Dienstag, 11. Juni 2013

Hitlers "Absinken in die Wiener Elendszeit, in die ich nicht mehr hineingehörte"

Ein ausgesprochen kultivierter Jugendfreund Adolf Hitlers

Erstmals erschienen 1953
1953 wurden sie erstmals veröffentlicht. Die Jugenderinnerungen des August Kubizek (1888 - 1956) an seinen Jugendfreund Adolf Hitler (1). Kubizek war der einzige Freund, den Hitler damals hatte. Sie lernten sich im November 1904 als Besucher des Linzer Theaters und Opernhauses kennen. Sie gingen gemeinsam zum Studium nach Wien. Kubizek blieb seinem Jugendfreund Hitler lebenslang dankbar dafür, daß sein Musikstudium von Hitler bei seinen Eltern durchgesetzt worden war. 

Aber im Sommer 1909 wurde die Freundschaft in Wien von Hitlers Seite aus abrupt beendet. Hitler verschwand aus dem Gesichtskreis von Kubizek, ohne daß Kubizek ihn durch Nachforschungen, auch bei der Verwandtschaft Hitlers, wiederfinden konnte. Erst nach dem Anschluß Österreichs 1938 kam es zu einigen erneuten Begegnungen.

Die Freundschaft Hitlers mit dem musikalisch sehr begabten Kubizek gründete auf der Liebe zur Oper. Insbesondere auf der Liebe zu Richard Wagner. Kubizek beschreibt eine durchgängig sehr kultivierte und gepflegte Freundschaft. Allerdings berichtet er auch schon von wiederkehrenden "Wutausbrüchen" Hitlers, wenn eines von den vielen Themen angesprochen wurde, die diese auslösen konnten. Kubizek schreibt von Hitlers (1, S. 25)
späterem Absinken in die Wiener Elendszeit, in die ich nicht mehr hineingehörte.
Man möchte meinen, daß mit diesem Satz der Tenor seiner Erinnerungen sehr gut erfaßt ist. An anderer Stelle schreibt Kubizek (1, S. 315; zit. n. 3, S. 80):
Es war der Weg in die Einsamkeit, in die Wüste, in das Nichts.
Und noch an anderer Stelle schreibt Kubizek (1, S. 121):
Im Mai und Juni des Jahres 1906 war er bereits in Wien gewesen, lange genug, um sich an dem, was ihn vor allem nach Wien zog, das Hofmuseum, die Hofoper, das Burgtheater, die großartigen Bauten am Ring, zu begeistern, zu kurz, um die Not und das Elend zu sehen, das sich hinter der prunkvollen Fassade der Kaiserstadt verbarg.
Diese Erinnerungen scheinen durch und durch redlich, ehrlich und im Bemühen um allergrößte Authentizität verfaßt worden zu sein. Durch sie kommt man "sehr dicht" an diesen damals ja ganz unbekannten Adolf Hitler heran. 

Und man versteht es vor allem nun viel besser, was es heißt, wenn immer gesagt wird, Hitler sei eine "gescheiterte Existenz" gewesen. Allerdings: Wenn man berücksichtigt, daß ein so bedeutender Maler wie Emil Nolde (1867 - 1956) seine Existenz zunächst auch allein mit Postkarten-Malen sicherstellte - und auch sicherstellen konnte (2) - relativiert sich sicherlich auch wiederum eine gar zu undifferenzierte Sichtweise auf eine etwaig "gescheiterte Existenz" Adolf Hitler. 

Hitler - eine "gescheiterte Existenz"

Alle wissen wir, daß Lebensläufe scheitern können. Wer sich zum Beispiel während seines eigenen Studiums ein wenig umgetan hat oder umtut, wer sich im Freundes- oder Bekanntenkreis umtut, kann leicht auch heute noch auf solche Biographien wie der damaligen des Adolf Hitler stoßen. Damit soll nicht gesagt sein, daß tausende von "Adolf Hitlers" in unserer Welt herumlaufen. Sondern damit soll vor allem das abfällige Reden von der "gescheiterten Existenz" des "Kunstmalers" Adolf Hitler ein wenig ins Verhältnis gesetzt werden zu der alltäglichen Erfahrung, die auch wir haben oder haben können.

