Samstag, 31. Januar 2009

Wissen um das eigene Genom und Internet-Vernetzung

Was wir schon neulich hier auf dem Blog ansprachen, nämlich eine "SNPedia-Revolution" der näheren Zukunft (Stud. gen.), wird im "Nature"-Heft vom 22. 1. in einem Essay des Humangenetikers Aravinda Chakravarti (Maryland, USA) noch weiter ausgeführt (Nature), nämlich die ungeheure Datenfülle, die die Sequenzierung jedes einzelnen menschlichen Genoms in näherer Zukunft mit sich bringen wird und mit ihr die gänzlich neuen Anwendungsmöglichkeiten aus privaten Interessen heraus:
If databases of DNA sequence information become publicly available, just as genealogical records are now, people will be able to compare their own genome sequence with those of millions of others. (...) Even in the case of remote relationships, people may interact, perhaps through online social networking, with newly found, distant relatives regardless of their culture, politics and race. Such a scenario is increasingly plausible given people’s willingness to share personal information online, for example in social-networking websites. (S. 381)
Und gleich schon in den einleitenden Worten sagte er:
Genealogical records are currently the system of choice for people tracing their family history. But in the next decade, we will be able to identify many of our relatives by searching a DNA database of personal genome sequences. There are good reasons for switching to DNA: in general, historical records cover at most the past 500 years; our genomes, in contrast, bear the stamp of tens, if not hundreds of thousands of years of history. Even individuals without genealogical records will be able to correctly create a family tree with connections to known relatives, to those they were unaware of, and to relatives so distant that they stretch the meaning of the word ‘family’. (S. 380)
Ja, das scheint eine faszinierende Aussicht zu sein, daß ich durch die Kombination sämtlicher Merkmale meines Genoms ein unwahrscheinlich differenziertes Bild vom Verwandtschaftsgefüge erhalten kann, in dem ich als einzelner, individueller Mensch innerhalb der Menschheit und der Menschheitsgeschichte stehe. Das ist schon verrückt.

Chakravarti gibt sich gegen Ende seines Essay's der Erwartung hin, daß diese Entwicklung es den Gesellschaften auch erlauben wird zu überprüfen, inwieweit sich traditionelle Identitätsmuster und (wie er meint: "bloße") "soziale Konstrukte" wie "Rasse" oder "Ethnie" im Licht der neuen Erkenntnisse sich verändern werden.

Es ist aber ebenso naheliegend zu vermuten, daß aufgrund der neuen Erkenntnisse leichter als bisher Einschätzungen darüber werden vorgenommen werden können (etwa durch einfache Abfrage auf einer Netzseite), wieviel man rein rechnerisch-statistisch durch Gesamtgenom-Vergleich mit jemand anderen in der Welt durchschnittlich genetisch verwandt ist und wie hoch der durchschnittliche genetische Verwandtschaftsgrad innerhalb einer gewählten menschlichen Gruppierung ist. Vielleicht wird man dabei auch herausbekommen, daß dieser bei vergleichbaren Gruppengrößen dennoch unterschiedlich sein kann. Und man wird berechnen können, wie stark der einzelne vom durchschnittlichen Verwandtschaftsgrad einer Gruppierung abweicht.

Ja, es könnte sogar noch weiter gehen. Solche Berechnungsmaschinen könnten ausspucken Daten wie die folgenden: Was sportliche Begabungen betrifft, bist Du am meisten verwandt mit Menschen dieser und dieser Gruppe. Was musikalische Begabung betrifft, mit dieser Gruppe. Was soziale Begabungen betrifft, mit dieser Menschengruppe.

Jedenfalls: Es könnte auch eines großen sozialen Verantwortungsbewußtseins bedürfen, um mit all solchen neuen Erkenntnismöglichkeiten dann künftig auch möglichst human umgehen zu können und sie sich nach keiner Richtung hin schädlich auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungen auswirken zu lassen.

Sonntag, 25. Januar 2009

Der Krieg in Gaza - in der ARD diskutiert

Doch, das könnte man sich mal ansehen, "Hart aber fair" in der ARD am 21.1.09 mit Norbert Blüm, Michel Friedman und drei anderen Gesprächspartnern: Rudolf Dreßler (ehemaliger deutscher Botschafter in Israel), Professor Udo Steinbach und Nahost-Journalist Ulrich Kienzle. (---> ARD) Lauter wichtige, durch und durch kompetente Gesprächspartner, die wissen, wovon sie reden.

Themenstellung: "Blutige Trümmer in Gaza - wie weit geht unsere Solidarität mit Israel?"

Man empfindet die Gesprächsteilnehmer von Friedman an manchen Stellen als ernsthafter als Friedman selbst. Wie kann man mit spöttisch-lächelnder Polemik und "Eloquenz" den Krieg Israels gegen die Hamas verteidigen? Wenn Friedman sagt, er hielte etwas für "furchtbar", nimmt man ihm das doch einfach gar nicht ab. Das war sicher über weite Strecken der falsche Gesprächspartner für dieses Thema. Man wünscht sich für Israel's Politik glaubwürdigere und bessere Verteidiger als diesen Mann (wenn denn die derzeitige Politik Israel's wirklich glaubwürdiger und besser verteidigt werden kann).

Die Ursache der zweiten Intifada wird klar herausgearbeitet. Diese Kritik an diesem Krieg kann man für sehr, sehr wichtig halten. Und immer fragwürdiger wird die Haltung der deutschen Regierung gleich bei Beginn dieses Krieges und der westlichen Welt zu jenem Zeitpunkt überhaupt. Und das Hochschlagen der Emotionen bei diesem Thema in dieser Gesprächsrunde kann man für vollkommen gerechtfertigt halten. Wenn die Europäer und Amerikaner da schon vor dem Krieg emotional wachsamer gewesen wären, hätte es zu diesem Krieg wohl gar nicht kommen können und brauchen.

Doch, diese Sendung kann man als sehr wichtig erachten. Und es wäre wesentlich, daß man die Diskussionen über dieses Thema nicht wieder einschlafen läßt. Auch über dieses.

Berlin, Termin: Evolution für alle Altersstufen II

Und es war gut. (Siehe voriger Artikel.) Es war "Studium generale" vom Feinsten.

