Sonntag, 6. März 2016

Beseelungswissen (I) - Gerhard Roth - "Wie das Gehirn die Seele macht"

Seinen Mitmenschen kann man immer gerne das neue Buch von Gerhard Roth empfehlen "Wie das Gehirn die Seele macht". So auch schon mehrmals hier auf dem Blog. Warum? Weil in diesem Buch ein führender deutscher Hirn- und Neuroforscher ganz ungezwungen und unkompliziert den Begriff "Seele" in die exakte Naturwissenschaft hineinbringt, bzw. aus dieser heraus mit diesem Begriff Seele ganz unkompliziert und selbstverständlich umgeht.

Die Verwendung des Begriffes Seele ist von Gerhard Roth - sozusagen - als eine Art Kampfansage gemeint in Richtung der letzten Bastionen der Freud'schen Psychoanalyse und aller Verhaltenstherapeuten, die heute immer noch das "Seelische" nicht hervorgerufen durch physiologische Gehirntätigkeit begreifen wollen, sondern in irgendeiner verschwurbelten Weise als eine "Parallelerscheinung" von Gehirntätigkeit.

Roth sagt in der Einleitung von "Wie das Gehirn die Seele macht", dass dieser "psychophysische Parallelismus" vor zehn Jahren, zur Zeit des damals Schlagzeilen machenden "Manifests der Hirnforscher" zur Not noch als letzte Rückzugsbastion hatte aufrecht erhalten werden können, dass aber die Forschungsfortschritte der letzten zehn Jahre auch dieser letzten Rückzugsbastion den Garaus gemacht haben. Und deshalb proklamiert er jetzt so herausfordernd und kühn, dass die Hirnforscher jetzt tatsächlich erklären könnten, "wie das Gehirn die Seele macht". Die Erkenntnisbasis für dieses Postulat ist nach Gerhard Roth hierfür inzwischen breit genug und er versucht, sie in seinem Buch darzustellen.

Es geht ihm also gar nicht etwa darum, den Seelen-Begriff überhaupt in die psychische Forschung einzuführen. Er war darin ja nie verschwunden. Sondern es geht ihm um das kühne Postulat, Seelisches auf der höchsten denkbaren Ebene vollständig naturwissenschaftlich beschreiben zu können. Dies und nichts anderes will er sowohl naturwissenschaftlich wie immer noch rein geisteswissenschaftlich orientierten Psychologen und Therapeuten, sowie der interessierten Öffentlichkeit bewusst machen. Und hierfür stellt er in seinem Buch ganz jenseits gar zu vieler rein theoretischer oder gar philosophischer Erörterungen einfach sehr breit den aktuellen Forschungsstand von der tiefsten Grundlagenforschung bis hin zur konkretesten Anwendung im Einzelfall dar.

Denn so werden heute auch zutiefst philosophische Bücher geschrieben: indem einfach auf der Grundlage umfangreichster Forschungsliteratur der aktuelle Forschungsstand dargestellt wird.

Man muß dazu aber sagen, daß es sich bei diesem Buch - abgesehen von Einleitung und Schlussteil - um zum Teil recht zäh zu lesende typisch naturwissenschaftliche Ausführungen handelt. Es ist deshalb auch ein Buch, das über weite Strecken recht "trocken" herüberkommen kann. 

Nun haben wir uns hier auf dem Blog überlegt, man sollte zur Heranführung lieber auf jenen gleichnamigen Videovortrag verweisen, über den man auch selbst erst auf dieses Buch und seine Thematik aufmerksam geworden ist. Dieser Vortrag dauert eine Stunde und enthält inhaltlich wohl die wesentlichen Aussagen des Buches. Und zwar zum Teil sogar prägnanter und deutlicher auf den Punkt gebracht als im Buch selbst. Deshalb reicht es sicher, zunächst sich einfach diesen Vortrag anzuhören. Man verschwendet dabei keinesfalls seine Zeit.

