Sonntag, 13. September 2015

Zur Gestaltung von Feierstunden innerhalb der Familie und darüber hinaus

Einiges Grundsätzliche aus Anlass der Beerdigung meines Vaters

Viele Menschen trauen es sich nicht zu - und damit dann auch anderen nicht -, am Grab nächster Angehöriger die Grabrede zu halten.

Das kommt natürlich daher, daß man sich in den christlichen Völkern in den vielen letzten Jahrhunderten daran gewöhnt hat, Pfarrer und christliche Rituale für einen solchen Anlaß zu haben, und daß viele Menschen es sich noch heute nicht so recht vorstellen können, daß eine so ernste Feier wie die Totenfeier vornehmlich von engsten Familienangehörigen gestaltet werden könnte oder gar sollte.

Finden sie denn dazu überhaupt die Kraft? Sollten sie an sich den Anspruch haben, mit der Ruhe und Gelassenheit von dem Tod ihres nächsten Angehörigen zu sprechen, wie sie doch für einen solchen Anlaß überhaupt nur angemessen wären?

Wenige stellen sich eine solche Frage schon vor dem Tod eines nahen Angehörigen ausreichend ernst genug, um dann, wenn ein solcher Fall eintritt, auch ausreichend darauf vorbereitet zu sein. Viele sind es aber auch schlichtweg nicht geübt und gewohnt, vor einer Gruppe von Menschen zu sprechen, die über den engsten Rahmen der Familienangehörigen hinaus geht.

Ich selbst würde zu dieser Frage zunächst sagen, daß es einen Unterschied macht, ob es sich um einen erwartbaren Alterstod im höheren Alter handelt oder ob ich es von mir hätte erwarten können, in jungen Jahren zum Tod des anderen am meisten geliebten jüngeren Menschen im eigenen Leben zu sprechen. Da ich letzteres - zum Glück - nicht erlebt habe, kann ich darüber auch nur wenig sagen. Wenn man aber bedenkt, wie wenig man schon endgültige Trennungen (Scheidungen und ähnliches) unter Lebenden mitunter verkraftet, so möchte man doch in der bejahenden Beantwortung einer solchen Frage sehr zurückhaltend sein.

"Regeln"?

Ich damit jedenfalls gesagt sein soll, ist, daß es natürlich überhaupt nichts dagegen zu sagen gibt, wenn es nicht gerade engste Familienangehörige sind, die die Grabrede für einen Verstorbenen halten. Falls denn überhaupt eine solche gehalten werden soll. Es muß halt einfach dem echtesten Gefühl der betroffenen Menschen selbst entsprechen. Warum sollten da Regeln aufgestellt werden?

Die hier geäußerte Einstellung hat sich heute ja auch schon sehr weitgehend in unserer Gesellschaft durchgesetzt, so daß sie hier nicht noch länger erläutert werden muß. Wir sind damit weit hinaus gekommen über die Einstellungen, die bis in die 1950er Jahre hinein in den christlichen Völkern der Nordhalbkugel vorherrschend waren. Erinnert mag auch werden daran, daß schon vor acht Jahren auf unserem Blog Begeisterung darüber zum Ausdruck gebracht worden war, wie souverän und so durch und durch vorbildlich der Atlantik-Überquerer Charles Lindbergh sich auf seinen Tod und seine Beerdigung vorbereitet hat (Studium generale, 05/2007).

Auch die Philosophin Mathilde Ludendorff (1877-1966), auf die wir in verschiedenen Zusammenhängen hier auf dem Blog schon zu sprechen gekommen sind, war bezüglich solcher Einstellungen ihrer Zeit weit voraus. Es sind das ja auch alles Fragen, über die man sich im Umkreis der heutigen Kirchenfreien, der Humanisten und Evolutionären Humanisten, die in der Tradition von Giordano Bruno, Charles Darwin, August Weißmann und Ernst Haeckel stehen - so wie Mathilde Ludendorff -, mancherlei Gedanken macht (GA-j! 07/2015).

Da mein Vater Mathilde Ludendorff sehr verehrte, habe ich in den letzten Tagen mitunter noch einmal ein wenig gelesen, was sie und was der von ihr gegründete "Bund für Gotterkenntnis" über das Thema der Gestaltung von Feierstunden innerhalb der Familie und darüber hinaus so geschrieben haben (1, 2). Neben manchem, was aus einem ganz anderen Geist der Zeit heraus da so geschrieben steht, findet sich doch auch vieles, das man noch heute für sich übernehmen kann.

