Montag, 19. September 2011

Hermann Hesse, Ernst Jünger und Kollegen - Mitglieder freimaurerähnlicher Gesellschaften? (II)

Kurz gefaßt: Eine wenig beachtete Schrift aus dem Jahr 1951 (1) wirft Fragen auf: Ist es ein wesentlicher Zug der Literatur von Hermann Hesse, Ernst Jünger und ihrer Kollegen, unter "Mißachtung des Lesers", der "nicht mehr in Betracht" kommt, "Unterhaltungen für Eingeweihte" "über die Köpfe des Publikums hinweg" zu führen "für sehr vereinzelte Angehörige einer imaginären Geheimen Gesellschaft (die in diesen Büchern thematisch stets wieder auftaucht)"? Sind die Autoren dieser Kategorie "mit einer Sekte, einer kühnen Loge im Bunde", "einer 'Gesellschaft vom Turm', welche die eigentlichen Machtkämpfe der Zeit auf abgedunkeltem Felde austrägt"? Nachdem bekannt geworden ist, daß auch ein Marcel Reich-Ranicki für den kommunistischen Geheimdienst gearbeitet hat, und in welchem Umfang das Ministerium für Staatssicherheit der DDR auf die Literaturszene der DDR und Westdeutschlands Einfluß genommen hat, nachdem bekannt ist, wie sehr sich sogar der in Großbritannien lebende Schriftsteller George Orwell vom "Großen Bruder" gemaßregelt fühlte, sollte durchaus auch allgemeiner gefragt werden: In welchem Verhältnis standen und stehen Schriftsteller wie Hermann Hesse oder Ernst Jünger zu "Bünden", zur Freimaurerei, zu Männerorden, Okkultlogen, "Wahrheitsministerien", Staatssicherheitsdiensten, Verfassungs"schutz"ämter? Und wie spiegeln sich diese Verhältnisse in ihren Werken wieder? Stellen auch ihre Werke "Pülverchen bereit, durch die man Völker entnerven kann" (Ernst Jünger)? - Einige erste Recherchen und Überlegungen zur Thematik.

/Dies ist Teil 2, hier gehts zu Teil 1./

Schon die Erzählung "Die Morgenlandfahrt" von Hermann Hesse enthält alle Merkmale eines Freimaurerromans. Hier nur ein beispielhafter Auszug dafür, wobei die Romanfigur des Dieners und Logenoberhauptes "Leo" - wie wir heute durch die Veröffentlichungen von Hermann Müller wissen -, den tatsächlichen "Guru" Hermann Hesses, Gusto Gräser verkörpert (5, S. 90f; Hervorhebung nicht im Original):

... Bis zum Throne hin füllte sich das feierliche Synedrion. Gusto Gräser (Leo) sah mich an, mit einem Blick der Mahnung zu Geduld, zu Schweigen und Ehrfurcht, und verschwand zwischen den vielen. (...)
Endlich war es still geworden, und es trat der Sprecher vor. Allein und klein stand ich dem Hohen Stuhle gegenüber, auf alles gefaßt, voll tiefer Angst, aber ebenso voll tiefen Einverständnisses mit dem, was hier geschehen und beschlossen werden würde.
Hell und ruhig klang die Stimme des Sprechers durch den Saal. »Selbstanklage eines entlaufenen Bundesbruders«, hörte ich ihn ankündigen. Mir zitterten die Knie. Es ging mir ans Leben. Aber es war gut so, es mußte nun alles in Ordnung kommen. Der Sprecher fuhr fort.
»Sie heißen H. H.? (...) Sind geständig, eine Geschichte der Morgenlandfahrt schreiben zu wollen? Halten sich darin für gehindert durch Ihr Gelübde des Schweigens über Bundesgeheimnisse?« ...