Auch Herr Roth ist nun auf den ersten Blick nicht gerade der lebhafteste Vortragende oder gar eine Identifikationsfigur, mit der man sich besonders leicht emotional identifizieren kann. Sehr ruhig und auch emotional zurück genommen spricht er. Aber das mag eben auch eine Stärke sein. Von Gerhard Roth gibt es mehrere Vorträge im Internet, offenbar auch denselben Vortrag bei einer anderen Gelegenheit gehalten (Yt). Man mag immer jene Stellen in seinem Vortrag am "lebendigsten" empfinden, in denen er Beispiele aus seiner eigenen Familie bringt. Wobei man ihn dann auch als einen Menschen kennen lernt, der in familiäre Zusammenhänge eingebunden ist und aus diesen heraus argumentiert. Und das ist ja auch einer der wesentlichste Aussagen seines Vortrages: Nämlich dass gelingende soziale Beziehungen schon die wesentlichste Grundlage bilden für eine gesunde seelische Entwicklung des Menschen.

Gelingende soziale Beziehungen - die Hauptgrundlage für Seele

Was ist die Leistung von Gerhard Roth? Die Hirnforschung hat in den letzten Jahrzehnten eine Fülle von Detail-Erkenntnissen hervorgebracht. Und es ist nicht einfach, aus diesen vielen - zum Teil auch widersprüchlichen - Detail-Erkenntnissen nun ein zusammenhängendes Bild des Funktionierens unseres Gehirns zu erarbeiten. Und genau daran arbeitet Roth. Nämlich die vielen Detail-Erkenntnisse auf gemeinsame Nenner zu bringen, in ein Gesamtbild vom Funktionieren unserer Seele zu bringen. Und bei der Erarbeitung dieser Thematik kommt er eben darauf, den Begriff Seele wieder ganz selbstverständlich zu benutzen. Ein Umstand, der sicherlich nicht selbstverständlich ist, sondern eben ein Ausfluß ist des Erkenntnisstandes der modernsten naturwissenschaftlichen Hirnforschung.*)

Bemerkenswert ist auch, daß Gerhard Roth, wie erwähnt, einen Vortrag mit demselben Titel schon vor mehr als zehn Jahren auf den angesehenen Lindauer Psychotherapie-Wochen gehalten hat. In dem Zusammenhang sagt er im Videovortrag:

Der Titel stammt nicht von mir, sondern von einem bekannten Psychiater.
Im Vorwort seines Buches sagt er über die Zeit irgendwann nach 1997 genauer (1, S. 10):
Ein besonderes Ereignis war die Einladung an Gerhard Roth, als erster Neurobiologe auf den angesehenen Lindauer Psychotherapiewochen einen Vortrag zu halten, der dann den Titel trug "Wie das Gehirn die Seele macht". Dieser Titel stammte von Manfred Cierpka, und wir haben ihn auch für das vorliegende Buch gewählt.
Im Videovortrag weiter:
Aber so einen Titel, den hätte man vor 50 oder 100 Jahren so nicht anbieten können. Das ist aber, wenn man es geistesgeschichtlich sieht, ein bisschen unverständlich. Denn wenn man ganz weit zurück geht, meint Seele ursprünglich Lebensprinzip. Odem, Pneuma, Ruach im Hebräischen. Ein Stoff, der das ganze Universum ausfüllt - Äther würde man heute sagen - den die Lebewesen einatmen, und der sie lebendig macht.
Der hier erwähnte Begriff im Hebräischen lautet Ruach (Wiki). Roth knüpft dann an Platon und Aristoteles an und sagt, daß auch noch die moderne Physiologie gewissermaßen - wie jene damals - von vegetativer, animalischer und rationaler Seele spricht oder sprechen kann. Die letztere ist - nach Aristoteles und Platon - unsterblich. Roth:
Diese Unsterblichkeit der Seele stammt also gar nicht aus dem Judentum oder Christentum, sondern aus der Antike.

