Sonntag, 24. Mai 2020

Ein Philosoph und ein Physiker

- Reden sie angemessen über das Wesen unseres Nichtwissens über das Universum?

Holm Tetens und Harald Lesch - Beide stellen den Umstand, daß in unserem Universum und in unserem Leben Nichtrationalität allgegenwärtig ist, in keiner Weise gründlich genug heraus, also als fundamentaler Ausgangspunkt aller Philosophie. Sie versuchen bei weitem nicht genügend, diesem Umstand gegenüber das Staunen wachzuerhalten - oder überhaupt erst einmal zu wecken. Dieses Staunen über die Größe unseres Nichtwissens ist aber der Ursprung aller Philosophie.

Wer den Fragestellungen des letzten Blogbeitrages weiter nachgehen möchte und diesbezüglich nach weitergehenden, ähnlichen Stellungnahmen zu ähnlichen argumentativen Schnittstellen zwischen Naturwissenschaft und Philosophie sucht, der wird schnell feststellen, daß Äußerungen von Wissenschaftlern und Philosophen zu solchen Themen nur sehr selten so dicht wiederzufinden sind - wie sie sich in dem von uns behandelten Gespräch so überraschend gefunden haben.



Harald Lesch - Muß seine Art der Wissenschaftsvermittlung nicht auch Abwendung der Menschen von der Naturwissenschaft bewirken?


Warum ist das so? Harald Lesch beispielsweise äußert sich zum Thema Anthropisches Prinzip sachlich zwar vermutlich immer außerordentlich richtig, ja, sogar teilweise außerordentlich inspirierend. Aber er tut das oft - gegenüber Grundfragen der Existenz dieses Weltalls und des Menschen - auf eine so lapidare, fast wegwerfende, schnell darüber hingehende Weise ("... wissen wir nicht ..."), daß Staunen und daraus abgeleitetes Fragen über das Wesen dieses Nichtwissens zu Grundfragen des Seins dieses Weltalls und des Seins des Menschen selten genug diesen Fragen gegenüber angemessen aufkommen können. (1). Wann immer er sagt "Wissen wir nicht" oder "Das können wir uns nicht vorstellen", immer dann bewegt er sich im Bereich der nichtrationalen Seite der Wirklichkeit. Denn er spricht nur von seinem Wissen als Physiker. Und das Wissen der Physiker grenzt überall an Nichtrationalität. Überall. Was für ein außerordentlich faszinierender Umstand.

Zum Beispiel so gut wie alles das, über was Harald Lesch in dem hier eingestellten Video (1) ständig schnell und husch, husch drüber weg geht, all das könnte man ebenso gut auch besonders betont heraus stellen und unterstreichen und nachwirken lassen. (Statt - wie in 10:00 - so lapidar dahinzuplaudern, Gott habe - nach Augustinus - vor der Schaffung des Universums die Hölle geschaffen für all jene, die fragen, was Gott vor Schaffung des Universums getan habe. Das ist - eigentlich - eine maßlos blöde Auskunft. Sind solche Witzeleien solchen Fragen gegenüber angemessen? Natürlich darf man einmal scherzen. Aber wenn das der Grundtenor ist und bleibt - ?) Und dann würde sich zu dem Staunen darüber, was wir alles über unser Universum schon wissen, noch zusätzlich ein Staunen darüber einstellen können, was wir alles über dieses Universum nicht wissen und auch wie genau wir das, was wir nicht wissen, benennen, eingrenzen und charakterisieren können. An einigen Stellen können wir sogar schon Hinweise dazu zusammen tragen, ob wir hier prinzipiell etwas nicht wissen können oder ob in näherer oder weiterer Zukunft hier noch Nichtwissen in Wissen umgewandelt werden kann durch die astrophysikalische Forschung. Aber über all diese Dinge geht Harald Lesch - meistens - viel zu schnell, viel zu lapidar, viel zu "hessisch-"schnoddrig hinweg.

So wird nicht wirklich ein sinnvoller Austausch zwischen Naturwissenschaft und Philosophie möglich. Denn die Philosophie setzt ja überall dort erst ein, wo die Naturwissenschaft nicht mehr weiter kommt, womöglich sogar prinzipiell nicht mehr weiter kommt. Und insofern ist es die Aufgabe des Naturwissenschaftlers - im Gespräch mit Philosophen und in der Beantwortung von Grundfragen der Existenz unseres Universums - sowohl ein Staunen darüber zu wecken, was wir wissen - wie aber ebenso ein großes Staunen darüber - - - - was wir alles nicht wissen.