Astrophysiker Günther Hasinger hat unglaublich kompetent und dicht über die neuesten Erkenntnisse zur Entwicklung des Universums gesprochen und zur Unwahrscheinlichkeit der Existenz eines Universums, das Menschen ermöglicht und der Unwahrscheinlichkeit eines Ortes für Leben in diesem Universum (anthropisches Prinzip). Er stellte auch heraus, daß in der bisherigen 13,5 Milliarde Jahre langen Entwicklung des Universums die Entwicklung des Lebens auf der Erde durchaus viel Zeit einnahm (etwa 4,5 Mrd. Jahre). Aber auch hier gibt es Überraschungen. Wenn man für die 13,5 Milliarden Jahre die Zeitskala eines Jahres wählt, entsteht Leben auf der Erde im September. Aber merkwürdigerweise brauchte das Universum zwar "das ganze Frühjahr hindurch", um in vielen Generationen von Sternen all die Elemente auszubrüten, aus denen unser Sonnensystem besteht, und ohne die Leben gar nicht möglich wäre. Aber nachdem die Erde entstanden war, dauerte es nur "drei Wochen" (oder waren es "drei Tage"?), bis daß auf dieser Erde dann auch Leben entstand. Das war in der genannten universellen Zeitskala gemessen sehr schnell. Und das ist sicherlich erstaunlich und erklärungsbedürftig. Danach aber dauerte es dann wieder bis zum Dezember, bis Menschenaffen entstanden.

Wenn man sich nun überlegt, daß es auch andere Zivilisationen im Universum geben könnte (was wohl unwahrscheinlich aber nicht völlig unmöglich ist), dann drängt sich ja eigentlich auch die Vermutung auf, daß sich auch diese andere Zivilisation in nicht allzu stark anderen Zeitskalen entwickelt haben kann. Vielleicht eine Milliarde Jahre früher oder später. Aber nicht weiter abweichend. Aber damit sind nur wenige Implikationen dieses unglaublich dichten und informationshaltigen Vortrages genannt, der sicherlich der eindrucksvollste des Abends war. Es ist unglaublich, was die Astronomie in den letzten Jahren alles herausbekommen hat, wie weit sie in der Geschichte des Universums schon zurückschauen kann.

Der zweite wichtige Vortrag des Abends war der des Buntbarsch-Experten Axel Meyer aus Konstanz. Auch hier ist das persönliche Anhören dieses ausgewiesenen Experten auf diesem so besonders wichtigen Gebiet der modernen Evolutionsforschung durch gar nichts anderes zu ersetzen. In wenigen zehntausend Jahren haben die Buntbarsche bei wenigen genetischen Veränderungen viele neue Arten (mehrere tausend) aus wenigen Vorfahren entwickelt - etwa parallel zur Evolution des anatomisch modernen Menschen. Und das während in anderen Fischgruppen über viel weitere geographische Entfernungen hinweg (über ganz Europa und Asien hinweg) höchstens einige hundert neue Arten entstanden. Als das Überraschendste, was Axel Meyer an Tatsachen brachte, konnte man die Beispiele für konvergente Evolution von Buntbarsch-Arten in unterschiedlichen ostafrikanischen Seen ebenso wie in Vulkan-Krater-Seen in Nicaragua (Mittelamerika) erachten (letztere wohl innerhalb von weniger als 23.000 Jahren, vielleicht auch nur von hundert Jahren).

Genetisch weitgehend identische Linien entwickeln sich zu völlig neuen Arten - und dabei auch noch konvergent zu parallel ganz ähnlichen Formen in den anderen Seen, so daß man sie äußerlich für Angehörige einer Art ansehen könnte, was sie aber genetisch gar nicht sind. Wenn es schlagendere Beispiele dafür geben soll, daß Selektion im Bereich der Gene gar nicht die Hauptursache für die Entstehung der Arten sein muß, dann sind es diese Beispiele. Axel Meyer machte schnell und überzeugend klar, daß man viele der tausende von Buntbarsch-Arten genetisch kaum in einem chronologischen und verwandtschaftlichen Stammbaum anordnen kann, da sie dafür genetisch noch viel zu jung sind und dafür zu wenige Unterschiede in der Genom-Sequenz aufweisen. Wie sollen da Mutationen in der Genom-Sequenz hauptverantwortlich für die Artbildung bei den Buntbarschen gewesen sein? Nein, das weist überzeugend daraufhin, daß einfach schon Änderungen in den Ablese-Zuständen von Genen (Methylierung und Demethylierung) zu neuen Arten führen können. Das hat Meyer hier gar nicht weiter ausgeführt. Aber er sagte, daß gegenwärtig das gesamte Genom von sechs Buntbarsch-Arten sequenziert wird, und daß man durch den Vergleich dieser sechs Genome schon wieder vieles besser wissen wird.

Aber wie nun die genannten Änderungen in den Ablese-Zuständen erzeugt und fixiert werden, das herauszubekommen wird die Forschungsaufgabe der nächsten Jahre sein. Mit traditioneller Populationsgenetik wie sie etwa derzeit auch auf "Selective Sweep" durch Emanuel Heitlinger verdienstvollerweise thematisiert wird, kann da wohl nur wenig erklärt werden. Und das zeigt auch auf, daß die neu entdeckten "jüngstselektierten Gene" in der Humangenetik und in der Genetik anderer Organismen nur einen geringen, auch eher willkürlichen Teil in der Gesamt-Erklärung für die Evolution neuer Arten und Unterarten (Rassen) in den letzten zehntausenden von Jahren darstellen werden.

Tiefergehende Erörterungen der derzeitigen Buntbarsch-Forschungen im --> "Research Blogging".

Ingo Rechenberg hat Evolutions-Computer-Modelle vorgestellt, in denen ganz selbstverständlich gruppenselektionistische Evolutionsstrategien angewandt wurden - weil diese am erfolgreichsten viele evolutive Vorgänge erklären können, auch solcher Erscheinungen wie der Evolution des Linsenauges oder der Konstruktion von Bauplänen.

