Dienstag, 9. September 2014

"Das unerreichbare Herz" (1949)

Der erste Nachkriegsroman von Karl Springenschmid
- Vom Ringen um eine neue Form des Lebens
Die nachfolgende Buchbesprechung in ähnlicher Form auch andernorts erschienen (Amaz.).
"Das unerreichbare Herz". Dies ist der erste Roman, den der deutsche Schriftsteller Karl Springenschmid (1897-1981) (Wiki, Salzburg-Wiki) nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlicht hat , nämlich 1949. Folgeauflagen erscheinen 1958, 1966 und 1976. Der Roman behandelt die inneren Erschütterungen einer jungen, ganz nach innen lebenden Frau, deren Ehemann seit dem letzten Jahr des (Zweiten) Weltkrieges als Soldat vermißt wird. Er handelt von den Erschütterungen und von den Gedanken, durch die sie aus der "Sackgasse" dieser Liebe - nämlich zu einem "unerreichbaren Herz" - wieder zurück ins Leben findet.

Das waren auch sonst drängende Fragen der damaligen Zeit. Oft über Jahre waren Männer und Frauen damals durch Krieg, Kriegsgefangenschaft und Vertreibung getrennt, entfremdeten sich oft. Es war individuell sehr verschieden, wie mit dieser Situation umgegangen worden ist. Er in den letzten Jahren ist der Geschichtswissenschaft verschiedenenorts diese damals vorliegende generationenweite Problematik bewußt geworden. Über viele Jahrzehnte hinweg war über sie mehr geschwiegen als gesprochen worden. Springenschmid selbst hatte Schicksale dieser Art im nächsten Bekanntenkreis erlebt. Er war von ihnen aufgewühlt. Und er fühlte sich veranlaßt, mit diesem Roman zu reagieren.

Autor heiterer und erschütternder Romane

"Nove" erschien auch auf Niederländisch
Insgesamt schrieb Springenschmid nach 1945 drei bewegende, besser: erschütternde Romane, in deren Mittelpunkt ein Frauen- bzw. Mädchenschicksal steht. Auf diesen ersten Roman folgte 1951 "Novè - Mädchenschicksal zwischen Ost und West" (Folgeauflagen 1954, 1960 und 1969), sowie 1953 "Das goldene Medaillon" (Folgeauflagen 1954, 1956, 1959, 1962 und 1977).

Diese Romane wurden - wenigstens zum Teil (s. Abb.) - auch ins Niederländische übersetzt. Erst in den Folgejahren wandte sich Springenschmid mit "Ein Mensch unterwegs" (1953) (Folgeauflagen 1955, 1980) wieder einem männlichen Lebensschicksal zu, allerdings einem, in dem wiederum auch Frauen eine große Rolle spielen. In Folgeauflagen erschien der Roman auch unter dem Titel "Frauenarzt Jan Lujka".

Springenschmid war in der Zeit vor 1945 eigentlich vornehmlich als Autor "heiterer" Romane bekannt geworden. Es handelte sich insbesondere um Bergsteiger- und Ski-Romane. Auch diese waren aber alle schon weitaus mehr als nur "heiter". Sie sind liebenswert und gehaltvoll noch heute und erlebten deshalb auch noch viele Jahrzehnte nach 1945 viele Auflagen: "Am Seil vom Stabeler Much" (zuerst 1933), "St. Egyd auf Bretteln" (1935), "Da lacht Tirol" (1935), "Ein Tiroler geht nicht unter" (1939). Nach 1945 folgte auf dieser Linie "Die Tschullerer Buben" (1952), "Sieben Tage Sexten" (1965), "Rundherum Abgrund" (1977), "Engel in Lederhosen", "Sieben Takte Liebe" (eine Salzburg-Novelle). Und "Die sizilianische Venus", sie spielt - wie der Titel auch schon andeutet - auf Sizilien.