An dieser Stelle sei der Gedanke eingefügt: Es ist unwahrscheinlich begeisternd, solche wesentlichen Gedanken von einem führenden Hirnforscher weltweit zu hören. Denn wie viel Quatsch in modernen Diskussionen sinkt allein mit diesen schlichten Ausführungen in den Orkus allen Geistes-Blödsinns. Als müßten wir etwa den Gedanken der Unsterblichkeit der Seele ablehnen, nur weil wir die mosaischen Religionen ablehnen. Solche Dinge sollen uns ja dauernd - seit Jahrzehnten - eingeredet werden. Er ist aber schlicht Quatsch. Der Gedanke der Unsterblichkeit der Seele ist eine Tradition der klassischen abendländischen Philosophie. Punkt. 

Die Unsterblichkeit der Seele - Sie stammt aus der Antike, nicht aus Juden- oder Christentum

Und: Begeisternd:

Und so ist auch die heutige Konnotation Seele direkt verbunden mit der Vorstellung, Seele ist etwas, was irgendwie uns belebt, aber auch unsterblich ist. Aber seit dem Altertum gab es ein Lager, das sagte, die Seele ist sterblich, sie stirbt mit dem Menschen. Und es gibt ein großes Lager, das sagt, die Seele ist etwas Unsterbliches. Und beide Lager haben sich bis heute nicht einigen können.
Sein Buch und so viele seiner Ausführungen können einem einfach wichtig sein, weil sie alle zusammen genommen den Stand der Diskussion heute zwischen Anhängern der Hirnforschung, der Psychotherapie, der Freudschen Psychoanalyse und vieler weiterer "Seelenärzte" markieren. Psychotherapeuten nämlich sind Seelenärzte, sagt Gerhard Roth an einer Stelle. Im Buch selbst findet man die spannendsten und allgemeinsten Ausführungen vielleicht erst im letzten Kapitel, in der Zusammenfassung, wo es heißt (1, S. 370, Hervorhebung nicht im Original):
In diesem Buch haben wir mit "Seele" die Gesamtheit der Vorgänge bezeichnet, die sich in unserem bewußten, vorbewußt-intuitiven und unbewußten Fühlen, Denken und Wollen ausdrücken. Hierfür gibt es im Deutschen kein besseres Wort, auch wenn "Geist" und "Psyche" wesentliche Teile davon abdecken. Die religiösen Vorstellungen von "Seele", etwa Unsterblichkeit oder göttliche Abkunft, haben wir bewußt nicht berührt. Die in unserem Sinne definierte Seele ist nach aller verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnis untrennbar an Hirnfunktion gebunden. Ihre Eigenschaften und Leistungen formen sich mit der Entwicklung des Gehirns, und mit dem Tod des Gehirns enden diese "Seelenvermögen". Wenn man also nach einer möglichen Unsterblichkeit der Seele fragt, so muß sich dies auf gänzlich andere Zustände und Eigenschaften beziehen, als diejenigen, die einer wissenschaftlichen Behandlung zugänglich sind.
Hier klingt bei Gerhard Roth offenbar mehr Pessimismus durch als bei dem Mainzer Philosophen Thomas Metzinger, der sich diesbezüglich schon eher in der Nähe der Einschätzung des deutschen Theologen und Philosophen Schleiermachers bewegt, und an dessen Einigungsvorschlag zu den beiden oben von Roth vorgetragenen Meinungen zur Frage der Unsterblichkeit der Seele, als Schleiermacher nämlich sagte:
Mitten in der Endlichkeit eins zu sein mit dem Unendlichen und darin ewig zu sein in jedem Augenblick - das ist Unsterblichkeit.

Dies ist übrigens auch der Begriff der Unsterblichkeit der Seele bei der deutschen Philosophin und Evolutionären Psychologin Mathilde Ludendorff. Und wer möchte auch bestreiten, daß ein solcher, hier genannter Seelenzustand etwa in der Liebe erreicht werden kann? In der Liebe zweier seelisch und körperlich starker Menschen?