Und eine außergewöhnlich lebhafte Podiumsdiskussion gab es zur "Evolution sexueller Untreue". Der Darwinfinken-Experte Wolfgang Forstmeyer (MPI Seewiesen), der Kulturethologe und Neuguinea-Spezialist Wulf Schiefenhövel (MPI Andechs) ebenso wie die ökonomische Familienexpertin Evelyn Korn plädierten überzeugend für eine gelungene und ausgewogene Kombination von biologischen und kulturellen Erklärungen gegen oft allzu wenig biologisch informierte Theorien aus der Literaturwissenschaft, wie sie hier - stellvertretend für viele - von Sigrid Weigel vorgetragen worden sind. Es war der eigentlich aus der Naturwissenschaft kokmmende Wulf Schiefenhövel, der auch große kulturwissenschaftliche Informiertheit aufwies, wenn er etwa darlegte, daß das Konzept der "Treue" im europäischen Bereich nicht aus der Bibel oder aus lateinischen Rechtsvorschriften stammt (wie von Sigrid Weigel kurzschlüssig vorausgesetzt), sondern Wortstamm-Nähe zu Englisch "tree" aufweist. Treu sein heißt also wurzelfest sein wie ein Baum - in traditionellem europäischem Verständnis.

Und als das Konzept der romantischen Liebesehe von Weigel als ein modernes Konzept des 19. Jahrhunderts postuliert wurde - angeblich ohne größere historische oder gar biologische Tiefe und Verwurzelung - konnte Schiefenhövel überzeugend von romantischer Liebesdichtung bei den steinzeitlich lebenden Menschen in Papua-Neuguinea hinweisen, auf die selbst Goethe stolz gewesen wäre, wenn er darauf gekommen wäre, wie Schiefenhövel meinte. Forstmeyer konnte gut informiert mit den neuen Erkenntnissen zum Vasopressin-Rezeptor-Gen aufwarten (siehe dazu frühere Beiträge auf "Studium generale"). Aber das schlagkräftigste evolutionsbiologische Argument auf dem hier diskutierten Gebiet von Monogamie und Untreue, daß nämlich monogame Lebensweise auch etwas mit Intelligenz-Evolution zu tun haben könnte nach den neuesten Forschungen von Robin Dunbar (siehe frühere Beiträge von "Studium generale"), das war von den Teilnehmern der Podiumsdiskussion offenbar noch nicht rezipiert worden. Dabei ist es wohl revolutionärer als fast alles andere, was derzeit zu diesem Themengebiet gesagt werden kann. Da hätte die Berlin-Brandenburgische Akademie mal den Wissenschaftsblog "Studium generale" um einen kleinen Diskussionsbeitrag bitten sollen. ;-) ... (Vielleicht tut sie's ja noch ...)

- Nein, sie tat es schon. Ein studentisches Filmteam lud Leute aus dem Publikum zu kurzen Interviews ein. Es wurden einige allgemeine Fragen über Evolution gestellt. Und auf diese hat auch "Studium generale" geantwortet. Die Interviews sollen in den nächsten Tagen auf der Netzseite der Akademie veröffentlicht werden, siehe ---> hier.

Und Journalist Matthias Glaubrecht nicht zu vergessen, der über Ernst Mayr berichtete, dem übrigens überhaupt eine ganze Vortragsfolge gewidmet war samt Filmvorführung. Hubert Markl nicht zu vergessen. ... Im Ganzen gewiß ein gelungener, reichhaltiger Abend, wie man ihn in dieser intellektuellen Dichte wohl selten sonst geboten bekommt. Und dabei ist in diesem Bericht höchstens die Hälfte aller Angebote, die man überhaupt hätte wahrnehmen können, erwähnt worden. Besuch war so stark, daß fast nirgends die bereitgestellte Bestuhlung ausreichte und man sich zumeist mit Stehplätzen begnügen mußte. Aber das tut man ja gerne bei solchen Kapazitäten und einem solchen "fetten" inhaltlichen Angebot - würdig unserem Zeitalter und dem von ihm angesammelten, weltgeschichtlich einzigartigen Wissen.

PS: Übrigens wird am gleichen Ort am 29. April der legendäre Robert Trivers referieren, theoretischer Biologe und Formulierer des Gegenseitigkeits-Altruismus. Und am 2. Juni Gangolf Hübinger über "Sozialdarwinismus und Geschichtsdenken". Dürfte ebenfalls "interessant" sein, wenn man sich die Bibliographie des Herrn Hübinger (etwa hier) durchsieht.

Samstag, 24. Januar 2009

Berlin, Termin: Evolution für alle Altersstufen

Achtung, Termin heute abend, 18.30 Uhr, in Berlin am Gendarmenmarkt:
"Die Evolution empfängt ihre Kinder".
Veranstaltung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, siehe ---> hier (pdf.-Flyer ganz unten auf der Seite). Eintritt frei. Ein sehr lukratives, vielfältiges Programm für alle Altersstufen, auch für Kinder und Jugendliche. Vorträge zum Beispiel von Hubert Markl (Verhaltensforscher), Wulf Schiefenhövel (Verhaltensforscher), Günther Hasinger (Astrophysiker), Matthias Glaubrecht (Biologe, Journalist), Axel Meyer (Buntbarsch-Biologe), Peter Weingart. Es ist gut und wichtig, alle solche Leute einmal live zu erleben. Auch viele gute Filme und Ausstellungen sind angekündigt. Zum Beispiel eine Ausstellung über die berühmte Neuguinea-Expedition von Ernst Mayr 1928/29.

"Studium generale" wird sich da auch mal umgucken. Wenn's gut war, gibt's einen Bericht. (- Klar war's gut --> Stud.gen.)

Montag, 19. Januar 2009

Der "Brandbrief" von 68 Schulleitern aus Berlin-Mitte

Vor der Haustür der obersten deutschen Staatsorgane

Die deutschen Politiker reisen nach Moskau oder Jerusalem, nach Washington oder sonstwohin in der Welt. Und preisen dort das friedliche Multikulti oder suchen das unfriedliche Multikulti friedlicher zu machen (natürlich mehr oder weniger erfolglos ...). Währenddessen passieren vor ihrer unmittelbaren Haustür vielleicht doch einige Dinge, die letztlich wichtiger sind, als vieles von dem, was da auf der Reisediplomatie ja doch nie geklärt, sondern fast immer nur auf die lange Bank geschoben wird.

Lehrer und Polizisten gehören zu den wenigen Berufsgruppen, die im Brennpunkt der sozialen Probleme einer Gesellschaft stehen, die mit ihnen täglich umgehen müssen und die nicht mal eben so obenhin ein paar Schlagworte vom Stapel lassen können und dann die Sache wieder auf sich beruhen lassen könne in dem Glauben, mit Worten ließe sich irgend etwas in der Welt wirklich lösen. Lehrer sind die "Fußabtreter der Nation", so lautet ein häufig benutztes Wort, nicht zuletzt von Lehrern selbst. Wenn sich die Lehrerschaft zu Wort meldet, mit "Brandbriefen", dann sollte die Gesellschaft zuhören. Wann, wenn nicht in einem solchen Augenblick?