Und im "ausgedehnten" Logenhaus findet sich ein "riesiges Archiv". Wie konnte Hermann Hesse schon 1932 ein solches Archiv so gut beschreiben, obwohl doch erst 1989 erstmals ein solches Archiv der Öffentlichkeit detaillierter bekannt werden sollte - nämlich das Archiv des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR? Und wie konnte er so ganz und gar ohne Abscheu darüber schreiben? 1932? (5, S. 89):

... viele Hunderte von Metern, Schranktüren, Bücherrücken und Aktenbündel starrten: ein riesiges Archiv, eine gewaltige Kanzlei. Niemand kümmerte sich um uns, alles war lautlos beschäftigt; mir kam es vor, als werde von hier aus die ganze Welt samt dem Sternhimmel regiert oder doch registriert und bewacht. Lange standen wir und warteten, um uns her eilten lautlos, mit Katalogzetteln und Nummern in den Händen, viele Archiv- und Bibliotheksbeamte, Leitern wurden angelegt und bestiegen, Aufzüge und kleine Rollwagen bewegten sich zart und leise. ...

Was der DDR-Regimekritiker Jürgen Fuchs in seinem Tatsachen-"Roman" "Magdalena" schildert, hat Hermann Hesse in seinem Roman "Die Morgenlandfahrt" schon viele Jahrzehnte vorher vorweggenommen (5, S. 96):

... Im Kataloge blätternd, schauerte ich vor der Fülle dessen, was hier auf mich wartete. Ich stieß auf manches vertraute Wort, auf manchen wohlbekannten Namen. Ich stieß, zusammenzuckend, auch auf meinen eigenen Namen, aber ich wagte es nicht, über ihn das Archiv zu befragen - wer würde es ertragen, den Spruch eines allwissenden Gerichtshofes über sich selbst zu vernehmen? ...

Eine Kritik an solchen hier dargestellten Allmachtgelüsten von Geheimdiensten und Logen wie sie etwa bei George Orwell's "1984" allzu deutlich spürbar wird, und wie sie heute unter aufgeklärten Intellektuellen eigentlich selbstverständlich sein sollte, hört man bei Hermann Hesse - wohlgemerkt: im Jahr 1932!!! - an keiner Stelle hindurch. Hört man sie irgendwo bei Ernst Jünger hindurch? Und noch im Jahr 1959 sollte Hermann Hesse eine solche Graue Eminenz des Dritten Reiches loben wie - - - Ernst Jünger.


Hermann Hesse über Ernst Jünger (1959)


Sehr aufschlußreich ist, was Hermann Hesse 1959 über Ernst Jüngers "An der Zeitmauer" schreibt (6). Es ist immer wieder derselbe, sich sowohl durch Jüngers wie durch Hesses Leben und Schaffen hindurchziehende Topos von der etwas wehmütig aber letztlich doch zugleich ergeben hingenommenen Vision vom "Untergang des Abendlandes", wie sie Oswald Spengler 1919 ausgegeben hatte.


Und muß es einem da nicht so vorkommen, als ob das eine Parole gewesen ist, die damals besonders gern in informellen und formellen "Bünden" - am Mont Verita und anderswo - in Männerorden und Okkultlogen,  in Staatssicherheitsdiensten und ihren Archiven, in "Wahrheitsministerien" herumgereicht worden ist - quasi als eine Modeströmung, als eines von den vielen "Pülverchen", von denen Ernst Jünger sprach (siehe oben) "mit denen man Völker entnerven" kann? Und auf die diese "Bünde", Männerorden, Okkultlogen, "Wahrheitsministerien", Staatssicherheitsdienste, Verfassungs"schutz"ämter gerne auch einmal bewußter, einmal weniger bewußt hingearbeitet haben und hinarbeiten? Wir haben dazu schon manches in den Beiträgen unseres Blogs im letzten halben Jahr herausgearbeitet. Man kann dies auch eine "sich selbst erfüllende Prophezeiung" nennen. Nämlich dann, wenn die Gebildeten und Literaturnobelpreisträger einer Gesellschaft in ihrer Mehrheit an solch eine Prophezeiung willig glauben und sie für weitgehend unabänderbar halten und darum auch der Gesellschaft solche Haltungen einflößen.Wenn nirgendwo Kritik geübt wird an jenen elitären Kreisen, die solche und andere Parolen ausgeben.

Ideologien und Literaturen - "um Völker zu entnerven"?