Abb. 1: Stephan Abel Sinding (1846-1922) - Ein Mann und eine Frau

Übrigens hat sich der Bischof Franz Kamphaus (geb. 1932) (Wiki) von Limburg (der Vorgänger seines unseligen Nachfolgers) unter anderem auch in diesem Sinne zum Begriff Unsterblichkeit ausgesprochen. Auch diesen Gedanken spricht man - von christlicher Seite - gerne einmal an, läßt ihn dann aber weiter für sich im geistigen Raum stehen, ohne daraus weitere, größere Schlussfolgerungen zu ziehen.

Wer möchte bestreiten, daß etwa Ludwig van Beethoven über solche Seelenzustände gesprochen hat? (Und natürlich aus solchen heraus komponiert hat?) Also müssen solche Seelenzustände auch der wissenschaftlichen Forschung zugänglich sein. Und da gibt es ja auch schon viele Ansätze, die einmal zusammen fassend zusammen getragen werden sollten. Die amerikanische Anthropologin Barbara King spricht etwa aus ihren Erfahrungen der Primaten-Verhaltensforschung heraus von dem Seelenzustand des "belonging", des "Sich zugehörig Fühlens zu" ... einem anderen Menschen, ... einer Familie, ... einer menschlichen Gemeinschaft, ... einer Kultur. Dieser könnte eine evolutionäre Wurzel sein für religiöse, bzw. höherwertige seelische Erfahrung des Menschen, auch für - so möchte man einschieben: Sloterdijk'sche "Vertikalspannung". Auch der Autor Dean Hamer macht in seinem Buch "Das Gottes-Gen" zu solchen Fragen wertvolle Ausführungen. 

Roth jedenfalls gibt dann eine Zusammenfassung der Aussagen seines Buches (1, S. 370, Hervorhebungen nicht im Original):

Wie im ersten Kapitel gezeigt, war die Einengung des Seelenbegriffs von einem Lebensprinzip, anima, Spiritus oder Odem genannt, auf empirisch erfaßbare perzeptive, emotionale und kognitive Vorgänge ein Prozeß der Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte, der sich über zweieinhalb Jahrtausende hinzog, und ebenso lange dauerte die Suche nach dem "Sitz" dieser Vorgänge. (...)
Das Seelische findet seinen spezifischen Ausdruck in unserer Persönlichkeit, und deshalb waren weite Teile dieses Buches der Darstellung der verschiedenen Ebenen des Gehirns gewidmet, auf denen sich diese Persönlichkeit entwickelt: der unteren, mittleren und oberen limbischen sowie der kognitiv-sprachlichen Ebene. Hierbei ist die untere limbische Ebene, zu der Strukturen wie der Hypothalamus, die zentrale Amygdala und vegetative Zentren des Hirnstamms gehören, für die Regulation lebenswichtiger vegetativer Funktionen zuständig und bildet unter dem Einfluss von Genen und vorgeburtlichen Erfahrungen die Grundlage für unser Temperament. Die individuelle Funktion dieser Ebene kann durch spätere Erfahrung oder Erziehung nur schwer verändert werden.
Die mittlere limbische Ebene (...) ist die Ebene der unbewußten emotionalen Konditionierung und des individuellen emotionalen Lernen: Elementare Emotionen (z.B. Furcht, Ekel, Freude, Glück) werden hierbei an individuelle Lebensumstände angebunden. Die charakteristische Funktion dieser Ebene entwickelt sich in den ersten Lebensjahren vor allem im Kontext frühkindlicher Bindungserfahrungen und bildet zusammen mit der unteren limbischen Ebene den Kern unserer Persönlichkeit. Sie kann im Jugend- oder Erwachsenenalter nur über starke emotionale oder lang anhaltende Einwirkungen verändert werden.

Hier ist also sicher unter anderem die Herausbildung oder das fehlende Herausbilden von "Urvertrauen" angesprochen. Gerhard Roth weiter:

Die obere limbische Ebene (...). Auf dieser Ebene findet das bewußte emotional-soziale Lernen statt. Hier werden die emotionalen Reaktionen der beiden unteren limbischen Systeme verstärkt oder abgeschwächt, je nachdem wie es die Sozialisation vorgibt. Bewertungen auf dieser Ebene bilden die Grundlage für Gewinn- und Erfolgsstreben, für Freundschaft, Liebe, Hilfsbereitschaft, Moral und Ethik. Diese Ebene entwickelt sich in der späteren Kindheit und Jugend aufgrund sozial-emotionaler Erfahrungen und ist entsprechend vornehmlich durch solche veränderbar.