Mathilde Ludendorff spricht den Stolz, die Kraft und die Stärke jener Menschen an, die sich vom Christentum frei gemacht haben, und die sich auf dem Weg befinden, zu der freien und auch in religiösen Dingen sehr selbständigen Lebenshaltung unserer heidnischen, germanischen Vorfahren zurück zu kehren, bzw. an diese anzuknüpfen. Das ist nachvollziehbar. Ich möchte hier nur, um einen Eindruck zu geben, weniges von dem zitieren, was sie darüber schreibt, wie sie sich das Leben unserer heidnisch-germanischen Vorfahren in dieser Hinsicht vorstellte und es damit auch als vorbildlich für moderne Zeiten hinstellte (1, S. 9-11):

Ganz herzerfrischend natürlich und selbstverständlich war ihr Feiern und Freuen und erschütternd gemütstief und innerlich war ihr Bedürfnis, über das Gotterleben auch an dem Feiertag zu schweigen. (...) Wenn in der feierlichen Versammlung der Sippengenossen der Vater dem neugeborenen Kinde den Namen eines von allen geehrten Ahnen gab, so bedurfte es hierbei keiner langen Reden, der Klang des Namens allein in dieser feierlichen Versammlung brachte den Elten den Ernst ihres Amtes voll zum Bewusstsein. Das Kind, das nun in die Sippenfolge der Geschlechter durch diese Namengebung aufgenommen war, zu einem dieses Namens würdigen Menschen zu erziehen, war ihnen selbstverständlich. Mit Predigten und langen Gebeten und Ritualen (...) hätten sie nichts anzufangen gewusst. (...)
Wenn am Tage der Eheschließung die Eltern in der feierlichen Versammlung der Sippe schlicht und innig dem jungen Paar die Mahnung mit auf den gemeinsamen Lebensweg gaben:
"Haltet heilig euer Heim!"
so bedurfte es zum seelentiefen Erleben dieses hohen Tages keiner weiteren Worte und keines Priestersegens. Noch viel weniger bedurfte es feierlicher Treuegelübde, um der freiwilligen Gemeinschaft für das ganze Leben Dauer und Halt zu verleihen. Nein, solche Gelübde wären eine Entweihung der freiwilligen Treue gewesen.
Wenn endlich Verwandte und Freunde die Totenbahre umstanden und der Sippenälteste vortretend die Worte durch die Halle rief:
"Helge, der Tapfere, ist tot."
So war kein Wunsch nach weiteren Worten oder Priestersegen, auch nicht nach Freundespreisen, um die Feier zu erhöhen. Schweigend, wussten sie, erlebt sich Schmerz und Totenehrung tiefer und weit innerlicher.

"Anerzogene Unmündigkeit in der Feiergestaltung"

Edmund Reinhard, der zweite Vorsitzende des "Bundes für Gotterkenntnis", schrieb zu Weihnachten 1958 als Vorwort zu dem damals herausgegebenen Band über "Sippenfeiern" (2, S. 9f):

Gotterkenntnis wird erst dann als ein Volksgut Segen wirken können, wenn Deutsche mehr und mehr eigene Wege in ihren Feiern gehen. Bei weitem nicht alle Sippen, in denen unser Geistesgut lebendig ist, gehen eigene Wege, und sehr viele Menschen, welche innerlich dem Christentum und der Kirche entfremdet sind, wagen nicht, aus der Kirche auszutreten, weil sie sich einfach nicht vorstellen können, ihren Feiern selbst die Weihe zu geben. Es gehört Mut dazu, aus der anerzogenen Unmündigkeit herauszufinden; Selbstvertrauen muss wachsen, um hier mündig zu werden. (...)
Wenn sich auch die Worte nicht zu einer wohlgeformten Festrede formen wollen, so können ein paar einfache, schlichte Worte Gleiches bewirken. Nur eines ist nötig: Aus dem Herzen müssen sie kommen, dann werden sie auch zu Herzen gehen.

Das ist doch ermutigend ausgedrückt. Ja, es bedarf auch heute noch, über 50 Jahre nachdem diese Worte niedergeschrieben worden sind, solcher Ermutigung, solchen Wachsens von Selbstvertrauen, solcher Sehnsucht nach Mündigkeit. Als wir unserem Vater vor zwei Tagen die Feierstunde gehalten haben zu seiner Beerdigung, glauben wir auch, hierbei wieder ein wenig mündiger geworden zu sein, mehr Selbstvertrauen gewonnen zu haben, gewachsen zu sein - und damit auch aufgeklärter geworden zu sein im Sinne der schönen Worte Immanuel Kants ("Was ist Aufklärung?"). Denn die Aufklärung ist - obwohl das viele gerne so hätten und viele andere dementsprechend gar nicht merken und sehen - noch lange nicht zu Ende!

