Dienstag, 16. Oktober 2012

Gefallen in Weißrußland, Dezember 1943

Im Frontlazarett gestorben mit 19 Jahren - Ein Cousin meines Vaters

Die Pronja (Wiki, russ) ist ein wenig aufsehenerregender Fluß in Weißrußland. Nichtsdestotrotz hat dieses Flüßchen schon vielfältigste Geschichte gesehen. Grabhügel entlang seines Verlaufes stammen aus der Bronzezeit. Sie künden von dem Leben indogermanischer Stämme in dieser Region. Die frühesten derselben waren die Mittlere Dnjepr-Kultur (Wiki) und der weiter nördlich angesiedelte Fatyanovo-Kultur (Wiki). Letztere bildete die Vorfahrengruppe jener Völkerschaften, die später als Arier nach Nordindien einwanderten (Stgen2020).

1708 fand an diesem Flüßchen, 75 Kilometer südwestlich von Mogilew, die Schlacht bei Lesnaja (Wiki) statt. In ihr besiegte Zar Peter I. eine Teilarmee der schwedischen Armee, die unter dem Schwedenkönig Karl XII. Krieg mit Rußland führte.

Abb. 1: "Über die Pronja, 23.7.1941" (Beschriftung auf der Rückseite dieser Fotografie)

Die Armee Napoleons überschritt die Pronja auf ihrem Vormarsch auf Moskau im Jahr 1812 ebenso wie auf ihrem Rückzug im selben Jahr. 

Im Juli 1941 überschritten deutsche Truppen die Pronja bei ihrem stürmischen Vormarsch auf Moskau (s. Abb. 1). 

In den deutschen Rückzugskämpfen des Herbst und Winter 1943/44 sollte die Pronja erneut eine Rolle spielen. Die Geschichtswissenschaft behandelt die damaligen Geschehnisse unter dem Stichwort der "Smolensker Operation" (Wiki):

Am 7. August griffen die 10. Gardearmee (General K. P. Trubnikow), die 33. und 49. Armee (Generalmajor I. T. Grischin) der Westfront an und drohten die deutsche Gruppierung bei Spas-Demensk einzukesseln, weshalb die deutsche 4. Armee (Generaloberst Heinrici) begann, sich geordnet zurückzuziehen. (...) Im Raum Kirow hielt das LVI. Panzerkorps bei Pesotschnja Anschluß an das LV. Armeekorps der 2. Panzerarmee (A.O.K. am 18. August herausgezogen, dann Befehlsbereich der 9. Armee). Die Gruppe des Generals Hoßbach war westlich des Flusses Bolwa konzentriert: im Süden hielt die 321. Infanterie-Division am Westufer des Flusses Stellungen gegenüber Kirow, im Westen und Norden des Frontvorsprunges hielten die 131. und 14. Infanterie-Division gegenüber der sowjetischen 10. Armee. Zwischen Bolschucha und Alexsandrowskoje spielte sich der Hauptkampf um den Besitz der Rollbahn Roslawl-Juchnow ab, am nördlichen Flügel wurde hier die abgekämpfte 9. Panzer-Division aus der Reserve zugeführt. (...) Am 2. Oktober erhielten die sowjetischen Truppen im Raum östlich von Tschaussy den Befehl, die Offensive zu stoppen. Die Truppen der Westfront beendeten die Operation an der neuen Frontlinie Ljady, Drybin und am Fluß Pronja.

In einem anderweitigen Blogbeitrag (StgrNat2012) ist aus der Soldatenzeit des Opas des Verfassers dieser Zeilen berichtet worden. In diesem Zusammenhang war auch davon berichtet worden, daß er 1942 oder 1943 beim Durchmarsch durch eine französische Stadt noch einmal zufällig seinen Neffen Siegfried Lindenberg (1924-1943)*) aus Großwusterwitz getroffen hat, der dort vor einer Kaserne Wache gestanden hat. Sie hatten sich eine Verabredung für abends zurufen können und sich dann noch einmal sprechen können. 

Abb. 2: Die weißrussische Stadt Mogilew am Dnjepr im Juli 1941 (Bdarch, Bild 101I-138-1091-29A / Kessler, Rudolf / CC-BY-SA)

Mein Opa hat hier seinen Neffen zum letzten mal gesehen. Siegfried war erst 19 Jahre alt. Er war hell begeistert vom Nationalsozialismus, so wird berichtet. 

