Freitag, 16. April 2010

Spätrömische Dekadenz im Bildungs- und Wissenschaftsbereich

Blamabel und empörend: Prof. Christoph Markschies

Der derzeitige Präsident der Humboldt-Universität Berlin, der evangelische Kirchenhistoriker und Pfarrer Christoph Markschies*), hat am 18. Dezember 2009 in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften am Berliner Gendarmenmarkt einen kostenlosen, öffentlichen Vortrag gehalten. Nun ist die --> Video-Aufzeichnung der Kurzfassung desselben erschienen. Das Thema:
"Survival of the fittest" - Läßt sich der Aufstieg des antiken Christentums als Evolution beschreiben?"
So die Themenstellung der Kurzfassung um 18.30 Uhr. Im ausführlicheren Nachmittagsvortrag um 14.45 Uhr lautete die Themenstellung dagegen schon wieder etwas "traditioneller":
In welchem Sinne haben sich Christentum und Islam in der Spätantike "entwickelt"?
(s.a. BBAW 1, 2) Daß sich Christentum und Islam bloß - kulturell - "entwickelt" hätten, wäre ja nun wirklich eine triviale Erkenntnis. Man fragte sich vor dem Vortrag: Ob Markschies wohl ein paar Angaben zur Religionsdemographie machen wird? Ergebnis: Nein, noch nicht einmal der leisteste Anflug eines Anhauchs von Erwähnen einer solchen Thematik scheint der Würde seines professoral-theologischen Gestus zu entsprechen. Dazu kommt dieser insgesamt vom Zeitgeist leicht beleidigt wirkende Pfarrer, Theologe und Universitätspräsident ja auch viel zu arrogant herüber.

Das Vortragsthema selbst jedenfalls schien schon ein gutes Gespür für aktuelle wissenschaftliche Entwicklungen aufzuzeigen. Für Entwicklungen, für die etwa in Deutschland der Religionswissenschaftler Michael Blume steht, in Großbritannien Robin Dunbar und in den USA David Sloan Wilson oder Richard Sosis. Diese Entwicklungen waren schon oft Thema auf diesem Blog. Aber wie ernsthaft will man das eigentlich wirklich betreiben - am Ufer der Spree*)?

Nein, wie es scheint, läßt Markschies sich nicht wirklich beeinflussen von dem aktuellen Forschungsstand. Blamabel! Er hält die aktuelle Diskussion um "Evolution" der Religion für eine "Modeerscheinung". Das einzige, was für Herrn Markschies keine Modeerscheinung gewesen zu sein scheint und ist, das ist offenbar die Bibel, "seine" Bibel (?). Wenn er nicht so unglaublich arrogant und blamabel herüber käme, würde man sich ja sogar noch darüber auseinander setzen wollen ...

Christoph Markschies! Universitätspräsidenten stehen derzeit teils gewollt, teils ungewollt im Zentrum von brisanteren gesellschaftspolitischen Debatten. Zumindest in Berlin. Dies zeigte nicht nur der Berliner FU-Präsident Dieter Lenzen (siehe auch St. gen.) und die Diskussionen rund um seinen Wechsel nach Hamburg, sondern dies zeigt eben auch Christoph Markschies.

"Loose change" - Der populärste Film des Internets

So ist auf Wikipedia zu erfahren, daß Markschies 2006 verbot, den populärsten Film des Internets im Kino der Universität zu zeigen. Und welcher Film ist das, der den Studenten da so auf den Nägeln brennt? ... Wir erfahren, daß er heißt: "Loose Change". Ein Film über Zweifel an der offiziellen Täterversion zu 9/11. Auch die deutschsprachige Version dieses Filmes ist frei im Netz abrufbar. Aber warum verbietet Herr Markschies gerade die Aufführung dieses Filmes? Wo doch an Universitäten von Studenten oft viel größerer Schrott an Filmen vorgeführt wird, als gerade eine solche ernsthafte Dokumentation mit weitreichenden, gesellschaftspolitischen Implikationen? Etwa aus den gleichen Gründen, aus denen heraus er - sicherlich zum Aufatmen vieler Menschen - neuerdings eine Verlängerung seines Amtes nach 2010 nicht mehr anstrebt? Sieht so monotheistische Zensur aus? - Heute?

Jan Assmann war auch geladen

Ob ein Pfarrer und Universitätspräsident, der die Aufführung solcher Filme verbietet, noch gute Vorträge zum Thema "Evolution der Religion(en)" halten kann, war sowieso von Anfang an zweifelhaft. Nun ist es im Übermaß bewiesen, wie berechtigt diese Zweifel waren. Aber da auf der Vortragsveranstaltung unter diesem Titel am 18. Dezember auch Jan Assmann gesprochen hat über den Weg vom Polytheismus zum Monotheismus (Untertitel: "Evolution oder Revolution"?), wird man die Veranstaltung sicherlich als eine hochkarätig besetzte ansehen müssen. Sie wollte laut Ankündigung insbesondere Konzepte des amerikanischen Religionssoziologen Robert N. Bellah (geb. 1925) aufgreifen, der eine von vielen Stufentheorien zur Religionsgeschichte vorgelegt hat. Und sie fragte,
ob bestimmte Stufen der kognitiven Entwicklung (in der Menschheitsgeschichte) bestimmte Stufenbildungen in der Religionsgeschichte zu erklären vermögen.
Das wäre natürlich eine vielversprechende Fragestellung. Aber es waren nur Geisteswissenschaftler als Vortragende geladen. Hätte endlich einmal wenigstens einer von ihnen - ebenso wie Thilo Sarrazin, Helmut Schmidt, Dieter Lenzen oder der Hirnforscher Gerhard Roth - die Tatsache thematisiert, daß Intelligenz zu großen Teilen erblich ist und sich unterschiedlich auf die Völker und Epochen der Weltgeschichte verteilt? Wie soll man denn ohne Mitberücksichtigung dieser Tatsache vernünftigerweise, das heißt, auf dem wissenschaftlichen Stand von heute die "kognitive Entwicklung" in der Evolution und in der Weltgeschichte in Beziehung setzen zu Stufenbildungen in der Religionsgeschichte?

