Montag, 19. September 2011

Hermann Hesse, Ernst Jünger und ihre Freunde - Mitglieder freimaurerähnlicher Gesellschaften? (I)

Kurz gefaßt: Eine wenig beachtete Schrift aus dem Jahr 1951 (1) wirft Fragen auf: Ist es ein wesentlicher Zug der Literatur von Hermann Hesse, Ernst Jünger und ähnlich Gesinnter, unter "Mißachtung des Lesers", der "nicht mehr in Betracht" kommt, "Unterhaltungen für Eingeweihte" "über die Köpfe des Publikums hinweg" zu führen "für sehr vereinzelte Angehörige einer imaginären Geheimen Gesellschaft (die in diesen Büchern thematisch stets wieder auftaucht)"? Sind die Autoren dieser Kategorie "mit einer Sekte, einer kühnen Loge im Bunde", "einer 'Gesellschaft vom Turm', welche die eigentlichen Machtkämpfe der Zeit auf abgedunkeltem Felde austrägt"? Nachdem bekannt geworden ist, daß auch Marcel Reich-Ranicki für den kommunistischen Geheimdienst gearbeitet hat, und in welchem Umfang das Ministerium für Staatssicherheit der DDR auf die Literaturszene der DDR und Westdeutschlands Einfluß genommen hat, nachdem bekannt ist, wie sehr sich der Schriftsteller George Orwell vom "Großen Bruder" gemaßregelt fühlte, sollte durchaus auch allgemeiner gefragt werden: In welchem Verhältnis standen und stehen Schriftsteller wie Hermann Hesse oder Ernst Jünger zu "Bünden", zur Freimaurerei, zu Männerorden, Okkultlogen, "Wahrheitsministerien", Staatssicherheitsdiensten, Verfassungs"schutz"ämter und wie spiegeln sich diese Verhältnisse in ihren Werken wieder? Stellen auch ihre Werke "Pülverchen bereit, durch die man Völker entnerven kann" (Ernst Jünger)?

Einige erste Recherchen und Überlegungen zur Thematik.

/Dies ist Teil 1, hier gehts zu Teil 2./

1949 - Der "neue Stil" von Ernst Jünger

Im Mai 1945 war der Zweite Weltkrieg zu Ende. Eine Welt lag in Trümmern. Die Ideale einer ganzen Jugend waren zerbrochen. Ein großer Teil der deutschen Soldaten, die den Krieg überlebt hatten, befand sich zu diesem Zeitpunkt in Kriegsgefangenschaft. Hier - und auch sonst in Deutschland - begann man nun jene Autoren eines so genannten "besseren Deutschland" zu lesen, also jene, die während des Dritten Reiches wenig gelesen worden - oder die sogar verboten gewesen - waren. Man kehrte aus Kriegsgefangenschaft zurück und schrieb sich ein an einer westdeutschen Universität, um - zum Beispiel - Germanistik zu studieren. Einer dieser jungen Leute scheint jener Mensch gewesen zu sein, der sich unter dem Verfassernamen Michel Dietrich verbirgt, der 1951 eine bis heute offenbar wenig beachtete und wenig bekannte Schrift herausgebracht hat (1). Und man fragt sich beim Lesen derselben, ob zu der in dieser Schrift behandelten Thematik eigentlich seither weitere Studien veröffentlicht worden sind. (Da sie kaum noch erhältlich ist, haben wir sie einmal - auch zum besseren Verständnis des folgenden - auf Scribd.com hochgeladen.)

Offenbar war damals die 1948 erschienene Schrift des Schriftstellers und vormaligen BBC-Kriegsberichterstatters George Orwell "1984" noch nicht nach Deutschland gedrungen. Aber einer der Anlässe für die Schrift von Michel Dietrich war, daß dieser Autor im Feuilleton-Teil des damals angesehenen Aachener "Europa-Kuriers" vom 15. April 1949 eine Betrachtung zu dem dort so genannten "neuen Stil" von Ernst Jünger las. Und auch wenn wir diese Betrachtung heute lesen, schießt uns die Frage durch den Kopf: War Ernst Jünger etwa eine Art deutscher George Orwell? Jedenfalls hätte dieser so genannte "stil nuovo", so konnte ein Germanistikstudent damals dort lesen, Ähnlichkeit mit dem Stil Cocteau's, Andre Gides', Kafkas oder - - - mit den "Glasperlenspielern" Hermann Hesses. Uff! Hermann Hesse soll auch zu dieser illustren Runde gehören? Das kam uns selbst zunächst, die wir in unserer Jugend begeistert den "Siddharta" gelesen hatten, in diesem Zusammenhang am wenigsten glaubhaft vor. Als Germanistikstudent konnte man jedenfalls 1949 in diesem Euro-Kurier wörtlich weiter lesen (zit. n. 1, S. 15; Hervorhebungen nicht im Original):