Aus dieser Haltung heraus war er wie selbstverständlich dazu bereit, sein Heimatland mit seinem Leben zu beschützen.

Siegfried kam dann nach Rußland an die Ostfront. Er war Unteroffizier im 9./Gren.Rgt. 431. Seine Einheit wird also im Rahmen der 131. Infanterie-Division (Wiki) unter dem Ritterkreuzträger General Heinrich Meyer-Bürdorf (1888-1971) (Lex.d.Wehrm., Rkrtr) zum Einsatz gekommen sein. 

Es war dies die sogenannte "Schwert-Division".

Die "Schwert-Division" (1941-1944)

Schon vom Beginn des Rußland-Feldzuges an war sie an der Ostfront eingesetzt. 

Im Jahr 1941 hat sie eine Fußmarsch-Leistung von 2000 Kilometern hinter sich gebracht (Wwiidbd).

Abb. 3: Lazarett in Rußland, Juni 1941 (Bundesarchiv, Bild 101I-137-1041-30 / Menzendorf / CC-BY-SA)

Von 1941 bis 1944 war sie im Bereich der Heeresgruppe Mitte eingesetzt. 

Vor den Rückzugskämpfen im Zusammenhang mit der genannten Smolensker Operation des Jahres 1943 war sie während des Jahres 1942 etwas weiter östlich von jenem Gebiet eingesetzt, in dem sie im Jahr 1943 zum Einsatz kam (For.d.Wehrm., 2007). 

Abb. 4: 1982 erschienen
Über den Einsatz der 131. Infanterie-Division im Jahr 1943 ist zu lesen (Wiki):

1943 wurde die 131. ID bei Kirow eingesetzt und war dort Abwehrkämpfen mit der Roten Armee bei Kirow, Jakimowo und Bjeloy ausgesetzt. Der Druck des Gegners wurde zu stark, so daß sich die Division über die Desna zurückziehen mußte, von dort aus ging es weiter in Richtung Westen über Bogdanowo, über den Sosch bis zur Pronja südlich von Tschaussy. Am Fluß Pronja lag die Einheit dann in jahrelangem Stellungskampf.

Die hier geschilderten Kämpfe zogen sich also - wie auf Google Maps nachverfolgbar - über etwa 300 Kilometer hin: Kirow (Oblast Kaluga) (Wiki) liegt 300 Kilometer östlich von Petrowitschi (G-Maps), jenem Ortslazarett, in dem Siegfried am 4. Dezember 1943 gestorben ist. 

Roslavl (Wiki), an einem Nebenfluß des Sosch gelegen, liegt 180 Kilometer östlich von Petrowitschi. Tschaussy (= Tschawussy) (Wiki, fr) am Fluß Pronja liegt 27 Kilometer östlich von Petrowitschi, Barischewka liegt 39 Kiolometer östlich von Petrowischi. Auf dem russischen Wikipedia-Artikel zum Fluß Pronja ist zu lesen (lt. Google Übersetzer) (Wiki):

Am 12. und 13. Oktober 1943 fand am Oberlauf von Pronja und Mereya auf dem Gebiet des Gorki-Distrikts die Schlacht von Lenino statt - die erste Schlacht der 1. Warschauer Infanteriedivision, die nach Tadeusz Kosciuszko benannt wurde.  Von Oktober 1943 bis Juni 1944 verlief einer der Frontabschnitte entlang der Pronja. Die Verluste der sowjetischen Truppen allein auf dem Gebiet der Region Tschaussy (Chausy) beliefen sich auf mehr als 16.000 Menschen.

Es hat sich um sehr verlustreiche Kämpfe an diesem Fluß Pronja gehandelt. In deren Zusammenhang hat auch Siegfried Lindenberg seine tödliche Verwundung erhalten. Die Schwere der Kämpfe kommt etwa in dieser Schilderung zum Ausdruck (6):

Besonders schwer wurde die Division während eines russischen Großangriffes am 25. Oktober getroffen. Der linke Flügel der 9. Armee wurde durch 11 russischen Schützendivisionen angegriffen, ihnen standen die bereits angeschlagenen 267.-, 260.- und 131. ID gegenüber. Innerhalb weniger Stunden waren russische Kräfte über den Pronja hinweg an 7 Stellen in die deutschen Linien eingebrochen. Zwar konnten die Einbrüche abgeriegelt und an einigen Stellen der Gegner wieder über die alte HKL zurückgeworfen werden, doch wurden hierbei die letzten örtlich verfügbaren Reserven verbraucht.