Wenn wir als ein anderes Beispiel für Wissenschaftsvermittlung etwa Hoimar von Ditfurth nehmen (2), so war es diesem eigentlich immer und betont wichtig, nicht nur gegenüber unserem Wissen Staunen zu vermitteln, sondern auch gegenüber unserem Nichtwissen. Oft ist aber schon unser Wissen selbst staunenswert genug, wie man anhand vieler Klassiker nachvollziehen kann (siehe etwa: 3).

Immerhin ab Minute 11:40 macht Lesch dann doch etwas deutlicher, von welcher Art unser Nichtwissen über das Universum sein könnte: "Wenn wir schon bei der Quantenmechanik nicht wirklich davon reden können, das wirklich zu verstehen ..." Zu der Feinabstimmung der vier Grundkräfte unseres Universums (Anthropisches Prinzip) sagt Lesch dann - wieder lapidar: "Das ist kompletter Zufall." Was für ein Unsinn. "Wenn man hier anfängt, ernsthaft zu spekulieren, dann betreibt man keine Naturwissenschaft mehr." Als würde Naturwissenschaft immer nur mit dem Zufall arbeiten. Und als wären seine eigenen, dann nachfolgenden, spekulativen Überlegungen Naturwissenschaft. Nein, hier ist Harald Lesch nicht vollständig redlich. Schade. Ab 14:11 fragt er dann (1):
"Wie könnte eine vernünftige, naturphilosophische Betrachtung der Entstehung des Universums aussehen? Und da wäre zum Beispiel der Begriff der Prozeß-Philosophie ganz hilfreich, daß man nämlich das Universum als einen Selbstorganisationsprozeß behandelt, der (...) immer wieder Neues schafft, weil es etwas ist, das dauernd mit sich selbst wechselwirkt. (...) Das Universum scheint etwas zu sein, was sich ständig gerne selbst erlebt und spürt. Aber das ist Metaphysik, keine Naturwissenschaft."
Nun, immerhin, da haben wir doch einmal eine möglichst wissenschaftsnahe Deutung für Philosophen, eine auch möglichst sparsame Deutung. Wobei "ständig" ja nicht wirklich stimmt. Das Universum hat sich - soweit es menschliches Bewußtsein hier auf dieser Erde betrifft - 14 Milliarden Jahre Zeit gelassen, um sich selbst zu erleben und zu spüren - nämlich in uns. Vorher gab es nichts - jedenfalls nichts uns Bekanntes - das das Universum spüren und erleben konnte (zumindest nicht bewußt spüren und und erleben konnte). So viel wird doch wohl gesagt werden können: Was das bewußte Erleben dieses Universums betrifft, daran scheint das Universum interessiert zu sein, aber es scheint in diesem Interesse doch in größtmöglichem Umfang erhaben zu sein über Raum und Zeit. Und womöglich ist es ja dabei auch erhaben über Kausalität. Denn das vermutlich wertvollste Erleben des Menschen trägt - wie die Kreativität des Universums selbst, wie subatomare Teilchen - Züge von Akausalität, von Spontaneität, von "Unbestimmtheit".

Was Harald Lesch dann ab 15:30 sagt, stimmt in der Allgemeinheit nicht. Die Naturwissenschaft läßt die Subjektivität des Menschen nicht außen vor. In der psychologischen Forschung geht sie ja gerade dieser Subjektivität nach, sie tat das auch schon in den verhaltensbiologischen und soziobiologischen Forschungen, die nach den evolutionären Wurzeln unseres subjektiven Erlebens fragen. Zum Beispiel Neugier kann man durchaus nicht nur quantitativ bestimmen, man kann ja sogar genetische Kausaltitäten für diese benennen ("Neugier-Gen" etc.). In jedem Fall gibt es hier naturwissenschaftliche Annäherungen auf viele Art. Und in dieser allgemeinen und undifferenzierten Art, darüber zu reden, liegt Lesch komplett falsch. Interessanterweise.