68 Schulleiter der Grund-, Haupt- und Realschulen, der Gesamtschulen und Gymnasien des Bezirkes Berlin-Mitte haben vor einigen Wochen an den Bürgermeister des Bezirkes, an den Regierenden Bürgermeister von Berlin, an die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung und an zahlreiche andere offizielle Stellen einen "Brandbrief" geschrieben. Daraufhin wurden sie ins Bundeskanzleramt gebeten. Über diesen Brief und den Besuch im Bundeskanzleramt wird derzeit in der Berliner Öffentlichkeit und im Netz rege berichtet und diskutiert. Aber der Originaltext des Briefes selbst ist nur an entlegener Stelle in abfotografiertem pdf.-Format einsehbar. (hier ----> Tagesspiegel, pdf.) (... Man muß wirklich mit einiger Hartnäckigkeit im Netz suchen, wenn man ihn finden will.)

"Studium generale" sind Originaltexte wichtiger, als vieles von der oft allzu euphemistischen Berichterstattung, die gerade bei derartigen Themen in scheinbar geradezu galoppierender Weise um sich greift. Gerade bei dieser Thematik kann man sich bezüglich Euphemismus im Netz schnell einen Eindruck verschaffen. Auch und gerade in Berliner Tageszeitungen und besonders in den öffentlichen Verlautbarungen von dortigen "Integrationsbeauftragten". Ein bundesdeutsches "Neusprech" breitet sich da aus, das einem wirklich befremdlich erscheinen muß. Daß es Probleme mit Integration gäbe, soll offenbar möglichst in der Öffentlichkeit gar nicht besprochen werden.

Originaltext

Deshalb ist es vielleicht doch besser, den Lehrern selbst zuzuhören, die direkt vor der Haustür des Bundeskanzleramtes und des Reichstages und zahlreicher Bundesministerien versuchen, die kommende Generation auf ihr Leben im Wirtschaftswunderland vorzubereiten. Mit welchem Erfolg? Was schreiben sie da? Einige der wesentlicheren Auszüge (Hervorhebungen nicht im Original):
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Dr. Hanke,

am 19.11.08 haben sich alle Schulleiter und Schulleiterinnen des Bezirkes Mitte getroffen, um über die Lage der Schulen im Bezirk zu diskutieren.

Mit Einstimmigkeit wurde festgestellt, daß der Bezirk Mitte vor seinem bildungspolitischen Aus steht!

(...) Die Debatte um Schulstrukturen allein löst keine finanziellen und gesellschaftlichen Probleme. (...) Die Schulleitungen sind der Auffassung, daß sie zur Zeit den vom Berliner Schulgesetz auferlegten Bildungsauftrag nicht mehr guten Gewissens erfüllen können.

Gute Schüler fliehen in Scharen aus dem Bezirk oder aus dem öffentlichen Schulsystem. Die Gründung zahlreicher privater Schulen, oft von enttäuschten Eltern angeregt, ist eine eklatante Mißtrauenserklärung an das Berliner Schulsystem. (...)

Erlauben Sie uns unsere Probleme zu benennen:

1. Die Sozial-Struktur-Problematik des Bezirkes spiegelt sich in einer hohen Kriminalitätsrate, im hohen Migrantenanteil (rd. 90 %), über 65 % sozial benachteiligte Familien, Schuldistanz, Schulabbrechern, Analphabetentum und vielen Schülerinnen und Schülern mit Integrationsstatus wider. In unserer Sozialstruktur fand eine Gettoisierung statt. Der Bezirk Mitte, insbesondere die Altbezirke Wedding und Tiergarten, ist der Bezirk mit der höchsten Zahl an Intensivtätern. (...)

Die Schülerinnen und Schüler der 10. Klassen in Mitte haben aufgrund ihrer Leistungen viel geringere Ausbildungschancen als in anderen Bezirken. Die Vermittlungsquote in Ausbildung ist zumindest an den Haupt-, Real- und Gesamtschulen so gut wie nicht mehr vorhanden. Die Situation verschlechtert sich von Jahr zu Jahr drastisch. (...)

Es muß endlich eine andere Öffentlichkeitsarbeit für die Schulen stattfinden. (...)

Wir bitten Sie um Unterstützung.
Im Auftrag
(Unterschrift)
Soweit einige wichtigere Passagen des Briefes. Natürlich wird die Sozialstruktur-Problematik nur angesprochen, um damit anderen Forderungen mehr Gehör zu verschaffen. Andere Passagen beschäftigen sich mit dem desolaten bauliche Zustand der Berliner Schulen und zahlreichen spezielleren Interna der bildungs- und finanzpolitischen Misere in Berlin.

Heimatlose sollen Heimatlosen "ein Zuhause" bereiten?

Aber in der begleitenden Berichterstattung und Diskussion, die man im Netz dazu verfolgen kann, deuten sich doch noch viele weitere, wichtige Einzelheiten an. Etwa die Tatsache, daß an vielen Schulen nicht mehr "Integration" Richtung deutscher Sprache stattfindet, sondern in Richtung türkischer Sprache. Die wenigen deutschen Schüler dort müssen türkisch lernen, um auf dem Schulhof überhaupt noch mitreden zu können. Da wird man es doch wohl eigentlich mehr als verständlich finden, wenn viele Schüler von solchen Schulen "fliehen".

Der Bürgermeister von Neukölln spricht davon, daß es Aufgabe der Schulen wäre, "junge Menschen zu erreichen, denen wir in unserer Gesellschaft erst ein mal ein Zuhause bereiten müssen. Es geht um Menschen mit Migrationshintergrund, die aus fernen Ländern kommen, die Arabisch, Türkisch oder eine afrikanische Sprache sprechen." Usw. usf.. - "Ein Zuhause bereiten"? Heimatlose sollen Heimatlosen ein Zuhause bereiten? Ach du lieber Gott. - Handelt es sich hier denn etwa noch um Probleme, die gelöst werden können? Wer würde denn daran im Ernst noch glauben?

Nein, kein Zweifel, Brandbriefe hin oder her: Die Wohlfühl-Europäer werden noch eine ganze Weile weiter an ihren Wolkenkuckucksheimen bauen. Die Verdrängungsmechanismen laufen so gut wie nie.

Samstag, 10. Januar 2009

Gesellschaftlicher Aufbruch - woher, wohin?