Auch man selbst hätte leicht auf eine solche "Bahn" kommen können. Es hätten ja nur ein paar Parameter des äußeren persönlichen Lebens anders eingestellt gewesen zu sein brauchen. Und schon hätte nichts weniger als ein solches Scheitern, eine solche kaffkaeske Existenz nahegelegen. Der Autor dieser Zeilen hat außerdem berufliche Erfahrung in der Beratung von HartzIV-Empfängern. Darunter auch von Jugendlichen und Schulabbrechern. Hier trifft man natürlich ständig auf solche Lebensläufe. Überhebe sich nur keiner.

Und Hitler war ja tatsächlich noch nicht einmal nur "Studienabbrecher". Er hatte keinen Schulabschluß. Den er allerdings auch für die von ihm angestrebe Aufnahmeprüfung in der Kunstakademie in Wien nicht brauchte. Allerdings hat er auch diese Aufnahmeprüfung zwei mal nicht geschafft. Und für das ihm ersatzweise angeratene Architekturstudium hätte er dann doch den Schulabschluß gebraucht. Hitler war dann aber zu steif in dem Glauben an sich selbst, um nun entweder den Schulabschluß dennoch anzustreben oder andererseits auf eine akademische Laufbahn wirklich verzichten zu können. Er fühlte sich zu "Höherem" berufen. Aber wie viele gibt es unter uns, von denen nicht Vergleichbares gesagt werden könnte?
Hitler war ein Verlierer, heißt es allerorten. Wer wäre es denn nicht? "Wir sterben alle am Wege: wer von erreichten Zielen spricht, ist ein Narr," sagte ja schon Gorch Fock (4, S. 75). Und solche Leute können ja oft auch mehr oder weniger als schrullige Menschen enden. Auf welche Weise Hitler "endete", wissen wir. Man könnte dieses Ende durchaus ebenfalls "schrullig" nennen mit seinem Hoffen auf Wunderwaffen und Wunder (5).

Hitler fühlte sich "zu Höherem berufen"

Worauf aber viel zu wenig in diesem Zusammenhang hingewiesen wird: Hitler war zunächst Halbwaise und wurde schließlich Vollwaise. Und mit seinen Verwandten verstand er sich kaum. Nachdem er sich von seinem Jugendfreund Kubizek getrennt hatte, hatte er keine Menschenseele auf der Welt, der er sich wirklich hätte anvertrauen können.

Kubizek arbeitet gut heraus, wie aufgewühlt Hitler eines Abends noch in Linz nach dem Ansehen der frühen Wagner-Oper "Rienzi" war. Hitler wollte ein solcher "Volkstribun" werden wie dieser Rienzi. Er fühlte sich unmittelbar persönlich von der Handlung dieser Oper angesprochen. Und auch darüber mag lächeln, wer will. Kubizek macht deutlich, wie authentisch dieses Erlebnis für Hitler war und darum auch für ihn selbst, den Freund. Als sie sich schließlich um 3 Uhr nachts nach aufgewühlten Wanderungen durch die Nacht trennen, geht Hitler immer noch nicht nach Hause. Sondern er wandert ein weiteres mal in die Nacht hinaus unter den Sternenhimmel. So aufgewühlt ist er.

Kubizek damals
Interessanterweise galten auch diese Jugenderinnerungen an Hitler lange Zeit als bis zu 90 Prozent für "erstunken und erlogen" (s. Wiki). Das wird der Grund dafür sein, daß sie heute vergleichsweise wenig bekannt sind. Und daß sie auch so wenig in das allgemein verbreitete Bild von Adolf Hitler eingeflossen sind. So dicht an sich dran wollte man wohl lange Jahrzehnte lang Hitler nicht haben. Ob man es heute will? Auf Wikipedia steht jedenfalls heute:
Die neuere Forschung – so z. B. Brigitte Hamann – schätzt Kubizek als einen im großen und ganzen glaubwürdigen Zeugen ein und hält den Großteil seiner Aussagen für wahr.
Man wird übrigens auch die Erinnerungen von Josef Greiner, die wir hier auf dem Blog schon ausgewertet haben (5), nach dieser Lektüre mit neuen Augen lesen. Kubizek erwähnt dieses Buch in seinen Erinnerungen nicht, wird es aber doch gelesen haben als der gründliche Mensch, als der er sich in diesem Buch mit fast jedem Wort präsentiert. Kubizek erwähnt in keiner Weise jene okkulte Interessen Hitlers, die Greiner beschreibt. Haben diese sich erst herausgebildet mit Hitlers
"späterem Absinken in die Wiener Elendszeit, in die ich" (Kubizek) "nicht mehr hineingehörte" -? Während seines Weges "in die Einsamkeit, in die Wüste, in das Nichts" - ?
Man würde sich dann ja unmittelbar an den "Demian" von Hermann Hesse erinnert fühlen, in dem Hesse ja auch - autobiographisch - von einer "Elendszeit" berichtet, auf einer dem normalen bürgerlichen Leben gegenüberliegenden, "anderen" Seite eines sozialen Grabens. Zu der er, Hesse, sich immer schon hingezogen gefühlt hätte.