Vollkommen richtig dann wieder: "Die empirische Forschung verweist nur immer wieder erneut auf den Umstand, daß die Welt viel größer ist, als das, was wir erforschen können." Das ist doch immerhin einmal eine - wie man finden kann: wertvolle Aussage. Mit dieser können doch Philosophen arbeiten. Das, was hier "größer" ist, ist schlichtweg "nichtrational". Haben wir zu nichtrationalen Aspekten der Wirklichkeit wie "Größe" als Menschen keinen Zugang? Wirklich nicht? Ist ein Zugang zu diesen nichtrationalen Aspekten der Wirklichkeit nicht - Staunen? (Zum Beispiel.) Ist eine menschliche Fähigkeit wie "Staunen" kein Zugang zur real existierenden Wirklichkeit?

"Glaubenssysteme und empirische Forschungen können sich beide nicht selbst begründen," sagt Harald Lesch. Und dieser Umstand muß lapidarer Natur sein? Damit sagen wir: Plopp, Türe zu, Licht aus - ? Fängt hier nicht wertvolle menschliche Erlebniswelt erst an? Harald Lesch scheint sich mit dem Umstand, daß unser Universum - für die Ratio, für die Wissenschaft - insgesamt unverständlich ist, schon lange, lange zuvor abgefunden zu haben. Seine Art, darüber zu reden, ist sehr nüchtern und ernüchternd. Man möchte fast sagen, daß er in dieser Art, Wissenschaft zu vermitteln, eine Gefahr darstellt. Denn der Mensch im allgemeinen hat weitergehende Bedürfnisse als Harald Lesch sie selbst zu haben scheint. Wenn ihm aus der Wissenschaft heraus keine angemessenen Antworten gegeben werden auf diese seine Bedürfnisse, dann sucht er sie sich woanders. Etwa in "Wundergläubigkeit", in Esoterik und in jeder Art von Wahn. Will Lesch da nicht gegensteuern? So richtig engagiert scheint er diesbezüglich jedenfalls nicht bei der Sache zu sein. Sonst müßte er anders vorgehen.

Schließlich redet er - auch - wieder von der "friedlichen Koexistenz" von Glaube und Wissenschaft, eine "Koexistenz", die ja Holm Tetens und Jens Halfwassen so einigermaßen bemüht sind zu überwinden. Und das mit guten Argumenten. Deshalb waren wir ja darüber so begeistert. (Weitere Irrtümer, die Lesch dann vorträgt über die menschliche Subjektivität und ihre "Meßbarkeit" seien hier unbehandelt. Als Biologe, insbesondere auch als Verhaltensbiologe und Evolutionärer Psychologe hat man dazu dann doch noch vieles andere zu sagen, als was Lesch hier an Allgemein-Behauptungen viel zu undifferenziert vorträgt.) "Da ist nix zu holen" (19:00) - das ist das Alpha und Omega des Harald Lesch. Sprich: Die Naturwissenschaft lehrt Atheismus. Und - in friedlicher Koexistenz mit diesem wissenschaftlichen Atheismus - lehren die monotheistischen Religionen irgendetwas über Gott, woran - ebenfalls - niemand mehr wirklich glauben kann. (Zumal wenn es in abartigen, verbrecherischen Psychosekten stattfinden soll.)

Kant hat im übrigen keineswegs gesagt, daß wir auf die Sinnfragen keine Antworten bekommen werden (wie Lesch dann ausführt), sondern er hat die Grundlagen geschaffen und den Rahmen abgesteckt, auf denen und in dem philosophisch allein sinnvolle Antworten möglich sind. Der Unterschied gegenüber den platten Behauptungen von Lesch ist gewaltig. Vor einer solchartigen "Lesch-isierung" der Wissenschaftsvermittlung ist jedenfalls weiterhin hochgradig zu warnen. Kommen wir deshalb zu dem Philosophen Holm Tetens.

Holm Tetens - Er hat den atheistischen Mainstream "aufgemischt"


Holm Tetens hält sich - auf der anderen Seite - durchaus wacker in Erörterungen mit der atheistischen Mehrheitsmeinung in der heutigen Philosophie. Er sagt hierbei auch einiges über seinen persönlichen Weg vom Atheisten zum Gottgläubigen (2). Dadurch gewinnt man seinen Äußerungen noch ein etwas besseres Verständnis ab. Er wird sogar unter Philosophen vorgestellt als jemand, der den philosophischen Mainstream gewissermaßen "aufgemischt" habe durch sein Buch (3, 4). 