Wie in dem Blogartikel von vor drei Tagen schon angeklungen war, haben sich Menschen im Umkreis von Alfred Mechtersheimer und des "Ostpreußenblattes" schon vor 20 Jahren Gedanken gemacht zu der Frage "Wie ruiniert man einen Staat?" Und sie haben als Antwort auf ein solches besorgniserregendes Geschehen geäußert:

Zur Abwehr dieser Gefahren forderte der Redner eine gewaltfreie deutsche Volksbewegung, die ein neues Bewusstsein und ein geistiges Kraftfeld schaffen könne. Impulse dazu müssten von einer intellektuellen Minderheit ausgehen. Entscheidend für den Erfolg sei eine gemeinsame Synthese aus Religion und Nationalbewusstsein.

Mein Vater hätte zu diesen Worten gesagt, wenn er sie denn damals oder später gelesen hätte: Was fragt ihr denn noch, was sucht ihr denn noch? Diese "Synthese aus Religion und Nationalbewusstsein" liegt doch schon lange vor. Sie trägt den Namen des bedeutendsten Hintergrundpolitikkritikers der Geschichte weltweit. Seht sie Euch doch an, die Philosophie von Mathilde Ludendorff. Nun, noch heute mögen solche Worte fremd hineinklingen in eine materialistische und volksvergessene Zeit, in der eine Lügenpresse auch rund um eine deutsche, naturwissenschaftsnahe Philosophin wie Mathilde Ludendorff eine unendlich hohe Mauer des Schweigens gezogen hat.

Wenn jedenfalls eine solche "Synthese", deren Notwendigkeit ja auch an so vielen anderen Orten gesehen wird, endlich einmal Sinn machen soll, dann muss sie von den einzelnen Menschen nicht nur gefordert, sondern auch in allen Abschnitten ihres Lebens mit Inhalt gefüllt werden. Und wann, wenn nicht dann, wenn die großen Feierstunden ihres Lebens statthaben? - - -

Synthese zwischen Religion und Nationalbewusstsein muss gelebt werden

Die Stunden der seelischen Wachheit, die durch den Tod eines Menschen ausgelöst werden innerhalb einer Gemeinschaft, sei es der Familie, sei es einer Dorfgemeinschaft, sei es eines Freundeskreises - wäre es nicht schade, wenn diese nur in der Einsamkeit jedes einzelnen erlebt werden? Wenn man sich - gerade in solchen Stunden - nicht der gegenseitigen Anteilnahme versichert innerhalb einer Gemeinschaft? Wenn das Erlebnis des Zusammenhalts in solchen Stunden nicht die Gemeinschaften auch als solche anginge und bestärken würde?

Unser Vater traute es jedenfalls unserer Familie zu, dass wir seine Grabfeier selbständig und aus eigener Kraft würden feiern können. Und auf seinen Wunsch hin haben denn auch meine Schwester und ich ihm dementsprechend vorgestern die Grabrede gehalten, haben die Enkelkinder ihm Musikstücke gespielt, haben ihm alle Anwesenden Volkslieder gesungen wie "Im schönsten Wiesengrunde" und erklang die Trompete eines Freundes, als sein Sarg in die Erde hinab gelassen wurde. Es erklang die Melodie jenes Liedes, das auch 1949 aus Anlass der Verabschiedung des Grundgesetzes von den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates - anstelle einer Nationalhymne - gesungen wurde (Wiki). Sein Text lautet:

Ich hab mich ergeben
Mit Herz und mit Hand,
Dir Land voll Lieb’ und Leben
Mein deutsches Vaterland!
Mein Herz ist entglommen,
Dir treu zugewandt,
Du Land der Frei’n und Frommen,
Du herrlich Hermannsland!
Lass Kraft mich erwerben
in Herz und in Hand,
zu leben und zu sterben
fürs deutsche Vaterland!
            Ferdinand Maßmann 
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  1. Ludendorff, Mathilde: Sippenfeiern - Sippenleben. Eine Sammlung von Aufsätzen. Ludendorffs Verlag, München 1939 (11.-13. Tsd.) (6.-10. Tsd.: 1937) (Archive.org)
  2. Deutsche Sippenfeiern. Wege zu ihrer Selbstgestaltung. Hrsg. vom Bund für Gotterkenntnis (L) e.V.. Bearbeitet von Dirk Hansen, Krista Lutz und Irmgard Keller. Verlag Hohe Warte, Pähl 1959 

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