lublin vorgegangen. Auch der Großvater des Autors dieser Zeilen ist damals als 22-Jähriger mit vorgestürmt und hat hundert Kilometer nördlich von Lemberg eine Kriegsverletzung erhalten.*) Wenige Wochen später aber schon wendete sich das Blatt. Österreich erlitt in den Schlachten um Galizien (Wiki) verheerende Niederlagen und mußte den Rückzug antreten. Die Verluste auch unter den österreichischen Kaiserjägern waren verheerend und sollten sich auf den ganzen weiteren Kriegsverlauf für Österreich nachteilig auswirken.

Lemberg war am 2. September von der russischen Armee besetzt worden. Es blieb dann bis zu seiner Rückeroberung durch die Deutschen im Juni 1915 russisches Besatzungsgebiet. Die dann erfolgte Festnahme und Inhaftierung des Metropoliten von Lemberg zeigt womöglich, daß das Russische Kaiserreich schon damals voller Mißtrauen war gegenüber der ukranisch-orthodoxen Kirche und dem römischen Papst, der hinter ihr stand. Natürlich mag die Inhaftierung auch in Zusammenhang mit dem Wissen um die anderen Familienangehörigen des Metropoliten gestanden sein.

Sein zwei Jahre jüngere Bruder Stanislaw (Wiki) war Offizier der k.u.k.-Armee. Er sollte später der "Polnischen Legion" angehören. Nach dem Ersten Weltkrieg war er 1919 auch führender Offizier der polnischen Armee in ihrem Krieg gegen die Rote Armee in Minsk. In den frühen 1920er Jahren gehörte er in Polen der Partei des imperialistischen, deutschfeindlichen Roman Dmowski an.

Abb. 1: Er litt um der imperialistischen Machtgier des Papsts in Rom willen in sowjetischen Gefängnissen: Der Exarch von Rußland Klemens Scheptyzkyj (Wiki)

Als weiterer belastender Umstand für den Metropoliten von Lemberg wird gegolten haben, daß sein drei Jahre jüngerer Bruder Klemens (Klymentij) Scheptyzkyj (1869-1951) (Wiki) (Abb. 1) vor 1914 zweitweise Mönch der Benediktiner in Deutschland gewesen war. Er hat später in der Ukraine eine Funktion ausgeübt, die dem eines deutschen "Abtes" entspricht. 

1915 war Lemberg von den Deutschen wieder erobert worden. Ende 1918 wurde Lemberg von den deutschen Truppen geräumt. Es kam mit Galizien - als "Ostpolen" - an den neu gegründeten Staat Polen.

1939 - "Exarch von Rußland" - Religionspolitischer Ausgriff von Lemberg in Richtung Moskau

Zeitsprung: Im September 1939 wurden Lemberg und Galizien - gemäß den Vereinbarungen des Nichtangriffspaktes mit Deutschland - von der Sowjetunion besetzt. Wir hören nun von einem anderen bemerkenswerten Ereignis: Klemens Scheptyzkyj wurde von seinem Bruder Andrej nominell zum "Exarch von Rußland" (Wiki) ernannt. Ein mehr als auffallender Vorgang.

Ein solcher Exarch müßte seinen Sitz eigentlich in Moskau haben. Er würde dort in Konkurenz stehen zum dortigen russisch-orthodoxen Patriarchen, der sich - bekanntlich - der Oberhoheit des Papstes noch nie unterstellt hat. 

Aber es gab - und gibt - für dieses Amt bis heute keine Organisationstrukturen. Dafür fehlen in Rußland sowohl die Priester wie die ukrainisch-orthodoxen Gläubigen. Sicherlich gibt es weitere Gründe dafür, daß diese Stelle des "Exarchen von Moskau" nach 1951 auch nominell vakant geblieben ist (siehe unten). Sie dürften aber nicht darin liegen, daß die religionsimperialistischen Bestrebungen des Papstes von Rom und der katholischen Kirche etwa seither keine Ansprüche mehr erheben würde auf weltweite Unterordnung christlicher Gläubiger unter den Papst.

1941 - Das Patriarchat von Moskau stellt sich hinter Stalin

Im Juni 1941 wurde Lemberg von den Deutschen besetzt. Der Metropolit von Lemberg unterstützte in den Folgejahren einerseits die Aufstellung einer ukrainischen SS-Divsion, andererseits versuchte er, Judenmorde in der Ukraine zu verhindern. Insbesondere auch sein Bruder Klemens Scheptyzkyj soll in dieser Zeit ukrainischen Juden das Leben gerettet haben.

Als Zeichen seiner Unterstellung unter den Papst in Rom berichtete der Metropolit auch an diesen über die Lage in seinem Bistum und über die wechselnden Stimmungsverhältnisse unter der deutschen Bestatzung.**)

Zur gleichen Zeit stellte sich der damalige Moskauer Patriarch Sergius (gest. 1944) (Wiki) hinter die Kriegsanstrengungen Stalins (Wiki):

Zu Beginn des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 rief Sergius die Gläubigen auf, sich an der Verteidigung des Vaterlandes zu beteiligen. Er bekundete seine Überzeugung eines sowjetischen Sieges. (...) Ende Dezember 1942 rief er die orthodoxen Gläubigen dazu auf, für die Aufstellung einer Panzerkolonne Geld zu spenden. Anfang März 1944 wurde diese Panzerkolonne unter dem historisch beziehungsreichen Namen "Dmitri Donskoi" von Metropolit Nikolai der Roten Armee übergeben.

1943 - Das Patriachat von Moskau wird von Stalin wiederbelebt

Waren es diese Gesten allein, die Stalin am Vormittag des 5. September 1943 dazu veranlaßten, sich mit den drei obersten Metropoliten der russisch-orthodoxen Kirche zu treffen? Jedenfalls: Er (Wiki) ...

versprach einige Konzessionen, um ihre Loyalität und Unterstützung zu erlangen. Zu den Konzessionen gehörte die Wiedereröffnung der Moskauer Theologischen Akademie, die Befreiung von internierten Priestern, die Rückgabe von Kirchenbesitz, einschließlich des berühmten Troice-Sergiev-Klosters. Im Gegenzug stellte die Sowjetregierung die Kirche unter die Kontrolle ihres Geheimdienstes.
and promised some concessions to religion in exchange for their loyalty and assistance. Among the concessions were the permission to open the Moscow Theological Seminary and Academy, the release of imprisoned clerics, the return of some church property, including the famous Troitse-Sergiyeva Lavra. In return, the Soviet government put the Church under the control of its secret services. 

