Mittwoch, 10. Februar 2010

Zur Psychologie des Priesters

Der abgefallene italienische Jesuiten-Pater Alighiero Tondi (1908 - 1984) (Wikip.) schrieb im Jahr 1961 über seine Erfahrungen im Jesuitenorden (1, S. 108ff):
Im Laufe der Zeit bemerkte ich, daß der Priester die Nichtpriester fast immer als geborene Gegner betrachtet: die Tatsache, daß sie anders leben als er, daß sie keine Furcht vor Genüssen haben, die sie sich gern gestatten, daß sie sich um die Sünde und den Gehorsam gegenüber den Befehlen der Kirche nicht übermäßig Sorge machen, daß sie Einwände gegen das Dogma haben und diskutieren wollen, daß die Hölle sie nicht zu sehr schreckt und daß sie auch nicht allzuviel daran denken - all das reizt den Priester. (...)

Der Priester ist (...) gereizt, wenn er seine Lage mit der Lage der anderen vergleicht. (...) Die Interesselosigkeit, der Ungehorsam, die Gleichgültigkeit der anderen gegenüber seinen Ideen, gegenüber seinen Rechten als Befehlshaber der Menschheit, als Vikar Gottes, beleidigt ihn. (...) Deshalb würde er den anderen gern verbieten, die Freuden des Lebens zu genießen, und er verbietet es tatsächlich. Er hat diese Freuden nicht (...): so soll auch der Nächste sie nicht haben.
Man muß dabei berücksichtigen, daß der Priester, um so höhere Positionen er innerhalb des Ordens oder der Kirche einnimmt, als Gegengewicht gegen all diese "Entbehrungen" und "Ungerechtigkeiten" mit immer mehr Macht über andere ausgestattet ist. Machtausübung kann einem für all diese "Entbehrungen" - - - "Genugtuung" verschaffen.

Eine andere Genugtuung könnte sein, sich - im Gegensatz zu allen anderen Menschen - im Besitz einer irgendwie "alleinseligmachenden" Wahrheit zu empfinden. Aber dazu hat ein ehemaliger Jesuitenschüler kürzlich wohl ganz richtig geschrieben (Spreeblick, Kommentar 402):
Die Rolle der Kirche

Stellen Sie sich vor, jemand würde Ihnen sagen: “Ich glaube, Sadam Hussein hat einen Tunnel vom Irak bis nach Texas buddeln lassen und darin Pipelines einziehen lassen. Dann hat er den Texanern ihr Erdöl weggepumpt und es ihnen für teuer Geld wieder zurückverkauft!” Würden Sie so einen als “geistig gesund” bezeichnen und auf Ihre Kinder loslassen?

Dass halbwegs intelligente Menschen im dritten Jahrtausend unserer Zeitrechnung, also gut 200 Jahre nach dem Tod Immanuel Kants, an die Existenz eines Gottes glauben, finde ich allein schon bedenklich. Völlig absurd finde ich die Doktrin der Römisch-Katholischen Kirche (RKK), die von den Gläubigen im Glaubensbekenntnis ständig wiederholt wird. Neben den im Glaubensbekenntnis genannten zentralen Glaubensinhalten

* unbefleckte Empfängnis Marias
* Christi Auferstehung
* das Jüngste Gericht
* die Auferstehung der Toten
* das Ewige Leben (als ewig Verdammte in der Hölle oder als ewig Glückseelige im Himmel)

zählen folgende Glaubensinhalte zum Merkmal der RKK (in Abgrenzung zu anderen Religionen bzw. katholischen Strömungen)

* die Aufnahme Marias in den Himmel mit Leib und Seele
* die Unfehlbarkeit des Papstes in direkter Nachfolge Jesu (wenn ex cathedra verkündet)
* die Transsubstantion (5. Laterankonzil bzw. Konzil von Trient)

Und diese Römisch-Katholischen, straff organisiert weltweit tätig, dürfen mit ihren oben dargestellten zentralen Glaubensinhalten und ihrem Obskurantentum eigene Schulen betreiben oder in Rundfunkgremien Einfluss auf die Medien nehmen?!
Was hier vor allem zum Ausdruck gebracht wird, ist, wie so ganz und gar fern aller heutigen religiösen Lebendigkeit diese von der "alleinseligmachen Kirche" vertretene "Wahrheit" ist. Wie sie geradezu jeden Bezug zur gegenwärtigen Lebenswirklichkeit in unserer Gesellschaft verloren hat. Es ist ein staubtrockenes, totes, mumifiziertes Gebilde.