Denkbar ist, daß Siegfried Lindenberg schon im Zusammenhang mit diesen Kämpfen verwundet worden ist und in das etwa 30 Kilometer hinter der Hauptkampflinie liegende Lazarett bei Petrowitschi (G-Maps) transportiert worden ist, daß er womöglich aufgrund der Schwere seiner Verwundung nicht transportfähig war, und daß sich sein Zustand über die nächsten Wochen verschlimmerte, so daß er am 5. Dezember 1943 dasselbst verstarb. 

Abb. 5: Petrovichi (For.d.Wehrm.)

Er könnte aber auch in Zusammenhang mit den nachfolgenden Kämpfen verwundet worden sein (6):

Am 28. November brach der Gegner in die stark geschwächte Front der Division beiderseits Wyssokoje tief in die HKL ein und schnitt größere Teile der in Front liegenden Infanterie ab. (...) Zwischen dem 21. und 30. November betragen die Verluste der Division 9 Offiziere und 390 Mannschaften.

Wyssokoje liegt 15 Kilometer südlich von Tschaussy (G-Maps). Am 29. November 1943 heißt es im Kriegstagebuch der 9. Armee (6):

Der Feind erzielte in der Einbruchstelle bei der 131. ID weiteren Geländegewinn nach Westen. Immerhin konnten Lapeni und Jegorowka gehalten werden. Angesichts des Fehlens von Reserven blieb die Lage in diesem Frontabschnitt besonders gespannt.

Ein 22-jähriger Leutnant an diesem Frontabschnitt war Hans-Jürgen Hartmann

"Ich konnte mich immer noch nicht beruhigen - Die Knie zitterten mir"

Dieser hat sein Kriegstagebuch veröffentlicht (7), über das man einen Einblick in die Art der Kämpfe in diesem Frontabschnitt in diesem Winter 1943/44 erhält. Er reiste Mitte November 1943 über Minsk an die Front (7, S. 267f). Gefürchtet waren dabei die Partisanen in den Wäldern östlich von Minsk. Zunächst war er hundert Kilometer nördlich von Mogilew eingesetzt. Im Februar 1944 wurde er dann Richtung Süden, Richtung Tschaussy verlegt und kam bei Barischewka an der Pronja zum Einsatz, also dort, wo im Herbst 1943 auch Siegfried Lindenberg im Einsatz gewesen ist. 

Abb. 6: Zwischen dem Dnjepr bei Mogilew (links) und dem Flußtal der Pronja (rechts) - Im Winter 1943/44 verteidigten die deutschen Divisionen entlang der Hauptkampflinie bei den markierten Dörfern Baryshevka, Prilepovka bis hinunter nach Vysokoe Richtung Osten über die Pronja hinweg - Das rückwärtige Lazarett lag bei Petrovici, dessen Friedhof bei Goleni (G-Maps)

So daß man sich über diese Tagebuch-Einträge ein Bild von der Schwere der dortigen Kämpfe machen kann (7, S. 316ff). Wie schon geschildert, brachen die Russen immer wieder in die vordersten Gräben der Hauptkampflinie ein, die dann in mühsamen und aufreibenden Gegenangriffen von den Deutschen zurückerobert wurden. Hartmann schreibt zum Beispiel über die Lage kurz nach einer solchen Rückeroberung (7, S. 323f):

Ich konnte mich immer noch nicht beruhigen, die Knie zitterten mir und der Atem ging kurz und schnell. Die anderen, die dicht hinter mir gewesen waren, fragten mich, ob ich denn gar nichts abgekriegt hätte. Ich spürte nichts und da erzählten sie mir, von den dicken Handgranaten der Russen seien doch zwei unmittelbar vor meinen Füßen hochgegangen. (...) Der Käptn erzählte mir noch grinsend, er habe noch nie ein so fürchterliches Hurragebrüll wie meins beim Aufrollen des Grabens gehört. (...) Ich weiß nur, welch eine entsetzliche Angst mir im Halse gesteckt hatte. (...) Iwan wird nun immer wissen, welchen Haufen er vor sich hat.