Für die Einheit von Wissenschaft, Gotterleben und Selbstbehauptung
- Dafür setzten sich Menschen schon vor 4000 Jahren in Mitteleuropa ein

Abb. 1: Einheit von Wissenschaft, Gotterleben und
Selbstbehauptung - Seit 4000 Jahren in Mitteleuropa
(Hier folgt die Fortsetzung von Teil 1 von "Über diesen Blog") Die Primaten- und Humanevolution fand und findet bis heute in Gruppen und Völkern statt. Wie das überall auf der Erde besichtigt werden kann. Wer glaubt, dass das zukünftig anders besser wäre, muss das aus den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen selbst heraus begründen. Nicht jene, die glauben, dass das auch weiterhin so sein sollte, sind für ihre Weltansicht begründungspflichtig.

Es ist längst durchschaut, dass Hintergrund- und Lobbymächte in den letzten 100 Jahren, wenn nicht noch viel länger die Völker gegeneinander in Kriege hetzen. Und nachdem die Völker sich gegenseitig zerfleischt haben, errichten sie das ideologische Ideal der weltweiten, multikulturellen, globalisierten Einheitsgesellschaft. Es gibt nichts Fortschrittsfeindlicheres, als diese Machenschaften.

Die naturalistische Wende im Menschenbild und die Fortschritte in der Naturwissenschaft, in der Astrophysik, in den Evolutionswissenschaften, in der Anthropologie, Soziobiologie und in der Humangenetik erzwingen gegenwärtig und in näherer Zukunft politische, gesellschaftliche, kulturelle und weltanschauliche Veränderungen sehr grundlegender Art.

Die Geschichte des naturalistischen Denkens und der Hintergrundpolitikkritik des 20. Jahrhunderts, die in vielen Teilen bisher nur ganz partiell zur Kenntnis genommen worden ist, muss dafür ganz neu gesichtet und ausgewertet werden.

So wie nach Nikolaus Kopernikus, nach Kepler, nach Newton, nach Charles Darwin die Welt nicht mehr so war wie zuvor, so werden sich auch aus dem derzeitigen Paradigmenwechsel in der Anthropologie und der damit erst wirklich brisant werdenden naturalistischen Wende im Menschenbild, sowie aus den gültigeren philosophischen, metaphysischen Ausdeutungen derselben Kräfte für einen gesellschaftlichen Aufbruch ergeben, die voraussichtlich alle Lebensreformbewegungen, neuen sozialen Bewegungen und Revolutionen der Vergangenheit in den Schatten stellen werden.

Diese Entwicklungen werden, so darf schon jetzt vermutet werden, die religiöse Entfremdung von den ökologischen und anthropologischen Gesetzmäßigkeiten der Natur durch monotheistische und okkulte Weltreligionen und diese ablösende pseudowissenschaftliche, atheistische Ideologien, das Hetzen der Völker gegeneinander in Kriegen, Kalten Kriegen und "Spannungen" und das Ausnutzen der dadurch geschaffenen gesellschaftlichen Psychologien zur Aufrechterhaltung quasi-totalitärer Herrschaftsstrukturen (durch Geheimdienste, geheime Gesellschaften, Lobbygruppen und Banken) beenden.

Alle gesellschaftlichen Kräfte, die merken, wie ohnmächtig sie gegenwärtig sind, werden erkennen, daß auch eine moderne, mit der Naturwissenschaft übereinstimmende Sinngebung gesellschaftllichen und individuellen Lebens notwendig ist, um wirklich grundlegende gesellschaftliche Veränderungen erreichen zu können und schlußendlich auch die Demographien der Völker der Nordhalbkugel stabilisieren zu können.

Diese Sinngebung muß durchtränkt sein von einem durch und durch humanen Weltbild, das ein gesellschaftliches Zusammenleben fördert, durch und durch durchtränkt von Anständigkeit, Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, statt Feigheit, Zynismus und Unaufrichtigkeit. Erst dadurch gelangen die Völker zu einer humanen Gestaltung der friedlichen Koexistenz aller Kulturen weltweit, die nicht mehr von Unterdrückung und Ausbeutung gekennzeichnet ist. Nicht die Völker selbst fördern ihre gegenseitige Ausbeutung und Unterdrückung, sondern die Lobbymächte, die hinter der Politik stehen.

Auch die Visionslosigkeit der heutigen Generation ist politisch beabsichtigt von alten totalitären, monotheistisch-patriarchalen und okkulten Lobbymächten, die schon lange die Weltgeschichte unterwühlen. Die Vision des "Kommunismus" ist in der Weltgeschichte "de facto" schon heute auf vielen Gebieten Wirklichkeit geworden - allerdings gerade nicht durch die Enteignung des Privateigentums, diese merkwürdige ideologiegetränkte Forderung. Weitere Fortschritte müssen folgen, die - z.B. (Stichwort Umverteilung) - der Mehrwertabschöpfung durch internationale, kapitalistische Ausbeuter endgültig das Handwerk legen, und die Elternarbeit als berufliche Tätigkeit auch in vollem Umfang finanziell anerkennen (Familienlastenausgleich und Erziehungsgehalt im Sinne des von Adenauer und all seinen Nachfolgern ausgebremsten Sozialreformers Gerhard Mackenroth).

Kinder sind das Wertvollste, was Gesellschaften haben. Sie müssen in das Alltags- und Berufsleben wieder integriert werden, dazu muß das Alltags- und Berufsleben wieder um die Tatsache herum gruppiert werden, daß Menschen Kinder haben - wie in den traditionellen Agrargesellschaften - anstatt Kinder durch Kollektiv-Betreuung aus dem gesellschaftlichen Leben auszugrenzen und sie in einer der menschlichsten Lebensphasen dort gesellschaftlich steril zu "parken".

So wird in ersten zaghaften Schritten der Geburtenarmut und damit dem wachsenden Facharbeitermangel moderner, fortgeschrittener Gesellschaften wirksam entgegengetreten werden. Jede Gesellschaft wird ihre eigenen Facharbeiter (auch kulturell tätige "Facharbeiter") in den eigenen Familien großziehen. Denn alles andere führt zur weiteren Destabilisierung fortgeschrittener, hocharbeitsteiliger Gesellschaften weltweit, ist inhuman und von den elitären, menschenfeindlichen "Machern" bloß "technokratisch" konstruiert.