Aber auch bei dieser "Rationalen Theologie" des Holm Tetens wird einem irgendwann klar, daß sie nur ein erster Schritt ist, ein erster Schritt sein kann in die richtige Richtung (5). Sie beachtet allerdings viel zu oft noch viel zu einseitig das "rationale" "Argument". Sie betont noch viel zu wenig den riesen großen Bereich des Nichtrationalen wie er ebensowohl in der uns umgebenden Wirklichkeit zu finden ist (man höre Harald Lesch zu [1]) - noch auch wie er in unserer seelischen Innenwelt zu finden ist. Diesen riesen großen Bereich scheint uns Holm Tetens noch keineswegs genug zu beachten und diesen Bereich scheint er uns noch keineswegs genug auszuschreiten.

Denn worum es bei solchen Fragestellungen im Prinzip geht, ist doch, klar zu unterscheiden, daß es in unserer Welt, in unserem Universum einerseits klar und scharf umrissene, rational erfaßbare Wirklichkeitsbereiche gibt und andererseits Wirklichkeitsbereiche, die schlichtweg - und prinzipiell - nicht vollständig rational erfaßbar sind. Und diese letzteren Wirklichkeitsbereiche muß man doch keineswegs nur - wie gegenwärtig häufig heraus gestellt - in der Frage nach dem Wesen des menschlichen Bewußtseins und des menschlichen Geistes suchen (also in der sogenannten "Geist-Philosophie") - wie es als Meinung heute im philosophischen Mainstream vorherrscht (2, 3). Wobei auch hierbei selbst gar nicht die Vielfalt der menschlichen Erlebnisbereiche voll ausgeschritten werden, die eben das Erleben des Schönen, des Wahren und des Guten mit umfassen, ebenso wie das Erleben von Liebe und Haß, sowie von Elternliebe und Verantwortungsbewußtsein. All das sind ja schon längst Bereiche, die von den evolutionären Wissenschaften naturwissenschaftlich erforscht werden (nicht zuletzt auch von der Soziobiologie). Es gibt eine Evolutionsbiologie des Schönen, es gibt eine Evolutionsbiologie des Wahren, es gibt eine Evolutionsbiologie des Guten (der Tugenden, des Altruismus, der Verantwortungsbereitschaft), es gibt eine Evolutionsbiologie der Elternliebe.

Und spätestens seit der Evolutionären Erkenntnistheorie wissen wir doch: unsere rationale Weltauffassung stößt überall in der naturwissenschaftlichen Erkenntniswelt an ihre Grenzen: im subatomar Kleinen ebenso wie an den Grenzen des räumlich und zeitlich eingeordneten Universums, ebenso wie hinsichtlich der Ursprünge des Entstehens von Neuem im Universum (jeweils aus nicht vollständig rational erfaßbarem Chaos) (im Bereich der Komplexitätstheorie). Überall sehen wir, daß wir mit unserer rein rationalen Weltauffassung an Grenzen stoßen. 

Wir sehen: Es gibt einen Bereich unserer Wirklichkeit, der ist vollständig in Raum, Zeit und Kausalität eingeordnet. Und wir besitzen evolutionär entstandene Erkenntniswerkzeuge für diesen Bereich der Wirklichkeit. Und wir sehen andererseits riesen große Bereiche der Wirklichkeit, die sind nicht vollständig in Raum, Zeit und Kausalität eingeordnet. Ja, es muß vielmehr gesagt werden: Unsere gesamte Wirklichkeit ist - schon im subatomar Kleinen - von dieser nicht vollständig rational erfaßbaren Welt "durchdrungen" und überall, wo grundlegend Neues, Komplexes in diesem Weltall entsteht, kommt wieder ein nicht vollständig naturwissenschaftlich und rational beschreibbarer Aspekt des Werdens von Neuem hinzu.

Und auf der anderen Seite sehen wir zugleich auch, daß wesentlichste Bereiche des menschlichen Lebens ebenfalls nicht und niemals vollständig rational auszuschöpfen und zu beschreiben sind und sein werden. Es handelt sich hierbei um Bereiche der Musik, der Kunst, des Schönen, des Zwischenmenschlichen, Erlebniswelten der Liebe (und auch des Hasses). Selbst das Wesen des Wahren ist nicht vollständig rational zu erfassen, das Wesen des Guten ebenfalls nicht. Überall stößt unsere Ratio an Grenzen. Und insofern ist die Argumentationslage für jemanden, der wie Holm Tetens für einen Gottglauben argumentieren will, noch viel besser als das von seiner Seite aus bislang gesehen und dargestellt wird.