Auf dem englischen Wikipedai heißt es dazu außerdem (Wiki):

Am 4. September 1943 wurden die Metropoliten Sergius (Stragorodsky), Alexius (Simansky) and Nicholas (Yarushevich) von dem Sowjetführer Josef Stalin offiziell anerkannt. Sie erhielten die Erlaubnis, am 8. September 1943 eine Versammlung einzuberufen, die Sergius zum Patriarchen von Moskau und aller Russen wählte. Die Theologische Akademie und ihr Seminar in Moskau, die seit 1918 geschlossen waren, wurden wieder eröffnet.
On September 4, 1943, Metropolitans Sergius (Stragorodsky), Alexius (Simansky) and Nicholas (Yarushevich) were officially received by Soviet leader Joseph Stalin. They received permission to convene a council on September 8, 1943, that elected Sergius Patriarch of Moscow and all Rus'. The Moscow Theological Academy and Seminary which had been closed since 1918 was re-opened.

1944 - Das Patriarchat von Moskau fordert Unterordnung von Lemberg

Mit diesen Vorgängen wird etwas verständlicher, was sich dann anbahnt, nachdem Lemberg im Jahr 1944 von der Roten Armee zurück erobert worden ist. Nachdem der Metropolit selbst im November 1944 gestorben war, galten seinem Bruder Klemens Scheptyzkyj die Maßnahmen des sowjetischen Geheimdienstes (Wiki):

"Mit der Wiederkehr der Sowjets 1944 wurde eine koordinierte Aktion gestartet, um die Kirche (in der Ukraine) zu zerstören und in das Moskauer Patriarchat einzuverleiben. (...) 1947 wurde er (...) in Kiew nach seiner unerschütterlichen Verweigerung, seinen Glauben aufzugeben und dem Moskauer Patriarchat zu dienen, zu acht Jahren Gefängnis verurteilt."

Wiederum ein bemerkenswerter Vorgang. Stalin und sein Geheimdienst stellen sich wahrlich sehr stark auf die Seite des Patriarchen von Moskau. 

Und die Haltung der anderen Seite ist ebenso bemerkenswert: Sich der Oberhoheit des Patriarchen von Moskau zu unterstellen, der ebenso an Jesus Christus und die Bibel glaubt wie er selbst, hieß für Klemens Scheptyzkyj "seinen Glauben aufzugeben". Es werden hier doch überraschend scharfe Gegensätze greifbar, zu denen sich sogar der sowjetische Geheimdienst damals positionierte, und zwar sehr eindeutig. Im Wendejahr 1989 ist diese damalige Haltung des Sowjet-Staates in einem "Times"-Artikel einmal folgendermaßen erläutert worden (5):

Das Sowjetregime hat immer gefügige russisch-geführte orthodoxe und protestantische Kirchen dem Katholizismus gegenüber bevorzugt, die unabhängiger ist und durch einen temperamentvollen Papst in Rom geführt wird.
The Soviet regime has always preferred docile Russian-led Orthodox and Protestant churches to Catholicism, which is more independent and led by a feisty Pope in Rome.

Immer? Nun, man fühlt sich an dieser Stelle auch daran erinnert, daß es von Stalin das Wort gegeben haben soll "Wie viele Divisionen hat der Papst?" Es blieb immer nur ein Gerücht, daß Stalin diese Worte gesprochen haben soll (6, 7). Und zwar sogar eines, das möglicherweise schon vor dem Zweiten Weltkrieg unter westlichen Politikern die Runde gemacht hat, das von ihnen dann aber auch noch in alle möglichen Zusammenhänge gebracht wurde (Konferenzen von Teheran, Jalta und Potsdam). Die Verfolgungen der orthodoxen ukrainischen Kirche ab 1944 gibt bezüglich eines solchen ausgesprochenen Satzes ein ganz anderes Bild. Stalin scheint sich des nicht ungefährlichen Einflusses der katholischen Kirche durchaus bewußt gewesen zu sein. Es hieß damals weiter (5):

Unter Stalin kamen alle ukrainisch-katholischen Bischöfe ins Gefängnis und eine verlogene Synode löste Unterordnung (unter den Papst), womit über 4.100 Kirchen an die russische Orthodoxie übergingen. Die Mehrheit der katholischen Priester widersetzten sich der Übernahmen und kamen entweder ins Gefängnis oder tauchten in den Untergrund.
Under Stalin, all Ukrainian Catholic bishops were imprisoned and a fraudulent 1946 synod dissolved their jurisdictions, handing over 4,100 churches to Russian Orthodoxy. The majority of the Catholic priests rejected the takeover and either were arrested or went into hiding.

Wir hören noch mehr darüber auf dem Wikipedia-Artikel zu dem Patriarchen Alexius (Wiki):

Am 2. Februar 1945 wurde Alexius mit Stalins Erlaubnis als gewählter Patriarch von Moskau und ganz Rußland inthronisiert. 1946 führte Alexius die Präsidentschaft über die kontrovers erörterte "Wiedervereinigung" der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche mit der Russisch-Orthodoxen Kirche, was von vielen als eine Übernahme angesehen wurde, die von der Stalin-Regierung erzwungen wurde. 1946 forderte Patriarch Alexius auch alle Katholiken in der Sowjetunion auf, alle Verbindungen mit dem Papst aufzugeben: "Befreit euch! Ihr müßt die Verbindungen mit dem Vatikan lösen, die euch in den Abgrund des Irrtums, der Dunkelheit und des geistigen Niedergangs schleudern. Beeilt euch, kehrt zu eurer wahren Mutter zurück, der russisch-orthodoxen Kirche!" Papst Pius XII. antwortete: "Wer weiß das nicht, daß der Patriarch Alexius I. jüngst von den dissidenten Bischöfen Rußlands gewählt worden ist und sich offen dazu erhebt und dien Abfall von der katholischen Kirche predigt. In einem Brief, den er jüngst an die Ruthenische Kirche gerichtet hat, einen Brief, der nicht wenig zur Verfolgung beiträgt?" (...) Nach Christopher Andrew und Vasili Mitrokhin waren sowohl der Patriarch Alexius wie der Metropolit Nikolas "vom KGB als Einflußagenten hoch geachtet".
On February 2, 1945, with Stalin's approval, Alexius I was elected Patriarch of Moscow and all of Russia and enthroned on February 4, 1945. In 1946 Alexius I presided over the controversial "re-unification" of the Ukrainian Greek Catholic Church with ROC seen by many as a takeover forced by the Stalinist government.  Also in 1946, Patriarch Alexius called on all Catholics in the Soviet Union to reject all allegiance to the Pope: "Liberate yourself! You must break the Vatican chains, which throw you into the abyss of error, darkness and spiritual decay. Hurry, return to your true mother, the Russian Orthodox Church!" Pope Pius XII replied: "Who does not know, that Patriarch Alexius I recently elected by the dissident bishops of Russia, openly exalts and preaches defection from the Catholic Church. In a letter lately addressed to the Ruthenian Church, a letter, which contributed not a little to the persecution?" (...) According to Christopher Andrew and Vasili Mitrokhin, both Patriarch Alexius and Metropolitan Nicholas "were highly valued by the KGB as agents of influence."

