Dienstag, 26. Mai 2020

Harald Lesch - Protestant, Lehrer der Jesuiten und Labertasche, mitunter hörenswerte

Warum so oft Unbehagen über die derzeitige "Koryphäe" der Wissenschaftsvermittlung im deutschsprachigen Raum?   

Harald Lesch (geb. 1960) (Wiki) ist unter Wissenschaftsbegeisterten sehr beliebt. Er hat eine sehr dominierende Stellung in der Vermittlung des modernen naturwissenschaftlichen Wissens in der Astrophysik inne und in der Erörterung von damit verbundenen philosophischen und religiösen Fragen. Deshalb kommt man als Physik-Laie kaum darum herum, sich ein Urteil bilden zu müssen über ihn und seine Art, Wissenschaft zu vermitteln, sowie über den weltanschaulichen Hintergrund, aus dem heraus diese Art der Wissenschaftsvermittlung geboren zu sein scheint.

Harald Lesch ist - wie er selbst sagt - "vom Scheitel bis zur Sohle Protestant" (1). Er glaubt ganz naiv an den Gott, der ihm im Konfirmantenunterricht gelehrt worden ist (1). Dazu paßt offenbar punktgenau, daß er zusätzlich zu seinen sonstigen Lehraufträgen Lehrbeauftragter für Naturphilosophie an der Münchener Hochschule für Philosophie der Jesuiten ist (1). Die Jesuiten sind also ganz offensichtlich mit seiner Lehrweise, mit seiner Art der Naturbetrachtung, mit seiner Art des Philosophierens über Natur und mit seiner damit verbundenen Art des Blicks auf die überkommenen Religionen außergewöhnlich zufrieden. Womöglich macht es viel Sinn, sich diesen Umstand auf der Zunge gründlich zergehen zu lassen.

Um so mehr man sich mit Harald Lesch über die unzähligen Videos und Zeitungsartikel beschäftigt, die man über ihn finden kann, um so mehr stellt man fest, daß er sich bei der weltanschaulichen Deutung unseres naturwissenschaftlichen Weltbildes sehr häufig und sehr gerne selbst widerspricht, oft innerhalb eines einzigen kurzen Interviews mehrmals hintereinander. Er antwortet etwa auf die Frage "Sind wir Zufall oder sind wir gewollt?" (1):
Ich tendiere zum "gewollt sein". Man fühlt sich ja sehr wohl in der Welt, und man merkt ja auch, daß man gut aufgehoben ist. Das spiegelt sich unter anderem an solchen Erkenntnissen wider, daß die Welt so fein abgestimmt ist, daß wir überhaupt existieren.
Hier sagt er also im Jahr 2010 - unter Berufung auf die Feinabstimmung der Naturkonstanten (Anthropisches Prinzip), daß unser Universum "gewollt" ist. Im vorigen Beitrag hier auf dem Blog hatten wir gerade erst ein Zitat von ihm aus dem Jahr 2016 gebracht, wo er kurz und flapsig zu eben derselben Frage sagte, wir (unser Universum und seine Feinabstimmung) wären bloß Zufall. So etwas macht ärgerlich. Es drängt sich der Eindruck auf: Harald Lesch ist eine Labertasche, die sich "mal so, mal so" positioniert - wie es ihr gerade paßt. Eine Labertasche ohne Ende. Er kann jedes naturphilosophisches Thema von beiden Seiten begründen, bewerten und vor allem, damit - - - "zerreden". Man spürt sehr bald, daß die Jesuiten mit einer solchen Behandlung naturphilosophischer Fragen gut zurecht kommen könnten. Nachdem er also in dieser Weise über die Eigenschaften unseres Universums gesprochen hat, sagt er dann - wiederum - über die Eigesnchaften "seines" (protestantischen) Gottes, der ja offenbar - aus seiner Sicht - dieses Universum geschaffen hat (1):
Wenn man versucht, aus den Naturwissenschaften auf die Eigenschaften von Gott zu schließen, dann kann das eigentlich immer nur schief gehen.
Aha, es kann immer nur schief gehen, sagt er. Sein protestantischer (und jesuitischer?) Gott hat also mit diesem unserem Universum wenig bis nichts zu tun, von den Eigenschaften dieses Universums aus auf das Wollen Gottes oder des Göttlichen zu schließen, das kann nur schief gehen. Wenn das nicht absolut gottlose Äußerungen der Labertasche Harald Lesch sein sollen, was dann? Harald Lesch sagt (1):
Ich schlage mich ja mehr oder weniger damit herum, wie ich meine Naturwissenschaft mit meiner Philosophie zusammenbringe. Dadurch, daß ich an der Hochschule der Jesuiten Philosophie doziere, ist es eben weltanschaulich geprägt.

Aha, es ist "eben" weltanschaulich geprägt. Und wie weltanschaulich geprägt? Natürlich ist jede Herangehensweise an moderne Naturwissenschaft weltanschaulich geprägt. Dazu muß man nicht Hochschullehrer für Jesuiten sein. Aber offenbar ist ihm dieser Umstand hinsichtlich seiner weltanschaulichen Prägung ja doch wichtig.