1. Möglichkeit: Lebendiger Katholizismus in einem toten Lehrgebäude

Einem Durchschnitts- und Namenskatholiken muß das alles zunächst nicht gar zu auffällig vorkommen. Er glaubt nur das, was schon seine Eltern geglaubt haben. Er ist - günstigstenfalls, vielleicht - verheiratet. Er erlebt also keine Entbehrungen und konzentriert sich, vielleicht, auf den einen oder anderen Glaubensinhalt, der ihm noch in irgendeiner Weise "Halt" gibt im Leben. Oder er hält die Kirche selbst für einen solchen "Halt". Oder er läßt sich von einem noch so relativ seelisch lebendigen Menschen wie dem Bischof Franz Kamphaus von Limburg seine Religion im Sinne von Friedrich Hölderlin oder Friedrich Schleiermacher deuten, also philosophisch wertvoller, als sie es ihrem reinen Wortlaut nach ist: Zum Beispiel Unsterblichkeit nicht als "ewiges Leben" nach dem Tod, sondern als erfülltes Leben vor dem Tod. Das ist natürlich gar nicht mehr echter Katholizismus - dafür aber lebendig.

2. Möglichkeit: Toter Katholizismus in einem toten Lehrgebäude

Aber kann es einem "Mann Gottes", der sein ganzes Leben nur allein dem Dienst der Kirche geweiht hat, noch wirkliche, echte Genugtuung verschaffen, das eigentliche, dogmatisch festgelegte Lehrgebäude der Kirche, der Bibel - noch dazu mithilfe von so vielen einschneidenden, ja, im Angesicht der übrigen Menschen kränkenden Entbehrungen im persönlichen Leben - zu vertreten?

Auch dies scheint einem noch am ehesten dann psychologisch möglich, wenn das Vertreten dieser Wahrheit einen mit einer großen Machtfülle über Menschen ausstattet. Wenn man also im Mittelpunkt eines "Gemeindelebens" oder eines akademischen Lebens steht und darin viele Dinge aufgrund seiner "Lehrbefugnis" besonders gut "weiß". Und diese "Versessenheit" auf Macht und Einfluß, so scheint es, wird es heute vor allem sein, die dieses Gebilde katholische Kirche - soweit es zumindest die höhere Priesterschaft in derselben betrifft - überhaupt noch aufrecht erhalten kann.

Weil man sich letztlich selbst haßt, hassen muß, haßt man andere. Und das Motto lautet heute mehrheitlich wohl noch nicht einmal mehr: Weil es absurd ist, glaube ich es. Sondern: Weil ich - ich, die mich selbst demütigende, mißbrauchende Kreatur - durch diesen Mißbrauch Macht erhalte über andere, deshalb - und deshalb allein - "glaube" ich. Noch. Ich glaube an ein "Monster", verwandle mich selbst in ein Monster (s.a.: 2), weil ich dadurch Macht habe über andere Menschen und mich auf diese Weise rächen kann an ihnen dafür, daß sie so viele Dinge haben, die ich nicht habe.

Kombination beider Möglichkeiten

Natürlich können beide eben genannte Möglichkeiten auch in verschiedenen Kombinationen zur Anwendung kommen. Die erste Möglichkeit kann auch nur vorgespielt sein, nicht aus echtem Glaubensbedürfnis stammen, so wie man es einem Bischof Kamphaus noch abnimmt.

Auch der Kardinal Christoph Schönborn aus Wien versucht sich - in Auseinandersetzung mit der Evolutionstheorie im Sinne von Simon Conway Morris - in einer vergleichsweise lebendigen philosophischen Deutung eines starren, toten Lehrgebäudes. Man hat nur nicht das Gefühl, daß er auch mit seiner ganzen Person als solcher dahinterstehen würde. Wäre es doch nur so! Aber nur allzu oft kommt einem das Gefühl der Verstellung und der Heuchelei, die der eine nur glaubwürdiger präsentiert als der andere.

Oft wird ganz offensichtlich in einer bestimmten Weise nur deshalb gehandelt, weil man glaubt, daß in einer solchen Weise im Sinne der Kirche gehandelt werden muß, weil es "früher oder später doch so herauskommt" etc. pp.. Also nicht aus innerstem, eigensten Bedürfnis heraus.

Da kann man es verstehen, wenn sich unter ehemaligen Jesuitenschülern böser, böser Zorn ausbreitet, wie erst jüngst wieder (Spreeblick, Komm. 475):
Ach, die arme, arme Kirche und ihre armen, armen Jesuiten, … ausgestattet mit verfassungswidrigen Privilegien wie gesetzlich garantierte Einflussnahme auf das öffentliche Leben, Finanzierung aus der Staatskasse und eigene Geheimgerichtsbarkeit. Und da will ihr doch die böse, böse Presse plötzlich ans Leder ...
Und wenn es nun exakt so wäre - was dann?

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1. Tondi, Alighiero: Die Jesuiten. Bekenntnisse und Erinnerungen. Aufbau-Verlag, Berlin 1961
2. Ploussard, Jean: Mein Leben bei den Tuareg. I. Die Wüste ruft. II. Auf den Spuren von Charles de Foucauld. 2. Bde., Neue Stadt Verlag 1996, 1998

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