Klemens Scheptyzkyj jedenfalls starb 1951 im Gefängnis. Es ist an dieser Stelle zur Kenntnis zu nehmen, daß das Moskauer Patriarchat in Sowjetzeiten zwischen 1943 und 1959 mit Unterstützung des Staates religionsimperialistisch gegenüber der ukrainischen Kirche aufgetreten ist, dessen religionsimperialistische Ansprüche in Richtung Moskau spätestens seit 1939 bekannt waren (siehe oben). Über das oben erwähnte Troice-Sergiev-Kloster, 70 Kilometer nordöstlich von Moskau lesen wir noch (Wiki):

1946 konnte wieder eingeschränkt das religiöse Leben (...) aufgenommen werden, nachdem Teile der Klosteranlagen der russisch-orthodoxen Kirche zurückgegeben wurden. 1948 nahm die Geistliche Akademie auf dem Klostergelände wieder den Lehrbetrieb auf.

Und wir lesen weiter (Wiki):

Zwischen 1945 und 1959 erreichte die Zahl der wiedereröffneten Kirchen 25.000. Um 1957 waren 22.000 russisch-orthodoxe Kirchen wieder aktive geworden.
Between 1945 and 1959 the number of open churches reached 25,000. By 1957 about 22,000 Russian Orthodox churches had become active.

1959 bis 1989 - Erneute Unterdrückung der russisch-orthodoxen Kirche

Doch zwischen 1958 und 1964 war Nikita Chruschtschow an der Macht. Er hat sich 1959 auf seinem USA-Besuch in Camp David und anderwärts sehr gut mit den dortigen Kapitalisten verstanden, etwa mit Bernard Baruch. Und anläßlich seines Besuches kam es auch zu Absprachen zwischen westlichen und östlichen Geheimdiensten, unter anderem dahingehend, daß der sowjetische Geheimdienst durch Hakenkreuzschmiereien im Westen eine dortige erste Welle der "Vergangenheitsbewältigung" in Gang bringen sollte, um die Wiederbelebung eines deutschen Nationalismus zu verhindern. In seinem Verhältnis zur russisch-orthodoxen Kirche sah die von ihm durchgeführte "Entstalinisierung" keineswegs besonders deutlich nach "Entstalinisierung" aus. Wiederum ein Umstand, der wenig bekannt sein dürfte (Wiki):

1959 initiierte Nikita Chruschtschow seine eigene Kampagne gegen die Russisch-Orthodoxe Kirche und veranlaßte die Schließung von etwa 12.000 Kirchen. Um 1985 waren weniger als 7000 Kirchen aktiv geblieben. Es wird geschätzt, daß bis zum Ende der Chruschtschow-Äre 50.000 Priester exekutiert worden waren. Angehörige der Kirchenhierarchie kamen ins Gefängnis oder wurden ausgewiesen, ihre Stellungen wurden durch gefügigere Priester eingenommen, von denen viele in Beziehungen zum KGB standen.
1959 Nikita Khrushchev initiated his own campaign against the Russian Orthodox Church and forced the closure of about 12,000 churches. By 1985 fewer than 7,000 churches remained active. It is estimated that 50,000 clergy were executed by the end of the Khrushchev era. Members of the church hierarchy were jailed or forced out, their places taken by docile clergy, many of whom had ties with the KGB.

Wendejahr 1989. Die Hoffnungen der katholischen Kirche in Rom fliegen hoch auf, ihren Machtbereich in der Ukraine wieder zu gewinnen. In dem schon zitierten Time-Artikel heißt es (5):

Der Hauptgrund dafür, daß Gorbatschow noch nicht mehr für die ukranischen Katholiken getan hat, war der Druck der russischen Orthodoxie, die in einigen Regionen damit rechnen muß, die Hälfte ihrer Herde zu verlieren.
The major reason that Gorbachev has not done more for the Ukrainian Catholics has been pressure from the Russian Orthodoxy, which stands to lose half its flock in some regions.

Ja, sogar die Hoffnungen auf Wiedervereinigung er Ostkirche mit der Westkirche flogen damals hoch auf in Rom (5). Es wurde auch eine zweite Rechristianisierung in der vormaligen Sowjetunion vorausgesehen (5).

1989 - Der Jesuit Otto Messmer in Gottesdiensten bei den Rußlanddeutschen

In diesem Umbruchjahr 1989 entstand auch eine Fernsehdokumentation über jenen damals 28-jährigen Jesuiten Otto Messmer SJ, der dann 2008 in Moskau ermordet worden ist, ein Ereignis, auf das wir in einem älteren Blog ausführlich eingegangen waren (3). Einige Ausführungen, die wir als Aktulisierung in den früheren Blogartikel mit hinein genommen haben, können auch noch einmal in diesen aktuelleren Blogartikel aufgenommen werden.

Abb. 2: Szene aus der Dokumentation von 1989 mit Otto Messmer SJ während eines Gottesdienstes für Litauer (4)

Seit Jahrzehnten betreibt die katholische Kirche eine sogenannte "Ostpriesterhilfe". Bei dieser geht es letztlich um die eben schon erwähnte zweite Rekatholisierung Rußlands und anderer osteuropäischer Länder. Diese "Ostpriesterhilfe" betreibt neuerdings auch einen reich bestückten Youtube-Kanal. Und auf diesem findet sich seit 2020 eine Film-Dokumentation aus dem Jahr 1989, in der ab Minute 21'54 über die seelsorgerische Arbeit des im Jahr 1989 28-jährigen Jesuiten Otto Messmer in verschiedenen katholischen Gemeinden in Rußland berichtet wird. Einleitend heißt es dazu in ihr (4):

Es gibt wenige so glaubensstarke Familien wie die Messmers. Von den neun Kindern der Witwe sind fünf Söhne Priester geworden.

Von diesen fünf katholischen Priestern sind drei Jesuiten geworden. Otto Messmer nimmt in den Filmsequenzen die Beichte ab, er segnet, er verteilt Oblaten. Die unterwürfigen Blicke, mit denen die Gläubigen der von Messmer betreuten Gemeinden auf ihn blicken, sein "hoheitsvolles" Gebaren, sein arroganter, verachtender Blick, all das läßt einen mehr als befremdlichen, ja, beklemmenden Eindruck zurück (Abb. 2).