Dies muß letztlich sogar Harald Lesch eingestehen und man hört es zwangsläufig heraus, wenn man ihm genau zuhört. Lesch geht nur zumeist viel zu schnell und lapidar über all jene Bereiche der naturwissenschaftlichen Erkenntnis hinweg, in denen Anschauung und Begriff keine Übereinstimmung und damit keine wirklich vollständig rationale Erkenntnis liefern können. Im Grunde redet ein Vertreter der exaktesten Wissenschaft, die wir Menschen kennen, der Physik nämlich, ständig von Dingen, die nicht vollständig in Zeit, Raum und Kausalität eingeordnet sind. Und wenn sie in diese drei Kategorien eingeordnet sind, dann nicht selten in einer "Dimensionalität", für die wir womöglich zwar noch rationale Begriffe (aus der Mathematik) finden können, für die unsere evolutionär entstandene Ratio aber keinesfalls mehr irgendeine Anschauung mitliefern kann. (Und bekanntlich ist nach Kant eine Übereinstimmung von Anschauung und Begriff notwendig, wenn von wirklicher Erkenntnis die Rede sein soll.) Und diese "Nichterkenntnis" gilt schlußendlich für alle Zahlen und Begriffe, die das Universum im Ganzen beschreiben wollen nach zeitlichen und räumlichen Dimensionen ebenso wie nach Kausalzusammenhängen.

Deshalb ist die Argumentationslage für einen Gottglauben, der den nichtrationalen Bereich der Wirklichkeit ins Zentrum seines "Glaubens", ins Zentrum seiner Weltauffassung stellt, viel besser noch als das Tetens herausstellt und heraus arbeitet. Es ist vor allem auch zu fragen, ob dieser Gottglaube nicht sogar im Rahmen eines naturalistischen Weltbildes formuliert werden kann, ob es wirklich eines Dualismus bedarf - wie Holm Tetens meint (2) - ob man wirklich philosophischer "Idealist" werden muß (2) (wie er meint), um sich an die Berechtigung für einen Gottglauben bis an die Grenzen menschlicher Rationalität gehend rational annähern zu können. 

Was uns aber an den Äußerungen von Tetens gut gefällt, ist etwa seine Charakterisierungen der Antworten auf Sinnfragen des Menschen in diesem Universum wie sie gegeben werden von naturalistischen Hedonisten, von Transhumanisten, von naturalistischen Existentialisten und von naturalistischen "Quasi-Religiösen" (7) (Minute 16 bis 25). Wobei womöglich doch noch einmal zu fragen ist, ob man - angesichts der Größe des Nichtrationalen, das uns umgibt - nicht viel mehr recht hätte, statt von "quasi-religiösen Naturalisten" einfach von "religiösen Naturalisten" zu sprechen.*) An dieser Stelle wäre noch einmal genauer der Unterschied zwischen dem von Tetens vertretenen Idealismus und jenem Naturalismus auszuloten, der uns selbst als der angemessenste erscheint (6, 7): Warum Dualismus und Idealismus, wenn auch religiöser Naturalismus möglich ist?

Eines ist sicher. Das Mantra der Atheisten im Windschatten von Jürgen Habermas vom (10)
"postmetaphysischen Zeitalter, in dem die letzten Gründe, Ursachen und Prinzipen der Welt nicht mehr erkennbar sind",
dieses Mantra ist von einem ihrer angesehendsten Verkünder und Beter längst selbst als ein hohles erkannt worden, schreibt Jürgen Habermas doch in seinem letzten Buch:
"Die Vernunft würde mit dem Verschwinden jeden Gedankens, der das in der Welt Seiende im Ganzen transzendiert, selber verkümmern. Die Abwehr dieser Entropie ist ein Punkt der Berührung des nachmetaphysischen Denkens mit dem religiösen Bewußtsein."
Sieh einer an. Da wird doch schlicht das "nachmetaphysische Zeitalter" selbst als ein Vorgang der Vergrößerung von Unordnung im Geitigen beschrieben - denn anders ist der Begriff Entropie hier gar nicht zu verstehen. Aber auch wenn man mehrere hundert Seiten über Philosophiegeschichte schreibt als Schlußfolgerung aus diesem Gedanken, muß das Ergebnis eines solchen Atheisten nicht besonders reichhaltig sein (10). Deshalb ist uns längst ein Philosoph wie Holm Tetens viel lieber als Leute, die den metaphysischen Gehalt dieses Universums zerreden, um ihn dann mit Päpsten wieder herein zu holen.