Ein solches Bereinigen von russischen Einbrüchen wurde wieder und wieder notwendig. Hartmann schildert, wie die sowjetische Führung unablässig und erbarmungslos immer wieder die russischen Soldaten zum Angriff nach vorn peitschten, wo sie dann zu hunderten sprichwörtlich mit Maschinengewehren und Handgranaten von den deutschen Soldaten "abgeschlachtet" wurden. Aber auch die deutschen Soldaten waren wieder und wieder völlig am Ende ihrer Nerven und Kräfte und wunderten sich, daß bei der riesigen Zahl an Menschenmengen die Russen über Monate hinweg keine größeren Erfolge erzielen konnten.

Der Bericht von Hartmann macht deutlich, daß es nicht nötig war, in ein Bewährungsbataillon der SS kommandiert zu werden, um die Härte der Kämpfe an der russischen Front so zu erleben wie sie von Autoren wie Frithjof Elmo Porsch (1924-2015) (Wiki) (1) so nachhaltig in ihren Büchern geschildert werden. Sie konnten auch von jeder beliebigen deutschen Infanterie-Division ähnlich erlebt werden und von jedem Angehörigen derselben. Also auch von Siegfried Lindenberg. 

"Forum der Wehrmacht"

Viele Nachkommen stellen heute im Internet Nachforschungen über ihre Großväter oder über sonstige Angehörige an. 

Eine ähnliche Frage wie hier in diesem Beitrag wurde zum Beispiel schon 2010/11 auf dem sehr hilfreichen "Forum der Wehrmacht" erörtert. Nämlich die folgende (For.d.Wehrm.):

Mich interessiert tatsächlich, welche genaue russische Einheit am 25.10.1943 in Zarech´ye 1 Kilometer östlich Tschaussy gegen die Deutschen kämpfte. Mein Großvater wurde dabei tödlich getroffen!

Es handelt sich also um einen weiteren Angehörigen jener Einheit, in der auch Siegfried zum Einsatz kam, und der eineinhalb Monate vor ihm gefallen ist.

In einer eigenen Anfrage auf diesem "Forum der Wehrmacht" wurde irrtümlich noch ein anderes Petrowitschi als Ort des Geschehens vermutet. Dazu sind aber sehr schnell zwei richtigstellende und damit hilfreiche, weiterführende Antworten gegeben worden (For.d.Wehrm.):

In Belarus gab und gibt es einige Orte mit Namen Petrowitschi (heute: Petrovichi). Dein gefundener Ort (100 km südl. Smolensk, 100km östl. Tschaussy) ist mit Sicherheit nicht der Ort, wo Dein Großonkel verstorben ist. Es gibt aber ein Petrowitschi ca. 20 km östlich Mogilew auf dem Weg nach Tschaussy (heute: Cavusy). Dieses Petrowitschi dürfte es sein! (...) Leider liegen mir auch keine Detail-Infos über die 131. ID vor. Von Januar - August 1943 lag sie nördlich/nw Kiroff und bestritt Stellungskämpfe. Den anschließenden Rückzug mit Absetzen nach Westen über Rosslaw hast Du auch schon genannt. Auf einer Lagekarte vom 3. 10. 43 wird die Division dann schon im Raum Tschaussy geführt. Es dürfte schwierig bis unmöglich werden, Genaueres über das Ortslazarett Petrowitschi und den Rückzug der Division herauszufinden, da es leider keine Dokumente mehr darüber in den Archiven gibt.

Die Front scheint im Raum Mogliew/Petrowitschi dann für sechs Monate weitgehend unverändert geblieben zu sein. Denn erst am 28. Juni 1944  ist Mogilew von den sowjetischen Truppen zurückerobert worden (Wiki).

Abb. 7: Soldatengrab in Rußland, 1943 (Bdsarch., Bild 101I-022-2948-19 / Wolff, Paul Dr. / CC-BY-SA)

Es geschah dies im Zusammenhang mit den Angriffen, die am 22. Juni 1944 begannen und zu dem katastrophalen Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte (Wiki) führen sollten. Siegfried Lindenberg war da schon nicht mehr am Leben. 