Solch ein beklemmendes kirchliches Leben hat es in Europa oft noch bis lange nach 1945 gegeben. Und wer weiß, ob das nicht auch heute noch vergleichsweise weit verbreitet ist. Trotz all der "Querelen", die die Öffentlichkeit der westlichen Welt mit dern Kirchen hat, insbesondere mit der katholischen. In einem Nachruf auf Nikolaus Messmer, einen der Brüder von Otto Messmer, wird 2016 aus dem Nachruf auf Otto Messmer in der Jesuiten-Zeitschrift "Weltweit - Das Magazin der Jesuitenmission" aus dem Jahr 2006 zitiert (pdf; sowie: Katholisches 7/2016):

Seine Eltern sind ein Zeugnis dafür, wie Rußlanddeutsche unter den Sowjets im Untergrund an ihrem Glauben festhielten und ihn an ihre Kinder weitergaben. Die Eltern stammen aus Speyer bzw. Kandel im Schwarzmeergebiet und wurden nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges aus dem sogenannten Warthegau wieder in die Sowjetunion deportiert. Es gelang ihnen, sich bis nach Karaganda durchzuschlagen, dem Zentrum der katholischen Untergrundkirche. Dort wurden Otto und auch alle seine 5 Brüder und 3 Schwestern geboren. Geprägt wurde Otto durch den litauischen Jesuitenpater Albinas, der nach seiner Zeit im Gefängnis in Sibirien von 1975 an auch in Karaganda wirkte. Pater Albinas gründete das Noviziat im Untergrund, in das auch Otto eintrat.

Das sind also jene Katholiken, denen Klemens (Klymentij) Scheptyzkyj (1869-1951) (Wiki) seit 1939 "Exarch von Rußland" hätte sein können - wenn er denn hätte können und wenn die Übertritte von Priestern von der katholischen Kirche zur ukrainisch-orthodoxen Kirche ebenso leicht möglich gemacht worden wären wie sie in der Familie Scheptyzkyj gelebt worden sind.

Der hier erwähnte Pater Albinas äußert sich auf Youtube übrigens ebenfalls kurz über das Gemeindeleben in Karaganda (Yt). Sein Wirken wird auf Wikipedia herausgestellt (Wiki). Soweit dazu.

Bezeichnenderweise heißt der Kanal von "Kirche in Not / Ostpriesterhilfe" heute immer noch "Kirche in Not" statt "Kinder in Not" .... Man findet da ganz aktuelle Videos mit so bigotten und glaubenskämpferischen Titeln wie:

  • "Chinas Katholiken - Avantgarde des neuen China?"
  • "Die Ukraine, eine Hochburg der Ökumene" (in drei Teilen) ("Ökumene" also wie sie vom Papst immer schon relgionsimperialistisch verstanden wurde ....)
  • "Verfolgung zu erleiden, ist ein Privileg"
  • "Politischer Machtkampf oder religiöser Eifer" (keine Analyse von Katholizismus, sondern vom Islam)
  • "Weißrußland: Same unter den Dornen"
  • "Neue Wege der Evangelisierung" (sprich der Mission, Gegenreformation und Geistesknechtung)
  • "Kirchenkrise und kein Ende - Laufende Medienkampagnen gegen die Kirche"
  • "Der Zölibat, kein Joch, sondern ein Geschenk"

Allein diese wenigen Titel zeigen, auf was für eine fremdartige und befremdliche Geisteswelt man hier stößt. Sogar die alte Christa Meves kommt auf dem Kanal mehrfach zu Wort, der vormalige Geheimkatholik Klaus Berger, der Vorstreiter kinderreicher Familien Jürgen Liminski. All das kann man nur mit großer Beklemmung zur Kenntnis nehmen.

Klaus Mertes, dessen glaubenskämpferische Stellungnahme zum Mord an Otto Messmer im Jahr 2008 so bemerkenswert schien (3), ist im Jahr 2021 übrigens Superior des Ignatiushauses in Berlin geworden. Er kehrte also dorthin zurück, wo er schon vormals auf "Vorposten" stand im katholischen Kampf gegen russischen Atheismus und russische Orthodoxie in Osteuropa. Und ausgerechnet dort im Ignatiushaus ist der "Jesuiten-Flüchtlingsdienst" (Wiki) angesiedelt. Was einen auf den Gedanken bringen könnte, daß sogar ein wahrer Kern in den Behauptungen Rußlands und Weißrußlands stecken könnte, die Migrationskrise in Weißrußland wäre vom Westen aus eingefädelt worden.
 
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*) Dieser Großvater war ein Salzburger, der am 28. August 1914 hundert Kilometer nördlich von Lemberg in zu jenem Zeitpunkt für die k.u.k.-Armee noch siegreichen aber verlustreichen Kämpfen bei Tomaszow als 22-jähriger Gefreiter eine schwere Fußverletzung erlitt. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist er durch die Schwere der dortigen Kämpfe auch traumatisiert worden (St.Nat. 2014).
**) Noch weitere Einzelheiten: In der Ukraine wurde der Einmarsch der Deutschen und die Befreiung vom Kommunismus zunächst weithin als große Erleichterung empfunden. Vor allem auch angefeuert durch den Metropoliten von Lemberg gründeten die ukranisch-nationalistischen Kreise rund um Stefan Bandera (1909-1959) (Wiki) einen unabhängigen ukranischen Staat (2):

Der Segen und die Zustimmung des Metropoliten waren für die Befürworter und Drahtzieher der damaligen Ereignisse von "überragender politischer und moralischer Bedeutung". Sie galten für sie retrospektiv als eine Art Legitimation  ihrer  Handlungen  und  als  Bestätigung der Richtigkeit dieses Schrittes.

Diese Aussage wird von Historikern dahingehend eingeschränkt, als darauf hingewiesen wird, daß der Metropolit von Lemberg die heidnischen Tendenzen der Bandera-Bewegung zugleich auch kritisch gesehen hat (2). Also eine ähnliche Einstellung wie sie die katholische Kirche auch sonst gegenüber dem Dritten Reich zeigte. Die Staatsgründung durch die ukranischen Nationalisten wurde durch die deutsche Reichsregierung wieder aufgehoben. Über den Metropolit Andrej Scheptyzkyj ist dann zu erfahren (2):

Etwa  acht  Monate  nach  dem  Beginn  (...) der  deutschen  Besatzung  Galiziens  begann  sich  bei  Sheptytskyj  eine  Wende  in seiner Einstellung zum deutschen Regime und dessen Politik zu vollziehen. (...) Spätestens im Februar-März 1942 verschwindet in Sheptytskyjs Schreiben der anfängliche Optimismus allmählich. Exemplarisch für diese Stimmungs-Änderung ist die bittere Feststellung Sheptytskyjs im Brief an Pius XII. vom 28. März 1942: Als irreführend bezeichnete er in  dem Schreiben, daß die  Deutschen vorgetäuscht hätten, die Ukrainer seien ihre „Freunde“ und „Verbündete“. Er behauptete, bereits wenige Wochen nach dem Beginn der deutschen Besatzung erkannt zu haben und sich seitdem „hunderte Male“ überzeugt zu haben, daß alles gelogen wäre.

