Mittwoch, 27. August 2008

Die Chaostheorie - vor 45 Jahren entdeckt

Die Chaostheorie hat in den 1980er Jahren viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, während es in den letzten Jahren wieder stiller um sie geworden ist. Als am 16. April dieses Jahres einer ihrer Begründer starb, Edward Lorenz (1917 - 2008; Wiki dt., engl.), wurde sie in schönen Gedenkartikeln wieder in Erinnerung gerufen, beispielsweise in der "Welt" durch Norbert Lossau. Einige Auszüge:
... Deutlich weniger Menschen hätten sich für die Chaostheorie interessiert, wenn sie als „Dynamik nicht linearer Systeme“ oder als „Komplexitätstheorie“ bezeichnet worden wäre – was in der schnöden Nomenklatur der Wissenschaft durchaus korrekt gewesen wäre. (...)

Von der Astronomie über die Wirtschaftswissenschaften bis hin zur Medizin – plötzlich spielte das Chaos überall eine gewichtige Rolle. Richtig, denn überall dort beschreiben nicht lineare Gleichungen die Realität. Bis heute ist diese Mathematik eine wichtige Querschnittsdisziplin geblieben, doch inzwischen distanzieren sich die meisten Wissenschaftler von dem in ihren Augen zu populären und von den Medien verbrauchten Begriff „Chaostheorie“. (...)

Eine der drei wissenschaftlichen Revolutionen des 20. Jahrhunderts

(...) 1991 den renommierten Kyoto-Preis für Grundwissenschaften. In der Laudatio wurde seine Arbeit „als eine der dramatischsten Veränderungen in der Sicht der Menschheit auf die Natur seit Sir Isaac Newton“ gewürdigt. Einige Wissenschaftler bezeichnen die Chaostheorie gemeinsam mit der Relativitätstheorie Albert Einsteins und der von Max Planck begründeten Quantenphysik sogar als eine der drei wissenschaftlichen Revolutionen des 20. Jahrhunderts.

Tatsächlich hatte Lorenz einen Paradigmenwechsel herbeigeführt. Galt es vorher als ausgemacht, dass in der makroskopischen Welt alle künftigen Entwicklungen prinzipiell vorausberechnet werden können, wenn man nur über genügend Rechenkapazität verfügt, so war mit einem Mal klar geworden, dass langfristige Aussagen über die Zukunft praktisch nirgendwo möglich sind. Beim Wetter hätte man das vielleicht auch schon vorher geglaubt, doch erst im Zeitalter der Chaostheorie wurde beispielsweise erkannt, dass auch die Umläufe der Planeten und Monde in unserem Sonnensystem nicht für alle Zeiten im Voraus berechnet werden können. Kleine Unsicherheiten in den Anfangsbedingungen können auch hier langfristig zu großen Abweichungen führen. Auch im Planetensystem herrscht Chaos. (...)

Der Charme der Chaostheorie besteht jedoch darin, dass gleichwohl bestimmte Aussagen und Vorhersagen auch in chaotischen Systemen möglich sind – streng genommen müsste man sagen: „in Systemen mit deterministischem Chaos“. Denn jenseits dieses Chaos, in dem sich versteckte Eigenschaften erkennen lassen, gibt es ein Chaos, das auch die besten Chaosforscher nicht zähmen und über das sie keine Aussagen machen können. Hier bleibt Raum für Mythen.

Die Hoffnung darauf, in einem nur scheinbaren Chaos verborgene Strukturen entdecken zu können, elektrisierte verständlicherweise Wirtschaftswissenschaftler und Börsenspekulanten. Ein Wesensmerkmal von Aktienmärkten ist zweifelsohne ihre Neigung zum Chaos. Lässt sich dieses Chaos aber nicht vielleicht doch beherrschen, und lassen sich Börsenkurse nicht vielleicht doch vorhersagen? Bis heute hat hier offenbar noch niemand den ultimativen Schlüssel zum Reichtum gefunden, doch viele Forscher haben sich mit dem Thema Finanzmärkte und Chaos beschäftigt. (...)

Auf jeden Fall bleibt das Chaos auch nach 40 Jahren Chaosforschung ein Quell für Kreativität. Friedrich Nietzsche hatte wohl recht: „Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.“
Manfred Eigen hat in seinem Buch "Das Spiel" die Eigenschaften von komplexen Systemen vielleicht noch besser auf den Punkt gebracht: "Naturgesetze steuern den Zufall". "Das Leben ist ein Spiel, in dem nichts festliegt außer den Regeln." (Siehe auch Wiki: "Chaosforschung".)

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