Sein Grab wurde zurückgelassen und vor Ort sicherlich bald eingeebnet und vergessen. Über sein Grab hinweg wurde der Kommunismus, Materialismus und Atheismus erneut nach Weißrußland, und erstmals auch nach Polen und nach Deutschland hinein getragen.

Am 4. Dezember 1943 also ist Siegfried im Ortslazarett Petrowitschi (G-Maps) in Weißrußland seinen Verletzungen erlegen. Petrowitschi liegt, so sei noch einmal angegeben: 560 Kilometer südwestlich von Moskau, 85 Kilometer südlich von Orsha, 20 Kilometer östlich von Mogilew (Wiki) auf dem Weg nach Tschaussy. 

Siegfried lag - bis zur Umbettung - auf dem Soldatenfriedhof Goleni Reihe 2, Grab 2 begraben. So laut Auskunft des Volksbundes deutsche Kriegsgräberfürsorge vom 16.1.2007 (Volksbd), der dies nach den Angaben der "Deutschen Dienststelle", ehemalige Wehrmachtauskunftstelle, Berlin mitteilte.

Abb. 8: Der Fluß Ostjor (Wiki) bei Mogilew - Gemälde von Nikolai Alexejewitsch Atryganjew (1823-1892), 1885 (Wiki)

Er lag dort begraben wie viele andere Soldaten  aus dem Land Brandenburg (s. Wkopfer) und aus ganz Deutschland.

Umbettung auf die Kriegsgräberstätte Schatkowo

Am 4. März 2023 ergänzen wir diesen Beitrag mit folgenden Ausführungen: Im Hinterkopf war natürlich schon häufiger der Gedanke, daß man einmal nach Weißrußland reisen müßte und das Grab des Cousins des Vaters besuchen müßte. Es wäre vermutlich nicht leicht zu finden gewesen.

Durch eine neue Online-Suchanfrage beim Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge erfährt der Autor dieser Zeilen, daß die sterblichen Überreste von Siegfried Lindenberg inzwischen umgebettet worden sind auf die Kriegsgräberstätte Schatkowo, zehn Kilometer nördlich der Stadt Bobruisk (Volksbd). Damit liegt Siegfried Lindenberg jetzt 150 Kilometer südwestlich seines ursprünglichen Bestattungsortes, dem Friedhof des Frontlazaretts bei Petrovici, bestattet.

Die Kriegsgräberstätte Schatkowo ist nach Beresa im Westen des Landes die zweite Kriegsräberstätte, die der Volksbund in Weißrußland eingerichtet hat. Auf ihr sind über 34.000 deutsche Soldaten beigesetzt. Vor fünf Jahren hat der Norddeutsche Rundfunk eine Reisegruppe des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge begleitet, die die Gräber ihrer Väter, Großväter oder Angehörigen besucht haben (4). 

Abb. 9: Die deutsche Kriegsgräberstätte Schatkowo bei Bobruisk in Weißrußland

Dabei wurde zunächst die Kriegsgräberstätte Berersa bei Minsk besucht (4; 13'53). Einige Tage später wurde auch der Soldatenfriedhof Schatkowo besucht (4; 36'19). Der trauernde Mann, dessen gesamte übrige Familie bei einem Bombenangriff auf Aachen ums Leben kam, steht sogar ausgerechnet vor dem Gedenkstein, auf dem die Namen mit L verzeichnet sind. Sein Vater war Günther Liehr. Das ist der Name, der dem Alphabet nach direkt vor dem Namen von Siegfried Lindenberg stehen müßte. Der Name Lindenberg folgt dort auf dem Gedenkstein dann aber nicht, sondern es folgt der Name Paul Lindenhahn (4; 40'34). Der Volksbund gibt als Auskunft:

Endgrablage: Block 31 Reihe 21 Grab 831 - Name und die persönlichen Daten von Siegfried Lindenberg sind auch im Gedenkbuch der Kriegsgräberstätte verzeichnet.

Es sind also nicht alle bestatteten Soldaten auch dem Namen nach auf den Gedenksteinen verzeichnet. Diese Dokumentation ist erschütternd. Die Reisenden stehen vor viel mehr Fragen als Antworten.