Ein deutliches Kennzeichen dieses Stils ist eine von zuweilem ironischem Hohne, immer jedoch von einem entschiedenen Willen zum Abstand getragene Mißachtung des Lesers. Der Leser kommt nicht mehr in Betracht. Bücher dieser Art sind Unterhaltungen für Eingeweihte, sind Hinweise, Betrachtungen, Formulierungen über die Köpfe des Publikums hinweg für sehr vereinzelte Angehörige einer imaginären Geheimen Gesellschaft (die in diesen Büchern thematisch stets wieder auftaucht). (...) Sie genießen die Chiffre, die verhüllte Verständigung, wie sie sich in der Verschlüsselungskunst der "Marmorklippen" spiegelt, deren Verstellfiguren im "Abenteuerlichen Herzen" vorbereitet werden. Der Autor scheint ständig mit einer Sekte, einer kühnen Loge im Bunde zu sein, einer "Gesellschaft vom Turm", welche die eigentlichen Machtkämpfe der Zeit auf abgedunkeltem Felde austrägt.

Ist denn seit 1949, seit 1951 zu dieser Thematik nichts mehr geschrieben worden? Diese Worte konnte man als Germanistikstudent 1949 durchaus ernst nehmen. Und man konnte sie sich so sehr zu Herzen nehmen, daß man von da ab vieles aus ihrem Blickwinkel heraus las, was bis 1949 in diesem Literaturbereich erschienen ist. Und die Lesefrüchte konnte man dann in einer Schrift wie der genannten (1) auswerten. Obwohl der Verfasser dieser Zeilen seit Jahrzehnten eifrige Ernst Jünger-Leser zu seinem engeren Freundeskreis zählt, die zugleich auf Hintergrundpolitik sehr kritisch sehen, ist er noch nie auf eine solche Schrift hingewiesen worden. Kann es sein, daß dieses Thema wirklich noch so wenig behandelt worden ist in der Literaturwissenschaft?

Auf diese Schrift aus dem Jahr 1951 sind wir selbst vor einigen Monaten von Seiten eines älteren Lesers hingewiesen worden (2), nachdem wir auf unserem Blog nach der Eliten-Kontinuität während des 20. Jahrhunderts gefragt hatten und unter anderem auch danach, wie ein Werner Best, der dritte Mann hinter Himmler und Heydrich, lebenslang ein guter Freund von Ernst Jünger hatte sein und bleiben können. (Und während unserer Studien erfahren wir nun, daß auch Hermann Hesse noch im Jahr 1959 eine durch und durch positive Rezension zu Ernst Jünger schreiben sollte und sich in wesentlichen Fragen als ihm gleich Gesinnter zur erkennen geben sollte [siehe unten].) 

Abb.: Hermann Hesse*)
Und wir hatten danach gefragt, warum so vielerseits ideologischen, z.T. satanistischen, mit dem Nationalsozialismus verfolgten gesellschaftlichen "Selbstmordprogrammen" eher nachgegeben wurde, als daß man ihnen scharf entgegengetreten wäre von Lobbykräften und herrschenden Eliten vor 1933. Wir hatten danach gefragt, in wessen Interesse so viel Werbung gemacht wurde für die pessimistische Welthaltung eines Oswald Spengler. Und in all dieses Fragen paßt nun diese uns neue Schrift von Michel Dietrich mehr als paßgenau hinein. Diese Schrift stellte schon 1950 die gleichen Fragen. 

