Montag, 16. März 2009

"Die Menschwerdung begann mit dem Urknall" - Simon Conway Morris

Der britische Evolutionsbiologe und Paläontologe Simon Conway Morris hat einige seiner Thesen noch einmal sehr prononciert auf den Punkt gebracht in einem neuen Interview für SZ-Wissen mit Katrin Blawat:
Conway: (...) Dass sich die Menschen zu dem entwickeln würden, was sie heute sind, hat sich nicht erst vor ein paar 100.000 Jahren entschieden. Das war von Anfang an klar.

SZ-Wissen: Was meinen Sie mit Anfang?

Conway: Den Urknall.

SZ-Wissen: Seit der Entstehung des Universums soll festgestanden haben, dass es Sie und mich einmal geben würde?

Conway: Natürlich nicht uns beide als Individuen. (...) Aber ich behaupte, Lebewesen mit einem großen Gehirn, zwei fokussierfähigen Augen und aufrechtem Gang waren seit dem Urknall angelegt. Und auch, dass diese Lebewesen in einer kognitiven Welt ähnlich unserer heutigen leben würden.

SZ-Wissen: Wie kommen Sie zu dieser These?

Conway: Man muss das Schritt für Schritt entwickeln. Nachdem das Leben auf der Erde erst einmal entstanden ist, war die Anzahl der Möglichkeiten, wie es sich weiterentwickeln konnte, sehr begrenzt. In dem System gab es keine Toleranz. So entwickelten sich zwangsläufig irgendwann die ersten Einzeller. Und dann nach der gleichen Logik die ersten Vielzeller, die ersten Wirbeltiere, die Primaten und ganz am Ende wir Menschen.

SZ-Wissen: Aber warum war jeder dieser Schritte unausweichlich?

Conway: Die Evolution funktioniert wie eine Suchmaschine. Sie sucht nach Lösungen, die sich bereits als erfolgreich erwiesen haben, und verwendet sie immer wieder für verschiedene Lebensformen.
"Keine Toleranz"? Hm, hm! - Es ist sehr interessant, wie Conway Morris denkt aufgrund seiner Forschungen über konvergente Evolution. Man könnte die Schwerpunkte der Argumentation aber auch noch etwas anders setzen. Ich würde in etwa so argumentieren: Wenn es eine Tendenz in der Evolution gibt, Bewußsein, bewußtes, intelligentes Leben hervorzubringen (aufgrund welcher Ursachen auch immer), und wenn diese Tendenz über alle Zweige des Artenstammbaumes hinweg gleichzeitig wirksam ist, und wenn den jeweils entstandenen Arten je auf ihre Weise ihre eigene, individuelle Annäherung an dieses "Ziel" Bewußtsein gelingt, dann können eben ähnliche, konvergente Dinge dabei herauskommen.

Warum? Weil es sein könnte, daß Bewußtsein selbst nur aufgrund bestimmter komplexer Zusammenhänge möglich ist. Eines der wichtigsten Voraussetzungen für Bewußtsein ist Lernfähigkeit, Irrtumsfähigkeit. Dies setzt - offenbar - lange Kindheitsphasen voraus. Jedenfalls wissen wir: Um so länger die Kindheit bei Tierarten ist, um so intelligenter ist die jeweilige Tierart. Das sind die Nestflüchter, die primären und sekundären Nesthocker des Schweizer Biologen Adolf Portmann sowohl bei den Vögeln wie bei den Säugetieren. (Über Gymnospermen und Angiospermen wird da noch vergleichsweise selten geredet, was diese Dinge betrifft ...)

Und weil Kindheit und Nachkommenfürsorge Voraussetzung für intelligentes Leben ist, haben so viele Arten unabhängig voneinander über alle Zweige des Artenstammbaumes hinweg die verschiedensten Formen von Nachkommenfürsorge evoluiert, natürlich ohne in jedem Fall auch jene Formen von komplexem Bewußtsein hervorzubringen wie der Mensch. Aber es könnte tatsächlich so sein, daß hier jede Art eine "Melodie" spielt, die zu anderen "Melodien" in der Evolution paßt, und auf die der Mensch selbst dann auch jeweils "reagiert". - Weil auch für ihn - zum Beispiel - Nachkommenfürsorge ein unwahrscheinlich zentraler, lebensbestimmender Lebensinhalt ist (oder sein kann).