Hermann Hesse läßt in dem genannten Text (6) - unter anderem! - eine willige Hinnahme der Tatsache durch Ernst Jünger deutlich werden, daß es bis 1959 zu einem Anwachsen des Glaubens an die Astrologie gekommen sei, und ebenfalls, daß sich sowohl er selbst wie Ernst Jünger diesem "Symptom" gar nicht einmal in schärfster Weise ablehenend gegenüber stellen, sondern quasi sogar damit sympathisieren. Zumindest, soweit man dies als ein Mensch kann, der selbst von sich das Bild bestehen lassen möchte, daß er - natürlich! - gar nicht an Astrologie glaubt und der "darüber" stehen würde.

Würde man weiter recherchieren, würde man sicherlich noch auf viele solcher Merkwürdigkeiten stoßen. Aber an dieser Stelle soll zum Schluß nur noch Gusto Gräser detaillierter behandelt werden. Auf Wikipedia heißt es über diesen  merkwürdigen "barfüßigen Propheten", den "Inflationsheiligen" Gusto Gräser (1879-1958) (Wiki):

Einer größeren Öffentlichkeit wurde Gusto Gräser nach 1968 als der Guru Hermann Hesses bekannt.

Was ist in dieser kurzen Bemerkung alles an Implikationen enthalten (7)? Hermann Hesse lebte von 1877 bis 1962 (Wiki). Das bedeutungsvolle Verhältnis zwischen Gusto Gräser und Hermann Hesse ist also der größeren Öffentlichkeit erst nach dem Tod beider bekannt geworden. Und es ist bis heute nicht wirklich in das kulturelle Weltbewußtsein übergegangen. Im Wikipedia-Artikel ist es zwar mehrmals erwähnt, aber es wird nicht als so entscheidend herausgestellt, als daß es doch offenbar angesehen werden muß. Und der Suhrkamp-Verlag findet die Erforschung dieses Verhältnisses durch den Nachlaßverwalter von Gusto Gräser, nämlich durch Hermann Müller, nicht gerade besonders begeisternd (8):

Mit seinen Recherchen zum Einfluss von Gräser auf Hesse und sein Werk hat sich Müller beim Suhrkamp-Verlag – dem Hausverlag Hesses – „unbeliebt“ gemacht. Als ob Müllers „Enthüllungen“ dem Autor des Steppenwolf noch das Wasser abgraben könnten!

Der "Guru" Hermann Hesses

Aber warum eigentlich? Warum "unbeliebt"? Vielleicht weil diese Forschungen das Bild von Hermann Hesse und seinen Werken drastisch ändert? Weil alle Leser durch sie einen völlig neuen Blick auf das Gesamtwerk von Hermann Hesse erhalten, wenn sie erfahren, wie sehr dies bestimmt ist von dem Einfluß eines einzigen Menschen, von einem Einfluß zudem, der zwar nichts weniger als die Hauptinhalte fast aller Hauptwerke Hermann Hesses ganz entscheidend bestimmt hat, der also dem um ihn Wissenden ständig spürbar ist, über den Hermann Hesse aber selbst merkwürdigerweise gegenüber dem Publikum seiner Zeit niemals klar gesprochen hat. Und den sein Hausverlag offenbar noch heute nicht allzu gerne erforscht sieht. Und der auf Wikipedia nicht wirklich ausreichend herausgestellt wird.

Wie passen solche Umstände eigentlich zu der sonstigen Art von Hermann Hesse? Oder passen sie nur zu der Art, wie Hermann Hesse von der Öffentlichkeit hatte wahrgenommen werden wollen? Oder wie Gusto Gräser sich und Hermann Hesse von der Öffentlichkeit ihrer Zeit hatte wahrgenommen wissen wollen? Und zwar unter allzu klarster "Mißachtung des Lesers", wie es schon 1949 so deutlich im Aachener "Euro-Kurier" hieß (siehe oben)?

