Sonntag, 15. Mai 2016

Die Soziobiologie war noch nie ein "zahnloses" Konzept

Im September 2011 hatten wir im Rahmen des sogenannten "Bloggewitters" "Deutungshoheit der Biowissenschaften" (Übersicht siehe --> hier) einen Gastbeitrag auf dem damaligen Blog "Mind at Work" von Elmar Diederichs veröffentlicht ( ursprünglicher Link auf den Scilogs ). Dieser Gastbeitrag ist ebenso wenig wie der ganze Blog von Elmar Diederichs noch im Internet zugänglich (siehe auch GA-j! 2011) (festgestellt am 15. Mai 2016). Deshalb wird unser Beitrag hier auf dem Blog so veröffentlicht, wie er auch schon 2011 zur Sicherheit hier abgespeichert worden war. - Damals wie heute Dank an Elmar Diederichs, dessen öffentlich ausgesprochene Einladung, Gastbeiträge auf seinem Blog "Mind at Work" zu veröffentlichen, wir damals angenommen hatten.

Was für ein Thema - die "Deutungshoheit der Biowissenschaften". Im Umfeld der Soziobiologie (heute: Evolutionäre Anthropologie und Evolutionäre Psychologie) schon seit Jahrzehnten diskutiert. Inzwischen können ja harmlose Lippenbekenntnisse zum Grundkonzept der Soziobiologie und zur evolutionären Bedingtheit des Menschen geäußert werden, ohne daß besonders viele Leute einmal genauer nachfragen würden, ob diese Lippenbekenntnisse eigentlich noch etwas zu tun haben mit dem revolutionären Wandel im Menschenbild, mit dem die Soziobiologie einst, in den frühen 1970er Jahren einmal angetreten war. 

Die wissenschaftliche Akzeptanz dieser einstigen Außenseiter-Disziplin stieg in dem Umfang, in dem sich die Regenbogenpresse eines Teils ihrer Themen annahm. Zum Beispiel unter Stichworten wie "Das egoistische Gen" oder anhand aller Fragen rund um das Thema "sexuelle Selektion". Egoismus und Sex gehen ja immer in der Regenbogenpresse. Dieser Umstand wirkt sich heute auch auf manche innerwissenschaftlichen Diskussionsbeiträge und Lippenbekenntnisse  aus.

Die Soziobiologie - einst angetreten als ein revolutionäres Konzept

Im Gegensatz dazu forschen und publizieren im vollen Bewußtsein der Tragweite der "Deutungshoheit der Biowissenschaften" Koryphäen wie Edward O. Wilson, Richard Dawkins und all ihre mit ihnen sympathisierenden Kollegen schon seit Jahrzehnten. Ebenso auch die innerwissenschaftlichen Gegner dieser als "Hardliner" empfundenen Biologen, etwa Richard Lewontin, Stephen Jay Gould und viele andere auf ihrer Linie. In den Reihen dieser Gegner ist es in den letzten Jahren merklich stiller geworden. "Lewontin's Fehlschluß", ein Fehlschluß dahingehend, daß das Konzept "Rasse" für die menschliche Biologie und Psychologie keine Bedeutung habe, weil die genetischen Unterschiede zwischen Rassen dafür zu gering wären, ist in der Wissenschaft unwidersprochen als ein eben solcher Fehlschluß benannt worden. Und dabei ist der Sache nach auch festgestellt worden, daß es sich um einen - auf den Kopf gestellten naturalistischen Fehlschluß - handelte. Wenige aber nur wagen, sich selbst und anderen die revolutionären Implikationen zu verdeutlichen, die mit der Widerlegung von "Lewontin's Fehlschluß" einhergehen für unser Weltbild und für die "Deutungshoheit der Biowissenschaften".

Das zentrale Paradigma, das die "Deutungshoheit der Biowissenschaften" seit einigen Jahrzehnten mit sich bringt, ist, daß der Mensch von den Biowissenschaften immer deutlicher als Gruppenwesen, als "zoon politikon" erkannt wird. Der Paradigmenwechsel vom "Mensch als Werkzeugmacher" zum "Menschen als soziales Wesen" vollzog sich schon vor Jahrzehnten. Derzeit vollzieht sich der Paradigmenwechsel zum "Mensch als Gruppenwesen". Die Schlußfolgerungen dieses Paradigmenwechsels hinsichtlich einer Deutungshoheit der Biowissenschaften sind aber bislang nur spärlich und zögerlich gezogen worden.