Doch hören wir weiter Simon Conway Morris zu:
SZ-Wissen: Ein Beispiel, bitte.

Conway: Unterirdisch lebende Säugetiere wie der Maulwurf und der australische Beutelmull müssen mit einer großen Menge Kohlendioxid in ihrer Umgebung zurechtkommen. Das Gas ist in den unterirdischen Gängen so stark konzentriert, dass die meisten Säugetiere Probleme bekommen würden. Der Beutelmull ist, wie sein Name sagt, ein Beuteltier, und der Maulwurf ein Säugetier. Wir können also sagen, sie sind nicht miteinander verwandt. Trotzdem überleben beide dank sehr spezieller und komplizierter Anpassungen der biochemischen Vorgänge an die hohe Kohlendioxidkonzentration. Daran sieht man: In einer sehr komplexen Umwelt entwickeln sich sehr komplexe Strukturen. (...)

Ein [anderes] Beispiel sind Pflanzen, die in der Wüste wachsen. Es gibt zwei große Familien: Kakteen und Wolfsmilchgewächse. Sie sind nur sehr entfernt miteinander verwandt …

SZ-Wissen: … und sehen sich so ähnlich, dass nur botanisch gebildete Menschen die Unterschiede erkennen.

Conway: Genau darum geht es. Diesen Mechanismus nennen wir Konvergenz. Beide Pflanzenfamilien haben fleischige und oft etwas eingerollte Blätter, einen milchigen Saft und Stacheln. Auf diese Merkmale hat die Evolution in der trockenen, heißen Umgebung mehrfach zurückgegriffen, weil sie sich als die beste Lösung bewährt haben. Dieses Prinzip findet man selbst auf der Ebene einzelner Moleküle. Das macht die Evolution zu einer vorhersagbaren Wissenschaft.

SZ-Wissen: "Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich", hat Mark Twain gesagt. Verhält es sich mit der Evolution ähnlich?

Conway: Das ist ein schöner Satz, und er stimmt. In der Evolution gibt es einen Rhythmus, eine Art Refrain. Die Natur kann ihn leicht verändern und an den unterschiedlichsten Stellen in einem Lied einbauen. Aber der Zuhörer wird das Grundmuster immer wieder erkennen, ganz egal, ob ein Mensch, eine Krake oder ein anderes Wesen dieses Lied singt. (...)

Mit Außerirdischen verhält es sich wahrscheinlich ähnlich wie mit den ersten Europäern, die in den Tropen eine riesige Artenvielfalt entdeckten. Lauter bizarre Kreaturen schienen das zu sein, ganz anders als im Rest der Welt, so dachte man jedenfalls damals. Aber man muss unter die Oberfläche gucken, dann findet man die Ähnlichkeiten zuhauf.

SZ-Wissen: Können Sie ein Beispiel nennen?

Conway: Mein Lieblingsbeispiel ist der Arm. Wenn man sich das lange, biegsame Tentakel einer Krake genau anschaut, sieht man, dass es genau wie unser Arm ein Handgelenk, ein Ellbogen- und ein Schultergelenk besitzt. Wenn das Tentakel einer Krake und der menschliche Arm im Prinzip gleich gebaut sind, könnte es doch sein, dass dieses Arrangement die optimale Lösung für jede Art von Arm ist.

Warum sollte es dann bei Außerirdischen anders sein?
Conway Morris sagt hier nichts wesentlich Neues, was er nicht schon seit Jahren sagen würde. Aber es ist auch gut, die erstaunlichen Zusammenhänge, die sich hier andeuten, immer wieder auf sich wirken zu lassen. Es kommt bei Conway Morris immer ein wenig zu kurz die Tatsache, wie viel Neues, Unvorhergesehenes die Evolution hervorgebracht hat, wie wenig zumindest der Mensch solche Dinge vorhersehen würde, wie wenig er sich solche Dinge ausdenken würde, wenn er es könnte, bzw. wenn er es wirklich tut (z.B. bei Fabelwesen).