Und man merkt dann schon allmählich, in welcher Weise diese Art des "Herumschlagens" weltanschaulich geprägt ist. Harald Lesch kriegt eigentlich immer alles unter einen Hut, alles, auch das Widersprüchlichste. Und da er alles unter einen Hut kriegt, sagt er am Ende gar nichts mehr. Alles ist möglich - in und nach seiner Weltanschauung. Jeder Standpunkt ist möglich, keiner bevorzugt. Vor allem aber: Seine philosophische Deutung der physikalischen Eigenschaften unseres Universums sind jederzeit mit einem monotheistischen Gottesglauben vereinbar. Dann versteht man schon, warum es gerade ein Harald Lesch ist, der eine so prominente Stellung in der heutigen deutschsprachigen Wissenschaftsvermittlung einnimmt.

Sagte er nicht auch, daß er sich im Bereich der bundesdeutschen Medienastalten viel freier bewegen kann als im Bereich einer deutschen Universität, daß er in den Medienanstalten nur rote Teppiche ausgelegt bekommt, während ihm in Universitäten nur Steine in den Weg gelegt werden (1)? Woran das wohl alles liegen mag?

Aber indem wir solche Eindrücke hier aufschreiben, wollen wir keinesfalls dafür plädieren, Harald Lesch zu ignorieren und ihn nicht dennoch immer einmal wieder wohlwollend anzuhören und auf sich wirken zu lassen (2). Denn eines erscheint sicher: Die Monotheisten aller Sparten haben längst verstanden, daß sie auf dem Gebiet der Naturwissenschaft vom Prinzip her nichts falsch darstellen dürfen, wenn sie in er heutigen Öffentlichkeit von der großen Mehrheit der Menschen ernst genommen werden wollen. Sie müssen konsequent im Rahmen unseres modernen, naturwissenschaftlichen Weltbildes argumentieren, bzw. in Auseinandersetzung mit ihm. All das kann Harald Lesch fast wie kein zweiter (2). Sprich, ein bloß halbwissenschaftlich argumentierender Naturphilosoph wie Teilhard de Jardin ist in der heutigen Zeit mit einer so großen Popularität nicht mehr denkbar und möglich. Immerhin, dieser Umstand darf als außergewöhnlicher geistiger Fortschritt verstanden werden.

Aber anderes ist möglich: Ich kann ganz sicher zu Hause sein im heutigen physikalischen Weltbild und aller Arten des Deutens dieses physikalischen Weltbildes. Und ich kann aus diesem "Sicher-zu-Hause-Sein" die Wunderwelt der Erkenntnismöglichkeiten des Menschen nach und nach - als Labertasche - immer mehr und mehr "zerreden". So daß am Ende keinerlei tiefere Anteilnahme für unsere Welt und für unser Universum übrig bleibt. So daß dennoch fast der weltanschaulichen Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet bleiben. Und so daß wir insbesondere am Ende doch wieder nur auf den Gott des Konfirmantenunterrichtes des Harald Lesch verwiesen bleiben. Aber Harald Lesch ist schlau. Das sagt er keineswegs apodiktisch. Es kann auch alles ganz anders sein. Er legt sich nicht fest. Heute so, morgen so. Seit vielen, vielen Jahre und in vielen, vielen, von hunderttausenden von Menschen gesehenen Videos und Fernsehsendungen macht Harald Lesch das so.

Versteht man dann, warum unsere Welt so ist wie sie ist? Versteht man dann, warum es so wenig seelische Anteilnahme und Ergriffenheit gibt in dieser Welt, selbst unter Wissenschaftsbegeisterten im Angesicht all dessen, was wir über diese Welt aus der modernsten Forschung wissen?

Wozu sind Bibelgläubige in der Welt?

Damit soll also insgesamt in Bezug auf Harald Lesch dasselbe gesagt werden, was wir hier auf dem Blog schon in Bezug auf den Evolutionären Religionswissenschaftler Dr. Michael Blume gesagt haben: Laßt Euch durch die Art der weltanschaulichen Einbettung der von diesen beiden Christen behandelten modernsten naturwissenschaftlichen Forschung nicht von der Auseinandersetzung mit der von ihnen behandelten naturwissenschaftlichen Forschung selbst abhalten. Bitte nicht! Lernt unterscheiden. Lernt unterscheiden zwischen der naturwissenschaftlichen Forschung selbst, die von beiden - sehr oft völlig korrekt und einwandfrei - dargestellt wird. Und unterscheidet das von der Art, wie von beiden mit dieser naturwissenschaftlichen Forschung insgesamt umgegangen wird, wie sie sie einbetten und was sie für Schlußfolgerungen daraus ziehen.