Will man Hitler nicht "so dicht" an sich heranlassen?

Und man bekommt so ungefähr eine Ahnung davon, daß Hitlers Neigung zu okkulten Interessen unmittelbar anschließen konnte an aufgewühlte Erlebnisse aus Anlaß des Besuchs von Wagner-Opern. Oder auch an die Wundergläubigkeit, mit der Hitler, wie Kubizek berichtet, auf Lotterielose hoffte. Und es ist ja auch nichts wahrscheinlicher, als daß man gerade als sozial und akademisch "Gescheiterter", als Vollwaise besonders leicht okkulten Interessen nachhängen kann. Nachdem man soziale und berufliche Erfolge über die Orientierung an der normalen, alltäglichen Welterfahrung nicht hat erreichen können, wendet man sich eben - - - okkulter "Welterfahrung" zu.

Kubizek  berichtet auch, daß Hitler eine Oper komponieren wollte, indem er ihm, Kubizek, die Melodien vorsang, die dieser dann zu Papier bringen sollte, da Hitler sich mit Notenschrift nicht auskannte. Dieses "Komponieren" geschah kurz vor Ende der Freundschaft mit Kubizek und vor dem sozialen Übergang Hitlers "in die Wiener Elendszeit" in die er, Kubizek, "nicht mehr hineingehörte". Der hilflose Versuch, auf diese Weise zu komponieren, wo er als Künstler und Architekt nicht hatte seinen Weg weitergehen können, ist wohl ein typisches Kennzeichen für wachsende Realitätsferne und die Anlehnungsbedürftigkeit an im Grunde unzulässige "Hilfsmittel".

- - - Dies ist jedenfalls ein Blogbeitrag, der im weiteren Sinne zu dem mehrteiligen Blogartikel-Serie "Die Schicksalsgläubigkeit des Adolf Hitler" (5) hineingehört. Eine Artikel-Serie übrigens, die in den letzten Monaten auch sonst (innerhalb der Artikel) immer wieder ergänzt worden ist. Und die auch weiterhin ergänzt werden wird, da sie - vermutlich - einen völlig neuen Ausgangspunkt bietet zum tieferen Verständnis des Wesens jener Politik, die in und mit dem "Dritten Reich" gemacht worden ist. Man hätte zum Beispiel gerne gewußt, was der auch sonst vergleichsweise redlich forschende Historiker Werner Maser (1922 - 1907) zu den Forschungsergebnissen von Stephan Berndt zu Adolf Hitler gesagt hätte.

(Mit Dank für die Bücherspende einer jüngst verstorbenen Blogleserin aus dem Raum Hannover, durch die dieser Blogbeitrag angeregt wurde.
Blogbeitrag wurde ergänzt am 27.6. und 9.7.2013)
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  1. Kubizek, August: Adolf Hitler Mein Jugendfreund. 5. Auflage, Leopold Stocker Verlag, Graz 1989 (Erstauflage 1953) (Google Bücher) (2009 ist die 9. Auflage erschienen)
  2. Danker, Uwe: „Vorkämpfer des Deutschtums" oder „Entarteter Künstler" - Nachdenken über Emil Nolde in der NS-Zeit. Jahrbuch Demokratische Geschichte Band 22, Band 14, 2001. Das Digitalisat ist online einsehbar über die Homepage des Beirats für Geschichte http://www.beirat-fuer-geschichte.de/startseite.html (pdf)
  3. Maser, Werner: Adolf Hitler. Legende - Mythos -Wirklichkeit. Wilhelm Heyne Verlag, München 1983 (8. erweiterte Auflage; Ersterscheinen 1971) 
  4. Fock, Gorch: Sterne über dem Meer. Hrsg. von Aline Bußmann. 1918 (Google Bücher)
  5. Bading Ingo: Die Schicksalsgläubigkeit des Adolf Hitler. Auf: GA-j!, 2012

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