Die Phantasie der Evolution scheint da weitgehend unbegrenzt - und somit auch ihre Möglichkeiten. Wenn dann trotzdem auch Bahnungen und Tendenzen beobachtet werden, muß das nicht heißen (wie offenbar Conway Morris meint), daß die Evolution es nicht grundsätzlich auch anders "könnte", sondern es könnte eben auch heißen, daß die angelegten Tendenzen in der Evolution (in der Weltall-Entwicklung) eben auf etwas anderes hinausliefen, und daß diese darum eben verschiedene Möglichkeiten schlicht "links liegen" ließen.

Nachkommenfürsorge war der Evolution offenbar wichtig. Ebenso geschlechtliche Fortpflanzung. Bei all solchen Dingen hätte sie ja jeweils auch anders weiter machen könnten. Um so komplexer Leben wird, um so mehr scheint ja Evolution auch auf Möglichkeiten zu verzichten, worauf wir schon einmal hinwiesen im Zusammenhang mit der männlichen Brutfürsorge bei Dinosauriern, als wir fragten, "warum die Straße der genutzten Möglichkeiten in der Evolution immer schmaler" wird. (Stud. gen.)

3 Kommentare:

  1. Interessanter Post. Für mich stellt sich aber die Frage, ob das, was wir in unserer Welt derzeit erleben und was - nach Ansicht Conways - seit dem Urknall bereits angelegt war, wirklich von Intelligenz zeugt und die Krönung der Evolution ist? Wenn ja, dann aber gute Nacht!
    Liebe Grüße von Thialfi

    AntwortenLöschen
  2. Thialfi,

    - - - die Freiheit zu Gut und Böse ist das, was den Menschen zum Menschen macht und Eigen- und Selbstverantwortlichkeit in umfassendstem Sinne möglich macht. Es muß sich bei dieser Freiheit um VIELES handeln, wenn sie gewonnen wird dadurch, daß es SO VIEL Unheil zugleich in der Welt gibt.

    Aber wir sollten uns das, was menschliche Freiheit bedeutet, durch all das Bedrückende auch nicht kleinreden lassen. Es gibt heute so überwältigend viel Bedrückendes, weil der Mensch NOCH nicht genug gelernt hat, mit seiner Eigenverantwortung umzugehen. HIER setzt UNSERE Verantwortung, Deine und meine an.

    Da gibt es nichts zu trivialisieren. Da fängt Menschsein an, Menschsein zu sein.

    AntwortenLöschen
  3. Ja Ingo, da stimme ich Dir voll zu. Und - by the way - trotz allem ist das Menschsein etwas wunderbares, sehen wir doch immer wieder, dass es auch anders geht, wenn man nur will! Man kann aber den Eindruck gewinnen, dass gerade Eigenverantwortung in unseren Lehranstalten den jungen Menschen aberzogen wird. Und man kann sich ja in der Anonymität eines großen Konzerns gut vor der Verantwortung drücken. Was kann einem schon passieren? Man wird fortgelobt, ab einer gewissen Stufe der Karriere-Leiter. In der Politik ist es doch ähnlich. Wo wird da Verantwortung getragen? Man steckt - für normale Verhältnisse - eine Menge Geld ein und wenn´s in die Hose geht, dann war´s eben niemand oder man hat von nichts gewusst (siehe Mehdorn). Ich und Du, die wir normale Menschen sind (jedenfalls hoffe ich das) müssen für all unser Tun die Verantwortung tragen und besonders opportun ist in diesen Zeiten ja die "Eigenverantwortung" für die Umwelt, für die Rente, für die soziale Absicherung, für unser gesamtes Handeln. Und das steht meiner bescheidenen Meinung nach in einem krassen Gegensatz zur derzeitigen gesellschaftlichen Situation.
    Wir haben noch nicht genug gelernt. Auch da stimme ich Dir vorbehaltlos zu. Aber lernen wir auch schnell genug, um die größten Katastrophen noch zu verhindern? Oder ist die komplette Auslöschung der Menschheit auch schon im Urknall festgelegt? Vermutlich ja, aber muss es ausgerechnet so früh sein, wo wir doch mit unserem Wissen und Können gerade die Tür zu neuen, zu unbekannten Dimensionen aufstossen?
    Es kann aber auch sein, dass diese Welt zu hoch für Menschen wie mich ist und dann wäre es vielleicht doch von Vorteil, wenn wir rasch verschwänden vom Antlitz der Erde. Man wird es sehen über kurz oder lang.
    Mit lieben Grüßen Thialfi

    AntwortenLöschen