Springenschmid war 1931 mit "Der Sepp - Lebensroman von Sepp Innerkofler" bekannt geworden. Es sollte sein erfolgreichstes Buch überhaupt sein und bis heute bleiben. Es handelte von einem Tiroler Bergführer, der 1916 im Ersten Weltkrieg bei Verteidigung seiner Heimat fiel. 1975 ist er in 57. Auflage erschienen (s.a.: 1, 2).

Seine Romane - Nach 60 Jahren immer noch jung und frisch 

Liest man viele zeitgenössische Besprechungen (3), so wird schnell deutlich, daß die Zeitgenossen die Bedeutung von Springenschmid oft noch nicht so wahr genommen haben wie das heute möglich geworden ist. Diese behandelten ihn fast alle als einen Romanautor "unter vielen". Während aber der größte Teil der anderen Autoren längst - und mit sehr großem Recht - vergessen ist, sind die Romane Springenschmids erschütternd und in der Aussage gültig geblieben als wären sie erst gestern herausgekommen. Jung und frisch stehen sie da. Ihr Alter von mehr als 65 Jahren ist ihnen nicht anzumerken. Nichts Verquastetes, nichts Verstaubtes, noch heute sprüht Jugendlichkeit und Frische aus allem hervor.

"Das unerreichbare Herz" ist in drei Teile gegliedert. Die ersten beiden Teile geht man mit immer größerer Anteilnahme mit. Ein Springenschmid, ein echter, sagt man sich mit jeder Seite mehr. Gertrud Gorenflor. Irgendein besonderer Name muß es natürlich sein. Sonst wäre es ja nicht Springenschmid. Eine Frau, zurückhaltend, sparsam gezeichnet. Sie hat einen Mann, Rainer Gorenflor. Er ist ein außergewöhnlicher Mann. Aber zugleich ebenfalls ganz unauffällig, zurückhaltend, nur in Andeutungen gezeichnet. An der stärksten Stelle übrigens wird er mit Hilfe eines Gedichtes von Josef Weinheber gekennzeichnet. Gefallen ist der Mann - höchstwahrscheinlich - in Kämpfen mit Partisanen in der Slowakei 1945. Offiziell aber gilt er als "vermißt".

Springenschmid läßt den Handlungsablauf am Ende des zweiten Teiles des Romanes mit einem Ereignis enden, das einen als Leser, der zuvor emotional stark mitgegangen ist, auf den Autor geradezu mit Haß reagieren läßt. Eine seltene Erfahrung.

Für Tage kann man das Buch nicht mehr in die Hand nehmen. Denn dafür ist man zu aufgewühlt. "Dieser Mann, der Springenschmid, ist einfach nur ein Mistkerl," so ist das Grundgefühl. Man ist abgestoßen. "Mußte" der Geschehens-Ablauf wirklich so sein, so fragt man sich. - Warum? - Und erneut stellt man sich diese Frage, wenn man das Ende auch des dritten Teiles fast erreicht hat und die "Lösung" der im Roman gestellten Problematik durch den Autor vor einem steht. Auch im dritten Teil kommt der Roman einem beim Lesen streckenweise so sinnlos vor. Man haßt den Autor.

Aber der Roman "rumort" zugleich in einem. Zu stark hatte er einen schon in den ersten beiden Teilen mitgehen lassen. Und schließlich will man ihn, "muß" man ihn doch zu Ende lesen. Er handelt vom Ringen um eine neue Form des Lebens. Nachdem alle früheren Formen durch die Ereignisse des Jahres 1945 zerbrochen worden sind, fragwürdig geworden sind. Springenschmid hat, wie aufgezählt, viele Romane geschrieben. "Das unerreichbare Herz" wird sicher sein ungewöhnlichster sein.

Thema ist: Wie kann eine Frau nach kurzer, tief verinnerlicht erlebter Liebe und Ehe und nachdem der Mann seit dem letzten Jahr des Krieges als vermißt gilt, weiter leben? Und nicht nur weiter "existieren". Springenschmid behandelt an einem einzelnen Lebensschicksal, was ihn grundlegender umtreibt: Wie kann ein Volk, wie kann eine Welt, denen es um solche Menschen und Frauen wie den dargestellten um mehr als um alle anderen gehen muß, weiter leben? Wobei ihm beides gleich wichtig ist: Seelisches und biologisches Weiterleben.