/ Ergänzt und 
überarbeitet: 4.3.23 bis 21.5.23 /
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*) Siegfried Lindenberg (geb. am 1.10.1924 in Großwusterwitz, gestorben am 4. 12.1943 in Petrowitschi)
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  1. Blankenhagen, Wilhelm: Im Zeichen des Schwertes. Erinnerungen an den Weg der 131. Infanterie-Division  1940 - 1945. Verlag Giebel & Oehlschlägel, Osterode am Harz 1982  (126 S.) (Ebay)
  2. Behrens, Ilse: Wer aus Rußland kommt ist müde. Verlag Hohe Warte, Pähl 1950 
  3. Fotos von der 131. Infanteriedivision auch: Verleihung eines Eisernen Kreuzes am 8. Januar 1944 an den Unteroffizier Heinz Fricke 3./Gren. Rgt 131. Kowel, Ukraine, 6. April 1944 (Flickr).
  4. Sieben Tage auf der Suche nach Onkel Hans. Deutsche Soldaten in Weißrußland - Eine Suche mit dem Volksbund. NDR Doku, 08.05.2018, https://youtu.be/-pMwNYMYqkQ.
  5. Die Einweihung der Kriegsgräberstätte Schatkowo in Weißrußland am 2. Juli 2011, https://youtu.be/3TIMcVtsjbA
  6. Ralf Anton Schäfer: Das Vermisstenschicksal des Heinrich Molter, 9. Juni 2021, https://www.das-kriegsende.de/das-vermisstenschicksal-des-heinrich-molter/   
  7. Hans-Jürgen Hartmann: Zwischen Nichts und Niemandsland: Tagebuch eines deutsches Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Zuerst 2006; Books on Demand, Norderstedt 2020 (GB)
  8. Porsch, Frithjof-E.: Die letzten Tage meiner Kompanie. In: Möller-Witten, Hans (Hrsg.): Männer und Taten. Ritterkreuzträger erzählen. Lehmanns Verlag, München 1959

2 Kommentare:

  1. Durch eine neue Online-Suchanfrage beim Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge erfährt der Autor dieser Zeilen, daß die sterblichen Überreste von Siegfried Lindenberg inzwischen umgebettet worden sind auf die Kriegsgräberstätte Schatkowo, zehn Kilometer nördlich der Stadt Bobruisk (Volksbd). ... Hier sind über 34.000 deutsche Soldaten beigesetzt.

    Vor fünf Jahren hat der Norddeutsche Rundfunk eine Reisegruppe des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge begleitet, die die Gräber ihrer Väter, Großväter oder Angehörigen hier besucht haben.

    Diese Dokumentation ist erschütternd. Die Reisenden stehen vor viel mehr Fragen als Antworten.

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  2. Ein damals 22-jähriger Leutnant war an demselben Frontabschnitt im Februar 1944 eingesetzt und hat Erinnerungen hinterlassen, nämlich ein Hans-Jürgen Hartmann. Er berichtet, daß sie wieder und wieder den Einbruch von hunderten von Russen in den vordersten Graben "bereinigen" mußten, sie rollten in ganz kleinen Kampfgruppen die Gräben auf, vor allem mit Handgranaten, ganz selten einmal mit Unterstützung durch eine Panzerkanone, die dann freilich unglaubliches Unheil unter den Russen anrichten konnte, die in dicken Massen in den Gräben gesammelt waren. Hartmann schreibt über einen solchen Gegenangriff: "Ich konnte mich immer noch nicht beruhigen, die Knie zitterten mir und der Atem ging kurz und schnell. Die anderen, die dicht hinter mir gewesen waren, fragten mich, ob ich denn gar nichts abgekriegt hätte. Ich spürte nichts und da erzählten sie mir, von den dicken Handgranaten der Russen seien doch zwei unmittelbar vor meinen Füßen hochgegangen. (...) Der Käptn erzählte mir noch grinsend, er habe noch nie ein so fürchterliches Hurragebrüll wie meins beim Aufrollen des Grabens gehört. (...) Ich weiß nur, welch eine entsetzliche Angst mir im Halse gesteckt hatte. (...) Iwan wird nun immer wissen, welchen Haufen er vor sich hat." - - - Die Russen waren wohl zahlenmäßig zehnmal so stark wie die Deutschen. Warum die Deutschen die Gräben dennoch immer wieder aufrollen konnten, blieb auch den damaligen deutschen Soldaten ein Rätsel.

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