Sonntag, 26. November 2023

Wo liegen die Reichsbürger falsch?

Und warum?

Ausgangspunkt der "Reichsbürger" (Wiki) und aller Menschen, die sich in dem Umfeld der Reichsbürger-Bewegung bewegen, ist ein unglaublich großes Unbehagen. Ein unglaublich großes Unbehagen an den gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen und in vielen Fällen auch an der persönlichen Lebenssituation. In den meisten Fällen wird zwischen beiden - und zwar mit Recht - ein Zusammenhang gesehen, zwischen dem Unbehagen an der gesellschaftlichen Entwicklung und der persönlichen Lebenssituation.

Abb. 1: Demontage, bzw. Abriß des Kaiser-Wilhelm-Denkmals vor dem Berliner Schloß, Januar 1950 (Wiki) (Fotografiert von Otto Donath [1898–1971])

Die geringen Selbstgestaltungsmöglichkeiten, mit denen einhergehend die gesellschaftliche Lebenssituation wahrgenommen wird, führen dazu, daß man die staatliche Ordnung, in der wir leben als etwas "Fremdes", "Aufoktroiertes" wahrnimmt. Der Hinweis darauf, daß die staatliche Ordnung, in der wir leben, etwas geschichtlich Gewachsenes ist, auch über die politischen Umbrüche des 20. Jahrhunderts hinweg, wird hinweg gefegt, weil man selbst die heutige gesellschaftliche Situation als sehr große Unfreiheit wahrnimmt, als Lähmung, als ein im äußersten Maße fremdbestimmtes "System", das als solches von  außen her auferlegt und seit vielen Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten durchgestaltet worden sei.

In Wahrheit ist die heutige gesellschaftliche Situation aber eine andere. Es ist ja unübersehbar, daß selbst noch die heutige Gesellschaft große wissenschaftliche und technologische Errungenschaften mit sich bringt. Es kann also nicht alles "falsch" sein. Wir stehen inmitten eines geschichtlichen Prozesses, in dem aufbauende und zerstörende Kraftlinien in unmittelbarer Nähe zueinander sich weiter bewegen.  

Schon Joseph A. Tainter hat beschrieben, daß moderne, komplex-arbeitsteilige Gesellschaften einer "Mindestproduktion innovativen Wandels" bedürften, um über die Zeitläufte hinweg ihre Lebens- und Zukunftsfähigkeit zu erhalten. Es ist nun diese "Mindestproduktion innovativen Wandels", die seit Jahrzehnten von bestimmten gesellschaftlichen Kräften bewußt und sehr gezielt und sogar methodisch geschult unterwandert und gelähmt wird. Dabei wird sehr gerne im technisch-wissenschaftlichen Bereich eine weiter fortbestehende "Mindestproduktion innovativen Wandels" toleriert. Und diese ist ja bis heute nicht nur "Mindestproduktion", sondern läuft heute immer noch auf Hochtouren. Es dürfte auch sehr schwer sein, hier gar zu viel  zu untergraben. 

Das ist auch gar nicht notwendig. Denn es reicht ja mittel- und langfristig völlig, auf dem sozial-gesellschaftlichen Bereich die "Mindestproduktion innovativen Wandels" zu untergraben, zu lähmen und zu paralysieren. Damit fährt man sehr schnell und sehr zielgerichtet die geschichtlich über mehr als ein Jahrtausend gewachsenen komplex-arbeitsteiligen Gesellschaften der Nordhalbkugel gegen die Wand. Allein über Demographie.

Dieses Untergraben und Lähmen der "Mindestproduktion innovativen Wandels" auf sozial-gesellschaftlichem Bereich hat gar nichts damit zu tun, daß das politische "System", in dem wir leben, und das geschichtlich gewachsen ist, schon an sich "schlecht", böse, falsch oder grundschädlich durchgestaltet wäre. Nein, vielmehr: Der notwendige sozial-gesellschaftliche Wandel hinkt seit vielen Jahrzehnten dem hinterher, was auf diesem Gebiet notwendig wäre und und was wache gesellschaftliche Kreise schon seit Jahrzehnten sehen. Aber auf diese wird nicht gehört. Dadurch wirkt auch das politische "System" selbst als völlig verkrustet und es wirkt so, als ob es keinerlei gesellschaftliche Gestaltungsspielräume und Innovationsmöglichkeiten lassen würde und auch an sich gar nicht könnte. Natürlich kann es das. Deutschland hat noch nie eine so gute Verfassung oder Grundordnung gehabt wie heute. Man nehme doch nur den Wortlaut dieser feierlichen Präambel:

Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.

Im Grundgesetz geht es - schon von seiner Präambel an - um das geschichtlich gewachsene deutsche Volk. Nicht um ideologische Konstrukte. Man lasse sich doch nichts einreden. Man braucht doch nur zu lesen. Unser Parlament dient "Dem Deutschen  Volke", nichts anderem. Der Rechtstheorie nach. 

Nicht "das System" ist schlecht - Medien und Lobbygruppen sind grundschlecht

Ein politische "System", das auf einer solchen Grundordnung beruht, hat mit der gelähmten sozial-gesellschaftlichen Innovationsfähigkeit gar nichts zu tun. Es hat eine lebendige sozial-gesellschaftliche Innovationsfähigkeit immer als selbstverständlich vorausgesetzt - weil die Mütter und Väter des Grundgesetztes auch gar nichts anderes kannten. Ein geändertes politisches, rechtliches System könnte eine solche Innovationsfähigkeit auch gar nicht für sich genommen hervor zaubern.