In diesen wenigen Sätzen steckt unglaublich viel drin. Und sie wären sicherlich noch einmal genauer zu erläutern anhand der entsprechenden Kapitel im Buch. Die Manipulatoren wissen um diese Veränderbarkeit. Das Buch ist dann insbesondere damit beschäftigt, aufgrund welcher Therapien, seelenärztlicher Verfahren eigentlich sprichwörtlich "Beseelungswissen" umgesetzt werden kann in praktisches Handeln, wie man Menschen mit seelischen Beeinträchtigungen helfen kann.

Es wird darauf abgehoben, daß die Erfolge aller heute bekannten Behandlungsmethoden im Wesentlichen nicht auf den Methoden selbst beruhen (ob Kartenlegen, Freud'sche Psychoanalyse oder andere Verfahren), sondern schlicht darauf, daß nach dem Gelingen einer guten Therapeuten-Klienten-Beziehung bei beiden das Vertrauenshormon Oxytocin ausgeschüttet wird und daß dadurch vor allem auch beim Klienten eine bei allen Verfahren aufzeigbare durchschnittliche, erste Verbesserung seines Zustandes auftritt.

Soweit einmal erste Hinführungen zu diesem Vortrag und zu diesem Buch. Womit keineswegs gesagt sein soll, daß damit schon eine ausreichende Auswertung beider erfolgt wäre.

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*) Ein Gedanke, der noch wesentlich prägnanter im Zusammenhang mit seinem Buch - oder im Vortrag - heraus gearbeitet werden könnte, ist übrigens der, daß den Ersterfahrungen auf dem Gebiet des Geschlechtlichen (der Sexualität) - und zwar jetzt nicht die extremen Formen kindlicher Gewalterfahrung, sondern in der normalen Entwicklung der Geschlechtlichkeit von jungen Erwachsenen - von einer großen Zahl sehr unterschiedlicher Kulturen weltweit seit vielen Jahrtausenden eine besondere Bedeutung zugesprochen worden ist für die gedeihliche Entwicklung des einzelnen Menschen und ganzer kultureller Gemeinschaften. Die "Hochzeit" galt bei unseren Vorfahren - wie der Name schon sagt - als: "Hohe Zeit". Und sie wurde kulturell eingebettet. Es wurde Anteil daran genommen.
Ob diese hohe Bedeutung, die viele Kulturen diesem Geschehen gaben, der Grund dafür ist, dass Medien-Manipulateure und Lügenäther schon seit vielen, vielen Jahrzehnten genau diese Zielgruppe der Menschen im Auge haben, die ihre Ersterfahrungen noch nicht erlebt haben, wobei sie das Erlebnis dieser Ersterfahrung ganz offensichtlich massiv zu beeinflussen bestrebt sind. Und wobei von - - - "hoher Zeit" schon ganz gewiss nicht mehr die Rede ist? ... Jugendzeitschriften wie "Bravo" und Konsorten seligen Angedenkens. - ? (Aus den Erfahrungen des Jahrgangs 1966 heraus gesprochen.) Heute wäre ja da noch ganz anderer Dinge selig zu gedenken, als bloß Jugendzeitschriften wie "Bravo". Auch hier wäre die dringende Frage, wie gegengesteuert werden kann. Was da überhaupt noch möglich ist.
Denn seit vielen Jahrzehnten ist bekannt - und Gerhard Roth spricht auch davon, daß im Zusammenhang menschlicher Geschlechtlichkeit - insbesondere auch bei Frauen - Bindungshormone ausgeschüttet werden, Oxytocin, das "Treue-Hormon". Daß also unsere Physiologie - und insbesondere die von Frauen - auf langfristige, gelingende monogame Paarbeziehungen ausgelegt ist. Und daß Mißlingen großes Unglück hervorruft bis hin zu Depression. Warum sagt man das den jungen Frauen von heute nicht? Warum gehen wir mit einem solchen Wissen nicht kulturell wertvoll um? Warum gestalten wir nicht mehr "hohe Zeit"? Damit solches Unglück möglichst nur noch in begrenztem Ausmaß auftritt, in einem solchen Ausmaß, das gesellschaftlich noch verkraftbar ist. Und nicht mehr wie heute, wo sich Millionen Deutsche Kinder wünschen, sie aber nicht bekommen, weil der geeignete Bindungspartner nicht da ist. - ? Wo also schlicht: Liebe nicht mehr gelingt.
Machen wir uns denn nicht von vornherein unglücklich, wenn wir uns allerwärts durch Medien-Manipulatoren dahingehend manipulieren lassen zu denken, die Wahl und Austauschbarkeit unserer Geschlechtspartner, der Reife-Zeitpunkt des Eintritt ins Geschlechtsleben, die Art des Eintritts ins Geschlechtsleben und alle diese so wesentlichen Dinge in Bezug auf "hohe Zeit" - all das wäre gar nicht mehr wichtig für ein gedeihliches und glückliches Zusammenleben von Menschen? Und für die Entwicklung von Seele? Bei uns selbst. Bei unseren Lebenspartnern. Bei unseren Kindern. - ?