*) Als Prototyp für einen quasi-religiösen Naturalisten führt Tetens des durchaus gehaltvollen, Lebenskunst-Philosophen Wilhelm Schmid (geb. 1953) (Wiki) an, der in Büchern wie "Dem Leben Sinn geben" manches Wertvolle zu sagen hat (14). Übrigens leitet Tetens seine Aufzählung der vier Prototypen naturalistischer Welthaltung ein mit einer Aussage des Philosophen Franz von Kutschera (geb. 1934) (11, S. 130):
Wird der Anspruch auf einen größeren Sinn als unverzichtbar erfahren, so führt diese immanente Konzeption der Wirklichkeit zu einer tragischen Sicht des Menschen und seiner Existenz. Eine Anpassung der existentiellen Anliegen an die anerkannten Fakten ist dann unmöglich, beide stehen in einem unauflösbaren Konflikt miteinander. Der Mensch erscheint als eine tragische Fehlkonstruktion der Natur: Zufall und Notwendigkeit haben mit ihm ein Wesen produziert, das den Bedingungen seiner Existenz nur biologisch, nicht aber geistig angepaßt ist. Er ist das einzige Lebewesen, das sich seiner selbst bewußt ist, aber an diesem Bewußtsein leidet er, da es ihn mit seiner Endlichkeit, Vergänglichkeit und Abhängigkeit konfrontiert. (...) Gedanklich suchen wir uns von unseren animalischen Lebensbedingungen zu lösen und bleiben ihnen doch verhaftet. Unsere geistigen geistigen Anliegen passen nicht zu unserer physischen Natur und finden keinen Halt in der Realität.
_________________
  1. Harald Lesch: Wie entsteht das ETWAS aus dem NICHTS ? Videokanal von Gerhard Huber (1440 Abonnenten) 14.3.2014 (599.930 Aufrufe), https://youtu.be/9CsUEfYFVI8
  2. Ditfurth, Hoimar von: Am Anfang war der Wasserstoff.
  3. Weinberg, Steven: Die ersten drei Minuten.
  4. Die Gretchenfrage - Hübl und Tetens streiten über Gott | Sternstunde Philosophie | SRF Kultur (378.121 Aufrufe) 12.10.2015, https://youtu.be/LN0QlfOMRpg.
  5. Podiumsdiskussion: Wie und wann kommt der Geist in die Natur? (434 Aufrufe), 17.09.2018, Video-Kanal von Anne Thaeder (5 Abonnenten), https://youtu.be/bM6RysRyLV4
  6. Tetens, Holm: Gott denken. Ein Versuch über Rationale Theologie. Reclam, Stuttgart 2015
  7. "Mensch und Gott" - Prof. Holm Tetens - Am Puls der Zeit 2019 (706 Aufrufe), 19.01.2020. Videokanal der Neupfarrkirche Regensburg (2 Abonnenten) https://youtu.be/PrAMoyRQhRM.
  8. Leupold, Hermin: Warum ist das Weltall so, wie es ist? Das Anthropische Prinzip der Kosmologie und seine philosophische Bedeutung. In: Die Deutsche Volkshochschule, Folge 62 (1990), S. 1-19
  9. Leupold, Hermin: Antworten auf Grundfragen zur menschlichen und kosmischen Existenz. In: Die Deutsche Volkshochschule, Folge 71, Januar 1991, S. 1-4, https://fuerkultur.blogspot.com/2017/06/antworten-auf-grundfragen-zur.html.
  10. Jörg Später: Auf der Suche nach den Spuren der Vernunft - Rezension von J. Habermas' Buch „Auch eine Geschichte der Philosophie“ (2019), 17.11.2019, https://www.deutschlandfunk.de/juergen-habermas-auch-eine-geschichte-der-philosophie-auf.700.de.html.
  11. Kutschera, Franz von: Die großen Fragen: Philosophisch-theologische Gedanken. de Gruyter, Berlin, New York 2000, 2012 (GB)
  12. Wilhelm Schmid: Dem Leben Sinn geben. Haus des Buches, Leipzig 29.1.2014, https://www.thomasius-club.de/wilhelm-schmid-dem-leben-sinn-geben/

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