***

Wer wirklich gesellschaftsverändernd tätig sein will, muß sich klar sein: In allen Lebensvorgängen auf der Erde seit Millionen von Jahren ist die genetische Selbsterhaltung das grundlegende Prinzip. Von diesem grundlegenden, vorherrschenden Prinzip ohne Zwischenstufe auf menschliches "Sollen" zu schließen, würde den sattsam bekannten "naturalistischen Fehl-" und Kurzschluß darstellen, der einem naturalistischen Weltbild leicht unterstellt werden kann.

Aber die ganze Bandbreite des menschlichen Erkennens und Erlebens, wie es in den Bereichen Kunst, Wissenschaft und Philosophie in Erscheinung tritt seit tausenden von Jahren kann dennoch befragt und zu Hilfe gezogen werden, wenn man die Frage beantworten will, ob nicht doch die eigene genetische Selbsterhaltung der eigenen Familie, der eigenen Gesellschaft und der Lebenswelt auf der Erde insgesamt ein Ausdruck von menschlicher Lebensbejahung wäre und ob (zumindest implizite) Verweigerung dieser Selbsterhaltung nicht ein allzu krasser Ausdruck von Lebensverneinung repräsentieren könnte.

Und es kann und muß darum gefragt werden, ob nicht freudige Lebensbejahung oder mißmutige, resignative, meckernde Lebensverneinung letztlich doch etwas insgesamt darüber aussagen, wie es um das Verhältnis des Menschen und von menschlichen Gesellschaften zu so etwas wie dem "metaphysischen" oder "religiösen" Bereich bestellt ist, bzw., sprechen wir deutlich: zum Bereich des Göttlichen, Beseelten in dieser Welt.

Abb. 2: Modernes Weltbild und Gotterleben -
Ist unser Platz im Universum der best geeignete,
um dieses auch zu erforschen?
Unter anderem solche Fragen zu stellen, könnte der Sinn eines naturalistisch (also naturwissenschaftlich) orientierten "Studium generale" sein. Dabei könnte implizit und explizit das menschliche Schaffen und Rezipieren von Wissenschaft, Kunst und Philosophie selbst schon als höchster Ausdruck menschlicher Selbstbejahung aufgefaßt werden. Allerdings ist dann immer noch sehr kritisch zu fragen, warum sich eine solche Selbstbejahung in Kunst, Wissenschaft und Philosophie derzeit in Gesellschaften der Nordhalbkugel nicht in ausreichende demographische "Selbstbejahung" umsetzt.

Dies mag auch an der alleinigen Betonung und Hochachtung der Vernunfterkenntnis in unserer Zeit liegen, der auf kulturellem Gebiet ein ständiges, gesellschaftsweites moralisches Herabzerren (in den Medien usw.) gegenübersteht, das ein starkes, unmittelbares und zweckfreies Erleben des Guten, Wahren und Schönen in dieser Welt nicht mehr in umfangreichem Maße zur Auswirkung kommen läßt bei der Beantwortung von Überlebensfragen.

Da das Argument der genetischen Selbstbejahung von Familien und Gesellschaften sehr leicht als politisches Argument von Demgagogen und Populisten mißbraucht und auf das Gröbste verzerrt werden kann (siehe neuerdings Thilo Sarrazin und eine unverhohlene Islamfeindlichkeit), würde es zugleich darauf ankommen, einen Argumentationsrahmen zu entwickeln, der einem solchen Mißbrauch in weitestgehendem Maße den Wind aus den Segeln nehmen würde durch betonte Sachlichkeit und den ruhigen Austausch von Argumenten.

Weitere Argumente sind in dem ersten grundlegenden Beitrag "Gesellschaftlicher Aufbruch - jetzt!" zusammengestellt.

Donnerstag, 8. Januar 2009

"Herz, das nie gelernt hat zu entsagen ..."

Heinrich von Plauen

Lochstädt 1429

Grau und schlaff
Dehnt sich das Haff.
An der Straße von Bischofshausen
Müssen noch Linden in Blüten stehn:
Ich spüre den Duft im wandernden Wehn
Und höre heimlich wie Bienenbrausen
Das sachte Rauschen der brandenden See.

Nie rastendes Weh,
Immer wogendes Leid, dessen salzige Fluten
Bis zur Seele mir gingen, nun lege auch du
Wie das Meer da draußen, dich endlich zur Ruh.
Mit diesem Sommer wirst du verbluten
Herz, das nie gelernt hat zu entsagen.

Durch das Hoftor schwanken die Erntewagen,
Die Ochsen schnauben, die Räder knarren.
In dem fliegenden Staub goldendurchsonnt,
Seh ich mich selber mit sieben Jahren,
Seh ich die Brüder, langlockig und blond
Und durch den Frieden des stillen Altans
Klingt die zittrige Stimme des Schloßkaplans:
'Etliches aber trug hundertfältig'.

Ich habe so lange nicht mehr geweint, -
Ich hatte gemeint
Meine Augen versiegten seit jener Nacht
Da mir der Bote die Kunde gebracht
Daß in Tannenbergs qualmenden Mooren
Rudaus Ruhm für immer verloren.

Wie sie dich schmähten, Jungingen!
So wanderte später, vom Haß bespien
Landflüchtig wie Kain, gehaßt wie die Sünde
Mein Namen von Thorn bis Dünamünde.
Doch der für dich seine Lanze brach,
Der Tod, - wich immer von meiner Schmach!

Ich hatte dich einst so schnell vergessen, -
Nun denke ich oft der alten Zeit:
Wir wurden zusammen zum Ritter geweiht.
Durch die Schöne Pforte schritten wir,
Zart und schlank gingst du neben mir,
Deine Hand war weiß wie die Hand einer Frau,
Meine Hände waren haarig und rauh -
Und den Starken zermalmte die gleiche Bürde!

Am Morgen danach wir ritten zur Jagd,
Du löstest dem Falken die grüne Kappe
Und sporntest den Hengst und gabst nicht acht,
Da griff ich die Zügel, - hoch bäumte dein Rappe
Und ich rief und war heiser vor blindem Zorn:
"Bruder Ulrich, dein Hengst zerstampft das Korn!" -
- Groß sahst du mich an. Dann hast du gelacht.

Was war euch Andern die Mark im Norden?
Ein Forst zum Jagen, ein Platz zum Turnei!
Eure Ehrsucht stillte der Deutsche Orden,
Eure adlige Armut machte er frei.
Ich aber, der still hier oben verderbe,
Ich kam in dies Land wie in mein Erbe,
Jeden Fußbreit Boden hab ich geliebt.