"Ein einziges Thema zieht sich durch alle wesentlichen Werke Hermann Hesses"

Gusto Gräser - in jüngeren Jahren
Doch hören wir zunächst eine Art Zusammenfassung der Erkenntnisse des Gusto Gräser-Forschers Hermann Müller über Hermann Hesse (8):

Fast alle seine Werke handeln von einer Freundschaft. Und zwar von der Freundschaft zu einem Einsiedler und Wan­derer, einem Heiligen und Weisen. Immer ist da ein überlegener Freund und Meister, zu dem ein Schüler oder Jünger verehrend aufblickt. Es ist ein einziges Thema, das sich durch alle seine wesentlichen Werke zieht. Hinter allen seinen Erzählungen steht eine Urlegende: die von einer Schülerschaft oder Jüngerschaft, von den Irrun­gen und Verwirrungen dieser Freundschaft, von Zweifeln und Ängsten, von Abfall und Verrat, von Flucht und selbst von Mordgedanken, und dann auch von Reue, Heimweh und Rückkehr, von Hingabe, Dienst und Verschmelzung. (...)
Hesse hat einen Menschen gekannt, den die meisten für einen Narren hielten. Er aber hat in ihm einen Heiligen erkannt, einen Seher und Weisen. Zu diesem Menschen zu stehen, sein Bild und seine Einsichten der Menschheit zu vermitteln, erkannte er als seine Aufgabe. Er hat sich gegen diese Aufgabe gewehrt, er hat sich ihr durch Flucht zu entziehen versucht, Zweifel und Ängste haben ihn immer wieder an den Rand des Selbstmords getrieben, aber letzten Endes ist er seiner Berufung treu geblieben. (...)
Hesses Weg mit Gräser war ein extremes Hin und Her zwischen Hingabe und Flucht. 1907 folgt er seinem Freund in dessen Felshöhle „Pa­gangrott“ hoch über dem Maggiatal im Tessin. Er fastet, meditiert, läuft nackt durch die Wälder. Gemeinsam studieren sie die heiligen Schriften der Inder. Aber Hesse kann den entscheidenden Sprung der Hingabe nicht leisten und kehrt ins bürgerliche Leben zurück. Er verhöhnt sogar seinen einstigen Meister als in den Bäumen han­gelnden Gorilla. Doch kann er seine Abwehr auf Dauer nicht durchhalten, sie endet 1916 mit seinem Zusammenbruch. Jetzt sucht er wieder Zuflucht bei Gräser. Auf dem Monte Verità von Ascona erlebt er eine seelische Neugeburt. Der in Depressionen Versunkene erlebt eine Glücks­zeit, fühlt sich aufgenommen in den Bund einer zukünftigen Gemeinschaft, die sich ihm in Gusto Grä­ser, seinem „Demian“ und neuen „Zarathustra“, verkörpert.
Der ehemalige Kriegsfreiwillige wandelt sich zum entschiedenen Kriegsgegner. Doch wagt er kein öffentliches Be­kenntnis, verbreitet seinen Roman unter Pseudonym. 1919 zieht er sich ein zwei­tes Mal von Gusto Gräser zurück – und stürzt in den Abgrund seiner „Steppen­wolf“-Krise. Selbstmord­gedanken verfolgen ihn, bis er nach zehn Jahren, dem Erblinden nahe, wiederum zusammenbricht. Nun schreibt er einen langen offenen Brief der Reue, der Beichte und der Bitte um Wiederannahme durch den Freund in der Erzählung „Morgenland­fahrt“. Auch sein letztes großes Werk, das „Glas­perlenspiel“, kreist um das Thema der Rückkehr zu einem Freund und Meister.

Hermann Hesse war also gar nicht der selbständige Denker und Schriftsteller, als den man ihn Jahrzehnte lang wahrgenommen hat. Man hat zwar seine Lehrer-Schüler-Verhältnisse als eine besondere Eigenart seiner Romane und Novellen zur Kenntnis genommen. Aber nur die wenigsten haben sich wohl wirklich klar bewußt gemacht, wie zentral das Leben von Hesse durch ein solches Verhältnis bestimmt gewesen ist. Wie kann man Hermann Hesse, wenn man dies zur Kenntnis genommen hat, noch als einen freien, unabhängigen, eigenständigen Denker und Schriftsteller empfinden?

Wie kann man noch ein Wort über Hermann Hesse sagen, ohne zuvor zu prüfen, was zum gleichen Sachverhalt aus der Sicht von Gusto Gräser zu sagen wäre?