Was uns aber an dieser uns bis dato völlig unbekannt gebliebenen Schrift vor allem verblüffte, war eben vor allem, daß neben so vielen anderen Autoren auch Hermann Hesse in diese Kategorie quasi eines mehr oder weniger bewußten Propagandisten totalitärer Geheimdienstherrschaft mit hineingehören sollte. 

"Über die Köpfe des Publikums hinweg"

Und deshalb lasen wir zunächst einmal in den Werken Hermann Hesses, von denen uns bis dato nur der "Siddharta" bekannt gewesen und in so guter Erinnerung geblieben war. Und man stellte fest: Insbesondere "Die Morgenlandfahrt" von 1932 paßt ja hervorragend und unübersehbar in diese Literaturkategorie hinein (siehe unten). Und weitere Recherchen ließen uns nur wenig später auf Gusto Gräser stoßen, den merkwürdigerweise erst nach Hesses Tod bekannt gewordenen "Guru" von Hermann Hesse.   

Und wir richteten folgende Anfrage an den Nachlaßverwalter dieses Gurus von Hermann Hesse, nämlich an Hermann Müller, der auch eine eigene Netzseite über Gusto Gräser betreibt (vgl. 7-11):

Sehr geehrter Herr Müller,
ich habe einige Beiträge von Ihnen über das Verhältnis von Hermann Hesse und Gusto Gräser im Internet gelesen. Beide gehörten, so liest man immer wieder, irgendeinem informellen "Bund" an. Aber in der Novelle "Die Morgenlandfahrt" und auch im "Glasperlenspiel" liest sich das alles doch ein wenig konkreter.
Ein Orden, der ein umfangreichstes Geheimarchiv über alle seine Mitglieder besitzt, der dem einzelnen gegenüber - vor allem dem "Abweichler" - "allwissend" gegenüber tritt. Der also groß und mächtig ist und sich darauf beruft, uralte, geistige Traditionen zu verfolgen. Welche wohl andere als die der Tempelritter (... "Morgenlandfahrt" ...), der Rosenkreuzer und schließlich der Freimaurerei und/oder des Jesuitenordens?
Und schließlich wird das alles ja noch spezifiziert in den "Glasperlenspielern", ein einziger riesiger großer Ordens-Roman, eine Apotheose auf einen Priesterorden, auf eine "Eliteschule", die nach dem Selbstverständnis von Hesse im Zeitalter des Faschismus offenbar allein "vergeistigte Intellektualität" ermöglicht haben soll (was viele Odenwaldschüler und Schüler von Jesuitengymnasien heute bestimmt anders sehen).
Nirgendwo aber im Netz liest man etwas von einem Verhältnis Gräsers oder Hesses zu manifesten Organisationen wie der Freimaurerei oder dem Jesuitenorden. Oder habe ich da irgendwo etwas überlesen?
Ich möchte also fragen: Das Oberhaupt welchen konkreten Ordens, welcher konkreten Loge war denn Gusto Gräser? Es kann doch nicht sein, daß diese Organisationsstrukturen von Hesse so konkret dargestellt sind und dann bloß der dichterischen Phantasie entsprungen sind, wenn auch alles sonst auf sehr konkreten biographischen und zeitgeschichtlichen Hintergründen beruht! - ?
Vielen Dank für Ihre Bemühungen im Voraus, mit freundlichen Grüßen, ...

Der "Bund vom Monte Verità"

Und wir erhielten die folgende Antwort (Hervorhebung nicht im Original):