Vor fünfzig Jahren blond und jung,
Durch den Mittagsdunst der Niederung
Auf die Hochburg bin ich zugeritten.
Aus gläsernen Steinen, buntgeschnitten,
Blinkte das Bild Unserer Lieben Frauen.
Und ich fror in der Glut, geschüttelt von Grauen, -
Ich, der nie das Fürchten gekannt!

Und gluh und starr und unverwandt
Viele Nächte der Freiheit und alle der Haft,
Spürt ich des Bildes böse Augen
Rastlos das Mark meines Lebens saugen.
Und ich sprach, von Grauen und Qual erschlafft:
"Die Schwüre, widerwillig gesprochen,
Hundertmal hat sie mein Herz gebrochen
Um dieses Land, für das ich stritt."

Und das Spukbild lächelte, wenn ich litt.

Jetzt kam es lange nicht mehr.
Mein Schlaf ward traumlos, tief und schwer,
Wie der Schlaf sehr alter Leute.
Doch seltsam, heute
Zog es wieder über mein Weh
Wie wandernde Wolken über die See.

Ich will hinab nach dem Hof zu sehn.
Daß ich so frei darf gehn,
Ist mir noch immer wie ein Traum.
Früher merkte ich's kaum
Wenn ich Stunden und Stunden im Sattel gesessen.
Ich glaube, ich habe das Reiten vergessen!
Meine Füße sind schwer, die Stiege ist steil,
Es dauert eine gute Weil
Bis die Hand den Riegel zurückgeschoben.

Heiß und schwül war es droben,
Hier im Hof ist es kühl und abendstill.
aus den Ställen kommt der Kühe Gebrüll.
Wie Gold ist die Luft.
Purpurn im Abendduft,
Über dem flutenden Tief
Ragt die Feste.
Die immer leiser rief
Die See, schläft ein.
Der Abend allein
Ist das Beste -
Auf Spiegel-Online findet sich ein Bericht über die Erforschung der Grabstätte von Hochmeistern des deutschen Ritterordens in der früheren Stadt Marienwerder an der Weichsel in Westpreußen. (Spiegel)

Bei den Ausgrabungen ist unter anderem höchstwahrscheinlich der Leichnam des Hochmeisters Heinrich von Plauen entdeckt worden. (Wikip.) Über Heinrich von Plauen hat nicht nur der ostpreußische Schriftsteller Ernst Wiechert einen historischen Roman geschrieben, der auch im Netz zugänglich ist. (Gutenb.) Sondern auch eine andere berühmte Dichterin Ostpreußens, Agnes Miegel, hat sich dieser geschichtlichen Gestalt angenommen. Daraus ist das oben stehende Gedicht entstanden. Da es sich derzeit noch nirgends im Netz findet, sei es hier einmal aus einem alten Gedichtband abgetippt.

In diesem Gedicht kommt auch die berühmte Gedichtzeile vor "Herz, das nie gelernt hat zu entsagen", eine für Agnes Miegel's Lebenseinstellung sehr kennzeichnende Gedichtzeile.

Alexander Demandt über Arminius

Beim Durchblättern des Wissenschaftsteils von Spiegel-Online findet sich übrigens auch ein schönes Interview mit Alexander Demandt über die geschichtliche Gestalt des Cheruskerfürsten Arminius. (Spiegel) Es will einem scheinen, daß Demandt über ihn gelassener zu reden weiß als viele andere, die es sich oft ziemlich kompliziert machen mit der Erinnerung an diesen "Nationalheroen". Arminius ist einfach eine geschichtliche Gestalt, über die wir vergleichsweise viel wissen. Und es ist einfach am Platz, ihr ohne übertriebenen Pathos und ohne übertriebenen "Anti-Pathos" irgendwie gerecht zu werden. Und das gelingt dem Berliner Althistoriker Demandt, wie man meinen könnte, sehr gut.

Überhaupt lohnt es sich immer wieder einmal, Demandt's Standartwerk "Geschichte der Spätantike" in die Hand zu nehmen. (Amazon) (Gerade auch bei Diskussionen auf Michael Blume's Blog über das Christentum in der Spätantike hätte ein Blick in dieses Buch vieles illustrieren können.) Dieser Band hält eine Fundgrube an historischen Einsichten bereit, da Demandt größtenteils einfach vielfältig und ohne allzu viel Theoriebalast Faktenwissen referiert. Und zwar Faktenwissen zu den verschiedensten Bereichen des Themas "Spätantike".

Aber bleiben wir zum Schluß doch in Marienwerder in Westpreußen - - -
... Der Abend allein
Ist das Beste.

Soziologen und Genetik

Ein Beitrag für Soziologie-Studenten

Soziologie-Studenten könnte ein Artikel im renommierten "Chronicle of Higher Education" interessieren mit der Fragestellung: "Wenn Soziologen Gene ignorieren, werden andere Akademiker und die übrige Welt dann auch die Soziologie ignorieren?" (Chronicle Higher Educ.) Natürlich könnte der Artikel auch noch andere Menschen außer Soziologie-Studenten interessieren.

Der Artikel fährt nach der eben übersetzten Frage fort (Auszügen aus der Einleitung):
... Some in the discipline are telling their peers just that. With study after study finding that all sorts of personal characteristics are heritable — along with behaviors shaped by those characteristics — a see-no-gene perspective is obsolete. ...

... A special issue of the American Journal of Sociology, the field's flagship publication, devoted to "Genetics and Social Structure" — (is) evidence that at least some sociologists are attempting to reckon with the genetic revolution. And not just in the AJS. Other top sociology journals, too, are publishing work incorporating genetic perspectives: The American Sociological Review in August published a much-discussed article on genes and delinquency by Guang Guo, of the University of North Carolina. (A couple of years ago, in an early foray on this front, Guo co-edited a special section of another top journal, Social Forces, titled "The Linking of Sociology and Biology.") ...
Ausgedruckt hat der Artikel sechs Seiten. Und die dort genannte Fachliteratur wird man auch mit mancherlei Interesse sichten. Jede Fachdisziplin, die sich bislang der Auseinandersetzung mit der Humangenetik (oder auch schon früher der Soziobiologie) verweigerte, wird sie früher oder später zu führen haben. Das geht den Psychologen so, das geht den Soziologen so, den Politikwissenschaftlern, den Wirtschaftswissenschaftlern, den Religionswissenschaftlern, den Historikern, ja, sogar - sollte man es glauben? - ... den Philosophen.