1900 Kennenlernen - 1907 "Noviziat", dann Trennung - 1916 Zusammenbruch und Rückkehr - 1919 Trennung ("Steppenwolfphase") - 1930 Rückkehr (1932: "Morgenlandfahrt", 1943: "Glasperlenspiel")

Sicherlich gibt es viele schöne Worte, Gedichte und gedankenreiche Abschnitte in den Werken von Hermann Hesse. Als ein Beispiel sei das Gedicht "Stufen" genannt, im folgenden Tonbeispiel von Hermann Hesse selbst gelesen (Yt.):

.
.

Wenn man sich aber diesen Grundzug der ständigen, doch zur Unselbständigkeit tendierenden Abhängigkeit eines Schülers zu seinem Lehrer bewußt macht, kann man dann die Hauptwerke von Hesse noch so unbefangen genießen? Fühlt man dann nicht viel stärker den Mief, den Muff von Priesterkasten in ihnen wehen, von Männerbünden, von "Eliteschulen" ("Glasperlenspiel"), religiösen Männerorden (Jesuitenorden, Okkultlogen)? Den man zuvor immer überlesen hatte. Erst im Nachhinein wird einem bewußt, daß sogar "Narziß und Goldmund" davon geprägt ist: "Goldmund" ist ein Priester! Und er ist der Narziß gegenüber überlegene Mensch!!!

Daß Hermann Hesse vor allem an eine vergeistigte Intellektualität geglaubt hat, die sich im Rahmen solcher Institutionen auch entwickeln kann, und daß er diese vor allem gesehen hat, nimmt man ihm gerne ab. Aber daß  er so viele und zahlreiche Schattenseiten von "Eliteschulen", Männerbünden, -orden offenbar nicht gesehen haben will - ist das möglich? Gustav Gräser wäre nicht - wie doch allzu deutlich in "Morgenlandfahrt" und im "Glasperlenspiel" dargestellt, der führende Priester eines mächtigen, angesehenen Männerordens gewesen? Es fällt uns schwer, das zu glauben.

Der Okkultismus von Rudolf Steiner - abgelehnt von Hermann Hesse

Dezidiertere okkulte Züge findet man bei Hermann Hesse - oder bei Gusto Gräser - auf den ersten Blick wohl nicht. So hat sich Hermann Hesse zum Beispiel 1935 in einem Brief sehr eindeutig gegen die Theosophie und Anthroposophie von Rudolf Steiner ausgesprochen. Er sagt (Wiki):

Anthroposophische, Steinersche Quellen habe ich nie benützt, sie sind für mich ungenießbar, die Welt und Literatur ist reich an echten, sauberen, guten und authentischen Quellen, es bedarf für den, der Mut und Geduld hat, selber zu suchen, der ‚okkulten‘ und dabei meist elend getrübten Quellen nicht. Ich kenne sehr liebe Leute, die Steinerverehrer sind, aber für mich hat dieser krampfhafte Magier und überanstrengte Willensmensch nie einen Moment etwas vom Begnadeten gehabt, im Gegenteil.

Das heißt aber wie gesagt nicht, daß nicht Hesse dennoch seinen "Guru" gehabt hätte. Sehr deutlich wird alles über diesen "Guru" schon, wenn man sich mit den Hintergründen seiner Erzählung "Die Morgenlandfahrt", erschienen im Jahr 1932, beschäftigt. Über sie heißt es auf Wikipedia:

Zentrale Gestalt ist jedoch der Diener und Lastträger Leo, in dem Hesse ein Nachbild seines Freundes und Vorbilds Gusto Gräser geschaffen hat.

Der siebenbürgische Dichter Gräser lebte während des Ersten Weltkrieges in der Schweiz (Wiki):

Gräser wurde zum Vorbild für Kriegsgegner aus ganz Europa, die sich in Ascona um ihn sammelten. Darunter die Tänzer Rudolf von Laban und Mary Wigman, der Philosoph Ernst Bloch, der Dramatiker Reinhard Goering, der Bildhauer Hans Arp, die Dadaisten Hugo Ball, Hans Richter, Marcel Janco und viele andere.