Auf den ersten Blick gewinnt man den Eindruck, daß die Vortragenden, sofern sie sich zuvor nicht ernsthaft auf dem Gebiet der Naturwissenschaft umgetan haben (wie zumindest ansatzweise die vier genannten Herren), bestenfalls neue "Modeworte" für schon ältere, religionsgeschichtliche Erkenntnisse gefunden haben. Darüber kann dann ein monotheistischer Herr Markschies natürlich nur müde spotten. ... Aber noch der Spott ist kindlich, naiv und blamabel. Man wird diese drei Adjektive auf einen Nenner bringen dürfen: Sein Spott ist - - - theologisch, isoliert geisteswissenschaftlich. Hochnäsig.

.... "Lippenbekenntnisse"?

Man hätte es der BBAW wünschen wollen, daß es bei derartigen Vortragsveranstaltungen nicht immer nur zu "Lippenbekenntnisse(n) zur evolutionären Bedingtheit des Menschen" kommen würde, wie wir das schon vor einem halben Jahr kritisch zu einer ihrer Veranstaltungen hatten anmerken müssen (St. gen. berichtete). Man sollte doch beachten, daß die "Preußische Akademie der Wissenschaften" noch heute von dem Ansehen zehrt, das ihr einst ihre Blütezeit unter Friedrich dem Großen verschafft hatte. Friedrich der Große ist als ein Regent in die Geschichte eingegangen, dem jede "Political", "Religious" oder "Philosophical" "Correctness" ein Greuel war, und der sie "tiefer hängen" ließ. Und letztlich wurzelt jede dieser "Korrektheiten" wohl letztlich in Monotheismen. Das sollte wohl künftig noch besser herausgearbeitet werden. "Korrektheiten" stimmen am ehesten mit monotheistischem Geist zusammen.

Es darf mit Fug und Recht erwartet werden, daß die Akademievorlesung von Peter Weingart am Vortag - Thema: "Zur Evolution sozialer Systeme" - schon Handfesteres und dem eigentlichen Ethos der Wissenschaft Nahestehenderes zu bieten gehabt hatte. Peter Weingart ist zwar auch von Hause aus Geisteswissenschaftler. Aber einer, der sich vorbildlich schon seit Jahrzehnten auf dem Gebiet der naturwissenschaftlichen Theoriebildung im Bereich der Soziobiologie umgetan hat. Und der diese Theorien - wie sich das für einen akademisch gebildeten Menschen von heute eigentlich von selbst verstehen sollte - auch verstanden hat und selbständig weiterdenken kann.

Dekadentester Spott

Wer dies nicht tut, leistet spätrömischer Dekandenz auf dem Bildungs- und Wissenschaftssektor Vorschub. Um diesen eigentlich trivial-banalen Sachverhalt auch einmal so zu benennen, wie er zu benennen ist. Derartige Haltungen führen - letztlich - in die Wissenschaftsferne eines neuen Mittelalters, das - bekanntlich - auf die spätrömische Dekadenz insbesondere auch im Wissenschaftsleben folgte.

Daß es noch heute Universitätspräsidenten gibt, von denen man noch nicht einmal "Lippenbekenntnisse" zur evolutionären Bedingtheit des Menschen hört, sondern nur: Spott. Was hat das mit Wissenschaft zu tun? Und dieser Universitätsprädident stellt sich selbst in eine Reihe mit so vielen, großen, bedeutenden Vorgängern? Das ist hellauf empörend. Und zutiefst: dekadent.

Was der vielköpfige Drachen, genannt "Politische Korrektheit", in Deutschland und der Welt wohl noch so alles an Steilheiten und Verstiegenheiten hervorbringen wird? Wir dürfen gespannt sein. Es wird in jedem Fall sein: Krampf, Krampf, Krampf.
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*) Das Institut von Christoph Markschies, die Theologische Fakultät, liegt an prominenter Stelle direkt an der Spree gegenüber der Museumsinsel: oben rechts abgebildet mit ihrem "gläsernen Hörsaal" zur Straße hinaus.

Nachbemerkung:
Dieser Beitrag erschien ursprünglich
am 28.11.09. Er erscheint heute, am 16.4.10,
aufgrund der inzwischen veröffentlichten Video-Aufzeichnung
aktualisiert und ergänzt: um einige eindeutige Bewertungen.

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