Denn worüber man reden kann, darüber darf man nicht schweigen. Um es mit einem ziemlich abgegriffenen Wittgenstein-Zitat zu sagen - in Abwandlung natürlich.

Sonntag, 4. Januar 2009

Ethnische genetische Unterschiede

Das "Weltfragezentrum" von "The Edge" hat für das Jahr 2009 wieder seine Pforten geöffnet und 150 Wissenschaftler weltweit präsentieren dort ihre Antworten auf die Frage "Was wird alles ändern? - Welche grundlegenden wissenschaftlichen Ideen und Entwicklungen erwarten Sie noch während Ihres eigenen Lebens?"

Und der amerikanische Psychologe Jonathan Haidt antwortet mit einem längeren Beitrag zum Thema "Schnellere Evolution bedeutet mehr ethnische Unterschiede", also zum Konzept der Gen-Kultur-Koevolution. (Über gnxp.) Den Beitrag kann man als wichtig und lesenswert erachten und er wird hier weitgehend vollständig gebracht, obwohl er für den Kenner in diesen Fragen wenig Neues bringt (Hervorhebungen nicht im Original):
The most offensive idea in all of science for the last 40 years is the possibility that behavioral differences between racial and ethnic groups have some genetic basis. Knowing nothing but the long-term offensiveness of this idea, a betting person would have to predict that as we decode the genomes of people around the world, we're going to find deeper differences than most scientists now expect. Expectations, after all, are not based purely on current evidence; they are biased, even if only slightly, by the gut feelings of the researchers, and those gut feelings include disgust toward racism..

A wall has long protected respectable evolutionary inquiry from accusations of aiding and abetting racism. That wall is the belief that genetic change happens at such a glacial pace that there simply was not time, in the 50,000 years since humans spread out from Africa, for selection pressures to have altered the genome in anything but the most trivial way (e.g., changes in skin color and nose shape were adaptive responses to cold climates). Evolutionary psychology has therefore focused on the Pleistocene era – the period from about 1.8 million years ago to the dawn of agriculture — during which our common humanity was forged for the hunter-gatherer lifestyle.

But the writing is on the wall. Russian scientists showed in the 1990s that a strong selection pressure (picking out and breeding only the tamest fox pups in each generation) created what was — in behavior as well as body — essentially a new species in just 30 generations. That would correspond to about 750 years for humans. Humans may never have experienced such a strong selection pressure for such a long period, but they surely experienced many weaker selection pressures that lasted far longer, and for which some heritable personality traits were more adaptive than others. It stands to reason that local populations (not continent-wide "races") adapted to local circumstances by a process known as "co-evolution" in which genes and cultural elements change over time and mutually influence each other. The best documented example of this process is the co-evolution of genetic mutations that maintain the ability to fully digest lactose in adulthood with the cultural innovation of keeping cattle and drinking their milk. This process has happened several times in the last 10,000 years, not to whole "races" but to tribes or larger groups that domesticated cattle.

Recent "sweeps" of the genome across human populations show that hundreds of genes have been changing during the last 5-10 millennia in response to local selection pressures. (See papers by Benjamin Voight, Scott Williamson, and Bruce Lahn). No new mental modules can be created from scratch in a few millennia, but slight tweaks to existing mechanisms can happen quickly, and small genetic changes can have big behavioral effects, as with those Russian foxes. We must therefore begin looking beyond the Pleistocene and turn our attention to the Holocene era as well – the last 10,000 years. This was the period after the spread of agriculture during which the pace of genetic change sped up in response to the enormous increase in the variety of ways that humans earned their living, formed larger coalitions, fought wars, and competed for resources and mates.

The protective "wall" is about to come crashing down, and all sorts of uncomfortable claims are going to pour in. Skin color has no moral significance, but traits that led to Darwinian success in one of the many new niches and occupations of Holocene life — traits such as collectivism, clannishness, aggressiveness, docility, or the ability to delay gratification — are often seen as virtues or vices. Virtues are acquired slowly, by practice within a cultural context, but the discovery that there might be ethnically-linked genetic variations in the ease with which people can acquire specific virtues is — and this is my prediction — going to be a "game changing" scientific event. (By "ethnic" I mean any group of people who believe they share common descent, actually do share common descent, and that descent involved at least 500 years of a sustained selection pressure, such as sheep herding, rice farming, exposure to malaria, or a caste-based social order, which favored some heritable behavioral predispositions and not others.)

I believe that the "Bell Curve" wars of the 1990s, over race differences in intelligence, will seem genteel and short-lived compared to the coming arguments over ethnic differences in moralized traits. I predict that this "war" will break out between 2012 and 2017.

There are reasons to hope that we'll ultimately reach a consensus that does not aid and abet racism. I expect that dozens or hundreds of ethnic differences will be found, so that any group — like any person — can be said to have many strengths and a few weaknesses, all of which are context-dependent. Furthermore, these cross-group differences are likely to be small when compared to the enormous variation within ethnic groups and the enormous and obvious effects of cultural learning. But whatever consensus we ultimately reach, the ways in which we now think about genes, groups, evolution and ethnicity will be radically changed by the unstoppable progress of the human genome project.
In der Kommentaren von Gene Expression werden viele weiterführende, verhaltensgenetische Hinweise gegeben, die deutlich machen, daß schon der derzeitige Kenntnisstand wesentlich weiter ist, als J. Haig noch zu unterstellen bereit ist. Eine gute, möglichst vollständige Zusammenstellung aller wissenschaftlichen Fakten zu diesem Thema gibt es bislang nicht. (eine, auch nur vorläufige Literaturübersicht siehe etwa ---> hier.) (Unter anderem gibt ein "Caraiso" auch eine Menge Hinweise auf SNPedia.com. Letztere sagen einem leider noch wenig, weil sie auf SNPedia bisher nur mangelhaft kommentiert und erläutert werden - siehe auch ---> Stud. gen.)

So viele geistreiche Antworten übrigens wie im letzten Jahr oder 2007 kann man wohl dieses Jahr im "Weltfragezentrum" nicht entdecken - zumindest bei grober Durchsicht von Personen, die einem auch sonst schon einmal auffällig geworden sind. Weitere Hinweise werden gerne entgegengenommen.

- Und im "New Scientist" dazu gerade passend die Meldung: "Gene geben Afrikanern besseren Geschmackssinn".