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  1. Bading, Ingo: Warum zündelt Weißrußland mit einer "Migrationskrise"? 15.11.2021, https://studgenpol.blogspot.com/2021/11/ruland-in-seinem-spannungsverhaltnis.html
  2. Andriy Mykhaleyko: Metropolit Andrey Graf Sheptytskyj und das NS-Regime. Zwischen christlichem Ideal und politischer Realität. Brill, Schöningh, 22 Nov 2019, https://www.schoeningh.de/view/title/55672
  3. Bading, Ingo: 2008 in Moskau brutal ermordet - Der oberste Jesuit Rußlands, 2010, https://studgenpol.blogspot.com/2010/03/ermordet-im-kampf-fur-den-rechten.html  
  4. Gyöngyössiy, Imre u.a.: Katholiken in Sowjet-Mittelasien. Kirche in Not / Ostpriesterhilfe in Zusammenarbeit mit der Satellit-Film GmbH 1989 [auf Youtube seit 2020], https://youtu.be/e36jLnt3mKM.  
  5. Ostling, Richard N.: Cross Meets Kremlin Sunday. Gorbachev's historic visit to Pope John Paul II seals a truce after 72 years of bitter spiritual warfare, Time, 4.12.1989, http://content.time.com/time/subscriber/article/0,33009,959164,00.html, (auch: Archive
  6. Tréguer, Pascal: History of the phrase "How many divisions has the Pope?", https://wordhistories.net/2019/08/23/how-many-divisions-pope/
  7. Foreign Relations of the United States. The Conference of Berlin. (The Potsdam Conference) 1945. Volume II, Washington 1960, (G-Bücher), S. 252

Montag, 15. November 2021

Plätschermusik, Ade!

Die Zukunft des Einkaufens:
- Der Abholservice von Rewe

In diesem Blogbeitrag ein Service-Hinweis an alle unsere treuen Blogleser.

Insbesondere an alle Ungeimpften und an alle in Quarantäne befindlichen Leser.

Symbolbild - Rewe-Markt in Essen (Wiki)

Aber eigentlich ein Service-Hinweis für alle Leser.

Die Zukunft des Einkaufens wird jener Abholservice sein, den der Einkaufsmarkt Rewe (Wiki) schon heute so vorbildlich anbietet. Und das schon seit 2019.

Rewe hat von allen uns bekannten "normalen" Supermärkten die größte Auswahl an Bio-Produkten zum besten Preis. Dadurch fiel er un zum ersten mal vor etwa einem halben Jahr sehr positiv auf. Aber nicht nur das. Heute haben wir zum ersten mal den Abholservice von Rewe genutzt. Und wir sind sehr begeistert. Das ist die Zukunft des Einkaufens. 

Das funktionierte auch bei uns exakt so wie in dem eingebundenen Video schon vor zwei Jahren dargestellt. Auch alle äußeren Umstände scheinen bei allen Märkten sehr ähnlich zu sein.

Diese ganze Plärrerei "aus kleinen runden Löchern in der Wand": 

Vergangenheit. 

Das ist an manchen Orten (wie am Ort des Bloginhabers) derzeit noch ganz kostenlos. An anderen Orten, die wir recherchiert haben, wird dafür gegenwärtig von Rewe eine Gebühr um die zwei Euro erhoben. Je nach Nachfrage kriegt man noch am selben Tag oder erst zwei bis drei Tage später einen Abholtermin von Rewe vorgeschlagen. 

Und das alles geht auch bei der Online-Bestellung auf der Shop-Seite von Rewe (Rewe-Shop) deshalb so toll, weil man überall gleich nur die Bio-Produkte-Auswahl ansteuern kann und gar nicht viel suchen muß. Und weil man auch Favoriten für den nächsten Einkauf speichern und dann erneut abrufen kann.

Was für eine Zeitersparnis. Nie wieder Schlange stehen, nie wieder Geplärre aus kleinen runden Löchern hören. Nie wieder endlos "zwischen Supermarktregalen" herumirren. Man weiß schon ...

.... Zwischen Supermarktregalen
kriecht ein junger Mann
Und sucht verwirrt nach seinem Glück ....
Bei dem Rewe-Markt, den der Bloginhaber nutzt, haben sie für den Abholservice eine eigene Tür mit eigener Verkaufstheke. Exakt so wie im eingebundenen Video. Man kann dort direkt mit dem Auto oder mit dem Fahrrad oder mit dem E-Fahrrad oder mit welchem modernen Vehikel sonst vorfahren. So daß die Abholung sehr schnell beendet ist und ohne viel Kontakt.

Das alles bietet sonst noch keine andere Einkaufskette in ganz Deutschland an. Soweit zumindest wir das durch Recherchen überblicken. Zumindest nicht so flächendeckend wie Rewe.

Zwar bietet diesen Abholservice derzeit noch nicht jeder Rewe-Einkaufsmarkt an. Aber Stichproben zeigen, daß man in der Regel nicht weiter als 15 Kilometer fahren muß, um - auch in dünner ländlicher Besiedlung wie in Brandenburg - auf einen solchen Einkaufsmarkt mit Abholservice zu stoßen. Das gilt auch für andere Bundesländer, für die wir das getestet haben.

Wer noch Fragen hat, wendet sich gerne an den Bloginhaber. Einfach "Rewe Abholservice" und den eigenen Heimatort gooogeln, schon erhält man den nächsten Rewe-Markt, der das anbietet.

Und Du hast mehr Zeit, Dich dem Projekt Gesellschaftlicher Aufbruch wirklich voll und ganz zu widmen!

Warum zündelt Weißrußland mit einer "Migrationskrise"?

Gas abstellen oder Migranten schicken, was ist besser?
- Weißrußland und Rußland in ihrem Spannungsverhältnis zum Westen

Seit Juli 2021 geschehen rund um Weißrußland merkwürdige Dinge. Sie werden mit dem Begriff "Migrationskrise" benannt (Wiki). Nachdem die Europäische Union durch Sanktionen politischen Druck auf Weißrußland aufgebaut hat, sammelt der weißrussische Diktator Aljaksandr Lukaschenka migrationswillige Menschen aus vielen muslimischen Ländern, läßt sie nach Minsk fliegen, läßt sie an die Grenzen von Lettland, Litauen und Polen fahren und läßt ihnen dort Anweisungen geben, wie sie illegal die Grenze nach Westen übertreten können, um nach Deutschland gelangen zu können.