Gusto Gräser, der "Inflationsheilige" und die "Neue Schar"

Und wir erfahren weiter auf Wikipedia über die Unternehmungen dieses "barfüßigen Propheten", bzw. "Inflationsheiligen"

Gräser war es, der nach dem Krieg eine Wanderung durch Oberschwaben nach Urach unternahm. Gräser war es auch, der den ekstatischen Zug der "Neuen Schar" unter Führung des Drechslergesellen Friedrich Muck-Lamberty durch Nordbayern und Thüringen inspirierte, der an ihren Lagerfeuern sprach und dessen Gedichte auf ihren Flugblättern verbreitet wurden. Fünfundzwanzig junge Männer und Frauen zogen singend und tanzend durchs Land, feierten auf öffentlichen Plätzen und in Kirchen mit Blumen und Gesängen, rissen Zehntausende mit sich in ihren "Kreuzzug der Liebe", der auch als "Kinderkreuzzug" verspottet und mit dem Treiben der Wiedertäufer verglichen wurde.
Wie mittelalterliche Wiedertäufer zog die „Neue Schar“ singend, tanzend und predigend durchs Land und verkündete die „Revolution der Seele“. Sie strebten einen Zustand des „Schwebens“ an und praktizierten Selbsterfahrung in gruppendynamischen „Thing“-Sitzungen. Gusto Gräser sprach an ihren Lagerfeuern, seine Gedichte schmückten ihre Flugblätter. Sie schliefen in der freien Natur, feierten in Kirchen, die sie mit Blumen und Zweigen schmückten, und verbreiteten auf ihrem Weg eine wahre Tanzeuphorie. Wie der legendäre Rattenfänger von Hameln zog Muck-Lambertys Gruppe erst hunderte, dann tausende von Menschen in ihren Bann. Den Höhepunkt des Zuges bildete Erfurt, auf dessen Domplatz mehr als 10.000 Menschen in einem rauschhaften Gemeinschaftserlebnis tanzten.

(Einfügung vom 2.6.2013): Die frühe völkische Hintergrundpolitik-Kritikerin Mathilde Ludendorff weist in ihren Lebenserinnerungen auf Tatsachen hin, die man so deutlich auf den gegenwärtigen Wikipedia-Artikeln zum Thema noch nicht lies. Über ihre im Januar 1921 begeonnene Zusammenarbeit mit der "Münchner Augsburger Abendzeitung" schreibt sie (S. 179):

Soweit ich mich erinnere, versprach ich damals gleich, den Thüringer Revolutionsunfug der Jugend, die sich unter der Führung des Muck Lamberti eine unheilvolle Lockerung der Sitten erlaubte, zu behandeln. Diese Jugend war überzeugt worden, daß aus den Kindern dieses M. L. ein "Heiland" hervorgehen werde. Mir wurden die Unterlagen des Elends, das hier angerichetet ward, geschickt, und so schrieb ich denn meine Beiträge, die dem Unwesen steuern sollten.

Damit wären Bezüge nach Indien, Tibet, dem "Morgenland", wo ja auch der Dalai Lama als Kind unter den Kindern des landes ausgesucht wird, noch deutlicher. Und das bewußte "Kinderzeugen" weist sogar sehr deutlich in die Richtung von satanismusähnlichen Okkultlogen und dem, was dort prakiziert wird. (Ende der Einfügung)

"Die Morgenlandfahrt" von Hermann Hesse

Und ausgerechnet diesen Zug des Inflationsheiligen und barfüßigen Propheten nun in einer Art "Endzeitstimmung" schildert Hesse in seiner Erzählung "Die Morgenlandfahrt". Man ist hochgradig erstaunt, wie sehr Hermann Hesse in dieser Erzählung doch ziemlich eindeutig die Freimaurerei in den höchsten Tönen lobt und anpreist, sie als den eigentlichen treibenden Hintergrund für den Zug der "Neuen Schar" darstellt und sich dabei doch auch ziemlich eindeutig selbst als ein - zeitweise ungetreues - Mitglied der Freimaurerei darstellt.