... der "Bund" in hesses erzählung ist natürlich ein dichterisches bild. eine metapher. einen offziellen bund als institution (mit titeln, ämtern und ritualen) hat es nicht gegeben. wohl aber einen bund als innere erfahrung. ich nenne ihn den "Bund vom Monte Verità". auch im 'Demian' ist ja schon von einem orden die rede, dem sinclair-hesse sich zugehörig fühlt. es sind die "Gezeichneten" und "Zukünftigen", d. h. die gesellschaftlich verfemten vom monte verità, d. h. im kern gräser und hesse. sogar schon in frühen mv-erzählungen nach 1907 spricht er von einem "Orden", auf die monteveritaner bezogen, wenn auch noch halbironisch.
das modell des ordens - ob freimaurer, rosenkreuzer oder kreuzritter - diente also hesse dazu, sein verhältnis zu gräser in ein bild zu bringen. leo ist, obwohl sozial auf unterster stufe (hundefriseur), der oberste des bundes, mit dem er - wie der jünger johannes mit jesus - verschmelzen will.
der zug der Neuen Schar bot natürlich besonderen anlass, auf dieses symbolum zurückzugreifen. mit der Schar war 1920 vor den augen hesses die untergegangen geglaubte gesellschaft vom monte verità neu erstanden. im glasperlenspiel hat hesse diese ordensidee noch weiter ausgebaut. aus dem träger des bundesgeheimnisses leo wird hier der altmusikmeister. hesse hat immer wieder nach neuen bildern gesucht, die seinem freund (und eigentlich meister) gerecht werden könnten.
ich freue mich über Ihr interesse und grüsse herzlich hermann müller

Diese Antwort will einem nicht so recht genügen. Schon das enge Verhältnis zwischen Gräser und Hesse ist bis zu beider Tod vor der Öffentlichkeit verheimlicht worden, obwohl es sehr konkret in Hesses Werken dargestellt worden ist, wie Hermann Müller herausgearbeitet hat. Warum sollte da nicht noch mehr verheimlicht worden sein?

Aber man muß sich mit dieser Antwort offenbar vorläufig zufrieden geben. Das Verhältnis zwischen Gusto Gräser und Hermann Hesse werden wir im zweiten Teil dieses Aufsatzes noch detaillierter behandeln. Jedenfalls würde uns nach den Romaninhalten und sonstigen Aussagen Hermann Hesses nichts naheliegender erscheinen, als daß Hermann Hesse - wie Goethe - Mitglied einer Freimaurerloge war, eingeführt von dem Ordensoberen Gusto Gräser, wo er sich mit vielen bekannten Literaten seiner Zeit getroffen haben könnte. Und es würde einem nichts naheliegender erscheinen, wenn die vielen wertloseren, weil totalitäre Geheimordensherrschaft verherrlichenden oder verbrämenden Teile seines Werkes von diesen Erfahrungen mitbestimmt wären.  Daß Hermann Hesse - ebenso wie Goethe - neben solchem wertlosen Quark auch Wertvolles, seine Leser in vollem Umfang Respektierendes geschrieben hat, steht dabei für uns übrigens völlig außer Frage. Dazu hatten wir selbst schon zu viele wertvolle Leseerlebnisse mit Hesse. Aber es gibt eben diese andere Seite auch, die in vielen Werken die weitaus überwiegende zu sein scheint, und die einem deshalb zunehmend ungenießbarer erscheinen wollen.

"Die Herren der Probleme, mit denen sich die Zeitgenossen beschäftigen" - Ernst Jünger in "Heliopolis" (1949)

Wie sehr die oben zitierten Worte aus dem Europa-Kurier des Jahres 1949 zutreffen, wollen wir in diesem Beitrag gar nicht "in extenso" eruieren. Würden uns aber über ausführlichere Untersuchungen zu dieser Thematik sehr freuen. (Eine solche haben wir fünf Jahre später hier auf dem Blog selbst gebracht: GAj2016.) In jedem Fall konnte man als Germanistikstudent vieles auch schon gleich in dem 1949 erschienenen Roman "Heliopolis" von Ernst Jünger nachlesen. Dazu im folgenden nur wenige Belege. Dort konnte man zum Beispiel folgende Stelle lesen und dann aus ihr zitieren (3, S. 116f; 1, S. 3 und andernorts) (Hervorhebung nicht im Original):

... Ich blickte mich um und sah, daß dort ein Unbekannter saß, der mich aufmerksam betrachtete. Es war ein Mann in grauem Straßenanzug. (...) Auch das Gesicht des Unbekannten war unauffällig, von einem Typus, wie man ihn in unserer Welt alltäglich trifft. Die scharfen, aufmerksamen Züge deuteten auf die Gewohnheit eigener und führender Entschlüsse, die blasse Haut auf Nachtarbeit. Man stößt auf solche Köpfe in den Ministerien, den Banken, der Industrie. Doch findet man sie dort nicht an den ersten Stellen, sie wirken eher von versteckten Zimmern aus. Wir irren lange in diesen Labyrinthen, wenn wir in Geschäften kommen, uns immer tiefer ins Gewirr verstrickend, bis endlich ein Diener uns in die Zelle solcher Eminenzen führt. Hier fällt dann Licht auf unsere Dinge; mit zwei, drei Sätzen wird das Entscheidende geklärt, zur Unterschrift gebracht. Zuweilen trifft man sie natürlich auch