Wie gestalten wir "hohe Zeiten", Hochzeiten?

Wobei nicht in Plattheiten zu verfallen wäre, aus christlichen Attitüden heraus etwa irgendwelche Formen des Lebens von Geschlechtlichkeit - gleichgeschlechtlich, polygam, polyamor und wie sie alle heißen mögen - per se zu verdammen. Sondern wobei nur herauszuarbeiten wäre, daß das kulturelle Hochziel - zumindest europäischer Kulturen - immer schon die zweigeschlechtliche, lebenslange Einehe ist. So kann man doch argumentieren, ohne andere Lebensformen auf diesem Gebiet per se als minderwertig zu bezeichnen. Wie das so beliebt ist aus typisch monotheistischem Ressentiment heraus. Wir wissen doch alle, daß es Menschen geben kann, die lebenslang in Einehe leben, und die wir als Menschen für sich genommen für außerordentlich moralisch minderwertig empfinden. Daß - zum Beispiel - Einehe auch als eine Art von Prostitution gelebt werden. Einfach aus Bequemlichkeit heraus.
Daß es andererseits Menschen geben kann, die andere Formen der Geschlechtlichkeit lebten, und die wir als wertvolle Menschen erachten, etwa weil sie Künstler waren, die Ungeheuerliches geleistet haben. Oder die auch sonst wertvoll gelebte Geschlechtlichkeit leben außerhalb zweigeschlechtlicher lebenslanger Einehe. (Wobei dann nur eben auch die Bedürfnisse von Kindern zu berücksichtigen sind, die bezüglich des Wunsches nach einer "heilen Ehe" der Eltern nicht gerade gering zu veranschlagen sind, und die um so eher zu beachten sind, weil Kinder jene Bevölkerungsgruppe sind, die ihre eigenen Interessen am wenigsten selbst durchsetzen können.)
Warum jedenfalls all diese (christlichen, monotheistischen) "Ressentiments" heute immer noch in all solchen Debatten? Welche Art von Medien-Manipulatoren stecken hinter all diesem Aufputschen und diesem Ressentiment-Gerede und -Geschreibsel, das uns überall umgibt, und von dem sich auch politische Entscheidungen - wieder einmal - leiten lassen?

/ Um einleitende Absätze ergänzt 31.5.16;
Leicht umgestellt und überarbeitet: 16.4.2024 /

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  1. Roth, Gerhard; Strüber, Nicole: Wie das Gehirn die Seele macht.  Klett-Cotta, Stuttgart 2014 (danach wird zitiert; inzwischen, im Januar 2016, ist das Buch schon in 6. Druckauflage erschienen)

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