Das Verhältnis zwischen Gräser und Hesse wird als "Noviziat", also wie im "Jesuitenorden", bezeichnet.  Es ist von jener "seelischen Wiedergeburt" die Rede, von denen Männerorden so gerne behaupten, sie könnten sie durch eine Mitgliedschaft veranlassen. (Anklänge davon finden sich ja auch in dem Gedicht "Stufen".) Wir erfahren darüber (3).

Hesse lernte Gräser um 1900 kennen; dessen Gestalt und Denken wird schon in "Camenzin" sichtbar. Im Frühjahr 1907 folgte der Dichter seinem "Freund und Führer" auf den Monte Verità, lebte mit ihm zusammen in einer Grotte der Südalpen, versuchte sich wochenlang, fastend und nacktlaufend, als Einsiedler "In den Felsen". Zwar scheiterte dieses erste "Noviziat" an seiner eigenen Schwäche, doch nach zehnjähriger Entfremdung kehrte Hesse 1916 reumütig in die Arme des Freundes zurück. Im Zusammensein mit ihm erfuhr er eine seelische Wiedergeburt, die große Wandlung seines Lebens. In Gräser erlebte er den Führer zum eigenen Selbst, in dessen Frau Elisabeth ein Abbild der Großen Mutter.
Der ehemalige Kriegsfreiwillige wandelte sich jetzt zum entschiedenen Kriegsgegner und Vorkämpfer der Gewaltlosigkeit. Im zweiten Teil des "Demian"  hat er seine Erfahrungen dichterisch gestaltet, in Essays und Aufrufen seine neue Gesinnung dargetan. Höhepunkt seines Einsatzes für Gräser, der allerdings meist anonym blieb, war die emphatische Flugschrift "Zarathustras Wiederkehr" von 1919, die seinem Freund den Weg ins Nachkriegsdeutschland ebnen sollte.
Nach einem neuerlichen Rückzug von zehnjähriger Dauer, den er später als "Verrat" und "Flucht" erkannte, findet Hesse um 1930 endgültig zu dem Vielverkannten, Vielgeschmähten zurück. "Morgenlandfahrt" und "Glasperlenspiel" besiegeln die Heimkehr zu dem als Yogin, Beichtvater, Regenmacher und Spielmeister verehrten Freund und Meister, die Erneuerung ihres Bundes vom Monte Verità.

Gräser, so erfahren wir auf Wikipedia,

öffnete ihm auch den Zugang zur geistigen Welt des Ostens.

Also wäre möglicherweise auch der "Siddharta" ohne Gräser nicht entstanden.

"Die Morgenlandfahrer" - unter Freimaurern beliebt

Dementsprechend können Freimaurer auch mit Hermann Hesse sehr viel anfagen (ab). Es hat sogar schon Freimaurerlogen gegeben, die ihre Loge "Die Morgenlandfahrer" benannt haben (c).

Mit seinem Alterswerk "Das Glasperlenspiel" hat Hermann Hesse in den Jahren 1930 bis 1942 eine Gegenwelt zum Zeitalter des Faschismus und zum kommerziellen Kulturbetrieb der Gegenwart entworfen,

lautet der Verlagstext von Suhrkamp (4) und weiter:

"Es galt für mich", schrieb er rückblickend, "einen geistigen Raum aufzubauen, in dem ich leben und atmen konnte. Allen Vergiftungen der Welt zum Trotz mußte ich das Reich des Geistes und der Seele als existent und unüberwindlich sichtbar machen ...

- und das ausgerechnet in einem Männerorden! - 

..., so wurde meine Dichtung zur Utopie, das Bild in die Zukunft projiziert, die üble Gegenwart in eine überstandene Vergangenheit gebannt."

Unsere Zukunft - ausgerechnet ein Priesterstaat?