- wie im Falle der hier von Jünger dargestellten Szene -

in den Nachlokalen und in den Bars, als Gäste von Distinktion. Zu anderen Zeiten würde man solche Geister als bösartig, ja fürchterlich begriffen haben, indessen in einer Welt, in der das Böse zum Allgemeinen wurde, wirken sie autoritär. Man wittert sogleich, daß sie das herrschende Prinzip verkörpern, daß sie die Führer sind. Doch legen sie auf Ehren keinen Wert und finden in der Arbeit ihren Lohn. Sie konstruieren in ihren Zellen Gedanken, die schärfer sind als alle Schwerter, erfinden Pülverchen, durch die man Völker entnerven kann. Im Auftreten sind sie bescheiden, doch sicher, und kennen ihren Rang. Man fühlt: sie sind die Herren der Probleme, mit denen die Zeitgenossen sich beschäftigen. Das Wissen gibt ihnen eine kaum wahrnehmbare Ironie.

Man lasse sich doch einmal solche Sätze auf der Zunge zergehen:

In einer Welt, in der das Böse zum Allgemeinen wurde, (...) sind sie die Führer. Zu anderen Zeiten würde man solche Geister als bösartig, ja fürchterlich begriffen haben ...

Also: sie tun und bewirken das Böse. Was denn sonst? Ernst Jünger hatte zwölf Jahre Nationalsozialismus und sechs Jahre Weltkrieg hinter sich. "Andere Zeiten" haben sich sehr schnell ergeben. Allerdings hat ein echter Elitenwechsel, ein echter Austausch jener "bösartigen Geister" niemals stattgefunden. Was ja auch George Orwell in "1984" nahelegt.

Und Ernst Jünger? Er ist davon nicht entsetzt oder empfindet Abscheu. Offenbar hängt auch er der in Okkultlogen weit verbreiteten Meinung an, daß das Böse, Fürchterliche getan werden müsse - in einer bösen, dem Untergang "geweihten" Welt - um das Gute zu bewirken. - - - Und dann: Weinstuben, Bars, Nachtlokale - auffälligerweise ein Ambiente, das auch Jünger-Freund Friedrich Hielscher erwähnenswert hielt in seiner zutiefst abstoßenden Schrift "Das Reich" von 1931 (4), in der ebenfalls viel Böses gefordert wird, um Gutes bewirken zu können.

Und sollte irgend etwas näher liegen, als daß Ernst Jünger hier - etwa - an seinen lebenslangen Freund, den bis zu seinem Lebensende (1989) "Fäden ziehenden", durch Seilschaften getragenen Gestapo-General Werner Best, gedacht hat? Oder daß er an seinen vor wie nach 1945 einflußreichen Freund, den General Speidel, die "rechte Hand" von General Rommel, gedacht hat (dessen Handlungen wahrscheinlich erst die Invasion von 1944 ermöglicht haben)? Oder an welche Persönlichkeiten sonst in diesem Umfeld, die Jünger vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg in einer so "bösen Welt" an führenden Stellen in Berlin, im friedlichen Paris  kennengelernt haben mag? Wenige Seiten später jedenfalls werden dem Protagonisten dann von einem Eingeweihten in wörtlicher Rede die eigentlichen Zusammenhänge erklärt (3, S. 121):

"Sie ahnten, daß es zwei Sorten von Menschen gibt: die Toren und die Wissenden. Die einen sind die Sklaven, die anderen die Herren dieser Welt. (...) Die Sklaven regiert der Zufall; die Herren bestimmen ihn. Es gibt im namenlosen Heer der Blinden einige Geister, die sehend sind. (...)
Die Welt ist nach dem Vorbild der zwiefachen Kammer, der chambre double, ausgeformt. (...) Denken Sie sich folgendes: Sie halten sich mit einer großen Gesellschaft in dieser Kammer oder in diesem Saale auf. Man spielt, man debattiert, man treibt Geschäfte, kurzum man tut, was Menschengewohnheit ist. Für die uneingeweihten Gäste werden die Dinge und ihre Konstellationen in diesem Saale mehr oder minder dem Zufall anheim gegeben sein. Daher vermag auch keiner unter ihnen mit Sicherheit zu sagen, was selbst die nächste Minute bringt. (...)"