"Konstruiertes" im ersten Nachkriegsroman?

Die Nationalsozialisten hatten ja die Lebensborn-Heime gegründet nicht zuletzt aus Sorge um das biologische Weiterleben des Volkes. Doch Springenschmid geht es um mehr. Es geht ihm darum, "die Substanz zu erhalten", wie er an einer Stelle einen Protagonisten sagen läßt. Damit ist die seelische Substanz gemeint. Wie kann sie erhalten werden, ohne die biologische zu opfern? Während die Nationalsozialisten eigentlich nur die biologische Substanz gesehen hatten, sieht Springenschmid mehr noch die ganze seelische Not seiner Zeit. Vor allem die seelische Not der am verinnerlichsten lebenden jungen Menschen. Der Frauen. Seit 1945 war - und ist - beides zutiefst fragwürdig geworden: die biologische wie die seelische Substanz. Und Springenschmids Anliegen war es, beides zu "sichern". Und was ein Springenschmid machte, machte er ganz. Er machte keine halben Sachen. Springenschmid wäre sonst nicht Springenschmid gewesen.

Und so oft man tatsächlich streckenweise als Leser auch daran zweifelt: Der Autor löst die Aufgabe, die er sich gestellt hat. Noch während des Lesens kommt einem gegen Ende des Romans manches "konstruiert" vor. Legt man den Roman aber aus der Hand, merkt man, daß er etwas mit dem Leser gemacht hat. Und das kann er nur, wenn er mehr ist als nur etwas "Konstruiertes". Konstruiertes kann nur Gedanken auslösen. Der Roman aber erschüttert. Ein klares Zeichen dafür, daß Springenschmid die Lösung seiner Aufgabe gelungen ist. Obwohl man es - fast - nicht glauben kann oder will.

Und doch bleibt ein Rest. Als Leser kann man ihm alles verzeihen. Doch daß er das Schicksal eines unschuldigen Kindes in diesem Roman - am Ende des zweiten Teiles - eine solche Wendung nehmen läßt. Nachdem er es einem so ans Herz hat wachsen lassen - - - Er, der Autor, hätte doch die Freiheit gehabt, es anders zu schreiben. Warum tut er das? Mit dem Verstand ist es vielleicht zu begreifen, daß es womöglich auch noch dieser Erschütterung bedurfte bei dem gestellten Thema. - - -

Aber vielleicht spiegelt sich in der Wahl einer solchen Härte im Handlungsablauf auch noch etwas wieder von der Härte dessen, was da auch in Springenschmid selbst "neu" werden mußte, anders werden mußte in dieser Zeit. - Zusammen gefaßt: Erneut bestätigt sich, daß man kaum wertvollere Lektüre zu nennen wüßte, als die der Romane von Karl Springenschmid.
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  1. Bading, Ingo: "Das wiedergefundene Antlitz" von Karl Springenschmid (1944) - Kunstraub, Kunstschutz und Massenmord aus ungewohnter Perspektive. GA-j, 20. Juli 2010
  2. Bading, Ingo: Costabella - Berg meiner Jugend. Auf: Studium generale, 22. November 2007, http://studgendeutsch.blogspot.com/2007/11/costabella-berg-meiner-jugend.html
  3. Zeugnisse zu Karl Springenschmid. Auf: http://www.historisches-alpenarchiv.org/data/dokumente/main/27/00130126_m.pdf
  4. Bading, Ingo: Portrait einer Generation - "Servus Heiner" - Karl Springenschmid erinnert sich an seinen Freund Karl Heinrich Waggerl. GA-j!, 12. August 2010
  5. Laserer, Wolfgang: Karl Springenschmid - Leben, Werke, Fotos, Dokumente. Biographie. H. Weishaupt Verlag, Graz 1987

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