Abb. 1: Typischer russischer Gefängnisbau wie solche Anfang des 19. Jahrhunderts errichtet wurden und heute immer noch benutzt werden - Hier das Gefängnis in Daugavpils (/Dünaburg) in Estland (Wiki) - Ein ähnliches Gebäude befindet sich in Pskov (/Pleskau)

Anders als im Jahr 2015 reagiert die deutsche Regierung darauf bislang aber mit einer festen Haltung. Sie verbietet allen Fluggesellschaften, bei denen sie das kann, das Fliegen nach Weißrußland und stärkt Polen, Litauen und Lettland auch sonst den Rücken was ihre Grenzschutzmaßnahmen betrifft. Zu gleicher Zeit wird dem weißrussischen Diktator von Putin her der Rücken gestärkt.

In welche größeren politischen Zusammenhänge ordnet sich dieses Geschehen ein? Die politischen, militärischen und neuerdings "migrationspolitischen" Drohgebärden Rußlands und Weißrußlands gegen den Westen - wie umgekehrt Drohgebärden der NATO gegen Rußland und Weißrußland - können in vielen Aspekten auf einer tieferen Ebene beschrieben werden als Drohgebärden des Patriarchen von Moskau, dem Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, der sich weigert, sich der machtgierigen Oberherrschaft des Papstes in Rom zu unterwerfen (1).

Diese Unterwerfung unter den Papst in Rom hat der Patriarch von Kiew schon vor Jahrhunderten vollzogen. Wenn man deshalb die Presseberichterstattung über den Ukraine-Konflikt - und jetzt über den Weißrußland-Konflikt - aus katholischer (haha: "ökomenischer") Sicht mitverfolgt, wird man immer wieder sehen, daß man hier als einen der eigentlichen Gegenspieler den Patriarchen von Moskau ansieht, der sich weigert, sich der Oberherrschaft des Papstes zu unterwerfen, ja, der sogar allen Missionsbestrebungen des Jesuitenordens außerordentlich feindselig gegenüber steht, jenes uralten Missionsorsdens, der - merkwürdig genug - ausgerechnet in Weißrußland und Rußland neuerdings wieder auf "Seelenfang" geht (1).

Als Rußland die Krim besetzte, war eine der ersten und wichtigsten Handlungen, die vollzogen wurden, daß alle orthodoxen Kirchen auf der Krim dem Patriarchen von Moskau unterstellt wurden, nicht mehr dem Patriarchen von Kiew. Das, was wir hier vor uns sehen, ist auf tieferer Ebene eine Fortsetzung von 2000 Jahren Religionskrieg zwischen christlichen Sekten.

Brutaler Mord in Moskau (2008)

Ein Schlüsselereignis zum Verstehen dieser Zusammenhänge war die brutale Ermordung des obersten Jesuiten Rußlands im Jahr 2008 in Moskau, nachdem er von einem Deutschlandbesuch nach Hause gekommen war (1). Die Stellungnahmen des Jesuitenordens zu diesem Geschehen waren damals eindeutig und scharf kämpferisch (1). Selbst von Seiten solcher Jesuiten, die sich zu gleicher Zeit im Zusammenhang mit der Aufklärung der Pädokriminalität in dieser Sekte so außerordentlich "verständnisvoll" und als "Versöhner" präsentierten.

Einen anderen Zusammenhang, den es hierbei zu verstehen gilt, ist das rechtskonservative sogenannte "Dugin-Netzwerk", das russische Okkultgläubige, die in sehr gutem Verhältnis zum Patriarchen von Moskau stehen, mit Hilfe von Rechtskonservativen in ganz Europa gespannt haben (2). Sein Wirken kann in vielen Bereichen beobachtet werden. Es wird von Seiten des russischen Staates aus gefördert. (Um hier nur einige Namen zu nennen: Alain de Benoist, Jürgen Elsässer, RussiaToday uvam..)

Die Rivalität, die hier zwischen zwei oder drei okkulten, monotheistischen "Großmächten" im Hintergrund besteht, wirkt sich dahin gehend aus, daß sich Rußland und Weißrußland von der NATO und von inneren Oppositionsbewegungen aufs Schärfste bedroht fühlen, daß sich aber andererseits die unabhängig gewordenen Nachbarländer Rußlands - oder jene, die einstmals versuchten, unabhängig zu werden (insbesondere Tschetschenien) - in umfangreichstem Maße von Rußland bedroht fühlen. Ebenso natürlich die innereren Oppositionsbewegungen in Rußland und Weißrußland. Es sind das sehr, sehr viele Völker und Staaten im Randbereich des heutigen Rußland, allen voran einstmals die Tschetschenen, an denen ein abschreckendes Beispiel vollzogen wurde, die Ukraine, schließlich aber auch Litauen, Lettland und Estland.

Alle diese Länder und Völker - Weißrußland und Rußland eingeschlossen - sind Spielbälle der genannten monotheistischen Mächte im Hintergrund. Um die Interessen der Völker geht es dabei schon lange nicht mehr. Weder im Westen noch in Rußland.

Ein versöhnungswilliger Metropolit in Minsk tritt zurück (2020)

In diese Zusammenhänge ordnen sich nun auch nahtlos die Vorgänge in der Russisch-Orthodoxen Kirche von Weißrußland ein. Dem Patriarchen von Moskau ist ja auch der Metropolit von Minsk (in Weißrußland) unterstellt. Der dortige Metrolpolit Pawel Ponomarjow (Wiki) hat im August 2020 - nach neunjähriger Amtszeit - sehr überraschend seinen Rücktritt erklärt. Ihm wurde ein Amtsbereich im Osten Rußlands - am Kuban - angewiesen. Das dürfte weit weg sein von allzu tagesaktuellen politischen Spannungszonen. Als sein Nachfolger wurde der Metropolit Veniamin (Tupeko), der erste Metropolit, der selbst aus Weißrußland stammte, ernannt. Veniamin, so wird berichtet (G2W 9/2020),

verfüge über ein strikt kanonisches Kirchenbewußtsein und sei ein klarer Gegner autokephaler Strömungen.

Mit "autokephale Strömungen" sind Strömungen gemeint, die von einer klaren Unterordnung unter den Patriarchen von Moskau hinweg gravitieren. Das heißt also, der neue Metropolit verfügt über ein klares Bewußtsein darüber, daß er dem Patriarchen von Moskau restlosen Gehorsam und restlose Unterordnung schuldigt ist. Dieses Bewußtsein scheint sein Amtsvorgänger nicht wirklich verinnerlicht gehabt zu haben, so hört man es aus diesen Zeilen heraus.

Womöglich bestand Sorge, daß Weißrußland aus dem Machtbereich des Patriarchen von Moskau heraus gebrochen werden könnte so wie das mit der Ukraine schon vor Jahrhunderten geschehen ist. 