Und dann werden die "Eingeweihten", die "Herren der Probleme" vorgestellt: 

"Diese Charaktere bilden den Schlüssel zu allen Vorgängen, die sich im Saal (- also in der Welt selbst!) abspielen. Sie glichen bislang einem Menschen, der nächtlich der Bahn der Sterne folgte, doch ohne Kenntnis der Astronomie. Nun sind Sie wissend, und Ihre Macht gleicht jener der alten Priesterschaften, die Mond- und Sonnenfinsternisse verkündeten. Sie haben die Weihen angenommen, die Ihnen magisches Fürstentum verleihen. ..."

Im Angesicht von Wiederbewaffnung und Atomkriegsgefahr, nach Lesen von Hinweisen darauf, daß der Nationalsozialismus vor 1933 durch die Wallstreet-Banker finanziert worden sein könnte (1, S. 71f), und um so mehr man sich als Germanistikstudent in dieser Literatur eines "besseren Deutschland" umtat, um so mehr man die - zum Teil mit Geheimdiensten zusammenarbeitenden - Literaturkritiker las und die von ihnen gepriesenen Werke, um so mehr konnte in einem offenbar als jungem Studenten der Zorn entbrennen. Man konnte sich unter anderem durch folgende sich gegenseitig anpreisende und miteinander "über die Köpfe des Publikums" hinweg miteinander "korrespondierende" Literatur hindurchlesen. Im folgenden eine Zusammenstellung der in (1) erwähnten und entsprechend eingeordneten Werke:

Alfred Kubin: Die andere Seite (1909)
Gustav Meyrink: Der Golem (1913)
Gustav Meyrink: Feldermäuse (1916)
Gustav Meyrink: Walpurgisnacht (1917)
Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes (1919)
Walter Rathenau: Kritik der dreifachen Revolution (1919)
Hermann Hesse: Demian (1919)
Hermann Hesse: Blick in Chaos (darin: Die Brüder Karamasoff oder Untergang Europas) (1921)
Gustav Meyrink: Meister Leonhard (1925)
Gustav Meyrink: Der Engel vom westlichen Fenster (1927)
Hermann Hesse: Der Steppenwolf (1927)
Ernst Jünger: Das abenteuerliche Herz (1929)
Hermann Hesse: Die Morgenlandfahrt (1932)
Ernst Bertram: Von deutschem Schicksal (Gedichte) (1932)
Ernst Jünger: Auf den Marmorklippen (1939)
Hans Leip: Die Laterne (Lieder und Gedichte) (darunter: Lili Marleen) (1942)
Hermann Hesse: Das Glasperlenspiel (1943)
Elisabeth Langgässer: Das unauslöschliche Siegel (1946)
Thomas Mann: Doktor Faustus (1947)
Herbert Fritsche: Zeit der Lilie (Gedichte) (1947)
Elisabeth Langgässer: Der Torso (1947)
Ernst Jünger: Strahlungen (1949)
Ernst Jünger: Heliopolis (1949)
Martin Buber: Gog und Magog (1949)