______________________
  1. Michel Dietrich - "Verschwörung gegen Deutschland und Europa - Ein Blick hinter die Kulissen des Welt-'Zaubertheaters' der 'Glasperlenspieler'". 1. Auflage 1951. "Zu beziehen durch F. Adlerhorst, Gelsenkirchen-Buer" (100 Seiten) (Scribd)
  2. Bading, Ingo: Peter-Robert König - und Bücher, die wir noch lesen wollen. GA-j!, 6.7.2011
  3. Jünger, Ernst: Heliopolis. Rückblick auf eine Stadt. (Erstausgabe 1949.) Kapitel "Ortners Erzählung". In: Sämtliche Werke, Bd. 16, Klett-Cotta, Stuttgart 1980, 2. Aufl. 1998, S. 117 (Google Bücher)
  4. Bading, Ingo: Okkulte Priesterdiktatur für den deutschen Raum und Ausrottung des "verhurten Gesindels". - Zu Friedrich Hielschers Buch "Das Reich" aus dem Jahr 1931. GA-j!, 5.8.2011
  5. Hesse, Hermann: Die Morgenlandfahrt. Eine Erzählung. (Erstauflage 1932). Suhrkamp-Verlag, 1959 (Scribd)
  6. Hesse, Hermann: Nach der Lektüre des Buches "An der Zeitmauer" (von Ernst Jünger, 1959). In: Arbogast, Hubert (Hrsg.): Über Ernst Jünger. Klett-Cotta, Stuttgart 1995, S. 73 - 76 (Google Bücher)
  7. Müller, Hermann: Der Dichter und sein Guru. Hermann Hesse - Gusto Gräser. Eine Freundschaft. Gisela Lotz Verlag, Wetzlar 1978 und Werdorf 1979
  8. Müller, Hermann: Hermann Hesses Weg mit Gusto Gräser. Auf: Siebenbürgen.de, 11.12.2008
  9. Müller, Hermann: Gusto-Graeser.info.
  10. Hesse, Hermann: Das Glasperlenspiel. (1943) Suhrkamp 1972, Klappentext
  11. Mehr zu Gräser und dem Monte Verita: abce.
  12. Ludendorff, Mathilde: Erkenntnis - Erlösung. III. Teil von: Statt Heiligenschein oder Hexenzeichen - mein Leben. Verlag Hohe Warte, Pähl 1952 

2 Kommentare:

  1. Wir hatten bei Hermann Müller noch angefragt:

    "Was mir auch noch nicht so recht verständlich geworden ist: Was war denn konkret der Grund dafür, daß der Suhrkamp-Verlag Ihren Forschungen so unfreundlich gegenüber stand (und steht?). Gibt es da irgendwo Texte, in denen das konkreter behandelt und dokumentiert ist?"

    Herr Müller antwortete dazu unter dem Betreff "täuschungen und vertuschungen":

    "darüber gibt es zwar texte von mir, einen buchdicken ordner mit dokumenten (briefwechsel mit suhrkamp, michels etc.), aber ich habe ihn nie publiziert, möchte auch jetzt nicht darüber sprechen. das thema erregt mich zu sehr, und in streitereien möchte ich mich auch nicht einlassen. die sache erledigt sich in ruhe von selbst, insofern jeder gutwillige sehen kann, wie die dinge liegen. der tag wird kommen, wo der schwindel auffliegt.

    beschämend ist das feige schweigen der hesse-gelehrten, die bescheid wissen oder wissen könnten.

    klar ist, dass seit mehr als 40 jahren sowohl die hesse-gemeinde wie die gelehrte welt vom verlag in die irre geführt werden. und klar sind auch die motive: man fürchtet, das image des grossen meisters könnte schaden leiden - und damit das geschäft.

    in wirklichkeit würde hesse in einem helleren und würdigeren licht dastehen, wenn seine gräser-jüngerschaft bekannt und anerkannt würde. dies wird aber erst der fall sein, wenn die bedeutung gräsers erkannt worden ist. deshalb arbeite ich an editionen zu dessen leben und werk - die wendung wird dann von selber kommen. das leben ist zu kurz und zu kostbar, um sich mit lumpereien herumzuschlagen."

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  2. Soeben macht uns Hermann Müller in einer weiteren Zuschrift darauf aufmerksam, daß der O.T.O. von Theodor Reuß auf dem Monte Verita

    "tatsächlich eine rolle gespielt (hat), und da wäre noch manches rätsel zu lösen. aber hesse und gräser hatten nichts damit zu tun."

    Das ist doch einmal ein weiterführender Hinweis und geht schon sehr deutlich in die Richtung der Vermutungen unseres Beitrages.

    In der Tat: Da ist noch manches Rätsel zu lösen!!!!

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