Laßt Euch - insbesondere - nicht ernüchtern. Laßt Euch nicht "enttäuschen" von der Art, wie hier faszinierendste naturwissenschaftliche Forschung menschlich und weltanschaulich eingebettet ist. Bleibt auf Seiten der Wissenschaft. Sie hat es so sehr verdient und sie braucht noch so viel mehr Befürworter, und zwar nicht - ausgerechnet und so verwunderlicherweise neuerdings insbesondere: Christen, die weiter dem Gott ihres Konfirmantenunterrichtes anhängen. Monotheisten arbeiten so, wie dies schon Walter Rathenau beschrieben hat (GB):

Wissen Sie, wozu wir (bibelbläubigen Juden) in die Welt gekommen sind? Um jedes Menschenantlitz vor den Sinai zu rufen. Sie wollen nicht hin? Wenn ich sie nicht rufe, wird Sie Marx rufen. Wenn Marx Sie nicht ruft, wird Spinoza Sie rufen. Wenn Spinoza Sie nicht ruft, wird Christus Sie rufen.

Es geht also für Monotheisten darum, so viele weltanschauliche Angebote zu machen wie nur immer möglich, so daß jedes weltanschauliche Bedürfnis - unter Nicht-Bibelgläubigen - "Genüge" findet, so daß jede Art des Zugangs zu Sinnfragen oder grundlegenderen Fragen des Menschseins von ihnen abgedeckt wird. Im 20. Jahrhundert kamen zu diesen von Walter Rathenau aufgezählten weltanschaulichen Angeboten noch viele weitere hinzu: Sigmund Freud, Franz Boas, Richard Lewontin, Stephen Jay Gould ... (2). Sprich, sie nehmen auch atheistische (Marx) oder pantheistische (Spinoza) Weltbilder gerne mit in Kauf, wenn mit ihnen nur die Menschen - auf lange Sicht - "vor den Sinai", sprich vor den internationalen, monotheistischen Gott geführt werden und wenn diese Menschen dabei dann nicht - auf lange Sicht - dennoch zu sich selbst, zu eigenen, "regionaleren" Gottanschauungen und Gottauffassungen kommen. Diesbezüglich noch nicht von dem Evolutionären Gruppen- und Kulturpsychologen Kevin MacDonald ausgedeutete (2) weltanschauliche Angebote aus dieser Richtung wäre zum Beispiel das weltanschauliche Angebot des Hans Jonas. Und sicher könnten nach und nach auf dieser Linie noch viele weitere genannt werden.

Halten wir abschließend zu Harald Lesch noch den Eindruck fest, daß er  im Podiums-Gespräch mit anderen Astrophysikern und mit Zuschauern insgesamt einen besseren Eindruck macht als wenn man ihn isoliert für sich hört (3). 

Aber man muß immer wieder höllisch aufpassen. Erst beim wiederholten Anhören dieses zu Anfang begeistert angesehenen Videos (3) fällt uns auf, daß Harald Lesch sogar schon mit dem ersten Wort, das er in diesem sagt, Irrtümer verbreitet. Natürlich kann Philosophie an der Erfahrung scheitern. Z.b. die Philosophie Hegels hat viel von ihrer Überzeugungskraft verloren, nachdem sie in manchen wesentlichen Punkten an der Erfahrung gescheitert ist. Noch deutlicher kann dies etwa aufgezeigt werden anhand der Philosophie des historischen Materialismus von Karl Marx. Vielmehr muß gesagt werden, daß die Möglichkeit des Scheiterns einer Philosophie an der Erfahrung (Falsifizierbarkeit) zugleich ein Hinweis darauf ist, daß ein Nichtscheitern an der Erfahrung ein wertvoller Prüfstein für jede Philosophie ist.

Insgesamt: Liebe Leser, laßt Euch einfach Eure Begeisterung für moderne naturwissenschaftliche Forschung und für modernes Philosophieren nicht dadurch vermiesen, daß ihre öffentliche Vermittlung heute allzu oft in die Hände von Christen (sowie religiösen und atheistischen Globalisierern) gekommen ist. Noch einmal: Stellt diesen Umstand gelassen in Rechnung - - - und bleibt auf Seiten des gigantischen naturwissenschaftlichen Erkenntnisfortschrittes unserer Zeit.


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  1. "Ich bin vom Scheitel bis zur Sohle Protestant" - Harald Lesch im Interview,  08.01.2010, https://www.pro-medienmagazin.de/medien/fernsehen/2010/01/08/ich-bin-vom-scheitel-bis-zur-sohle-protestant-harald-lesch-im-interview/.
  2. MacDonald, Kevin: Eine Kultur der Kritik. 1998
  3. Philosophie und Allgemeines - Live-Fragen - 5 Jahre Urknall, Weltall und das Leben (35.882 Aufrufe, Stand: 26.5.2020), 02.02.2020, mit Harald Lesch, Josef M. Gaßner, Andreas Müller, Hartmut Zohm und Elmar Junker; auf Videokanal "Urknall, Weltall und das Leben" (182.000 Abonnenten, Stand 26.5.2020), https://youtu.be/42syIQD_PXk.

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