Gustav Meyrink ist einer der "großen" deutschen Okkultautoren der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Man konnte Literaturkritiker lesen wie Gerhard F. Hering zum "Glasperlenspiel" und zu "Doktor Faustus" (1, S. 7f), Herbert Fritsche (in "Die Zeit" vom 15.1.1948) (1, S. 26), Arnold Bauer (in: Der Monat, Heft 6) (1, S. 31, 55, 77), Erich Brock (in "Neue Schweizer Rundschau", Dezember 1949) (1, S. 45), Fritz Martini ("Deutsche Literaturgeschichte", 1950), Hans Naumann ("Die deutsche Dichtung der Gegenwart"), Fritz Kraus (in: "Badische Zeitung" vom 20.12.1949) oder den Literaturhistoriker Matzig (1, S. 78). Den Text, den man dann als sich gedanklich überschlagender Germanistikstudent schrieb (1), mußte nicht in allen Teilen besonders gut lesbar sein. Aber die Grundaussage blieb klar (1): Den genannten Autoren, zum Teil wohl auch den genannten Kritikern, wurde ein in Freimaurerlogen oder in ähnlichen elitären Kreisen gewonnenes Geheim- und Hintergrundwissen über gesellschaftliche Selbstmordprogramme unterstellt, über die sie sich "über die Köpfe des Publikums hinweg" miteinander in ihren Werken schöngeistig unterhalten konnten, als jene, die "weitersahen".

Damit hätte man einen weiteren Fall von Korruption in der deutschen Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts, nachdem man schon von so vielen Fällen erfahren hatte. Jüngst erst wieder von der beschwiegenen nationalsozialistischen Vergangenheit so vieler gefeierter deutscher Nachkriegsschriftsteller und Germanisten.


 /---> Hier gehts weiter zu Teil 2. /

*) Der Mensch und Schriftsteller Hermann Hesse hat aufgrund so und so vieler äußerst wertvoller Lese-Erlebnisse - vielleicht am häufigsten gar nicht einmal in diesem oder jenem seiner Romane oder Novellen, sondern womöglich eher noch in Briefauszügen, Rezensionen oder ähnlichen Texten, die ja oft zu Themenbändchen zusammen gestellt sind - unsere ganze Hochachtung. Auf den meisten Fotos von Hermann Hesse scheint uns der tiefe Lebensernst, der aus manchen solcher äußerst wertvollen Texte spricht, nicht so recht wiederzufinden zu sein. Das für uns schönste Porträtfoto von Hermann Hesse fanden wir in dem Büchlein "Mit der Reife wird man immer jünger": "Hermann Hesse 1954 beim Lesen der Post". Es steht unter dem Copyright des Suhrkamp-Verlages, ganz klein kann es hier gesehen werden (ganz unten)

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  1. Michel Dietrich - "Verschwörung gegen Deutschland und Europa - Ein Blick hinter die Kulissen des Welt-'Zaubertheaters' der 'Glasperlenspieler'". 1. Auflage 1951. "Zu beziehen durch F. Adlerhorst, Gelsenkirchen-Buer" (100 S.) (Scribd)
  2. Bading, Ingo: Peter-Robert König - und Bücher, die wir noch lesen wollen. GA-j!, 6.7.2011
  3. Jünger, Ernst: Heliopolis. Rückblick auf eine Stadt. (Erstausgabe 1949.) Kapitel "Ortners Erzählung". In: Sämtliche Werke, Bd. 16, Klett-Cotta, Stuttgart 1980, 2. Aufl. 1998, S. 117 (Google Bücher)
  4. Bading, Ingo: Okkulte Priesterdiktatur für den deutschen Raum und Ausrottung des "verhurten Gesindels". - Zu Friedrich Hielschers Buch "Das Reich" aus dem Jahr 1931. GA-j!, 5.8.2011
  5. Hesse, Hermann: Die Morgenlandfahrt. Eine Erzählung. (Erstauflage 1932). Suhrkamp-Verlag, 1959 (Scribd)
  6. Hesse, Hermann: Nach der Lektüre des Buches "An der Zeitmauer" (von Ernst Jünger, 1959). In: Arbogast, Hubert (Hrsg.): Über Ernst Jünger. Klett-Cotta, Stuttgart 1995, S. 73 - 76 (Google Bücher)
  7. Müller, Hermann: Der Dichter und sein Guru. Hermann Hesse - Gusto Gräser. Eine Freundschaft. Gisela Lotz Verlag, Wetzlar 1978 und Werdorf 1979
  8. Müller, Hermann: Hermann Hesses Weg mit Gusto Gräser. Auf: Siebenbürgen.de, 11.12.2008
  9. Müller, Hermann: Gusto-Graeser.info.
  10. Hesse, Hermann: Das Glasperlenspiel. (1943) Suhrkamp 1972, Klappentext
  11. Mehr zu Gräser und dem Monte Veritàabce.

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