Aber die viele Jahrzehnte lang weidlich genutzten Manipulationsmöglichkeiten im Bereich der Gestaltung der öffentlichen Meinung reichen völlig dazu hin, ein an sich gutes politisches "System" zu hijacken und die Gesellschaft so umzugestalten, daß notwendige gesellschaftlich-soziale Innovation gar nicht mehr stattfindet, gelähmt und paralysiert ist (Stichwort: "Wir amüsieren uns zu Tode").

Mit diesen Gedanken sollen nicht nur "Reichsbürger" angesprochen sein, sondern alle, die von "System" sprechen und damit die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland - der Sache nach - ablehnen und infrage stellen. Das ist - bekanntlich und mit Recht - Hochverrat. Und das war es immer schon. Und viele Menschen machen sich gar nicht bewußt, daß es das ist oder nehmen diesen Umstand billigend in Kauf. Dann müssen sie aber auch mit den Konsequenzen rechnen, die der auf gesellschaftlich-sozialem Gebiet verkrustete und gelähmte Staat, als "Rechtsstaat" auftretend, ihnen gegenüber aufgrund ihrer - der Sache nach - hochverräterischen Haltung zieht. 

Ein gesellschaftlicher Aufbruch hat es nicht notwendig, ein anderes staatliche System, eine andere Rechtsordnung zu fordern als die, in der wir gegenwärtig leben. Sie ist die Errungenschaft Jahrhunderte langer glänzender gesellschaftliche Entwicklung. 

Ein gesellschaftlicher Aufbruch will vielmehr die durch die Medien gelähmte und außer Kraft gesetzte Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaft auf sozial-gesellschaftlichem Gebiet wieder beleben. Und dafür ist es höchste, nein, allerhöchste Zeit.

Uns helfen weder Indianertänze, noch chaotische, hilflose Infragestellungen und "terroristische" Akte, die die geschichtlich gewachsene staatliche  Ordnung der Nordhalbkugel in Chaos setzen wollen nach dem Motto "Macht kaputt, was euch kaputt macht". Freilich haben zum Beispiel Freimaurer an der Durchstrukturierung der staatlichen Ordnungen der Nordhalbkugel zu einem beträchtlichen Anteil mitgewirkt. Sie konnten es aber nur entsprechend der modernen Ideen der Neuzeit, die es auch ohne sie gegeben hätte, und denen gegenüber auch sie nur auf einen "fahrenden Zug" aufgesprungen sind. Die Anpassungsfähigkeit, zu der die Freimaurer fähig sind, ermöglicht es ihnen, Staaten auch trotz Gewaltenteilung und vom Grundsatz her funktionierenden Rechtsstaat von innen heraus zu lenken. Denn Geheimgesellschaften und Geheimdiensten unterliegen ja so gut wie keiner demokratischen Kontrolle. Alles, was uns diesbezüglich erzählt wird, ist ein Witz.

Ein Otto von Bismarck jedenfalls würde heute nichts anderes sagen als das, was in diesem Blogartikel an Gedanken nieder gelegt ist. Er war nie ein Mensch der Total-Verweigerung und der Alles-Infrage-Stellung und des "Macht kaputt was euch kaputt macht". Er nahm die geschichtliche Situation, wie er sie vorfand und bewegte sich in den Spielräumen, die sie gewährte. Er war damit: das Inbild eines konservativen Revolutionärs. Nur in diesem Sinne ist auch heute sinnvoll Politik und Gesellschaftsreform zu betreiben.

Sie muß freilich viel grundlegender ansetzen als das noch zu Bismarcks Zeiten möglich und notwendig war. 

Sie muß - zum Beispiel - fragen, welche religiöse Ausrichtung wird den modernen Gesellschaften der Nordhalbkugel wieder demographische und soziale Stabilität verleihen? Welche wird ihnen Berechenbarkeit verleihen? Welche wird den Bürger mit den gesellschafltlichen und politischen Verhältnissen und damit mit sich selbst wieder versöhnen? Ohne diese Versöhnung über jene gesellschaftliche Bewußtlosigkeit herbei zuführen, die heute gängig ist und sich wie ein Gift verbreitet hat und in die Seelen der Menschen gesenkt hat.

Zudem ist zu sagen: Viele "Reichsbürger" liegen auch darin - und zwar völlig - falsch, daß sie die notwendige Debatte über die gesellschaftliche-soziale Innovationsfähigkeit auf ein Gebiet lenken, das völlig unfruchtbar ist, um gesellschaftliche Lebendigkeit und Innovationsfähigkeit zu befördern, nämlich das Gebiet des Rechtes. Es gibt nichts Trockeneres und weniger Innovatives als ausgerechnet Rechtsfragen. Rechtsfragen sind im Grunde immer konservativer Natur. Sie hemmen eher Innovation als daß sie diese befördern können. Sollte darüber nicht sogar schon Bismarck das eine oder andere gesagt haben? 

Das Recht hinkt der gesellschaftlichen Entwicklung - das liegt in seiner Natur - fast immer hinterher. Und wenn man jetzt die Uhr bezüglich der rechtlichen Grundlagen auch noch noch weiter "zurück" stellen will, als sie eh schon gestellt ist, macht man alles noch viel schlimmer als es eh schon ist. Die Probleme der heutigen Zeit müssen aus dem gesellschaftlichen Innovationswillen der heutigen Menschen heraus gelöst werden, nicht dadurch, daß ich die Uhren der Grundlagen der staatlichen Ordnung um hundert Jahre und mehr zurück stelle.

Aber vielleicht haben sich die Ausführungen dieses Blogartikels eh schon wieder erübrigt, da die gesellschaftliche Entwicklung auch über die "Hochzeit" der Reichsbürgerbewegung längst wieder hinweg geeilt ist.