Im Briefwechsel mit einem weißrussischen, sich als sehr russisch-orthodox-gläubig darstellenden Oppositions-Politiker stellte sich der Metropolit Veniamin dementsprechend im Mai 2021 auch konsequent auf die Seite der derzeitigen weißrussischen Regierung (Noek 5/2021). Diese Vorgänge machen deutlich, daß der Patriarch von Moskau nicht gewillt ist, den imperialistischen Machtbestrebungen der Jesuiten, nämlich mit Weißrußland - über die dortige Oppositionsbewegung - eine wichtige Machtbastion aus dem Machtbereich des Patriarchen von Moskau heraus zu brechen, auch nur einen Fußbreit Raum zu geben.

Wir werden nicht falsch gehen mit der Annahme, daß mit solchen Hintergründen die skurilen Drohgebärden der heutigen weißrussischen Regierung gegenüber dem Westen am besten erklärt sind. Natürlich könnte man dazu in der katholischen und (sogenannten "ökomenischen") Presse noch sehr viel mehr Anhaltspunkte sammeln. (Wenn das Prinzip verstanden ist, werden die Dinge ja selbsterklärend und ordnen sich nahtlos zu. Monotheistische Priesterkasten funktionieren leicht durchschaubar.)

Wie also schon einleitend gesagt, zündelt die weißrussische Regierung an ihrer Grenze zu Polen (Wiki) und an ihrer Grenze zu Lettland (Wiki) mit einer außerordentlich skurilen "Migrationskrise", die vielleicht wieder einmal zeigt, wie hilftlos sie sich gegenüber den Sanktionen des Westens und gegenüber der Oppositionsbewegung im eigenen Land fühlt (Wiki).

"Grenzsicherheitszonen"

Daß die Länder Rußland und Weißrußland und ihre Nachbarländer Lettland, Litauen und Polen schon seit vielen Jahren viel weniger leichtfertig mit unerlaubten Grenzübertritten umgehen als Deutschland oder andere europäische Staaten (insbesondere 2015 und danach), ist bei den geschilderten Spannungsverhältnissen nachvollziehbar. Rußland fühlt sich von der NATO bedroht und glaubt deshalb, in vielen Grenzregionen erhöhte Alarmbereitschaft aufrecht erhalten zu müssen. Zur Russischen Föderation steht deshalb derzeit in den Reise- und Sicherheitshinweisen des deutschen Auswärtigen Amtes, daß von Reisen in die Grenzgebiete zur Ukraine, auf die Halbinsel Krim und in die Nordkaukasus-Gebiete ganz abgeraten wird. Zu den "übrigen Landesteilen" heißt es weiter (3):

Es gibt insbesondere in grenznahen Gebieten weiterhin Zonen, die nur mit Zutrittserlaubnis bereist werden dürfen. Sowohl zu Belarus, Polen als auch Litauen gibt es viele Bereiche der "grünen" Grenze, an denen Grenzübertritte einfach, aber illegal sind.

Das ist vermutlich zu harmlos ausgedrückt. Ein Grenzübertritt ist in diesen Bereichen nicht nur "einfach", sondern kann auch mit sechs Monaten bis sechs Jahren Haft in einem russischen Gefängnis bestraft werden (zumindest wenn man nicht von einem weißrussischen Diktator zuvor für einen solchen Grenzübertritt eingeflogen worden ist). Deshalb gilt zum Beispiel: Die Grenze zwischen Lettland und Rußland (Wiki, engl) ...

... darf nur an ausgewählten Grenzübergangsstationen überschritten werden. Für das Betreten grenznaher Bereiche des dortigen russischen Staatsterritoriums bedarf es einer Sondergenehmigung des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB.

Zudem hat Rußland schon in früheren Jahren versucht, mit Grenzzwischenfällen an den Grenzen zu seinen Nachbarn seine Nachbarn einzuschüchtern. Solche Grenzzwischenfälle werden von der NATO als Drohgesten verstanden. Die jetzige Migrationskrise rund um Weißrußland dürfte da nur der letzte Höhepunkt sein.

Grenzzwischenfall 2014

Als Beispiel sei ein Zwischenfall genannt an der estnisch-russischen Grenze im Jahr 2014 und eine darauf folgende Gerichtsverhandlung in Pskov (Pleskau) gegen einen darin involvierten Mitarbeiter des estnischen Geheimdienstes. Sein Name: Eston Kohver (geb. 1971) (Wiki) (4, 5). Dazu ist zu lesen (Alamy):

Ein Standbild aus einem Videomaterial zeigt den estnischen Polizeibeamten Eston Kohver in einem Käfig der Angeklagten während einer Gerichtsverhandlung in Pskov, Rußland, am 2. Juni 2015. Der estnische Polizist Kohver, der (...) von Rußland bei einer grenzüberschreitenden Razzia entführt wurde, wurde am 19. August 2015 zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt, was die Spannungen zwischen Moskau und der ehemaligen Sowjetrepublik weiter schürte.

Lettland grenzt über seine gesamte gemeinsame Landesgrenze mit Rußland hinweg an den Oblast Pskov (Pleskau) (Wiki). Auf dem englischen Wikipedia steht zu diesem Oblast Pskov (Wiki):

Es gibt Gebiete nahe der estonisch-russischen und lettisch-russischen Grenze, die in eine Grenzsicherheitszone eingeschlossen sind, die dazu dienen soll, die Grenzen der Russischen Föderation vor unerwünschten Aktivitäten zu schützen. Keine der Städte oder stadtähnlichen Siedlungen sind gegenwärtig in diese Grenzsicherheitszone mit eingeschlossen. Um diese Zone zu besuchen, ist eine Erlaubnis der örtlichen FSB-Abteilung notwendig.
The areas close to Estonian-Russian and Latvian-Russian border are included into the border security zone, intended to protect the borders of Russian Federation from unwanted activity. None of towns or urban-type settlements is currently included in the border security zone. In order to visit the zone, a permit issued by the local FSB department is required.

Soweit die Rechtslage, die man um so genauer in Rechenschaft ziehen sollte, wenn man zusätzlich noch einen Blick in die Verhältnisse des russischen Justiz- und Haftsystems wirft.

Justizsystem und Gefängnisse in Rußland

Über das Justizsystem Rußlands wird weltweit immer wieder negativ berichtet (6-8). Man liest etwa (6):

Nur selten endet ein Verfahren mit einem Freispruch. Im Jahr 2019 gab es insgesamt 2.256 Freisprüche (0,36 Prozent), 2018 waren es 2.083 (0,3 Prozent), 2017 2.233 (0,3 Prozent), in den Jahren davor war die Zahl der Freisprüche nicht beachtenswert höher. Seither sinkt nicht nur die Zahl der Freisprüche konstant, auch das Vertrauen in die Gerichte geht zurück: Richter:innen seien parteiisch, Behörden legen das Gesetz zu ihren Gunsten aus, die Eliten stellen sich über das Gesetz.