Steven Pinker: Genetisch mitbeeinflußte Begabungen können unterschiedlich auf Rassen und Völker verteilt sein

Der britische Evolutionäre Anthropologe Robin Dunbar wies nach, daß Gehirngröße und Gruppengröße über den gesamten Primatenstammbaum hinweg miteinander korrelieren, was nahelegt, daß die Gehirngröße des Menschen und der Umfang der sozialen Beziehungen, die er bewältigen kann, miteinander in Zusammenhang stehen bei allen Primaten ("Dunbars Number") (siehe sein wunderschönes Buch "Klatsch und Tratsch"). Jane Goodall zeigte am Beispiel der wildlebenden Schimpansen, wie sich das Gruppenleben unserer engsten Verwandten im Tierreich in "Krieg und Frieden" gestaltet. Andere zeigten anhand der Bonobos wiederum ein ganz anders gestaltetes Gruppenleben auf. Im Anschluß an solche Forschungen formulierten David Sloan Wilson und Kevin MacDonald ihr Konzept von den "gruppenevolutionären Strategien", die implizit oder explizit in menschlicher Kultur, in menschlichen Religionssystemen beschlossen liegen.

In den letzten Jahren bildete sich eine "Evolutionäre Religionswissenschaft" und wies nach, daß diese "gruppenevolutionären Strategien" entweder zu evolutions-stabilen oder zu evolutions-instabilen Demographien der betroffenen Gruppen, Religionsgemeinschaften und Völker führen können - je nach ihrer Ausgestaltung. Der Grundgedanke von Charles Darwin wurde damit auf deutlich erweitertem Wissensstand einmal aufs Neue bestätigt wie er schon im Untertitel seines Hauptwerkes enthalten ist: "On the Origin of Species by Means of Natural Selection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life".

Was für ein Anspruch hinsichtlich "Deutungshoheit der Biowissenschaften".

Und dann - dann kam die Mondlandung in der modernen Humangenetik. Die vollständige Sequenzierung des menschlichen Genoms und damit die Erkenntnis, daß Gensequenzen für Körpermerkmale, psychische Merkmale und Intelligenzmerkmale weltweit in ihrer Häufigkeit auf die Völker unterschiedlich verteilt sind. Steven Pinker zog schon 2005 die Schlußfolgerung und erklärte, daß genetisch angeborene Begabungen - als Ergebnis der Evolution - unterschiedlich auf Völker und Rassen verteilt sein können. Unzählige Humanwissenschaftler auf der ganzen Welt stimmen ihm zu.

Frank Schirrmacher: Die gespenstische Abgebrühtheit der gesellschaftlichen Eliten macht nur noch sprachlos

Die Debatte ist in vollem Fluß. Der naturwissenschaftlich informierte Historiker und Politiker Thilo Sarrazin nahm sie 2010 auf. Der soziobiologisch informierte Frank Schirrmacher erkannte sofort die eigentlichen Implikationen der Sarrazin-Debatte in Bezug auf die "Deutungshoheit der Biowissenschaften". Und auch Norbert Bolz sprach von "Geschichtszeichen". Deutsche Intelligenzforscher wie Heiner Rindermann und der - von Hirnforscher Gerhard Roth geförderte - Detlef Rost haben in der Öffentlichkeit noch wenig Unterstützung von Seiten der biowissenschaftlich orientierten Fachkollegen erhalten. Auf die Dauer wird sich diese Situation aber nicht halten lassen.

Und dann erst wird in vollem Umfang erkennbar werden, wie implikationsreich die "Deutungshoheit der Biowissenschaften" geworden ist. Sie stellt grundlegende gesellschaftliche Konzepte infrage, wie sie heute von allen großen Parteien des deutschen Bundestages vertreten werden. Weshalb Thilo Sarrazin auch in der Debatte im letzten Jahr von ihnen allen so scharf geschnitten worden ist. Norbert Bolz hatte recht: Die Politiker - aber auch viele Biowissenschaftler - leben heute noch in einer "Parallelgesellschaft" und sind sich der schiefen Ebene gar nicht bewußt, auf der sie sich bewegen. Man darf gespannt sein, wie sich hier die geistigen Auseinandersetzungen künftig weiter gestalten werden.

Was ist dran an den technischen Möglichkeiten, die Bastian Greshake aufzeigt? Wird es künftig parallel zu einem "Guttenplag" noch ganz andere Internetseiten geben, die die Kommunikationsunwilligkeit zahlreicher Biowissenschaftler zu den eigentlich gesellschaftlich brisanten Fragen bezüglich der "Deutungshoheit der Biowissenschaften" aufbrechen werden? Wird es Frank Schirrmacher sein, der mit einem neuen Bestseller seine jüngst geäußerte "Sprachlosigkeit" überwindet, als er über die CDU und ihren Verrat grundlegendster bürgerlicher Werte sagte:

"Der geradezu verantwortungslose Umgang mit dem demographischen Wandel macht in seiner gespenstischen Abgebrühtheit einfach nur noch sprachlos."

Wir leben in aufwühlenden Zeiten.

[Vor allem 
sprachlich 
überarbeitet: 
26.3.2021]

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