Oder (7):

Was sich in den letzten 20 Jahren allerdings nur wenig verändert hat, sind die Haftbedingungen. Heute gibt der russische Staat täglich nur etwas mehr als umgerechnet zwei Euro pro Gefangenen aus. Ein Haftplatz in Deutschland kostet rund das 60-fache. Abgesehen von oft katastrophalen Haftbedingungen müssen sich die Gefangenen in Russland auch besonderen Knast-Gesetzmäßigkeiten unterwerfen: Erniedrigungen und Folter seitens der Justizmitarbeiter oder Mitinsassen gehören dort faktisch zur Tagesordnung. Zwar gibt es bestimmte Ausnahmen, wie sie die Leiterin der Gefangenen-Hilfsorganisation Rus Sidjaschtschaja Olga Romanowa beschreibt, insgesamt sei das russische Gefängniswesen aber systematisch darauf ausgerichtet, Menschen zu brechen.

Wortereich forderte der Staatspräsident Putin in Ansprachen Reformen des Jusitzsystems, scheint aber bislang nicht sonderlich viel damit erreicht zu haben. So wurde 2014 in der russischen Presse berichtet (übersetzt mit Google Übersetzer):

In den Gefängnissen der Region Pskow wurden die Rechte der Gefangenen verletzt. Wie "AiF-Pskov" im Pressedienst der regionalen Staatsanwaltschaft berichtet, wurde nach den Ergebnissen der Inspektion festgestellt, daß in allen Justizvollzugsanstalten der Region nicht immer die notwendigen materiellen und Lebensbedingungen für Sträflinge geschaffen sind. Insbesondere Bürger, die zur Verbüßung ihrer Strafe eingereist sind, erhalten nicht die volle Kleiderzulage. Gleichzeitig kauft die Verwaltung der Kolonien nicht die notwendigen Dinge. Die Staatsanwaltschaft hat Anträge an die Leitung der Justizvollzugsanstalten eingereicht, die geprüft werden.

Bevor man Länder wie Rußland oder Weißrußland bereist, sollte man sich deshalb kundig machen über die Gesetzeslage in diesen Ländern und tunlichst nicht gegen die Gesetze dieser Länder verstoßen.

Ausländische Beobachter unerwünscht

Vielleicht besucht man zum Beispiel den Sebescher Nationalpark (Wiki), der im Dreiländereck von Lettland, Rußland und Weißrußland liegt, besser in anderen Jahren als ausgerechnet in diesem spannungsvollen Jahr 2021 (Wiki):

Die Regierung von Lettland rief am 10. August 2021 einen dreimonatigen Notstand aus, nachdem immer mehr Migranten über Belarus versucht haben, die Grenze zu passieren. Bis zum 8. September 2021 wurden 1.005 Fälle von versuchten illegalen Grenzübertritten registriert.

Man sollte auch beachten, daß die Inlandsgeheimdienste Rußlands und Weißrußlands bestimmt nicht besonders gerne die Anwesenheit ausländischer Beobachter tolerieren, wenn sie - in ihren "Grenzsicherheitszonen" - mit Migrationskrisen zündeln.

Wie übrigens der gewitzte Putin sich bei dieser Sache heraus redet, kann man auf Russia Today nachlesen (9). Er, der seit 2015 den Westen verhöhnt darüber wie dieser mit der damaligen Migrationskrise umgegangen ist, zeigt nun vor allem Mitgefühl für die Migranten in Weißrußland. Und als Schleuser wäre ja ganz gewiß nicht der weißrussische Präsident auszumachen, sondern die kämen aus dem Westen. Na klar. Noch zynischer der russische Außenminister (10):

Sergei Lawrow formulierte einen Ausweg für die Europäische Union: Wie im Flüchtlingspakt mit der Türkei von 2016 könnte Brüssel doch auch Minsk Geld dafür zahlen, daß es sich um die Migranten in Weißrußland kümmert und diese davon abhält, weiter nach Westen zu wandern. Der weißrussische Außenminister Wladimir Makei wollte gar bereits von der EU den Willen zu Gesprächen gehört haben.

Wenn der bummelwitzige, russische Bär so seine grobmaschig gestrickten Witzelchen macht ...

 

/ Zuerst erschienen 12.11.21
neu veröffentlicht, ergänzt 
mit Ausführungen zu Weißrußland:
15.11.21 /

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  1. Bading, Ingo: 2008 in Moskau brutal ermordet - Der oberste Jesuit Rußlands, 2010, https://studgenpol.blogspot.com/2010/03/ermordet-im-kampf-fur-den-rechten.html 
  2. Bading, Ingo: "Alexander Dugin und die rechtsextremen Netzwerke" (2007), 2018, https://studgenpol.blogspot.com/2018/06/alexander-dugin-und-die-rechtsextremen.html
  3. Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise (COVID-19-bedingte Reisewarnung) Russische Föderation Stand - 04.11.2021 (Unverändert gültig seit: 27.10.2021), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederationsicherheit/201536
  4. https://pskov.aif.ru/incidents/criminal/1106991  
  5. https://www.deutschlandfunk.de/russland-und-estland-angst-vor-dem-unberechenbaren-nachbarn.795.de.html?dram:article_id=298220
  6. Alexander Dubowy, Ilona Luzyanina: Das Strafvollzugssystem der Russischen Föderation. Bestrafung statt Resozialisierung? 28.4.2021, https://www.bpb.de/internationales/europa/russland/analysen/332184/analyse-das-strafvollzugssystem-der-russischen-foederation
  7. Senzow. Oleg: Operation Entmenschlichung, 25.12.2019, https://www.dekoder.org/de/article/senzow-gefaengnis-alltag-labytnangi
  8. Loshkin, Pavel: Putins Justiz, 3.8.21, https://www.welt.de/politik/ausland/article227758995/Russland-Putins-Justiz-Strafen-ohne-Verbrechen.html
  9. Wladimir Putin zur Migrationskrise in Osteuropa: "Wir haben damit absolut nichts zu tun", 13.11.2021, https://de.rt.com/europa/127079-wladimir-putin-zur-migrationskrise-in-osteuropa/
  10. Ackeret, Markus: Russland schlachtet die Migrationskrise propagandistisch aus – ist Moskau mehr als ein Trittbrettfahrer?, 11.11.21, https://www.nzz.ch/international/russland-nutzt-migrationskrise-an-der-eu-ostgrenze-aus-ld.1654643